Wilhelm Leib, Auf der Jagd im Aiblinger Moos aus Über Ästhetik, Rohentwurf, 6.
Ende des 19. Jahrhunderts gab's unter
deutschen Malern (d.h. Kritikern) den Streit von Sinnhubern und Formhubern.
Vorausgesetzt war: daß das Sinnhafte eo ipso im Sujet, Gegenstand, Motiv des
Kunstwerks angesiedelt sei: dem ‚Stoff’; alles andere sei ‚bloße Form’ und eo
ipso ohne Sinn. Aber daß ‚das Formale’ als die ästhetische Seite des Werks
selber dessen „Sinn“ ausmachen könne, kam nicht in den... Sinn. Der Witz ist
der: In der Geschichte der Kunst erleben wir, trivial gesprochen, eine stetige
Verschiebung der Gewichtung vom Motivischen zum Ästhetischen. Die ‚Bedeutung’
steht zu Anfang (Lascaux, Altamira) im Mittelpunkt des Interesses der
Kunstmacher; und wenn sie über bildnerische Tricks verfügen, die ihnen
erlauben, eine bestimmte „Wirkung“ beim Betrachter um so sicherer zu erzeugen,
so ist es Wirkung in Hinblick auf den außerästhetischen Zweck des Werks; bis
hin zum mittelalterlichen Heiligenbild. Der heutige Betrachter wird darin einen
„ästhetischen Reiz“ erkennen; aber so war er seinerzeit nicht gemeint: sondern
eben als Wirkungsverstärker. Die Herauslösung des ästhetischen Gesichtspunkts*-
sei's Schönheit, sei's Erhabenheit - aus dem Geflecht sozialer Zwecke geschieht
erst in der Renaissance (Vasari), und macht die Entstehung von Kunst in specie
aus.
Alexej Jawlensky, Murnauer Landschaft, 1909
*) Die Essays und Aphorismen, aus denen ich meinen Rohentwurf zusammengestellt habe, stammen aus den Jahren 1998 bis 2002. Die Serie Landschaft - die Entbindung des Ästhetischen habe ich 2007 begonnen.
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