Montag, 21. Oktober 2013

"Stoff und Form".

Wilhelm Leib, Auf der Jagd im Aiblinger Moos                                                                                             aus Über Ästhetik, Rohentwurf, 6.

Ende des 19. Jahrhunderts gab's unter deutschen Malern (d.h. Kritikern) den Streit von Sinnhubern und Formhubern. Vorausgesetzt war: daß das Sinnhafte eo ipso im Sujet, Gegenstand, Motiv des Kunstwerks angesiedelt sei: dem ‚Stoff’; alles andere sei ‚bloße Form’ und eo ipso ohne Sinn. Aber daß ‚das Formale’ als die ästhetische Seite des Werks selber dessen „Sinn“ ausmachen könne, kam nicht in den... Sinn. Der Witz ist der: In der Geschichte der Kunst erleben wir, trivial gesprochen, eine stetige Verschiebung der Gewichtung vom Motivischen zum Ästhetischen. Die ‚Bedeutung’ steht zu Anfang (Lascaux, Altamira) im Mittelpunkt des Interesses der Kunstmacher; und wenn sie über bildnerische Tricks verfügen, die ihnen erlauben, eine bestimmte „Wirkung“ beim Betrachter um so sicherer zu erzeugen, so ist es Wirkung in Hinblick auf den außerästhetischen Zweck des Werks; bis hin zum mittelalterlichen Heiligenbild. Der heutige Betrachter wird darin einen „ästhetischen Reiz“ erkennen; aber so war er seinerzeit nicht gemeint: sondern eben als Wirkungsverstärker. Die Herauslösung des ästhetischen Gesichtspunkts*- sei's Schönheit, sei's Erhabenheit - aus dem Geflecht sozialer Zwecke geschieht erst in der Renaissance (Vasari), und macht die Entstehung von Kunst in specie aus. 

 Alexej Jawlensky, Murnauer Landschaft, 1909

*) Die Essays und Aphorismen, aus denen ich meinen Rohentwurf zusammengestellt habe, stammen aus den Jahren 1998 bis 2002. Die Serie Landschaft - die Entbindung des Ästhetischen habe ich 2007 begonnen.

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