Donnerstag, 10. Oktober 2013

Figur im Grund; oder Die Erheblichkeit.

liquid chaos, pixelio.de                                                                                                                                     aus Über Ästhetik, Rohentwurf, 16.

Das Elementardatum unserer Gewärtigkeit (Gewahrseins, Zur-Welt-Seins...) ist weder die Vorstellung (im Symbolsystem: „Denken“) noch die Wahrnehmung („Sinnlichkeit“). Beide werden erst nachträglich in der Reflexion (=durch das „Eintreten“ der sprachlichen Repräsentation!) von einander geschieden. Und schon gar nicht so, daß „erst“ die sinnliche Wahrnehmung „da“ wäre und „dann“ die Vorstellung „hinzukommt“. Sondern zuerst ist immer Erleben „da“. „Erlebnis“ wäre schon zu viel gesagt: zunächst einmal ein „Strom“ in einem „Feld“, aus dem gelegentlich Einzelnes „herausragt“, weil es Aufmerksamkeit erregt - oder es erregt Aufmerksamkeit, weil es „irgendwie“ herausragt, wie die Figur aus ihrem Grund. [„auffällig“: vgl. A. Gehlen, Anthropologische Forschung, S. 119] Was aber ist es, das einzelne Momente auszeichnet in (zeitlich) dem „Strom“ oder (räumlich) dem „Feld“? Schon das Feld selbst ist konstituiert von einem wie auch immer geringen Grad von Aufmerksamkeit, und wenn sich ein Moment abzeichnet, dann immer, wenn und weil sich die Aufmerksamkeit darauf gelenkt hat. Ja, aber warum? Weil sie Qualitäten (Washeiten) „erkennt“, die sie von Anderm unterscheiden kann; weil sie nicht so sind, wie (all) das Andere; also eine Information unterscheidet von einer (relativen) Nicht-Information, Redundanz. Ein Hier-jetzt-nicht-Erwartetes von einem So-wie-so-schon-Dagewesenem. [Insofern ist Neuheit doch eine ästhetische Qualität! cf. Burke] Und später dann wird auf das So-Ausgezeichnete geachtet, ob, wann und wo man es wieder erkennt. Jetzt wird es erwartet, und wenn ‚es’ sich nicht wieder ‚ereignet’, dann ist das die Information. Also alles ‚Neue’ ist informativ, und eo ipso interessant. Also das Erlebnis ist die unmittelbare Gegebenheitsweise dessen, was ‚einem unbeteiligten Beobachter’ als Ereignis vorkommt - und also auch der Reflexion, in der ‚ich’ ‚mich’ anschaue, ‚als ob’ ich ein Anderer wäre.
 
w.r.wagner, pixelio.de
 
..."Wahrgenommen" wird immer nur eine Figur in einem Grund. - Die Figur ist immer eine Störung des Grundes. D. h. nur als Störung "ist" sie Figur. Figur und Grund ‚verhalten’ sich nicht "dialektisch": Sie "bedingen" einander nicht! Zwar "gibt es" keine Figur ohne Grund, aber es gibt einen Grund ohne Figur. Nur "ist" er dann kein Grund. Aber er ist auch nicht Nichts. Er ist... "Strom", unausgezeichnet, unbeachtet. Er "ist", aber er bedeutet nichts. Erst wenn er als "das, was" er "ist" - nämlich nichts Bedeutendes - gestört wird, wird er etwas. (Das Auge "sieht" eine ungeordnete Fläche, aber es "nimmt" sie nicht "wahr"; es kann darauf nicht verharren; es "flackert", sucht nach einem "Anhalts-Punkt"; und wenn es keinen findet, halluziniert es ihn in die Fläche hinein - und "widmet" sie ipso facto zu einem Grund "um".)

- Die Erwartung eines Sinns im Meer des Sinnlosen; die Erwartung einer Figur im wüst-Unbestimmten ist so tief in unsere mentale Dispostiton eingeprägt, daß gewisse optische Texturen - von Kandinski über Mondrian bis Pollock - ihre ästhetische Kraft gerade aus dem Verstoß gegen die Erwartung, aus ihrer Enttäuschung gewinnen.
... Erlebnis ist immer singulär und eo ipso qualitativ. (Quanta „erscheinen“ erst im Vergleich; also in der Reflexion auf anderes. Aber ‚Figur im Grund’ ist keine Relation, sondern ein Komplex (datum uno actu); erst die Reflexion „erkennt“, daß der Grund auch ‚allein’ da wäre, wenn...; setzt also beide in Beziehung.)
 
 La Liana, pixelio.de

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