aus Süddeutsche.de,Franz Lerch, Mädchen mit Hut, 1929.
Zum Schönen gezwungen
Von Ruth Schneeberger, Berlin...Weil es sich um Kunstwerke von der Secession bis zur
Machtergreifung durch die Nationalsozialisten handelt, ist das alles
nicht neu und war - bis auf wenige Ausnahmen - auch anderswo schon zu
sehen. Und die Kombination Wien-Berlin ist nun auch keine, die zwingend
ein Massenpublikum hinterm Ofen hervorlocken müsste. Trotzdem stehen
hier Besucher noch bis in die Nacht an, um in einzelne Räume
hineingelassen zu werden; Ordner müssen dafür sorgen, dass der Andrang
pro Rundgang nicht zu groß wird. Das liegt unter anderem daran, dass die
Berliner sich für ihre Stadt interessieren - und für deren Widerhall in
Kunst, Medien und Kultur. Und dass sie ein offenes Völkchen sind. Wie
man dann auch an der Ausstellung und im Vergleich mit Wien noch einmal deutlich erkennt.
Franz Skarbina, Dame auf der Wandelbahn eines Seebades, 1883,
"Volk ohne künstlerische Instinkte"
...Und sie sind auch an Berlin-Bashing gewöhnt. "Dort lebt ein Volk
ohne künstlerische Instinkte", urteilte einst die Wiener Journalistin
und Kunstkritikerin Berta Zuckerkandl, wie Klebba verlas. "Ein Volk mit
zersetzender, nutzenabwägender Verstandesart, fremd dem heiteren Zug der
Phantasie. Es muss sich förmlich zum Schönen zwingen, um eine
Empfindungsfähigkeit zu erlangen, welche der Wiener aufgrund seiner
Veranlagung von Hause aus besitzt. Aber diese Leute haben an sich
gearbeitet. Sie haben mit Macht alles Fremde an sich gerissen, um zu
sehen und zu lernen. Und so hat Verstandesarbeit bessere Resultate
ergeben als Talent." Soweit das doch ein wenig vergiftete Lob der
damaligen Kunstkritikerin. Dazu muss man wissen: Die alte Kaiserstadt
Wien hatte gerade ihren Rang als führende Kunststadt an den Newcomer
Berlin als Reichshauptstadt abtreten müssen. Berlin war schwerst
angesagt. Da kann man als Wiener Kulturinstanz schon mal ein bisschen
säuerlich reagieren.
Jeanne Mammen, Schachspieler, 1929-30.
Die Ausstellung zeigt indes, wie sich beide Metropolen von der
Jahrhundertwende bis zur Machtergreifung durch die Nazis künstlerisch
entwickelten - nämlich auf sehr unterschiedliche Weise, aber dennoch
stark verbunden.
Max Liebermann vs. Gustav Klimt Erstmals werden hier zentrale Werke der Berliner und Wiener
Moderne zusammen gezeigt, von den Secessionen über den Expressionismus
bis zur Neuen Sachlichkeit. Die Secessionisten wollten zu Beginn des 20.
Jahrhunderts eine Abkehr vom allzu akademischen Kunstbetrieb zwischen
Jugendstilkunst und Spätimpressionismus bewegen. Neue künstlerische
Ausdrucksmittel wurden gesucht, um den Aufbruch in die Moderne zu
verkünden. Doch während sich die Berliner Künstler um Max Liebermann
zunehmend der Alltagswirklichkeit widmen (schwer arbeitende Frauen,
Bettler am Rande des Glanzes der Stadt) und die Erfahrungen mit der
Großstadt aufs Papier bringen (Vergnügungsviertel, die neue burschikose
Frau, junge Leute ohne Perspektive), dominieren bei den Wiener Kollegen
um Gustav Klimt die ornamentale Form und das Symbolhafte.
Gustav Klimt, Johanna Staude, 1917; unvollendet Eminent. Oder einfach dufte Trotz dieser sehr unterschiedlichen Ausrichtungen gab es regen
Austausch. Viele Wiener Künstler übersiedelten nach Berlin und erfassten
die pulsierende Großstadt noch einmal ganz anders als ihre deutschen
Kollegen. Junge österreichische Künstler wie etwa Egon Schiele treten
aus dem Schatten Klimts und werden mit ihrer avantgardistischen Kunst,
geprägt auch durch die Psychologisierung Sigmund Freuds, in Berlin
einem größeren, aufgeschlosseneren, aber auch kritischerem Publikum
bekannt gemacht. Kunsthändler und Publizisten knüpfen Netzwerke zwischen
beiden Städten.
Hannah Höch, Die Journalisten, 1925 Nach dem Ersten Weltkrieg und dem Tod von Klimt und
Schiele gerät die Wiener Kunstwelt international in den Hintergrund,
während sich in Berlin die Vertreter von Dada und der Neuen Sachlichkeit
offensiv mit der politischen und gesellschaftlichen Lage
auseinandersetzen und zu neuer Blüte reifen. Währenddessen kennt man in
Wien keinen alles in Frage und auf den Kopf stellenden, scharfzüngigen
Dadaismus. Kinetismus ist stattdessen die Kunstform der Stunde:
utopistische Weltentwürfe und avantgardistische Bildsprache.
Erika Giovanna Klien, Lokomotive, 1926Das progressive, aggressive Berlin
versus das behütete, sinnliche Wien gibt es also unter vielen Werken
großer Künstler zu entdecken. Damals gingen manche Kritiker so weit,
Wien als die Frau und Berlin als den Mann unter den Kunstmetropolen
zu sehen. Eindringlich, umwerfend, witzig, schön Abgesehen von diesem gewollten Vergleich: Auch abseits der
damaligen Berlin-Wien-Rivalität sind die hier gezeigten Bilder für den
Besucher eine großartige Gelegenheit, sich in die Herzen der Bevölkerung
rund um die beiden Weltkriege und in die Köpfe ihrer schlauesten
Kritiker zu versetzen. Die größten Künstler ihrer Zeit wie Max Beckmann,
Otto Dix, George Grosz, Hanna Höch, Käthe Kollwitz, Max Oppenheimer,
Max Pechstein und viele weitere sind hier zu sehen. Es braucht Stunden,
um einen Rundgang ernsthaft zu Ende zu bringen, so eindringlich sind
viele Arbeiten - und so eingängig kuratiert.
Filiale der Wiener Werkstätte in Berlin, Ende der 20er Jahre.Darunter umwerfende Arbeiten wie eine Mappe von Otto Dix, in der
er Erinnerungen an seine Zeit als Soldat im Ersten Weltkrieg als
Radierungen festhielt: Verwundete mit unsäglich hilfesuchenden
Gesichtern. Die nächtliche und fast schon komische Begegnung mit einem
Irrsinnigen, der inmitten des kriegerischen Irrsinns dümmlich lächelt.
Tote mit halb verwesten Schädeln. Oder auch Lithografien von Willy
Jaeckel mit nicht minder eindringlichen Kriegserinnerungen: Aggressive,
verzweifelte und auch eigentlich unwillige, aber durch die Kumpanen
angefeuerte Soldaten beim Vergewaltigen einer Frau und ähnlich
abscheuliche Szenen machen deutlicher als jedes Foto, wie stark der
Krieg die Menschen deformierte. Oder auch intensive Arbeiten der Künstlerin Lotte Laserstein: "Im
Gasthaus" heißt schlicht ihr Bild von 1927 - und es erzählt doch viel
mehr: Laserstein war eine der ersten Frauen, die an der Berliner
Akademie der Künstler studieren durfte, der Zugang zur akademischen
Ausbildung war Frauen erst seit 1919 erlaubt. Ihr Mix aus
altmeisterlicher Maltechnik und alltäglichen Motiven war so bestechend,
dass der Magistrat der Stadt Berlin ihr Gasthaus-Bild mit dem Portrait
der blonden jungen Frau 1928 kaufte. Zeit ihres Lebens dachte die
Künstlerin, die 1937 wegen ihrer jüdischen Familie vor den Nazis aus
Deutschland fliehen musste, ihr Bild sei im Zweiten Weltkrieg
zerstört worden.
Ernst Neuschul, Zwei müde Frauen, 1925.Stattdessen wurde es nach ihrer Flucht als "entartete Kunst"
beschlagnahmt und kam in Privatbesitz. Erst kürzlich wurde es auf einer
Kunstauktion entdeckt und jetzt, fast 80 Jahre später, wird es erstmals
einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Noch ein weiteres Bild
der Künstlerin ziert die Ausstellung:
ein großformatiges Ölgemälde mit dem Titel "Abend über Potsdam" von
1930 zeigt intensiv die Stimmung intellektueller junger Großstädter in
den frühen Dreißigerjahren: trüb, orientierungslos, aber noch nicht
gänzlich hoffnungslos, was sich später als Trugschluss erweisen sollte.
Herbert Ploberger, Selbstbildnis (mit ophthalmologischen Lehrmodellen), 1928 – 1930Zuguterletzt gibt es auch einfach Schönes und Witziges: Wie etwa
die tiefgründigen Portraits dekadenter Damen von Christian Schad mit den
für die 20er Jahre üblichen Bubikopffrisuren oder die
Bleistiftzeichnungen berühmter Künstler, die sich
gegenseitig karikierten. Die Wiener
würden zu dieser Fülle an hochpolitischer wie historisch verdichteter
als auch optisch höchst zugänglicher Kunst wohl sagen: eminent. Im
Berliner Sprech hieße es dagegen schlicht: dufte.[Ich habe seit wenigstens zwei Jahrzehnten keinen Berliner mehr dufte sagen hören. JE]
Carry Hauser, Jazzband,1927
Die Ausstellung ist bis zum 27. Januar in Berlin zu sehen, von
Mitte Februar bis Mitte Juni 2014 in der Galerie Belvedere in Wien, die
am Konzept beteiligt war. Zur Ausstellung erscheinen ein Katalog und
eine App, dazu gibt es verschiedene Wien-Nächte. Weitere Infos unter http://www.berlinischegalerie.de/
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