Ein Nationalsozialist als "Parade-Entarteter"
Das Kolorit in Emil Noldes Bildern ist mächtig: "Glut und Farbe" heißt die umfassende Retrospektive, die einen herausragenden Maler vorstellt. Was in der Ausstellung trotzdem nicht fehlen dürfte, ist ein zeithistorisches Kapitel über dessen Nazi-Sympathie
von Anne Katrin Feßler
Wien - 1600 Nolde-Blumen ließ das Gartenamt Baden-Baden rund um die Ausstellung Die Pracht der Farbe im Museum Frieder Burda erblühen. Rund 80 Blumenbilder Emil Noldes (1867-1956) waren in der Ausstellung zu sehen, die bis Mitte Oktober 140.000 Besucher angelockt hat. Der Herbst in Wien verspricht zwar keine Blumen, aber mit Emil Nolde. In Glut und Farbe im Belvedere auch sehr farbstark zu werden.
Begegnungen am Strand 1920
Das intensive Kolorit kommt bei Nolde fast in jedem Ausstellungstitel vor, sagt Kurator Stephan Koja, dem in diesem Zusammenhang besonders Farben heiß und heilig (Stiftung Moritzburg, 2013) gefällt; es ist genauso wie In Glut und Farbe ein Zitat Noldes.
Tropensonne, 1914
Statt allein Blumen präsentiert Koja gut 190 Werke aus allen Schaffensperioden, gliedert sie in logische, chronologische Kapitel. Und fürwahr begegnet dem Betrachter dort ein leidenschaftlicher Farbmagier: Bevor er um 1910/11 die Farbe in seinem Oeuvre entfesselte, strichelte er im Frühwerk expressionistisch: etwa drollige Bergriesen, aufreizende Traumwesen oder beschauliche Landschaften. Es folgen pastose Stimmungsbilder der See: vom Gewittersturm aufgewühlt, vom Sonnenuntergang in Brand gesteckt oder verhängnisvoll und tiefschwarz. Nolde stürzt sich mit seiner Ada in nächtliche Halbwelten, malt Tänzer, Trinker, Teufel. In großem Kontrast dazu, die religiösen Bilder Noldes, die viele seiner Kollegen nicht guthießen; Ernst Ludwig Kirchner, einstiger "Brücke"-Kollege beklagte den "Formenschatz des Mittelalters".
Kreuzigung
Neben dämonisch leuchtenden Landschaften der 1920er- und mystischen Meerbildern der 1940er-Jahre widmet man sich Noldes Südseereise, dem Einfluss auf österreichische Maler und zu guter Letzt den "legendären 'ungemalten Bildern'":
Marschlandschaft mit Mühle, 1920-1925
Er fühlte sich unverstanden ...
Nolde - zur NS-Zeit als "entartet" eingestuft und mit Malverbot belegt - schuf diese Aquarelle, die "nicht sein durften", zurückgezogen im Geheimen. Es grämte ihn zutiefst, so verfemt zu werden, war er doch Parteimitglied seit 1934 und hatte im Memoirenband Jahre der Kämpfe guten Einblick in seinen Antisemitismus gegeben.
Berglandschaft
Die "Glut" im Titel darf jedoch nicht als Verweis auf Noldes glühende Nazi-Anhängerschaft gedeutet werden. Die Ausstellung belässt es bei kurzen Verweisen auf "Mitgliedschaft" und "Sympathie". Aber ein zeitgeschichtliches Kapitel zu Noldes bereits um 1910 geführten "Kulturkämpfen gegen die Überfremdung (...) und die alles beherrschende jüdische Macht" hätte einer Retrospektive mit derart umfassendem Anspruch gut zu Gesicht gestanden.
Sonnenuntergang mit zwei Seglern, 40er Jahre
... der Bewunderer Hitlers
Und zwar nicht nur, weil Die Zeit diesen Aspekt in Noldes Biografie aufgrund von Briefen an seinen Schüler Hans Fehr vergangene Woche aufgegriffen hat. Dort ist unter anderem zu lesen: "Der Führer ist groß und edel in seinen Bestrebungen." Bald werde "die Sonne hier durchbrechen, diese Nebel zerstreuend". Naturvergleiche, wie sie sich im Grunde auch in den dramatischen Bildern Noldes wiederfinden lassen; seine Ansichten werden nicht besser, nur weil die Nationalsozialisten seine Kunst nicht als "ihre" erkannten.
Dschunke, 1914
Wie auch Koja bemerkt, sind diese Aspekte in Noldes Biografie ebenso aus anderen Quellen bekannt. Noldes "blöde" Aussprüche allerdings nur im Katalog zu zitieren oder auf Publikationen wie Mein Leid, meine Qual, meine Verachtung. Emil Nolde im Dritten Reich (Thomas Knubben, 1999) zu verweisen, reicht das? Reicht es, keine Propagandakunst gefertigt zu haben, keine Filme wie Heimkehr (G. Ucicky, 1941)? Ist Kunst Kunst und Zustimmung zur NS-Ideologie reine Charakterfrage?
Meer mit Dampfer 1945-48
Im Fall des Bildhauers Gustinus Ambrosi, der sich vom Speer-Günstling zum "Nazi-Opfer" stilisierte (Nolde: erst von Goebbels gesammelt, dann "Parade-Entarteter"[Koja]) wurde von Francesca Habsburgs Kunstplattform TBA21, die seit 2012 dessen Augarten-Atelier bespielt, Historiker Oliver Rathkolb mit einem Essay beauftragt. Das wäre auch dem Belvedere zumutbar gewesen.
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Ist es ein österreichisches Phänomen? Angesichts dessen, dass Österreich sich im Museum Auschwitz-Birkenau bis zum 22. Oktober "entgegen dem zeitgemäßen Geschichtsbild" noch als "erstes Opfer des Nationalsozialismus dargestellt" hat (Hannah Lessing, Nationalfonds für Opfer des Nationalsozialismus), läge dieser Verdacht nahe. Aber dem ist nicht so.
So gehts aber auch: Nordseeabend, 1935
Im Katalog zu Mensch Natur Mythos (2009, Staatliche Museen zu Berlin) wird Noldes Klagen und Bitten um Aufhebung der Diffamierung als "entartet" mit Hinweisen auf seinen Kampf "gegen die Überfremdung der deutschen Kunst" relativiert. Von "taktisch begründeter Affirmation der NS-Ideologie" ist hier die Rede. Das ist heruntergespielt.
Bis 2. 2. 2014
Abendliche Marschlandschaft 1938
Nota.
Wir haben ja das Wagner-Jahr, da wurde zu dieser Thematik schon einiges gedruckt. Denn bei Wagner, nicht wahr, kann man von der Kunst nicht reden, ohne von seiner Weltanschauung zu reden. Aber schon da muss man unterscheiden. Ob die sich in seinen Klängen und Harmonien niederschlägt, ist eine ähnliche Frage wie: ob man aus Mendelssohns Musik Judentum raushört. Es gibt Leute, die finden Wagners Musik schwülstig, zudringlich und kitschig, und schlaue Leute könnten meinen, das gälte für die NS-Kunst ja auch... Ein Malerkollege (ich glaube, es war Paul Klee) hat Noldes Farbexzesse ihrerseits als Kitsch abgetan, und manch ein Feuilletonredakteur würde sich mit dieser Volte zufriedengeben.
Aber Wagners Musik gehört zu Texten, zu denen sie passt wie die Faust aufs Auge, das muss man ihm lassen. Und diese Texte, Musikdramen, bringen allerdings die sie tragende Welt- und Lebensanschauung zum Ausdruck - eine theatralische Antibürgerlichkeit zu einem völkischen Herz- und Bauchspeicheldrüsensozialismus aufgebläht und mit dem hierbei unvermeidlichen Antisemitismus versetzt. Ob man es Wagner als persönliche Schuld anrechnen soll, dass aus diesem Gebräu auch der Nationalsozialismus seine Ideologie gekocht hat, gehört weder in kunsthistorische noch in ästhetische Erörterungen. Aber dass die Nationalsozialisten sich nicht ohne Berechtigung wirklich auf Wagner berufen haben, ist eine Tatsache, an der auch künstlerischer und ästhetischer Feinsinn nichts beschönigen kann.
Ob Noldes Malerei schwülstig, zudringlich und kitschig ist, ist eine kunstkritische Frage. Und die ist mehr als berechtigt; aber das gilt für den Brücke-Expressionismus überhaupt. Dass ebendies einen (großen?) Teil seines ästhetischen Reizes ausmacht, gehört schon ein bisschen zur Antwort.
Und dass Noldes dunstige Weltsicht in seinen Farben ihren Ausdruck findet, wird man ohne großen Streit wohl auch sagen können. Aber dass ihm eine Verantwortung dafür zufiele, dass seine Malerei den Nationalsozialismus befördert hätte und dass die Nazis sie für ihre Zwecke ausbeuten konnten, ist offenkundig falsch. Wenn er es auch nicht verstehen wollte: Sie haben seine Kunst zu Recht zu der entarteten gezählt. Wo von seiner Kunst geredet wird, muss davon geredet werden. Dass er in seinem Herzen selber Nazi war, gibt der Sache eine komische Tragik und mag in seiner Biographie einen großen, in einem Ausstellungskatalog aber nur eine kleinen Platz einnehmen.
J.E.
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