Herr der Ringstrasse
Die Wiener Akademie der bildenden Künste präsentiert das Werk des dänisch-österreichischen Architekten Theophil Hansen
Die Wiener Akademie der bildenden Künste präsentiert das Werk des dänisch-österreichischen Architekten Theophil Hansen
Vor 200 Jahren wurde Theophil Hansen in
Kopenhagen geboren. Doch für seine Architektur entscheidend war ein
langer Aufenthalt in Athen. In Wien, wo er das Bild der Ringstrasse
nachhaltig prägte, wurde er zum Meister. Nun widmet ihm die Wiener
Akademie der Künste eine Schau, die leider nicht ganz befriedigt.
von Roman Hollenstein
Schon mit seinem ersten
Meisterwerk, der 1846 auf dem Felsenriff des Nymphenhügels in Athen
errichteten Sternwarte, wusste Theophil Hansen (1813-1891) seine
Architektur effektvoll ins Licht zu setzen. Diese Lust am Inszenieren
erreichte Jahrzehnte später bei der aus Universität, Akademie und
Bibliothek bestehenden Athener Trilogie - die er 1859 in einer wunderbar
aquarellierten Darstellung vorwegnahm - einen Höhepunkt. Immer ging das
malerische Komponieren unterschiedlicher Baukörper bei ihm einher mit
einer auf Jean-Nicolas Durands modularer Systematik basierenden
Entwurfsstrategie und einem fundamentalen städtebaulichen Verständnis.
Deswegen leben die Bauten von Hansen, einem der grossen Baukünstler des
19. Jahrhunderts, stets von einer harmonischen Balance zwischen Gefühl
und Vernunft. Diese garantierte ihm früh schon Erfolge, wie die
derzeitige Jubiläumsausstellung in der Akademie der bildenden Künste in
Wien zeigt.
Sternwarte, Athen
Sternwarte, Athen
Antike und Renaissance
In Kopenhagen, das sein
Namensvetter Christian Frederik Hansen gerade erst mit klassizistischen
Juwelen zum Glitzern gebracht hatte, erlernte Theophil Hansen sein
Handwerk an der Bauakademie bei Gustav Friedrich Hetsch, einem
Bewunderer von Durands rationalen Typenentwürfen. Dank einem Stipendium
konnte Hansen 1838 über Berlin und München, wo er das Schaffen von Karl
Friedrich Schinkel und Leo von Klenze studierte, nach Venedig reisen -
und von dort weiter nach Athen. Zusammen mit seinem zehn Jahre älteren
Bruder Hans Christian Hansen, dem Hofarchitekten des Griechenkönigs
Otto, realisierte er als erstes Gebäude im «classischen
Styl» die Universität, welche zur Keimzelle seiner «Trilogie» werden sollte. Es folgten das Palais Dimitriou und 1846 die bereits erwähnte, im Auftrag des griechisch-österreichischen Barons Georg Simon von Sina vollendete Sternwarte, bei der Hansen als einer der ersten Architekten überhaupt mit der altgriechischen Polychromie experimentierte. Daneben beteiligte er sich an der Athener Städtebaudiskussion, erforschte die Überreste der Antike und erarbeitete Rekonstruktionsvorschläge für das Erechtheion und das Lysikrates-Denkmal.
Lemberg mit Invalidenhaus
Styl» die Universität, welche zur Keimzelle seiner «Trilogie» werden sollte. Es folgten das Palais Dimitriou und 1846 die bereits erwähnte, im Auftrag des griechisch-österreichischen Barons Georg Simon von Sina vollendete Sternwarte, bei der Hansen als einer der ersten Architekten überhaupt mit der altgriechischen Polychromie experimentierte. Daneben beteiligte er sich an der Athener Städtebaudiskussion, erforschte die Überreste der Antike und erarbeitete Rekonstruktionsvorschläge für das Erechtheion und das Lysikrates-Denkmal.
Lemberg mit Invalidenhaus
Weil sich seine Berufsaussichten
in Griechenland verdüsterten, nahm Hansen 1846 Ludwig Försters durch
Baron von Sina vermittelte Einladung nach Wien an. Zusammen mit Förster
schuf er Wohn- und Sakralbauten sowie sein erstes Wiener Hauptwerk, das -
nach dem Bruch mit seinem Partner - von ihm 1856 im neobyzantinischen
Stil fertiggestellte Waffenmuseum im Arsenal. Diesem folgten fünf Jahre
später das byzantinische und romanische Elemente vereinende
Invalidenhaus im galizischen Lemberg sowie die Erweiterung der
griechisch-orthodoxen Kirche am Wiener Fleischmarkt. Bald musste Hansen
erkennen, dass die von ihm in die historistische Stildiskussion
eingebrachten byzantinischen Formen und sein in Athen entwickelter
neuhellenischer Stil in der Kaiserstadt auf Vorbehalte stiessen.
Angeregt durch Jacob Burckhardts «Kultur der Renaissance» und eine Reise
nach Florenz und Rom, wandte er sich deshalb einer antikisch überhöhten
Neorenaissance zu - erstmals Ende der 1850er Jahre beim Umbau des
Palais Sina am Hohen Markt und beim Neubau der Evangelischen Schule am
Karlsplatz.
Palais Sina (ursprüngl. Zustand)
Palais Sina (ursprüngl. Zustand)
Gleichzeitig beteiligte er sich -
als Juror ausser Konkurrenz - an der Planung des durch die Aufhebung der
Bastionen zwischen Wien und den Vorstädten freigewordenen
Ringstrassen-Areals, einer der grössten Baustellen im damaligen Europa.
Unzufrieden mit den eingereichten Wettbewerbsprojekten, stellte er 1859
in der «Presse» seinen eigenen Masterplan zur Diskussion, der sich gegen
die Symmetrie richtete, «welche die modernen Stadtanlagen nur monoton
macht». Hier war bereits das später von Semper und Hasenauer realisierte
Kaiserforum mit der neuen Hofburg und zwei jenseits der Ringstrasse
einen Grünraum rahmenden Hofmuseen vorgezeichnet. Im
Hofmuseen-Wettbewerb schlug dann Hansen 1866 aber eine u-förmige,
antikisierende Anlage mit hierarchisch abgestuften, durch Säulengänge
verbundenen Bauteilen vor, die das Bindeglied zwischen seiner Athener
Akademie und dem Wiener Reichsrathsgebäude, dem heutigen Parlament,
gebildet hätte.
Parlament, ehem Reichsrathsgebäude, Wien
Vor seinen öffentlichen Gebäuden aber errichtete er an der Ringstrasse zunächst das «schönste Wohnhaus der Welt»: den für den Ziegelfabrikanten Heinrich Drasche entworfenen, durch noble Mittel- und Seitenrisalite gegliederten Heinrichshof [s. Kopfbild]. Dieser monumentale Wohnbau wurde zum Prototypen des eleganten, weit über die Grenzen der Donaumonarchie hinaus beachteten und kopierten Wiener Zinshauses. Ähnliche Begeisterung löste daraufhin Hansens Stadtpalast für Erzherzog Wilhelm aus, dem Anfang der 1870er Jahre die Palais Epstein und Ephrussi antworteten. Bei diesen wie bei seinem ersten Ringstrassen-Kulturbau, dem zwischen Neurenaissance und Neuhellenismus oszillierenden Musikverein (1863-1870), handelt es sich um zukunftsweisende Gesamtkunstwerke. Nach dem Musikverein konnte Hansen eine das Stadtbild prägende Ikone nach der anderen verwirklichen: darunter die Börse, die Akademie und - als Höhepunkt seiner baukünstlerischen und städtebaulichen Bemühungen - das Reichsrathsgebäude (1871-1883), das man als seine gebaute Theorie bezeichnen darf. Bei diesem Symbol der Demokratie kehrte Hansen zurück zum klassischen «Styl der Hellenen, welcher neben der grössten Strenge und Gesetzmässigkeit zugleich die grösste Freiheit in der Entwicklung zulässt». Obwohl im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt, vermittelt der Prachtsbau noch heute einen gültigen Eindruck von Hansens die Architektur bis ins letzte Detail durchdringendem Genie.
Vor seinen öffentlichen Gebäuden aber errichtete er an der Ringstrasse zunächst das «schönste Wohnhaus der Welt»: den für den Ziegelfabrikanten Heinrich Drasche entworfenen, durch noble Mittel- und Seitenrisalite gegliederten Heinrichshof [s. Kopfbild]. Dieser monumentale Wohnbau wurde zum Prototypen des eleganten, weit über die Grenzen der Donaumonarchie hinaus beachteten und kopierten Wiener Zinshauses. Ähnliche Begeisterung löste daraufhin Hansens Stadtpalast für Erzherzog Wilhelm aus, dem Anfang der 1870er Jahre die Palais Epstein und Ephrussi antworteten. Bei diesen wie bei seinem ersten Ringstrassen-Kulturbau, dem zwischen Neurenaissance und Neuhellenismus oszillierenden Musikverein (1863-1870), handelt es sich um zukunftsweisende Gesamtkunstwerke. Nach dem Musikverein konnte Hansen eine das Stadtbild prägende Ikone nach der anderen verwirklichen: darunter die Börse, die Akademie und - als Höhepunkt seiner baukünstlerischen und städtebaulichen Bemühungen - das Reichsrathsgebäude (1871-1883), das man als seine gebaute Theorie bezeichnen darf. Bei diesem Symbol der Demokratie kehrte Hansen zurück zum klassischen «Styl der Hellenen, welcher neben der grössten Strenge und Gesetzmässigkeit zugleich die grösste Freiheit in der Entwicklung zulässt». Obwohl im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt, vermittelt der Prachtsbau noch heute einen gültigen Eindruck von Hansens die Architektur bis ins letzte Detail durchdringendem Genie.
Ein derart imposantes OEuvre hätte
längst schon eine ausführliche Würdigung verdient, die nicht nur die
gebauten, sondern auch die in den 1880er Jahren für Berlin, Kopenhagen
oder Piräus erarbeiteten Projekte beleuchtete. Doch nicht einmal zum
Jubiläum - Hansens Geburtstag jährte sich im Juli zum 200. Mal (NZZ 13.
7. 13) - schafft es Wien, seinen Meisterarchitekten des 19.
Jahrhunderts gebührend zu würdigen. In einer unglücklichen Verzettelung
der Kräfte zeigte zunächst die Galerie im Ringturm im Sommer anhand von
Fotos eine Übersicht über Hansens Bautätigkeit in der Donaumonarchie, in
der nur Originalentwürfe des Reichsrathsgebäudes gezeigt werden
konnten, die sich im Besitz des Parlaments befinden. Denn die Akademie
der bildenden Künste, die mit über 1700 Plänen, Zeichnungen und Skizzen
den grössten Teil von Hansens Nachlass verwaltet, steuerte kein einziges
Blatt bei. Damit wollte sie wohl ihre eigene, gross angekündigte
Hansen-Ausstellung nicht konkurrenzieren.
Schloss Oriander auf d. Krim
Schloss Oriander auf d. Krim
Der Titel «Theophil Hansen -
Architekt und Designer» weckte Hoffnungen auf eine eine gültige
Retrospektive, in der man neben den bekannten auch unbekannte Projekte
zu Gesicht bekäme. Doch nun stellt man ernüchtert fest, dass es sich
beim ganzen Unternehmen um eine verpasste Chance handelt. Denn die Schau
rückt Hansens Akademiegebäude mittels farbiger Ansichten, Plänen,
Schnitten und Detailstudien breit in den Mittelpunkt. Darum herum sind
einige Blätter weiterer Ringstrassenbauten - Musikverein, Palais
Epstein, Börse und Parlament - sowie des Waffenmuseums arrangiert. Auch
die Erwähnung des Designers Hansen im Ausstellungstitel gehört ins
Kapitel der Wiener Übertreibungskunst. Zu sehen gibt es nämlich in der
Schau - anders als in der im Frühsommer den Wiener Stadtpalästen
gewidmeten Fotoausstellung im Wagner:Werk der Postsparkasse, die
zahlreiche originale Möbel, Gläser, Dekorationsobjekte und Entwürfe
zusammenbrachte - nur ein einziges Professorenpult samt Schemel. Sonst
jedoch begnügt man sich mit Hinweisen auf das antikisch dekorierte
Akademiegebäude, dessen Gemäldegalerie und die noch weitgehend original
eingerichtete Bibliothek.
Entwurf für die Akropolis
Schwerer wiegt aber, dass von Hansens überaus wichtigem Schaffen in Griechenland, das ihn von seinen beruflichen Anfängen bis zum Tod begleitete, nichts zu sehnen ist - ausser einige Blätter zur Athener Akademie, die gleichsam als Vorläuferin des völlig anders gearteten Wiener Akademiegebäudes auftritt. Hier hätte man gerne die Entwürfe eines Königsschlosses in Piräus von 1889 gesehen, die Cornelia Reiter im informativen Katalog als Beispiele der künstlerisch-zeichnerischen Fähigkeiten des sich in den letzten Lebensjahren ganz auf das Entwerfen konzentrierenden Hansen erwähnt. - Aber auch die Nachwirkung von Hansens Architektur bleibt ausgeblendet. Dabei ebneten doch seine als Gesamtkunstwerke konzipierten Kulturbauten und Paläste den architektonischen und kunsthandwerklichen Bestrebungen der Wiener Sezession den Weg, während die palastartigen Sozialbauten des Roten Wien kaum ohne Hansens blockartig strenge Zinshäuser denkbar wären.
Entwurf für die Akropolis
Schwerer wiegt aber, dass von Hansens überaus wichtigem Schaffen in Griechenland, das ihn von seinen beruflichen Anfängen bis zum Tod begleitete, nichts zu sehnen ist - ausser einige Blätter zur Athener Akademie, die gleichsam als Vorläuferin des völlig anders gearteten Wiener Akademiegebäudes auftritt. Hier hätte man gerne die Entwürfe eines Königsschlosses in Piräus von 1889 gesehen, die Cornelia Reiter im informativen Katalog als Beispiele der künstlerisch-zeichnerischen Fähigkeiten des sich in den letzten Lebensjahren ganz auf das Entwerfen konzentrierenden Hansen erwähnt. - Aber auch die Nachwirkung von Hansens Architektur bleibt ausgeblendet. Dabei ebneten doch seine als Gesamtkunstwerke konzipierten Kulturbauten und Paläste den architektonischen und kunsthandwerklichen Bestrebungen der Wiener Sezession den Weg, während die palastartigen Sozialbauten des Roten Wien kaum ohne Hansens blockartig strenge Zinshäuser denkbar wären.
Bis 10. November. Katalog: Theophil Hansen - Architekt und Designer. Hrsg. Cornelia Reiter und Robert Stalla. Verlag Bibliothek der Provinz, Wien 2013. 217 S., € 39.- (in der Ausstellung € 23.-).
Karl-Marx-Hof, Wien
Nota.
Nicht zu vergessen: Der Geldadel, der sich von Hansen die streng stilisierten Wohnburgen am Wiener Ring bauen ließ, überließ die Innenausstattung dem pompös im Neubarock schwelgenden Hans Makart.
JE
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