Mittwoch, 23. Oktober 2013

Theophil Hansen.

aus NZZ, 23. 10. 2013                                                                                                                                      Heinrichshof


Herr der Ringstrasse
Die Wiener Akademie der bildenden Künste präsentiert das Werk des dänisch-österreichischen Architekten Theophil Hansen

Vor 200 Jahren wurde Theophil Hansen in Kopenhagen geboren. Doch für seine Architektur entscheidend war ein langer Aufenthalt in Athen. In Wien, wo er das Bild der Ringstrasse nachhaltig prägte, wurde er zum Meister. Nun widmet ihm die Wiener Akademie der Künste eine Schau, die leider nicht ganz befriedigt.

von Roman Hollenstein

Schon mit seinem ersten Meisterwerk, der 1846 auf dem Felsenriff des Nymphenhügels in Athen errichteten Sternwarte, wusste Theophil Hansen (1813-1891) seine Architektur effektvoll ins Licht zu setzen. Diese Lust am Inszenieren erreichte Jahrzehnte später bei der aus Universität, Akademie und Bibliothek bestehenden Athener Trilogie - die er 1859 in einer wunderbar aquarellierten Darstellung vorwegnahm - einen Höhepunkt. Immer ging das malerische Komponieren unterschiedlicher Baukörper bei ihm einher mit einer auf Jean-Nicolas Durands modularer Systematik basierenden Entwurfsstrategie und einem fundamentalen städtebaulichen Verständnis. Deswegen leben die Bauten von Hansen, einem der grossen Baukünstler des 19. Jahrhunderts, stets von einer harmonischen Balance zwischen Gefühl und Vernunft. Diese garantierte ihm früh schon Erfolge, wie die derzeitige Jubiläumsausstellung in der Akademie der bildenden Künste in Wien zeigt. 
 
 Sternwarte, Athen

Antike und Renaissance

In Kopenhagen, das sein Namensvetter Christian Frederik Hansen gerade erst mit klassizistischen Juwelen zum Glitzern gebracht hatte, erlernte Theophil Hansen sein Handwerk an der Bauakademie bei Gustav Friedrich Hetsch, einem Bewunderer von Durands rationalen Typenentwürfen. Dank einem Stipendium konnte Hansen 1838 über Berlin und München, wo er das Schaffen von Karl Friedrich Schinkel und Leo von Klenze studierte, nach Venedig reisen - und von dort weiter nach Athen. Zusammen mit seinem zehn Jahre älteren Bruder Hans Christian Hansen, dem Hofarchitekten des Griechenkönigs Otto, realisierte er als erstes Gebäude im «classischen
Styl» die Universität, welche zur Keimzelle seiner «Trilogie» werden sollte. Es folgten das Palais Dimitriou und 1846 die bereits erwähnte, im Auftrag des griechisch-österreichischen Barons Georg Simon von Sina vollendete Sternwarte, bei der Hansen als einer der ersten Architekten überhaupt mit der altgriechischen Polychromie experimentierte. Daneben beteiligte er sich an der Athener Städtebaudiskussion, erforschte die Überreste der Antike und erarbeitete Rekonstruktionsvorschläge für das Erechtheion und das Lysikrates-Denkmal. 
 
Lemberg mit Invalidenhaus

Weil sich seine Berufsaussichten in Griechenland verdüsterten, nahm Hansen 1846 Ludwig Försters durch Baron von Sina vermittelte Einladung nach Wien an. Zusammen mit Förster schuf er Wohn- und Sakralbauten sowie sein erstes Wiener Hauptwerk, das - nach dem Bruch mit seinem Partner - von ihm 1856 im neobyzantinischen Stil fertiggestellte Waffenmuseum im Arsenal. Diesem folgten fünf Jahre später das byzantinische und romanische Elemente vereinende Invalidenhaus im galizischen Lemberg sowie die Erweiterung der griechisch-orthodoxen Kirche am Wiener Fleischmarkt. Bald musste Hansen erkennen, dass die von ihm in die historistische Stildiskussion eingebrachten byzantinischen Formen und sein in Athen entwickelter neuhellenischer Stil in der Kaiserstadt auf Vorbehalte stiessen. Angeregt durch Jacob Burckhardts «Kultur der Renaissance» und eine Reise nach Florenz und Rom, wandte er sich deshalb einer antikisch überhöhten Neorenaissance zu - erstmals Ende der 1850er Jahre beim Umbau des Palais Sina am Hohen Markt und beim Neubau der Evangelischen Schule am Karlsplatz. 
 
Palais Sina (ursprüngl. Zustand)

Gleichzeitig beteiligte er sich - als Juror ausser Konkurrenz - an der Planung des durch die Aufhebung der Bastionen zwischen Wien und den Vorstädten freigewordenen Ringstrassen-Areals, einer der grössten Baustellen im damaligen Europa. Unzufrieden mit den eingereichten Wettbewerbsprojekten, stellte er 1859 in der «Presse» seinen eigenen Masterplan zur Diskussion, der sich gegen die Symmetrie richtete, «welche die modernen Stadtanlagen nur monoton macht». Hier war bereits das später von Semper und Hasenauer realisierte Kaiserforum mit der neuen Hofburg und zwei jenseits der Ringstrasse einen Grünraum rahmenden Hofmuseen vorgezeichnet. Im Hofmuseen-Wettbewerb schlug dann Hansen 1866 aber eine u-förmige, antikisierende Anlage mit hierarchisch abgestuften, durch Säulengänge verbundenen Bauteilen vor, die das Bindeglied zwischen seiner Athener Akademie und dem Wiener Reichsrathsgebäude, dem heutigen Parlament, gebildet hätte. 

Parlament, ehem Reichsrathsgebäude, Wien 

Vor seinen öffentlichen Gebäuden aber errichtete er an der Ringstrasse zunächst das «schönste Wohnhaus der Welt»: den für den Ziegelfabrikanten Heinrich Drasche entworfenen, durch noble Mittel- und Seitenrisalite gegliederten Heinrichshof [s. Kopfbild]. Dieser monumentale Wohnbau wurde zum Prototypen des eleganten, weit über die Grenzen der Donaumonarchie hinaus beachteten und kopierten Wiener Zinshauses. Ähnliche Begeisterung löste daraufhin Hansens Stadtpalast für Erzherzog Wilhelm aus, dem Anfang der 1870er Jahre die Palais Epstein und Ephrussi antworteten. Bei diesen wie bei seinem ersten Ringstrassen-Kulturbau, dem zwischen Neurenaissance und Neuhellenismus oszillierenden Musikverein (1863-1870), handelt es sich um zukunftsweisende Gesamtkunstwerke. Nach dem Musikverein konnte Hansen eine das Stadtbild prägende Ikone nach der anderen verwirklichen: darunter die Börse, die Akademie und - als Höhepunkt seiner baukünstlerischen und städtebaulichen Bemühungen - das Reichsrathsgebäude (1871-1883), das man als seine gebaute Theorie bezeichnen darf. Bei diesem Symbol der Demokratie kehrte Hansen zurück zum klassischen «Styl der Hellenen, welcher neben der grössten Strenge und Gesetzmässigkeit zugleich die grösste Freiheit in der Entwicklung zulässt». Obwohl im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt, vermittelt der Prachtsbau noch heute einen gültigen Eindruck von Hansens die Architektur bis ins letzte Detail durchdringendem Genie. 

Börse, Wien

Verpasste Chance

Ein derart imposantes OEuvre hätte längst schon eine ausführliche Würdigung verdient, die nicht nur die gebauten, sondern auch die in den 1880er Jahren für Berlin, Kopenhagen oder Piräus erarbeiteten Projekte beleuchtete. Doch nicht einmal zum Jubiläum - Hansens Geburtstag jährte sich im Juli zum 200. Mal (NZZ 13. 7. 13) - schafft es Wien, seinen Meisterarchitekten des 19. Jahrhunderts gebührend zu würdigen. In einer unglücklichen Verzettelung der Kräfte zeigte zunächst die Galerie im Ringturm im Sommer anhand von Fotos eine Übersicht über Hansens Bautätigkeit in der Donaumonarchie, in der nur Originalentwürfe des Reichsrathsgebäudes gezeigt werden konnten, die sich im Besitz des Parlaments befinden. Denn die Akademie der bildenden Künste, die mit über 1700 Plänen, Zeichnungen und Skizzen den grössten Teil von Hansens Nachlass verwaltet, steuerte kein einziges Blatt bei. Damit wollte sie wohl ihre eigene, gross angekündigte Hansen-Ausstellung nicht konkurrenzieren. 
 
Schloss Oriander auf d. Krim

Der Titel «Theophil Hansen - Architekt und Designer» weckte Hoffnungen auf eine eine gültige Retrospektive, in der man neben den bekannten auch unbekannte Projekte zu Gesicht bekäme. Doch nun stellt man ernüchtert fest, dass es sich beim ganzen Unternehmen um eine verpasste Chance handelt. Denn die Schau rückt Hansens Akademiegebäude mittels farbiger Ansichten, Plänen, Schnitten und Detailstudien breit in den Mittelpunkt. Darum herum sind einige Blätter weiterer Ringstrassenbauten - Musikverein, Palais Epstein, Börse und Parlament - sowie des Waffenmuseums arrangiert. Auch die Erwähnung des Designers Hansen im Ausstellungstitel gehört ins Kapitel der Wiener Übertreibungskunst. Zu sehen gibt es nämlich in der Schau - anders als in der im Frühsommer den Wiener Stadtpalästen gewidmeten Fotoausstellung im Wagner:Werk der Postsparkasse, die zahlreiche originale Möbel, Gläser, Dekorationsobjekte und Entwürfe zusammenbrachte - nur ein einziges Professorenpult samt Schemel. Sonst jedoch begnügt man sich mit Hinweisen auf das antikisch dekorierte Akademiegebäude, dessen Gemäldegalerie und die noch weitgehend original eingerichtete Bibliothek.
 
Entwurf für die Akropolis 

Schwerer wiegt aber, dass von Hansens überaus wichtigem Schaffen in Griechenland, das ihn von seinen beruflichen Anfängen bis zum Tod begleitete, nichts zu sehnen ist - ausser einige Blätter zur Athener Akademie, die gleichsam als Vorläuferin des völlig anders gearteten Wiener Akademiegebäudes auftritt. Hier hätte man gerne die Entwürfe eines Königsschlosses in Piräus von 1889 gesehen, die Cornelia Reiter im informativen Katalog als Beispiele der künstlerisch-zeichnerischen Fähigkeiten des sich in den letzten Lebensjahren ganz auf das Entwerfen konzentrierenden Hansen erwähnt. - Aber auch die Nachwirkung von Hansens Architektur bleibt ausgeblendet. Dabei ebneten doch seine als Gesamtkunstwerke konzipierten Kulturbauten und Paläste den architektonischen und kunsthandwerklichen Bestrebungen der Wiener Sezession den Weg, während die palastartigen Sozialbauten des Roten Wien kaum ohne Hansens blockartig strenge Zinshäuser denkbar wären.

Bis 10. November. Katalog: Theophil Hansen - Architekt und Designer. Hrsg. Cornelia Reiter und Robert Stalla. Verlag Bibliothek der Provinz, Wien 2013. 217 S., € 39.- (in der Ausstellung € 23.-).

 Karl-Marx-Hof, Wien


Nota.

Nicht zu vergessen: Der Geldadel, der sich von Hansen die streng stilisierten Wohnburgen am Wiener Ring bauen ließ, überließ die Innenausstattung dem pompös im Neubarock schwelgenden Hans Makart.
JE 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen