Mittwoch, 9. Oktober 2013

Lucian Freud in Wien.

aus Der Standard, Wien, 8. Oktober 2013                                                     Man’s Head - Self-Portrait III, 1963

Hochprozentiges Destillat eines Bohemiens
Für die Zeitgenossen zu altmodisch, für die historischen Sammlungen zu modern: Dass dies kein Makel von Maler Lucian Freud ist, zeigt aktuell das Kunsthistorische Museum. Man führt die Essenz des "besten Realisten seit Velázquez" in 44 Bildern vor 

von Anne Katrin Feßler,

Wien - Er schichtete bis zu 150 Stunden in seine Bilder, in die Porträts seiner Freunde, seiner zig Geliebten, seiner etwa 14 Kinder. Dennoch war Maler Lucian Freud (1922-2011) ein Mann der impulsiven Entscheidungen - für oder gegen ein Modell oder Sujet, für oder gegen Ausstellungen. "Faites vos Jeux!", trifft dies, wohl passend zur Spielernatur des Künstlers, gut. Auch die Entscheidung des 2011 verstorbenen Sigmund-Freud-Enkels, doch in Österreich - im Kunsthistorischen Museum - auszustellen, sei eine spontane gewesen, erzählt Jasper Sharp, Kurator und auch ehemaliger Nachbar des Künstlers. Als Heranwachsender unterhielt er etwa eine kleine Brieffreundschaft, von Postkasten zu Postkasten.


1920er Jahre

Man kannte sich also schon eine Weile, als Sharp Freud das überzeugende Angebot unterbreitete: eine sehr kleine Ausstellung mit 30 bis 40 Bilder in einem eigenen Raum. "Freud akzeptierte sofort. Überzeugen und Überreden war nicht notwendig", erzählt Sharp. Dass seine Gründe, jedes Angebot hiesiger Museen abzulehnen, politischer Natur gewesen sind, hat lange Jahre sicher gestimmt. Freud begründete es aber schlichtweg mit "uninteressanten" Offerten. Insbesondere die "Auseinandersetzungen", also das In-Kontext-Setzen, behagte ihm nicht.


Nicht aus Gründen übersteigerten Egos, sondern aus Respekt vor seinen Helden wie Velázquez und Rembrandt. Es schien ihm unangemessen. 1994 hatte er seine Werke in London Seite an Seite mit Frans Hals und Rubens gehängt und diese Didaktik zutiefst bereut, obwohl er die Alten Meister liebte; er war mit ihnen aufgewachsen, denn Großvater Sigmund brachte bei jedem Berlin-Besuch einen Schwarz-Weiß-Druck mit. Auch sein Lieblingsbild, Tizians Diana und Aktaion aus der Londoner National Gallery, begleitete ihn seitdem. Auf vergleichende Blicke zwischen Freud und Tizian muss man im KHM dennoch nicht verzichten: Im Tizian-Saal hat man sowohl dessen dahingestreckte pagane Nymphe mit Schäfer (1570) im Blick, kann aber auch zur üppigen Nackten Benefits Supervisor Sleeping hinüberspähen, die Roman Abramowitsch 2008 für 33,6 Millionen Euro ersteigerte.


Freud, so Sharp, sei überdies erschöpft gewesen von den riesigen Retrospektiven, war die persönlichen Telefonate mit den Leihnehmern leid. Und er hätte lange auf eine Gelegenheit gewartet, seine ganze Karriere in wenigen Bildern widergespiegelt zu sehen. "Mein gesamtes Werk ist autobiografisch", sagte Freud einmal. Eine Aussage, die das aktuelle Unterfangen zu nichts anderem macht als zum Destillat seines Lebens.
 
Geglückte Schnittmenge

44 Gemälde sind es letztendlich geworden, das älteste von 1943, das jüngste, unvollendet, von 2011. Sharp erfüllte auch die letzte Bedingung Freuds: "Wenn deine und meine Liste der wichtigsten Bilder sich überschneiden, haben wir ein Projekt". Die Schnittmenge betrug drei Viertel.


Sich auf so wenige Stellvertreter eines Oeuvres festzulegen, erfordert Mut. Kein Problem für Lucian Freud. Der stets intensiv lebende Bohemien suchte das Risiko. Er liebte das Schlittschuhfahren, weil man einbrechen, das schnelle Autofahren, weil man verunglücken, das Spiel, weil man alles verlieren konnte. "Und als er so viel Geld hatte, dass sich das Risiko relativierte, hörte er über Nacht damit auf."


Die Auswahl zeigt sowohl die Transformation von einem Feinmaler mit dem Zobelhaarpinsel, der quasi in Öl zeichnete und dabei wie lackiert wirkende Oberflächen schuf, zu einem unbestechlichen, gnadenlosen Realisten, der, umgestiegen auf Schweineborsten, das Kolorit pastos auftrug. Es sind Bilder seiner unmittelbarsten Umgebung: von seinen Frauen und Kollegen, oder auch eines narbenzerklüfteten Bankräubers, der in Paddington Tür an Tür mit ihm lebte. Darunter ist ein vielsagendes Bild seiner Mutter, die nach dem Tod des Vaters jegliches Interesse am Leben und auch an Lucian verlor. Es zeigt Mutter Lucie gemeinsam mit einer Geliebten Freuds; beide sind sich jedoch niemals begegnet. Ein Missverhältnis, das jeden Betrachter unangenehm ergreift. Der Vater wird in einer monumentalen Stadtlandschaft, der eher erbärmlichen Aussicht aus Freuds Atelier, spürbar. Ein berührendes Bild über Tod und Verfall.

Large Interior W.9 1973

Daher straft die kompakte Schau auch Klischees von Freud als dem Maler, der seinen Modellen gegenüber brutal und lieblos war, Lügen. Der "Meister der Couperose" schönte nichts, zeigte jeden Makel, war aber immer auch an der inneren Wahrheit interessiert. "Meine Porträts sollen die Menschen zeigen, statt ihnen zu ähneln", sagte er. Und: "Ich will nicht, dass das mein Bild wird, sondern ihres". Am brutalsten war Freud mit sich selbst.

Bis 6. 1.

Weiterlesen
Lucian Freud: "Er machte, was er wollte"
aus Die Presse, Wien, 8. 10. 2013
  
Lucian Freud: ''Maler des Fleisches'' im KHM
Genau zehn Jahre ist es her, dass man eine vergleichsweise starke Ausstellung gegenwärtiger Malerei im Kunsthistorischen Museum sah. Francis Bacon war sie 2003 gewidmet. Und es ist wohl kein Zufall, dass Bacon mit Lucian Freud eng befreundet war. Was für Maler. Was für ein Maler. Mit Leichtigkeit stemmt Freuds Malerei die örtlichen und historischen Dimensionen ihres ersten Gastaufenthalts in Wien. Sie ist die organische Fortführung dessen, was in der Gemäldegalerie nebenan zu sehen ist – von Rubens „Pelzchen“, Rembrandts Selbstporträt, Bellinis „Junger Frau bei der Toilette“. 

Francis Bacon, Lucian Freud

Malerei voll Leben, voll Falten, Bäuchlein, matten Augen.

Raffael hat Freud gehasst, Vermeer ebenso. Er verabscheute die Idealisierung. Diese nicht nur für die über Monate, teils Jahre posierenden Modelle schmerzhafte Ausdrucksweise ist es, die einem diese Malerei so nahegehen lässt. Es sind monumentale Momente intimer Selbstvergessenheit. Niemandem ist hier zum Lachen. Ernst sind die Blicke, denen man begegnet. Das Wahre ist hier ungeschönt, nackt, müde, ohne Scham.

 Leigh Bowery

Gewidmet den ermordeten Schwestern

Drei Jahre lang hat der KHM-Kurator fürs Zeitgenössische, Jasper Sharp, an dieser Ausstellung gearbeitet. Es ist die erste Ausstellung Freuds in der Stadt, aus der sein Großvater vertrieben und aus der vier seiner fünf Großtanten in den Tod geschickt wurden. Einer der vielen privaten Freud-Sammler bestand darauf, diese Schicksale nicht in der Künstlerbiografie zu verräumen, sondern direkt bei seiner Leihgabe eine Tafel anzubringen: in Gedenken an die Ermordung von vier Schwestern Sigmund Freuds durch die Nationalsozialisten. Das Gemälde ist ein Schlüsselwerk, es ist eines seiner ersten Akte und eines der ersten Bilder in Freuds so typisch rauer, bis zur Körnigkeit trockener, von breiten Pinselstrichen und graubraunen Fleischtönen geprägter Malweise. Es zeigt seine damalige Geliebte, 1960 gerade von ihm schwanger, schlafend, mit abgewandtem Gesicht und vollen Brüsten.


Wir befinden uns im ersten Saal der überschaubaren Ausstellung von 43 Meisterwerken, wie Sharp es wenig bescheiden benennt. Zu Recht, er hat die Auswahl noch vor Freuds Tod 2011 mit ihm erarbeitet. Und man kann sich vorstellen, wie wichtig Freud diese Schau war – in dem Museum, das ihm sein Großvater mit Reproduktionen und Postkarten schon in der Kindheit nahegebracht hatte.

 
Wenn in Wien, dann nur hier, sagte er einem Freund. Alle anderen Anfragen Wiener Museen hatte er über die Jahrzehnte abgelehnt. Bis auf die Beteiligung bei einer Ausstellung britischer Zeichnung in der Albertina 1956 hielt Lucian Freud seine Kunst aus dieser Stadt fern. Vielleicht musste es ja so kommen, dass er diesen finalen, fast pathetischen Triumph nicht mehr erleben sollte. Es passt zu Freud. Keine Beschönigung. Keine oberflächlichen Versöhnungen. Kein Mittelmaß.
 
Juliet Moore Asleep. 1943

Das findet sich höchstens in seinem Frühwerk, das in nur wenigen Bildern abgehandelt wird. Doch selbst in dieser melancholischen Verbindung von Surrealismus und Neuer Sachlichkeit, die der 1922 in Berlin geborene und 1933 bereits mit seinen Eltern nach London geflohene Maler wohl erst in seiner neuen Heimat kennengelernt hatte, spürt man schon diese unglaubliche Empathie des Malers für seine Modelle.


In der manchmal schon grotesken Wucht des Fleisches in seinen monumentalen Gemälden der Achtziger- und Neunzigerjahre schlägt diese Empathie genauso durch wie in kleinformatigen, altmeisterlichen Preziosen. Die nahezu vom Sofa quellende Beamtin des Sozialamtes, die der Oligarch Roman Abramovič 2008 mit 17 Millionen Pfund zum teuersten Gemälde eines (damals noch) lebenden Künstlers aufgewogen hat, ist mit derselben Liebe gemalt wie die sanfteste Szene dieser Ausstellung, in der sich ein Whippet an ein Mädchen schmiegt. „Menschen wie Tiere malen“ wollte Freud. Das hat weniger mit Brutalität zu tun, wie manche Freuds wenig schmeichelnde Malweise empfinden, als mit schonungslosem Respekt vor den Realitäten und der Archaik des Lebens. Davon nahm Freud sich selbst am wenigsten aus. Seine Selbstporträts als nackter alter Mann gehören zum Stärksten, was man finden kann in der Malerei nach 1945. Man versteht, was er meint, wenn er statt dem kunsthistorisch neutralisierten „Akt“ darauf besteht, diese Bilder „Nacktporträts“ zu nennen. Denn neutral verlässt hier niemand den Saal.



Überall Leintücher von Claridge's

Manche werden flüchten. Manche niedersinken auf die Samtbänke des Kunsthistorischen. Hier darf man beginnen, seine Fäden zu spinnen zu der ägyptischen Sammlung einen Halbstock tiefer, zu den Alten Meistern nebenan, aber auch zum Wiener Frühexpressionismus, vor allem zu Kokoschka und Schiele. Allein die erdige Farbpalette oder die von Freud gerne mitgemalten, in seinem Atelier zu Haufen liegenden Leintücher des Londoner Claridge's-Hotels, mit denen Freud seine Pinsel und Paletten reinigte – ihre Fältelungen erinnern frappant an Schieles „Umarmung“ oder seine „Liegende Frau“ von 1917.



Doch vielleicht ist das schon zu biografisch gedacht, zu verwoben mit dem Wissen ums Private. Ein Zugang, der in England gerade ins Extreme getrieben wird. Eine neue Freud-Biografie, vorabgedruckt in mehreren Folgen in der „Daily Mail“, schlachtet Freuds Leben aus, sein Liebesleben. Er hat allein 14 legitime Kinder. Einige davon werden durch diese Ausstellung Wien jetzt zum ersten Mal besuchen. Diesmal wird sie diese Stadt nicht enttäuschen.

Bis 6. Jänner. Di–So 10–18 h, Do bis 21 h. Weitere Bilder: diepresse.com/lucianfreud


Nota.

Die meisten Bilder, die ich Ihnen hier zeige, hängen nicht auf der Ausstellung in Wien. Weder Freud noch der Kurator haben sie zu den besten 43 gezählt. Und die hier folgenden schon gar nicht; aber sie zeigen, dass sein Interesse mehr der Abbildung des rein Individuellen gegolten hat als nur der Wiedergabe von welkem Menschenfleisch.
J.E. 














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