aus nzz.ch, 20.2.2015, 05:30 Uhr Glyzinien beim Kameido-Schrein in Tokyo», vor 1900, Albuminpapier, koloriert.
«Inspiration Japan» im Kunsthaus Zürich
Chrysanthemen in Giverny
von Maria Becker
Der Japonismus in Frankreich war ein transkulturelles Phänomen, das von der Malerei bis zum Mobiliar reichte und die Kunst der frühen Moderne entscheidend vorantrieb. Mit einer Fülle von Werken und Objekten macht das Kunsthaus die Vielfalt, aber auch die Problematik dieser Haltung in der Kunst sichtbar.
«Heute Abend habe ich einen wunderbaren und sehr merkwürdigen Effekt gesehen. Einen grossen, mit Kohle beladenen Lastkahn auf der Rhône, der am Kai vertäut war. Von oben gesehen war er ganz glänzend und feucht, denn es hatte einen tüchtigen Platzregen gegeben; das Wasser war von einem trüben Perlgrau und Weissgelb, der Himmel lila und im Westen mit orange Streifen, die Stadt violett. Auf dem Kahn gingen und kamen kleine schmutzige blau-und-weisse Arbeiter und trugen die Ladung an Land – ein reiner Hokusai.» Vincent van Gogh schildert seinem Bruder Theo eine Szene im Hafen von Arles, es ist das Jahr 1888, als er den Brief schreibt. Mit den Augen des Malers sieht er das Bild und lässt es in der Beschreibung nochmals leuchten. So deutlich sind die Farben und die Szene da, als wenn er es tatsächlich gemalt hätte.
van Gogh, Der Sämann, 1888
Holzschnitte als Impulsgeber
Dass van Gogh in seiner Schilderung den Vergleich mit einem Meister des japanischen Holzschnitts bringt, erstaunt nicht. Wie viele Maler besass auch er eine Sammlung japanischer Holzschnitte, die er zusammen mit seinem Bruder angelegt hatte. Katsushika Hokusai war einer der bekanntesten japanischen Künstler und längst für die Kunst der Impressionisten und ihrer Nachfolger zu einem wichtigen Impulsgeber geworden. Van Gogh bezog sich sogar ganz explizit auf die Vorbilder, indem er die Darstellung einer Geisha auf Leinwand übertrug und ein Bild im Bild schuf, eine malerische Hommage an Keisai Eisen, einen anderen Meister. Die Vorlage hatte er aus der Zeitschrift «Paris illustré» entnommen. Das Bild der Geisha hängt am Beginn des Parcours der Ausstellung «Inspiration Japan» im Kunsthaus. Man ist überrascht, mit welcher Direktheit der Maler das Motiv in sein Gemälde übernahm. Er zitiert es gleichsam, die Geisha steht im Rahmen vor einem stilisierten Schilf-und-Seerosen-Hintergrund. Wie so vieles in der überreichen Schau ist es eine Entdeckung, obwohl man das Vorbild der japanischen Holzschnitte in der französischen Malerei doch kennt. Phänomene des Japonismus finden sich in den Bildern von Manet über Gauguin, Renoir, Monet, Redon, Vuillard und Vallotton bis hin zum späten Picasso. Nicht nur in den Figuren sind die Japaner da, sondern – noch viel eindringlicher – in der Farb- und Flächenbehandlung, in den Schwüngen von Gewändern, in Mustern, Haltungen und Dingen.
van Gogh, Die Geisha
Kaum einer der gezeigten Künstler hat die japanischen Motive vor Ort gesehen. Es ist ein übertragener Einfluss – vielfach verarbeitet und umgedeutet, durch den Filter des westlichen Blicks und der französischen Lebensart gegangen. Mit der Öffnung Japans in der Mitte des 19. Jahrhunderts waren Grafik, Porzellan, Mobiliar und vieles mehr in Paris präsent und zu begehrten Sammelobjekten und Vorlagen für Kunst und Kunsthandwerk geworden. Das ab 1859 von Adalbert de Beaumont und Eugène V. Collinot herausgegebene Tafelwerk «Recueil de dessins pour l'art et l'industrie» enthält bereits japanische Motive. Diese wiederum entstammen den sogenannten Manga-Bänden von Hokusai, handlichen Büchlein mit einer Fülle ungeordneter Ornamente und Figuren, die die Künstler des Ostens benutzten. So kursierten die Formen in analoger Weise.
van Goghs Vorlage
Japonismus meint weder einen Stil noch eine Epoche, wie der umfangreiche Katalog zur Ausstellung zeigt. Er meint eine Haltung, die sich in vielen Bereichen von Kunst und Lebensart niedergeschlagen hat. Entsprechend umfangreich ist das, was hier zu sehen ist. 350 Exponate in zehn Abteilungen schaffen einen Rundgang von enormer Dichte, der keineswegs nur Gemälde und Grafik präsentiert. Vasen, Vitrinen, Fächer, Gewänder, Masken und sogar verzierte Metallscheiben zum Schutz für die Hand von Schwertträgern gibt es. Nicht selten glaubt man, eher in der Japan-Abteilung eines völkerkundlichen Museums zu sein als in einer Kunstausstellung. Sandra Gianfreda, die Kuratorin, die das Konzept für die Schau im Museum Folkwang entwickelt hat, trägt allen Sparten des Japonismus Rechnung.
van Goghs Vorzeichnung
Vitrinen in Pagodenform, Masken des No-Theaters und Gürtelfigürchen für den Kimono – es ist eine Illustration des Japonismus als Ganzes und als Phänomen vieler Kunstformen. Als Besucher mäandert man zwischen den Dingen, vergleicht und sieht Ungeahntes mit überraschenden Aha-Effekten. Dennoch schafft es eine sachte Befremdung. All diese Dinge verbinden sich nicht wirklich mit der ebenso anwesenden Malerei, auf die es doch eigentlich ankommt. Sie relativieren sie nicht, stehen ihr aber irgendwie im Weg. Die Diversifizierung des Japonismus bringt die Fülle per se mit und vermittelt sicher erstaunliche Erkenntnisse für den Laien und den Wissenschafter. Doch fühlt man sich, als wenn man in mehreren Ausstellungen zugleich wäre. Eine stärkere Fokussierung auf die Malerei hätte manchem Werk mehr von seiner Strahlkraft gelassen.
Katsushika Taito II, Karpfen (Koi). Um 1830-1844 Mehrfarbiger Holzschnitt,
Interessant ist auch, dass die Rezeption der japanischen Motive und Kompositionen zuerst in der Malerei erfolgte. Das eigentlich beweglichere grafische Medium zog nach. Da dieses mehr auf die Anwendung bezogen war, stand hier das Bedürfnis nach dem Aufbrechen der akademischen Konventionen nicht im Vordergrund. Die freie Kunst hingegen brauchte den Zufluss des Neuen, um sich selbst zu erneuern. Wer hätte gedacht, dass Monets Garten in Giverny vielleicht direkt aus Bildern japanischer Gärten gespeist ist? Der Künstler orderte Chrysanthemen in Mengen, um sich die Inspiration für seine ornamentalen Blumenteppiche zu schaffen. Eine blasse japanische Fotografie zeigt Vorhänge von Glyzinien, wie sie an Brücken und Spalieren in Giverny zu finden sind.
Japanische Brücke im Wassergarten in Giverny
Eine der erstaunlichsten Inspirationen des Japonismus war das Malen in Serie. Viele Maler begannen, ihre Motive in Reihen zu erkunden, nicht nur in unterschiedlichen Lichtstimmungen wie Monet, sondern auch in Variationen des Bildbaus wie Cézanne und Courbet. Die unzähligen Abwandlungen des heiligen Bergs Fuji im japanischen Holzschnitt haben ihr Pendant im Mont St-Victoire von Cézanne. Die Serie eröffnete dem Maler grundsätzlich Neues: Das aus dem Kunsthandwerk übernommene Prinzip brach das Einmalige und Festgefügte auf. Das Bild war nun etwas Bewegliches, das sich aus sich selbst verwandeln konnte. Für sich genommen war die Serie in Europa nicht neu. Neu hingegen war sie als Mittel des künstlerischen Vorgehens. Wie viele Meisterwerke so entstanden sind, kann man in der Ausstellung explizit studieren und bewundern.
Monet, Die japanische Brücke in Giverney
Transformation des Fremden
Ornamentale Interieurs von Vuillards und magische Lichtstimmungen von Whistler, dem Amerikaner, der die Themse in London malte. Schon allein diese Bilder lohnen den Besuch der Ausstellung. Was aus den Impulsen des Ostens letztlich wurde, zeigt die Abteilung «Verinnerlichung». Es ist die Transformation des Fremden ins Eigene, vielfach gefiltert durch mediale Übertragung. Ob als Salon des Bürgertums oder als englischer Nebel: Der Japonismus ist ein Phänomen des Westens, das sich verzweigt und exquisite Blüten hervorgebracht hat.
Bis 10. Mai im Kunsthaus Zürich. Katalog Fr. 45.–.
Hokusai, aus 36 Ansichten des Berges Fuji
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