Sonntag, 15. Februar 2015

Rembrandts Spätwerk in Amsterdam.

aus Die Presse, 16. 2. 2015                                                                                             Selbstporträt als alter Mann

Der späte Rembrandt in Amsterdam
Das Rijksmuseum in Amsterdam zeigt erstmals ausschließlich das lange verschmähte Spätwerk von Rembrandt van Rijn. Werke, die er nach 1651 malte.

von Sabine Vogel

Gegen Ende seines Lebens galten seine Bilder als gestrig, hässlich und sogar amateurhaft. Der Farbauftrag war ungewohnt grob, die Landschaften und Menschenstudien zu sehr nach der Natur gemalt, die Porträts zu ungenau. Rembrandts Spätwerk entsprach nicht der ästhetischen Mode des 17. Jahrhunderts. Auch sein Privatkonkurs 1656 und der Verlust seines Hauses, darüber hinaus die wilde Ehe mit Hendrickje trugen dazu bei, dass Rembrandt zuletzt kaum noch Aufträge erhielt. Bis in das 19. Jahrhundert hinein hielt sich diese Missachtung, sogar Kunsthistoriker verurteilten lange den Stil seines Spätwerks.


De Staalmeesters


Manche Künstler allerdings verehrten gerade diese Bilder, in denen die Hände oft nur angedeutet, die Farben des Gewands radikal mit einem Spachtel aufgetragen und mit dem spitzen Ende des Pinsels kurze Striche brutal in die Leinwand geritzt sind. Zehn Jahre seines Lebens wollte Vincent van Gogh dafür geben, zwei Wochen vor einem einzigen Bild sitzen zu können, schrieb der Impressionist in einem Brief. Er sprach von dem Ölgemälde „Die jüdische Braut“, das jetzt zu den Höhepunkten einer einzigartigen Ausstellung im Rijksmuseum Amsterdam gehört: der „Späte Rembrandt“. Sie umfasst 40 Gemälde, 20 Zeichnungen und 30 Drucke von 1651 bis zu seinem Tod 1669. Es ist die erste Ausstellung, die ausschließlich dieses zunächst abgelehnte Spätwerk zeigt – und es ist eine einmalige Gelegenheit, die unglaubliche Aktualität, die atemberaubende Experimentierfreudigkeit dieses Meisters des Goldenen Zeitalters sehen zu können.


Die jüdische Braut
Maler, der seine Auftraggeber verstörte

Rembrandt van Rijn, 1606 in Leiden geboren, kam 1631 nach Amsterdam und machte sich dort schnell einen Namen als Porträtist. Schon acht Jahre später kaufte er ein Haus für enorme 13.000 Gulden – das durchschnittliche Jahresgehalt lag damals bei 200. 1642 beendete er seinen bis dahin wichtigsten Auftrag, ein Gruppenporträt der Bürgerwehr mit 18 Schützen und weiteren 16 Figuren. Aber die „Nachtwache“ war kein Erfolg. In der Hermitage Amsterdam, dem 2009 eröffneten Ableger der Eremitage St. Petersburg, sieht man die „Nachtwache“ jetzt als animierte Videoprojektion zwischen den damals üblichen Gruppenporträts. Man ahnt die Enttäuschung der Auftraggeber: Statt dass jeder idealisiert und heroisch, vor allem deutlich erkennbar ist, malte Rembrandt eine Bildgeschichte, in der manche Schützen nur angedeutet in der dritten Reihe landeten – und dafür hatte jeder Schütze die hohe Summe von 100 Gulden gezahlt.


Badende Frau

Danach erhielt er ein Jahr lang keinen einzigen Auftrag mehr. War es die Kritik an der „Nachtwache“, der Tod seiner Ehefrau Saskia oder der Druck des Kunstmarkts, bei zunehmender Konkurrenz einen eigenen Stil zu entwickeln – jedenfalls begann Rembrandt nun, seine Malerei radikal zu verändern. Der „Späte Rembrandt“ beginnt 1651 und endet mit „Simeon im Tempel“, an dem er bis zu seinem Tod 1669 arbeitete. Er malt die Porträtierten in historischen Kostümen, arrangiert Objekte rundherum, um eine Geschichte zu erzählen, und versucht zunehmend, Emotionen und innere Konflikte darzustellen. Vor allem aber bezieht er die Betrachter durch drastische Kompositionen in die Bilder ein, wenn der dicke Bauch im „Bildnis eines älteren Mannes“ (1667) fast aus dem Bild fällt, wir Isaaks überaus intime Berührung seiner Braut Rebekka in der „Jüdischen Braut“ (1665) voyeuristisch mitansehen oder in „De Staalmeesters“ (1662) der Vorsteher der Amsterdamer Tuchmacherzunft sich erhebt, als würden wir störend den Raum betreten.


Jan Six

Die Ausstellung war zuvor in der National Gallery in London zu sehen. In Amsterdam sind vier zentrale Gemälde hinzugekommen, darunter auch jenes von Jan Six, das bis heute als einziges Werk Rembrandts in der ursprünglichen Familiensammlung verblieben ist. Anders als in London kann man in Amsterdam noch dazu die Originalorte besuchen, an denen Rembrandt lebte, arbeitete und für die er Werke schuf. 1661 war er beauftragt worden, für das Rathaus „Die Verschwörung des Claudius Civilis“ zu malen. Es wurde kurz aufgehängt – und dann abgelehnt. Heute ist es mittels einer Projektion wieder am geplanten Ort.


Verschwörung der Bataver

Während rundherum die übrigen Künstler den Aufruf zur Revolte im Stil heroischer Historienmalerei darstellen, ist Rembrandts Werk selbst eine Revolution: Er setzt die Männer an einen Tisch in einer Gewölbehalle – genial, wie er uns über Stufen in das Bild hineinführt. Später wurde das Bild massiv beschnitten. Das nur noch auf die Tischrunde reduzierte Fragment hängt jetzt im Rijksmuseum, und wir können wieder ahnen, wie entsetzt die Auftraggeber gewesen sein müssen: Claudius fehlt ein Auge, und auch die anderen Männer sehen aus wie eine wilde Horde von Barbaren. Heute bewundern wir es als großartiges Gemälde, frech, in unerhörter malerischer Freiheit. Rembrandt zahlte damals einen hohen Preis dafür, er starb völlig verarmt – aber an seiner künstlerischen Revolution hielt bis zuletzt fest.

www.Rijksmuseum Amsterdam, noch bis 17. Mai 2015



Titus am Schreibtisch


Nota. - In der Porträtmalerei kenne ich keinen, der es mit ihm aufnehmen kann, das habe ich immer zugegeben, aber für den Rest, namentlich das Hell-Dunkel, habe ich die Vergötzung Rembrandts in aller Welt nie verstehen können. Das Hell-Dunkel dient ihm lediglich für den Bildaufbau und allenfalls noch als optisches Reizmittel; aber nicht, wie bei Caravaggio, dem er zur Seite gestellt wird, um den Räumen Tiefe und den Figuren Relief zu geben. Es ist alles flach, doch was in der (holländischen) Landschaft seinen guten Sinn hat, ist bei der Menschendarstellung ganz fehl am Platz. (Die Badende Frau oben ist eine seltene Ausnahme.)

Es sei denn, man bricht ganz mit der Abbildhaftigkeit und gibt sich dem Expressionismus hin. Und das hat er in diesem Spätwerk ja wohl getan.
JE

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