Montag, 31. August 2015

Noch ein Manierierter.













James Naughton, Amerikaner, geb. 1971

Gegen jedes Bild, einzeln für sich genommen, kann man ja nicht viel sagen. Stilistisch zusammengerührt aus alten Holländern, William Turner, Hudson River School und wohl noch ein paar andern, aber State Of The Art, Gott ja. Das kann man wohl schonmal machen.

Aber stelln Sie sich vor: Davon macht er Dutzende!


Wenn's ihm nicht zu blöd wird und die Käufer zahlen - wir müssen ja nicht hinsehn...

Nein, es ist nicht richtig, dass ein erhebliches Talent und eine mit Fleiß erarbeitete Kunstfertigkeit so verschwendet werden, nein, es.ist.nicht.richtig.




Sonntag, 30. August 2015

Was spricht gegen die Manier?













Zunächst einmal: Dass es sich der Künstler leicht macht, wenn er alles derselben Behandlung unterzieht, sei ihm gegönnt. Wenn er für seine Bilder wenig kriegt, muss er viele davon malen, damit es zum Leben reicht. Schaffenskrisen kann er sich da nicht leisten. Wenn seine Manier eine gelungene ist, soll er ruhig...

Aber ästhetisch ist es fatal. Wenn ihm sein Motiv - sei es gegenständlich, sei es 'abstrakt' - keine Probleme zu lösen gibt, weil die Manier alle Klippen schon vorab umrundet hat, wird sein Bild dem Auge nichts zu bieten haben; nichts jeden- falls, was es nicht schon gesehen hat, nichts, das ihm hineinsticht. Dann bleibt das Bild - wenn seine Manier eine gelun- gene war - rein dekorativ.

A propos: Was heißt gelungen? Na, unterm Strich heißt es wohl, dass es (einem breiten Publikum oder den Connois- seurs) gefällt. Dass es "Effekt macht". Und das weckt den Verdacht, dass es ihm genau darum ging, und das nennt man, wenn es sichtbar wird, Kitsch.

Wenn es aber ein Motiv gibt, auf das seine Manier absolut nicht passen will, dann lässt er es aus. So dass nach einer Weile seine Bilder auch motivisch eintönig wirken. Langweiliger Kitsch - schlimmer geht es nicht.

Alle obigen Bilder stammen von dem zeitgenössischen amerikanischen Landschaftsmaler David Grossmann. Um seine eigene Masche zu kreieren, hat er sich ja in der Geschichte umgesehen, man erkennt einen zum Schiele radikalisierten Klimt, aber natür- lich auch C. D. Friedrich, und auch die Farben des bretonischen Gauguin schimmern manchmal hindurch, und wer mehr kennt als ich, wird sicher noch mehr finden. Eine eigene Handschrift kommt so schon zustande, aber dass sie dem Auge bisher gefehlt hätte, kann man nicht behaupten. 

Es sei aber auch hinzugefügt: Nicht nur der darf Maler werden, der willens und fähig ist, Kunstgeschichte zu schreiben. Wer Talent hat und am Malen mehr Freude findet als an anderen Beschäftigungen und sich ansonsten damit zufrieden gibt, mit einem schönen Beruf seinen Lebensunterhalt zu verdienen, dem ist künstlerisch nichts vorzuwerfen - anders als manchem Neuerer, der Furore macht.




Samstag, 29. August 2015

Philosophie der Gegenwartskunst?


aus nzz.ch, 24. Mai 2014, 05:30 

Philosophie der Gegenwartskunst
Neu ist nicht schon zeitgenössisch.


von Peter Geimer

Es ist kaum zwei Jahrzehnte her, dass der Kunsthistoriker Stefan Germer von einer «merkwürdigen Scheu der Kunsthistoriker vor der zeitgenössischen Kunst» sprechen konnte. Tatsächlich war es bis in die achtziger Jahre hinein eine verbreitete Ansicht, man könne die Kunst der eigenen Zeit nicht mit der nötigen Distanz und Unvoreingenom- menheit beurteilen. Dahinter stand meist die fragwürdige Vorstellung vom notwendigen Reifungsprozess der Kunst, die wie ein gutes Stück Fleisch zuerst im Vorraum der Kunstgeschichte abhängen müsse, bevor man sich aus dem historischen Sicherheitsabstand eines verflossenen Jahrhunderts ein ästhetisches Urteil erlauben könne. Diese Situation hat sich grundlegend geändert. Nicht nur die Gegenwartskunst, auch ihre Kommentierung hat Konjunktur. ...

Die NZZ hat mir rückwirkend die Verbreitung ihrer Inhalte untersagt. Ich werde sie nach und nach von meinen Blogs löschen 
Jochen Ebmeier 


















Juliane Rebentisch: Theorien der Gegenwartskunst zur Einführung. Junius-Verlag, Hamburg 2014. 256 S., Fr. 24.90.


 
Nota. - Vorab: Die NZZ ist ein seriöses Blatt, und ich gehe davon aus, dass der Rezensent das Buch, das er insgesamt lobend bespricht, richtig verstanden hat.

"Eine philosophische Fundierung des Zeitgenössischen in der Kunst" soll es also sein, und das bestünde in ihrer Selbst- reflexivität, die nichts anderes als Selbstreferentialität ist, im glücklichen Fall eine "kritische Selbstüberschreitung der Moderne", nämlich: die "Verunsicherung der Grenze zwischen Fiktion und Realität". 

Nun war letzteres aber schon eine Leistung - nein, nicht wirklich der Romantik, sondern - jener Moderne, die wir heute die Klassische nennen, weil sie schon so lange nicht mehr zeitgenössisch ist. Damit stand sie nämlich, sei es als Echo, sei es als Persiflage, sei es als Programm, "mitten drin" in ihrer Zeit und hat sie, wenn man so will, "reflektiert", nämlich anschaulich.

Das Medium der Reflexion in specie ist allerdings die diskursive Rede. Wo die neueste moderne Kunst sich selbst-reflektieren will, sollen die Künstler Bücher schreiben. Dann müssten sie clare et distincte in Wörter fassen, was sie aus Bequemlichkeit in ihren Werken nur unverständlich  nuscheln: Es ist alles schonmal gemalt worden, alle Motive, alle Formen hat man schon gesehen, und die Bilder ohne Motiv mögen wir seit gut dreißig Jahren schon erst recht nicht mehr sehen. 

Selbstreflexivität der allermodernsten Kunst ist nur ein prätentiös verschämter Ausdruck dafür, dass das, was seit ein, zwei Generationen gemalt wird, immer nur eine Variation ist zum allbeherrschenden Thema: Was kann man heute noch malen?

Na schön, nicht immer nur, sondern nur fast immer.
25. Mai 2014 JE


alle Bilder von Gerhard Richter; aus dem Zyklus Können kann ich alles, ich weiß nur nicht, was ich soll 

Freitag, 28. August 2015

Hollands Goldenes Zeitalter im Kunsthaus Zürich.

aus nzz.ch, 28.8.2015, 05:30 Uhr                                                             Spargelbündel mit Kirschen und Schmetterling

Der aufmüpfige Spargel
Unter dem Titel «Ein goldenes Zeitalter» zeigt das Kunsthaus Zürich rund 50 Bilder aus einer Zürcher Privatsammlung – kleinformatige Werke zumeist, doch grossartige Malerei.

von Samuel Herzog

Am liebsten wäre ich natürlich der Schmetterling. Berauscht vom gewaltigen Schwung der riesigen Flügel, die meinen kleinen Körper so in der Luft halten, dass ich meinen Flug punktgenau steuern kann. Sicher könnte ich fühlen, wie schön ich bin, von einem Licht in Szene gesetzt, das nur gerade meine Gestalt erfasst – und die Welt um und um in dichtestem Schwarz versinken lässt, als würde ausser mir nichts existieren. Ausser uns, müsste ich wohl sagen. Denn unter mir liegt ein Bund Spargeln, die einen weiss, die anderen grün – die einen aus dem Dunkel der Erde gestochen, die anderen aus dem Licht des Tages geschnitten, als wollte das Gemüse die Chiaroscuro-Dialektik unserer Situation wiederholen. Was das wohl bedeuten mag?  ...


Die NZZ hat mir rückwirkend die Verbreitung ihrer Inhalte untersagt. Ich werde sie nach und nach von meinen Blogs löschen 
Jochen Ebmeier



Adriaen Coorte, Spargelstillleben


Jacob van Walscapelle, Stillleben mit Früchten, Ende 17. Jh  




Jan Jansz. van de Velde Stillleben mit Weinglas, Austern und Kastanien, 1662


Jan van Goyen Fischerboote beim Abrüsten am Abend, 1655-56


David Teniers d. J., Drei rauchende Bauern, 1645-50


Jan Brueghel d.Ä. Dorfeingang mit Windmühle, 1603-1605



Hendrick Avercamp Winter-Landschaft mit Eisvergnügen, frühes 17. Jh

Ein goldenes Zeitalter. Kunsthaus Zürich. Bis 29. November 2015. Katalog.


Aert van der Neer Winterlandschaft mit Feuersbrunst, um 1660


Nota. - Hollands Goldenes Zeitalter - das Thema hätte aber mehr hergegeben! Allerdings so viel mehr, dass man es nicht auf eine einzige Ausstellung konzentrieren muss, das ist wahr. Warum gerade in Holland und gerade zu diesem Zeitpunkt die Landschaft sich in der Kunst nach vorne drängt, da kann man alle drei Jahre ein Ausstellung drüber machen.... Ein eigenes Thema wäre das Stillleben, weil es zwar sehr typisch für die holländische Kunst des 17. Jahrhunderts ist, aber doch nicht so spezifisch wie die Landschaftsmalerei; weniger national und politisch, auch weniger regellos, weniger auto- didaktisch und unzünftig, auch in seinen Möglichkeiten viel begrenzter, aber auch enger an der eigentlich ästhetischen Frage: Wieviel Thema braucht - und verträgt - die Kunst?

Doch wie gesagt, dafür wird es auch später noch manche Gelegenheit geben...

Es ist übrigens nicht das erste Mal, dass Hr. Herzog uns einen Ausstellungsbericht mit einer neckisch subjektiven Rahmenplauderei würzt. Er will das doch nicht zur Gewohnheit machen? Herr Herzog, auch die NZZ macht ja nun die Mode des rituellen Relaunching mit, doch glauben Sie mir: Die Leserschaft ihrer Kunstseiten wird auch künftighin mehrheitlich aus alten Knochenköpfen wir mir bestehen, die sowas weniger neckisch als geziert und affig finden.
JE



Donnerstag, 27. August 2015

Gibt es 'den Verismus'?

Kommentar zu einem Ausstellungsbericht 

John de Andrea Ariel II, Denver, 2011,

"Ein epochenübergreifendes Phänomen", heißt die Ausstellung im Untertitel. So ist es: Wenn man sich die Epochen nacheinander anschaut, wird einem auffallen, dass sich gewisse Merkmale - Eigenschaften, Züge, Charakteristik - in der einen und auch in den andern finden. Man wird die Phänomene herauspicken, neben einander halten und vergleichen. Und wenn man das gewohnheits- oder gar erwerbsmäßig tut, wird man gar meinen, ohne es recht zu bemerken, es gäbe im Hintergrund oder im Untergrund oder latent und stets auf dem Sprunge "die veristische Skulptur", die sich zu allen Zeiten immer wieder mal in die Erscheinung gedrängelt hat. Dann macht man sie zum sujet - engl. subject - einer Aus- stellung, und schon hat sie eigene Wirklichkeit.

spätgotisch, denke ich, aber ich konnte nichts herausfinden

Eins haben die gezeigten Bilder auf jeden Fall gemeinsam - eine Absicht der genauen Wiedergabe. Doch was meinte ein Künstler des 18. Jahrhunderts, wenn er uns die Wunden Jesu so echt "wie im wirklichen Leben" zeigen musste - war es dasselbe, was ein Künstler Mitte des 20. Jahrhunderts meinte, als er eine nackte Frau so detailgenau wie möglich in Bronze goß und mit Farbe bemalte wie die alten Griechen? Das ist kaum anzunehmen, die Jesusfigur war Gegenstand eines ritualisierten öffentlichen Kults, die pseudoantike Venus ist offenbar nicht so ("nicht ganz so") gemeint, wie sie aussieht, sondern 'will auf etwas verweisen', aber auf was?

Das ist nicht dieselbe Frage wie etwa die, inwiefern sich Realismus, Verismus, Hyperrealismus, PopArt und was weiß ich noch unterscheiden oder womöglich auch nicht. Denn das sind Kategorien für den Kunsthistoriker und mehr noch für den Sammler, aber sie helfen nicht, 'den Blick zu weiten', sondern verführen im Gegenteil zum Klassifizieren...

Michel Erhart (um 1440-45–nach 1522), Apostelbüsten, linke Predellengruppe des Hochaltars in Blaubeuren, ehemalige Benediktinerklosterkirche, 1493-1494

Mittwoch, 26. August 2015

Der anthropologische Grund des Ästhetischen.



...Ich bin ja auf der Suche nach dem Ursprung des spezifisch-Ästhetischen, weil es wohl das ist, was uns Menschen von den Tieren spezifisch unterscheidet. Aus heiterm Himmel wird es kaum gefallen sein, denn dafür hat es in unserer Gattungsge- schichte viel zu lange gedauert, bis es sich zu identifizierbarer Gestalt herausgearbeitet hat. Es ist nicht "emergiert", sondern wird sich wohl auf älteren Grundlagen gebildet, aus älterem Material ausgebildet haben. 

Ich sage es, wie ich es meine: Es ist mit dem "Geist", der seinerseits als Kompensation für die verlorenen Selbstverständlich- keiten unserer früheren Umweltnische aufgetreten ist, selber entstanden - als der 'Teil', der sich zu nichts Nützlichem gebrau- chen ließ; und erst wieder zu den verdienten Würden kam, als der eingetretene materielle Überfluss das Menschenleben aus der selbstverschuldeten Knechtschaft von Nutz und Brauch freigesetzt hat.

aus e. Kommentar, 16. 10. 2013

Dienstag, 25. August 2015

Das Ästhetische war zuerst das Uneindeutige.

Chatsworth

..am ‚letzten Grund’ des ästhetischen Phänomens fänden sich wohl bionome Vorgänge. Ich habe in dem Zusammenhang die Hypothese von Irenäus Eibl-Eibesfeld (Biologie des menschlichen Verhaltens) erwähnt, die interkulturelle Vorliebe für den Typus ‚Parklandschaft’ rühre von unserer gemeinsamen Herkunft aus der (damaligen) Baumsavanne Ostafrikas her. Aber generalisieren läßt sich der Gesichtspunkt nicht: Der Biologe Adolf Portmann hat seinerzeit einen Gutteil seines Forscherlebens auf den (gelungenen) Nachweis verwandt, daß oft die spektakulärsten ästhetischen Naturphänomene für das Leben der Individuen oder der Art (Erhaltung und Auslese) ohne jede Bedeutung sind, gewissermaßen „nur so“ vorkommen - was ihn zu der bedenklichen Spekulation eines biotischen „Ausdruckstriebes“® veranlaßt hat. Und schließlich könnten bionome Erklärungen nur begründen, warum die Geschmäcker sich ähneln. Das wäre aber das Uninteressante daran. Interessant ist vielmahr, daß die Geschmäcker verschieden sind - und danach mag man sich wundern, daß aber zu vielen Zeiten, an vielen Orten so vielen Menschen dieselben Sachen gefallen! Wie es also zur Stilbildung kommen kann...

Nach der „evolutionären Erkenntnistheorie“ (im Gefolge von K. Lorenz) und einer „evolutionären Ethik“ gibt es inzwischen also auch eine „evolutionäre Ästhetik“... (Klaus Richter)



afrikanisch

Der Anlaß der Erkenntniskritik seit Kant war das evolutionsgeschichtliche Datum, daß uns die Welt sozusagen zweimal widerfährt: einmal (sinnlich) in ihrer unmittelbar gegenständlichen Gegebenheit in Raum und Zeit; und ein zweitesmal (logisch) als Sinn-System. (Nota: der ‚Sinn’ [Geltung , Bedeutung] des je-Einzelnen ist a priori immer nur im Zusammenhang (‚Diskurs’) mit andern gegeben; während man die gegenständlichen Erscheinungen so anschauen kann, als ob sie jeweils an und für sich da wären.)

Diese Verdoppelung ist nicht ursprünglich, sondern wird vom reflektierenden Verstand nachträglich in die ‚natürliche’ Wahrnehmung hineingetragen. Doch die Reflexion prägt, seit das diskursive Denken den öffentlichen Alltag durchzieht, das abendländische Bewußtsein. Das ist der Status quo, von dem wir nolens volens ausgehen, auch wenn wir in die Gattungsgeschichte zurück blicken.


M. Duchamp, Portrait eines Schachspielers, 1911

Ursprünglich lag natürlich der ‚Sinn’ der Dinge in ihrer praktischen Bedeutung für den Erhalt des Lebens = Reproduktion/ Selektion. Daher zum Beispiel die Gestaltgesetze, namentlich Figur/Grund-Schema: Das Bewußtsein erkennt nicht Einzelheiten, sondern interpretiert eine erlebte Situation: es hält Ausschau nach Konfigurationen, die für Erhalt/Auslese ‚bedeutsam’ sind (etwa ‚Angreifer von links hinten’); denn das interessiert, alles andre nicht. Unter gewissen Umständen kann aber gerade dies die ‚Information’ aus einem Bild sein: Da ist keine ‚Figur’, und also kein ‚Grund’, alles verläuft sich „in Wohlgefallen“.

Pollock, [N° wieviel?]

Das reicht stammesgeschichtlich (weit hinter die Hominisation) ins Tier- und womöglich ins Pflanzenreich zurück. Da wird jede Sensation vom Organismus a priori als nützlich oder schädlich gewertet. Ursprünglich lassen sich ‚Empfindung’ und ‚Wertung’ empirisch gar nicht trennen (sondern nur nachträglich im Begriff des reflektierenden Betrachters). Alle Nerven- reizungen werden a priori in Hinblick auf ihre Relevanz für ‚das Leben’ interpretiert: als angenehm oder unangenehm. Sie sind ästhetisch in diesem präzisen Sinn, daß die ‚Wertnehmung’ uno actu mit der ‚Wahrnehmung’ zugleich geschieht (=Urteil ohne ‚Gründe’, vor aller Reflexion). Gilt darum bei Baumgarten, qua aisthesis, als das „niedere“ Erkenntnisvermögen! So weit bleibt die die evolutionäre Ästhetik im Recht.

Je komplexer sich die Organismen entwickeln, um so öfter kommt es aber vor, daß die ‚sensorische Wertung’ uneindeutig ausfällt; daß also das Individuum nicht immer ‚weiß’, ob ihm diese oder jene Sensation eigentlich eher ‚angenehm’ oder eher ‚unangenehm’ ist (Schmerz-Lust in vielen Abstufungen): eine erregte Wachheit. Das ist nun ‚das Ästhetische’ in specie: nicht die Positivität der Empfindung, sondern ihre Problematizität.

Die kennzeichnet in Sonderheit alles Neue. Dem in seiner ökologischen Nische befangenen Organismus kommt das Neue nur als seltene Ausnahme vor. Als aber unsere Vorfahren ihre Urwaldnische verlassen hatten und in der ostafrikanischen Parklandschaft zu einer vagierenden Lebensweise übergingen (=regelmäßig aus einer Nische in eine ganz-andere wechselten), wurde das Neue zu einem dauernden Lebensingrediens; zumal als vor 10 000 Jahren (Sedentarisierung-Ackerbau-Kultur) eine Welt entstand, die nicht nur von ‚Naturgesetzen’, sondern historisch, nämlich von menschlichem Willen gestaltet war. Seither bauschte sich das ‚aisthetisch’ Uneindeutige von einem (jederzeit möglichen) Zufall zu einer mentalen Konstante auf, die seither von vornherein in Betracht kommt und die Wahr-(Wert-)nehmung leitet.
...



Miró, Badende, 1925