Dienstag, 13. Oktober 2015

Adolph Menzel, romantisch-impressionistischer Realist.

Piazza d?Erbe in Verona, 1884. Artist: Menzel, Adolph Friedrich, von (1815-1905)     Piazza d’Erbe in Verona, 1884

Letzten Sonntag, den 11. Oktober, hat, hat Eduard Beaucamp in der FAZ einen langen Beitrag dem Buch gewidmet, das Werner Busch unlängst über Adolf Menzel veröffentlicht hat.* Da die FAZ, wie Sie wissen, nicht wünscht, dass ich ihre Texte auf meinem Blog wiedergebe, muss ich seinen Artikel zusammenfassen und kommentieren, um dem Urheberrecht Genüge zu tun.


Die Atelierwand

"Die Kunst Adolph Menzels steht quer zu den Schulbildungen, Stilströmungen und Fortschrittsetappen des 19. Jahrhunderts. Menzel, der im Dezember vor zweihundert Jahren geboren wurde und 1905 im biblischen Alter starb, ist anfangs noch Romantiker und Historist, dann vor allem Realist, später auch Impressionist und gegen Ende in manchen Zügen Symbolist. Aber alle Etiketten verfehlen seinen eigenwilligen und vielschichtigen Charakter", schreibt der Rezensent. Zunächst geht er kurz auf die künstlerischen Auftrags- und Gelegenheitsarbeiten ein, mit denen Menzel auf dem Kunstmarkt bebütiert hat, und auch auf sein preußisch-patriotisches Werk, das zum größeren Teil aus eigenem Antrieb und ohne fremden Auftrag entstand. Aber er traf nicht den Geschmack des Publikums, doch er passte sich nicht an. Wegen seiner Kleinwüchsigkeit gesellschaftlich ein Außenseiter, mochte er sich auch künstlerisch nicht in den großen Tross einordnen.


Blick in einen Hinterhof

Daher sein "Interesse für Hinterhöfe und Müllplätze, für Bauplätze, Bretterverschläge, schräge und wacklige Gerüste, aber auch für Gerümpel und Umzüge. Menzel setzt seine ganze, vor allem in der Zeichnung oft abenteuerliche Virtuosität ein, um die Gleichgewichtsstörungen und Schwankungen durch gewagte Kompositionen, durch Aufsichten, Kipplagen, riskante Perspektiven und Bildschnitte zu steigern."

Eine Wende brachten drei Paris-Reisen (1855, 1867 und 1868), auf denen Menzel das Leben in der modernen Großstadt kennenlernte, den Abbruch der alten Stadt erlebte und den Aufstieg der Hauptstadt des 19. Jahrhunderts.


Pariser Wochentag

"Werner Busch weist detailliert den Einfluss und die Verarbeitung französischer Druckgraphik nach und zeigt, wie Menzel Themen und Motive populärer Blätter auf die Hochkunst-Ebene der Ölmalerei hebt. Auch für das berühmte Eisenwalzwerk (1872 –75), das erste monumentale Industriebild, hat Busch eine graphische Vorlage aufgetan. Menzel lernt aber auch Courbets Spachteltechnik kennen, bewundert sie und zieht sie fortan der Feinmalerei des Pinsels vor." 


Meissonnier in seinem Atelier, 1869

Wie Courbet in Frankreich, gilt Menzel in Deutschland als Protagonist des Realismus in der Malerei. Er hatte "früh mit dem romantischen Idealismus gebrochen. Er verschreibt sich kühler, distanzierter Sachlichkeit und entwickelt eine perspektivisch wie hierarchisch ungebundene, gleichsam vagabundierende Sehweise, die fast alles egalisiert, aber auch alles erprobt und sich dem Panorama wie dem beiläufigen Detail verpflichtet fühlt. Für den vitalen, fast barock inspirierten Zeichner mit seiner mobilen wie vielseitigen Optik steckt in Detail und Ausschnitt noch das Ganze. Dem Maler stellt sich dagegen das Ganze als Summe dieses Einzelnen dar. Er versagt sich den auktorialen Zugriff, die durchgreifende Regie und Deutung. Menzels Dilemma offenbart sich im Gegensatz zwischen seiner spontanen, kraftvoll aufgeladenen Zeichnung, die sich in den Gegenstand förmlich einwühlt, und den aus Einzelmotiven kompilierten Kaleidoskopen seiner späten Wimmelbilder."


Stahlwalzwerk, 1872-75

War Menzel, wie das Buch im Untertitel behauptet, "auf der Suche nach der Wirklichkeit“? - "Richtiger wäre es, ihn zunehmend in die Wirklichkeit verirrt und verstrickt zu sehen. In einem Bild wie dem Markt in Verona von 1882/84 (Piazza d’Erbe) [s. Kopfbild], einem keineswegs südländisch heiteren, sondern durchaus dämonischen Panik-Bild, fühlt sich der Maler der Masse ausgeliefert. Das Leben stürmt auf ihn ein und bedrängt ihn. Menzel ringt um einen Überblick und Zusammenhalt."


Prozession in Bad Gastein 1880

Einen Gegenpol stelle, meint der Rezensent, die ländliche Prozession in Bad Gastein (1880) dar, die den bayerischen Gläubigen oben die schaulustigen Städter unten gegenüberstellt - dazwischen "Menzel selbst, versteckt in der Masse, verschanzt hinter seinem Zeichenblock"; worin er ein Schlüsselmotiv erkennen will. 

"In seinen großen Kompositionen versucht Menzel durch Kippen des Bildes und Draufsicht sich Überblick zu verschaffen und Ordnung ins Bild zu bringen. Aber er erlaubt sich keinen olympischen Blickpunkt, keine Umschichtung und Dressur der Wirklichkeit. Er nimmt sich nicht die Freiheit der französischen Impressionisten, überträgt nicht den spontanen Impuls der Zeichnung auf die Malerei, hat nicht den Mut, das wimmelnde Leben subjektiv und mutwillig zu inszenieren. Menzel scheut im Bild Auslassungen, wagt, anders als in der Zeichnung, keine Fragmentierungen, Schnitte, Abkürzungen oder Pointierungen."


Gottesdienst in der Buchenhalle von Kösen. 1868

Einen besondern Abschnitt widmet Busch Menzel Kriegsbildern. Er war 1866 "aus Pflichtgefühl" auf die Schlachtfelder bei Königgrätz im preußisch-österreichischen Krieg gereist, doch der zeichnerische Ertrag war so schaudererregend, dass "Goya und Dix übertrifft". Der preußische Hofmaler hatte Glanz und Gloria satt; die begonnene Ansprache Friedrichs vor der Schlacht von Leuthen ließ er unvollendet, und für die patriotische Schlacht von Hochkirch (1856) hat er sich, wie er in einem Brief bekundete, schließlich sogar geschämt.


Zwei Soldaten, 1866

"Er beobachtet die Welt von außen und steckt zugleich mittendrin. Das Weltbild zerfällt für den Realisten – darin kann man ein bürgerlich-positivistisches wie ein skeptisch-relativistisches Bewusstsein sehen – in eine Fülle unfassbarer, gleichwertiger, sich gegenseitig relativierender Phänomene. So tüftelt er am Ende Farbteppiche und versucht darin jedem Detail malerisch gerecht zu werden. Zusammenhalt gewährleistet am Ende nur die Malerei selbst. Verborgene, kompositorische Gerüste, die ihm bei der Bewältigung der Wirklichkeitsfülle helfen, sind der Goldene Schnitt und die Achsenbildungen, nach denen Menzel seine großen Bilder anlegt. Die Aufdeckung dieser Ordnungsprinzipien hinter manchmal überwältigender Unordnung gehört zu Werner Buschs wichtigsten Ergebnissen.

*)Werner Busch: „Adolph Menzel“. Auf der Suche nach Wirklichkeit. Verlag C.H. Beck, München 2015. 304 S., Abb., geb., 58,- €


Nein, das ist nicht von Menzel, sondern von Carl Blechen.

Nota. - Wozu könnte es gut sein, einen Künstler einem Stil zuzurechnen? Das kann nur für ein Auktionshaus von Belang sein, kunsthistorisch ist es interessant genug, dass es Epochalstile überhaupt gibt, nämlich im Abendland, wo es eine Öffentlichkeit gibt, deren Geschmack sich fast so 'entwickelt' wie der eines Individuums. Und so, wie die Geschmacks-entwicklung eines Individuums 'irgendwie' in sein ganzes Leben verstrickt sein wird, mag es auch mit 'der Öffentlichkeit' sein, so dass das Thema nicht nur ein ästhetisches, sondern auch ein historisches wäre.

(Bei der Gelegenheit sei auch angemerkt, dass sich nirgends so wie im Abendland DIE KUNST, und zwar alle Genres zusammen, zu einer gesellschaftlichen Instanz ausgebildet hat - am Rande der Gesellschaft zwar, aber dort auf dem äußersten Gegenpol zur WISSENSCHAFT, die auch nur bei uns eine Macht geworden ist.)
Nein, das ist nicht von Blechen, auch nicht von Christian Dahl, sondern von Menzel (1856).

Daran hat der Verfasser wohlgetan, dass er Menzel nicht einer Richtung zugewiesen hat. Man kann sich ja nicht einmal recht entschließen, einen Personalstil zu erkennen.Er macht einfach zu viel Verschiedenes; zunächst verschieden vom Sujet her, aber wenn die Darstellung dem Sujet angemessen sein soll, wird auch sie verschieden sein. Ist eine Darstellung, die dem Gegenstand gerecht werden will, "realistisch"? Man kann ihm auf verschiedene Weise die Ehre tun, die ihm gebührt - romantisch, idyllisch, impressionistisch, expressionistisch und noch manches mehr. So naturalistisch die obige Darstellung seiner Atelierwand ist, so expressiv, aber auch surreal wird sie durch das caravaggeske Chiaroscuro. Es ist schon richtig, wenn man Menzel einer Stilrichtung zurechnen wollte, wäre realistisch der am wenigsten unpassende Ausdruck, weil er nämlich genauso vieldeutig ist wie Menzls Malweise; aber zum Glück muss man ihn ja zu nichts hinzurechnen.
JE


Auch nicht von einem Impressionisten, sondern von Menzel.

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