Mittwoch, 14. Oktober 2015

Zum Tod von Hilla Becher.

aus Süddeutsche.de, 13. Oktober 2015, 18:03 Uhr

Zum Tod von Hilla Becher
Neue deutsche Sachlichkeit

von Catrin Lorch

Das Mädchen, an das sich Hilla Becher später erinnern wird, hat Schmetterlinge und Insekten gesammelt - wobei der Begriff "Sammeln" zu still klingt: Immerhin muss man Insekten aufstöbern und einfangen. Töten. Konservieren und klassifizieren.

Das ist die Vorgeschichte. Mit 13 schenkt man Hilla Wobeser, die 1934 in Potsdam zur Welt kam, ihre erste Kamera. "Anfangs habe ich alles fotografiert", erzählte sie, "Töpfe, Teller, Tassen." Mit diesen Vorlieben passt es, dass der Fotograf, bei dem sie eine Ausbildung beginnt, direkt an die Fotografie der Neuen Sachlichkeit anknüpfte, dieser klassischen, von Deutschen wie Karl Blossfeldt, August Sander und Albert Renger-Patzsch begründeten Fotografie, die enzyklopädisch und in technischer Perfektion am Bild der Welt arbeitete.



So vorbereitet zieht Hilla in den Fünfzigerjahren nach Düsseldorf, um in einer Werbeagentur zu arbeiten und - im Jahr 1961 - zu heiraten. Was der Kunst und der Fotografie eine ihrer bedeutendsten Signaturen bescheren wird: Bernd und Hilla Becher.

Die junge Frau ist nicht nur von der "Verrücktheit" des drei Jahre Älteren begeistert, in Siegen geboren entstammt er auch einer Landschaft, die sie fasziniert: "Das Ruhrgebiet war damals noch ganz lebendig. Es war voller Hochofenwerke, Hüttenwerke und Bergwerke", sagte sie. Unterdessen plagte sich ihr Mann, der an der Düsseldorfer Akademie Typografie studiert hatte, mit Zeichenstift und Farbe, die damals schon abgewirtschafteten Reste des Wirtschaftswunders festzuhalten.

So reduziert wie möglich

Erst als sich die beiden beruflich zusammentun, setzt dieses außerordentliche Werk ein, das unter dem Oberbegriff der "Erinnerungsarbeit" nicht nur für Kunst und Fotografie im 20. Jahrhundert als zentral gilt, sondern, wie nebenbei, auch noch den Denkmalsbegriff der Nachkriegszeit prägen sollte: Dass man in Deutschland, vor allem in Nordrhein-Westfalen, Industrieanlagen und Zechen als Denkmäler schätzt und erhält, ist auch eine Folge ihrer Bestandsaufnahmen, die sie weit über das Ruhrgebiet hinaus bis nach Frankreich, in die USA und Nordengland führten.



Sie fotografierten Fachwerkhäuser, Fördertürme, Gasometer. So reduziert, wie das außerhalb eines Studios überhaupt nur möglich ist. Die strengen Schwarz-Weiß-Formate zeigen die Architektur schattenfrei vor milchweißem Himmel, fein gezeichnet.

Darf man fragen, wer von den beiden die so zurückhaltende Bildsprache entwickelt, den Kodex der mehr als fünfzig Jahre währenden Arbeitsbeziehung festgelegt hat? "Ich habe ihn als Chef und er hat mich als Berater akzeptiert", sagte sie wiederholt.

Aber beide ließen offen, wer die Autorität über den Auslöser innehatte - auch weil diese Frage wohl nicht entscheidend war, wo es galt, den VW-Bus an entlegenen Industrieanlagen zu parken, über Leitern in Türmen herumzuklettern. Sie wechselten die Negative im selben Bus, in dem sie auch schliefen und kochten. Pause war dann, wenn es regnete oder die Sonne zu grell schien.



So entstanden Hunderte Bilder, die damals noch gar nicht für das Museum bestimmt waren. Zunächst waren es die Denkmalpflege und Architektur-Interessierte, die ein Werk verfolgten, das dem eigenen Metier eine solide Basis einzuziehen schien: Siegerländer Fachwerkbauten, Zechen, Hochöfen - die hoch schätzende Aufmerksamkeit richtete sie für einen Denkmalbegriff zu, der sich bis dahin auf Kirche und Schloss fixiert hatte.

In Deutschland lange unbekannt

Als sich in den USA dann in den Sechzigerjahren die Konzeptkunst in ersten Schauen entwickelte, waren Bernd und Hilla Becher geladen. Doch während ihre Name jenseits des Atlantiks in einem Atemzug mit On Kawara oder Ed Ruscha genannt wurden und Gilbert & George in Düsseldorf schon mal zu Kaffee und Kuchen vorbeischauten, waren sie als Künstler in Deutschland lange unbekannt, wo Fotografie als Handwerk galt und sich jenseits des Rheinlands noch niemand mit Konzeptkunst beschäftigen wollte.



Erst Harald Szeemanns Documenta änderte das im Jahr 1972. Ein Jahr später werden sie in New York von der Galeristin Ileana Sonnabend ausgestellt, bei der Documenta sind sie fortan Dauergast.

Aber es sind nicht Bernd und Hilla Becher, die in ihrer Heimat ihr Medium durchsetzen. Sondern ihre Schüler. Seit 1976 lehrt Bernd Becher in Düsseldorf, wobei das Paar auch diese Aufgabe in Gemeinschaftsarbeit angeht. Und Generationen von Fotografen prägt - von Candida Höfer über Thomas Struth, Andreas Gursky und Thomas Ruff - die sich bei ihnen Stringenz und Selbstvertrauen abschauen, aber gerne auch in Farbe und Breitwand arbeiten.



Dass ihr epochales Werk ihr anfangs fast peinlich gewesen sei, darauf hat Hilla Becher mehrfach in ihrem Leben hingewiesen: Man habe doch sehr "rückwärts" gedacht, sagte sie im Gespräch mit dieser Zeitung, als sie und ihr Mann sich für den "vergleichenden Ansatz aus dem 19. Jahrhundert" entschieden hätten. "Wunderschöne Vorbilder" für ihre Aufnahmen waren nicht die Aufnahmen von Foto-Pionieren, sondern die feinen Zeichnungen der Naturkundler wie Charles Darwin.

Dem enzyklopädischen Anspruch ihres Mannes gegenüber blieb sie skeptisch

Nach dem Tod ihres Mannes im Jahr 2007 war es an Hilla Becher, das verwitwete Werk zu vollenden - ohne es zu erfüllen. Dass sie dem enzyklopädischen Anspruch Bernd Bechers gegenüber skeptisch war, hat sie immer betont. Dem "Wir sind nicht fertig geworden" des Sterbenden hielt sie pragmatisch entgegen: "Wir wussten doch, dass wir nicht alles fotografieren konnten."



Sie hat seinen Anspruch akzeptiert, daran abgearbeitet hat sie sich nicht. Und statt sich mit dem Sortieren des Archivs aufzuhalten und sich auf Ausstellungen feiern zu lassen, schleppte sie die Kamera wieder in den Bus und fuhr weiter.

Am vergangenen Sonnabend ist Hilla Becher in Düsseldorf gestorben. Jetzt kann man ein Werk in seiner monumentalen Gesamtheit in den Blick nehmen, das nur der als "Trauerarbeit" apostrophiert, der sich bloß auf Sujets fokussiert. Doch schon als man dem Fotografenpaar im Jahr 1990 auf der Biennale in Venedig einen Goldenen Löwen überreichte, ehrte man ihr "skulpturales Werk".



Ein ebenso bescheidenes wie monumentales Werk

Wer in den Büchern von Bernd und Hilla Becher blättert, dem verbinden sich die Fachwerkbalken, Kohlerutschen, Stahlrohre zu einem stabilen Konstrukt, einer gewaltigen Maschine zum Einfangen von Zeit. Es zeigt: Ganze Epochen und Zeiten können untergehen. Und es war der naturwissenschaftliche Blick, der die Mutation wie den Entwicklungsschub mit der gleichen Aufmerksamkeit notiert, der die Deutschen von ihrer tränenschlierigen Ruinenromantik befreite.

Der Konzeptkunst haben Bernd und Hilla Becher ein ebenso bescheidenes wie monumentales Werk geschenkt - der Fotografie eine ihrer gewaltigsten Expeditionen.


Hilla Becher ( 1934-2015), aufgenommen von ihrem Schüler Laurenz Berges
Hilla Becher
aus Der Standard, Wien,13. Oktober 2015, 17:45 

Deutsche Fotografin Hilla Becher gestorben
Gemeinsam mit ihrem Mann Bernd hat die Fotografin die wohl einflussreichste Kunstrichtung aus Deutschland seit dem Bauhaus geprägt: Die Becher-Schule

von Damian Zimmermann

Düsseldorf – Was ist mehr wert, fotografiert zu werden: das prächtige Schloss Sanssouci in Potsdam oder irgendwelche namenlose Industrieanlagen? Die spontane Reaktion der meisten dürfte lauten: Natürlich das Weltkulturerbe! Das ist heute nicht anders als vor 60 Jahren, als Hilla Wobeser in Potsdam eine Ausbildung zur Fotografin machte. Sie assistierte ihrem Lehrmeister Walter Eichgrün bei Aufnahmen der Schlösser und Gärten und sah täglich die Touristen mit ihren kleinen Kameras. Das langweilte Hilla zutiefst, und sie fragte sich, warum alle das Besondere fotografieren, das auch noch in 200 Jahren dort stehen wird, während niemand das Alltägliche festhält, das permanent vom Verschwinden bedroht ist.

Bauten der Schwerindustrie

Als sie 1959 während ihres Studiums an der Kunstakademie Düsseldorf Bernd Becher kennenlernte, fand sie in ihm nicht nur ihren zukünftigen Mann, sondern auch einen Arbeitspartner, der sich die gleiche Frage stellte – und der verzweifelt versuchte, dagegen anzukämpfen. Sein Interesse galt den alten, vom Abriss bedrohten Nutz- und Zweckbauten der Schwerindustrie, die er in Radierungen und Lithografien festhielt. Doch zum einen dauerte das zu lange, und zum anderen ist Zeichnen immer auch eine Interpretation.



Noch während ihrer Studienzeit begann das Paar damit, im Ruhrgebiet und im Siegerland Fachwerkhäuser, Bergwerke und Hüttenanlagen zu fotografieren, später fuhren sie mit ihrem VW Bulli durch Europa und die USA.

Ihr Stil konnte dokumentarischer kaum sein: Das Motiv wurde mit der Großformatkamera mittig ins Bild gesetzt und entweder nur frontal oder von allen Seiten fotografiert. Immer in Schwarz-Weiß und immer an bewölkten Tagen, damit die Sonne keine harten Schatten verursacht. Fast immer menschenleer. Zusammengefasst in Typologien mit bis zu 24 Einzelmotiven bekamen ihre Bilder die Anmutung naturwissenschaftlicher Schautafeln.



Ästhetik der Ökonomie

Mit dieser absolut unspektakulären Art bewegten sich die Bechers im Bereich der Minimal und Concept-Art, gleichzeitig gingen sie damit auf Konfrontation zu Otto Steinert und dessen extrem subjektiver Perspektive auf die Welt. Das Paar erhob die Nutzbauten zu "anonymen Skulpturen", die von unbekannten Architekten und Ingenieuren nach rein funktionalen Gesichtspunkten errichteten wurden. Es war eine Ästhetik der Ökonomie.

1976 übernahm Bernd Becher eine Professur für Fotografie an der Kunstakademie Düsseldorf, doch de facto verstand sich das Paar als gemeinsam lehrend. Diese auch als "Becher-Schule" bezeichnete Klasse bildete die Keimzelle der wohl einflussreichsten Kunstrichtung aus Deutschland seit dem Bauhaus, und aus ihr sind zahlreiche Stars der heutigen Fotografieszene hervorgegangen: Andreas Gursky, Thomas Ruff, Thomas Struth und Candida Höfer bilden da nur die Spitze.



Seit Bernd Bechers Tod 2007 führte Hilla ihr gemeinsames Werk mit Hilfe ihres Assistenten fort, doch ein Ende der Arbeit war nicht in Sicht. "Aber es muss ja auch nicht fertig werden", sagte eine bereits im Rollstuhl sitzende Hilla Becher 2014. Am Samstag ist sie 81-jährig in ihrer Wahlheimat Düsseldorf gestorben.


Nota. - "So reduziert wie möglich", "Ästhetik der Ökonomie", das war die Absicht. 'Rein dokumentarisch' wollten die Bechers fotografieren, das bloße Objekt ohne alle drum und dran. Ergeben hat es ein streng manieriertes Werk an der Grenze zum Surrealen. Das war schon kühn: alle Motive frontal und mittig, und wenn schon von der Seite, dann im rechten Winkel und um Gottes Willen nicht schräg oder sonstwie reizvoll. 

Und sie haben eine Industriearchitektur fotografiert, an der nichts daran erinnert, dass dort gearbeitet wurde.



Natürlich sind keine Menschen zu sehen. Die Bechers fotografieren offenbar sonntags: Selbst die Parkplätze gähnen vor Leere. Und zur Mittagszeit, wenn die Sonne am höchsten steht: Suchen Sie nur auf den Bildern - Sie werden kaum mal einen Schatten finden, und wenn doch, dann parallel zu einem Gebäudeteil, so dass man ihn wirklich suchen muss. Eine strikt funktionale Architektur, bar aller Funktion.

Das ist faszinierend schön, wer wollte das leugnen. Aber es ist irreal, und von dokumentarisch ist es das Gegenteil. Es ist l'art pour l'art: Industrie hin oder her, uns interessiert nur der ästhetische Schein. Und denken Sie daran: All diese Bau-werke mussten erst verlassen werden, diese Industrien mussten untergehen, damit sie dem Auge, das die Schlote nie hat rauchen sehen, einem, der die Sirenen nie hat pfeifen, die Maschinen nie hat lärmen hören, schön vorkommen konnten. Früher waren sie Grauen und Scheußlichkeit schlechthin. Heute sind sie atemberaubende Monstren. Tempora mutantur, und unser Geschmack mit ihnen.
JE


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen