aus Badische Zeitung, 5. 12. 2013 Das Gewitter
Jean-Honoré Fragonard - nicht nur Parfüm und Blütenduft
"Poesie und Leidenschaft": Die Kunsthalle Karlsruhe zeigt den Rokokokünstler Jean-Honoré Fragonard.
von Volker Bauermeister
Zeichnung ist Kunst als Handlungsform.
Was da zu sehen ist – das Strichgespinst –, ist sichtbar Bewegung. Viel eher spontan gesteuert als alles sonst. Die Ausstellung in der Karlsruher Kunsthalle zeigt nun einen Maler vor allem als Zeichner. Man muss die Entscheidung als schlüssig ansehn. Jean-Honoré Fragonard ist impulsiv – und sucht dafür den poetischen Ausdruck. Die Zeichnung ist sein Medium.
Die Wasserfälle von Tivoli, 1760
Fragonard (1732 bis 1806), den Repräsentanten des französischen Rokoko, den Schüler François Bouchers, zeichnet Rasanz aus und Grazie – eine Art Leichtigkeit, die einem den Zugang aber auch wieder schwer machen kann. Mag sein, man nimmt ihn nicht ernst genug. Im eher schwerblütigen Deutschland hat man ihn wohl nie richtig gesehen. Wer jetzt die Chance dazu nutzt – dies ist die erste Ausstellung im Land! –, der ist ihm auch fast schon verfallen. Oberflächlich? Wer will da das Wort noch in den Mund nehmen? Was für ein Zeichner!
Die Küste bei Genua
Eine seiner fein ausgearbeiteten Rötelstudien aus der Zeit des frühen ersten Italienaufenthalts um 1760 ist aus dem Besitz der frankophilen Karlsruher Kunsthalle selbst. Das Motiv hat schon ein Jahrhundert vorher den großen Claude Lorrain angezogen: die Wasserfälle von Tivoli [s.o.]. Doch es zeigt sich hier gleich eingangs schon viel von dem eigenen Wesen Fragonards. Das Chaos aus Felsen, Pflanzenwuchs und stürzendem Wasser bringt der in einen feinen Reim. Organisches und Anorganisches versöhnt der Rhythmus der Zeichnung. Und wenn der Zeichner Menschen dem großen Naturraum nur sehr klein einfügt, dann will er doch nichts von unterlegener Kleinheit sagen. Schön eingebettet finden die sich.
Die Überraschung, um 1771
Fragonard zeichnet viel. Nicht nur vor der Natur allein. Studienfleiß treibt ihn in Rom, Florenz, Bologna oder Genua auch in die Bildersammlungen und Kirchen. Michelangelo und eine ganze Reihe Barockmaler kopiert er mit Kohle. Und selbst die Kopie wird ihm zur ingeniösen graphischen Handlung. Selbst große Vorbilder machen den Lernwilligen nicht für den kleinsten Moment zum Sklaven. Was ihm die Tradition zu sagen hat, das weiß er. Aber auch, dass er sich nicht an Konventionen binden will.
Die Tränke
Akademiker auf Widerruf.
Historienmaler nur ab und an. Ein unverhohlener Hang zum Frivolen macht ihn berühmt. So fängt er Zeitkolorit ein. Kollidiert aber auch mit der doppelten Moral der Epoche. Die nicht unanstößige Geschichte vom "neuen Modell" erzählt er ganz ohne die bekannte mythologische Verbrämung. Ein junger Maler tritt bei ihm als Freier auf. Die unberührte Leinwand dahinter mag auf andere als künstlerische Interessen deuten. Und während eine Kupplerin schon mal daran geht, die physischen Vorzüge des neuen Mädchens offenzulegen, lupft der Maler lässig mit dem Malstock dessen Rocksaum. Ein noch weiter gehendes Wagestück intimer Zurschaustellung ist das oft variierte "Mädchen mit Hund". Unverschämt spielt da der Maler Fragonard den Unschuldigen – lässt den Akt der Entblößung wie unabsichtlich, wie Zufall aussehn. Nur der wuschelige Spaniel verhindert die vollständige Schau des porzellanenen Körpers.
Mädchen mit Hund
Doch nicht nur mit erotisierenden Einblicken spielt Fragonard souverän. Menschen sind ihm allemal ein Hinschauen wert. Ein waches Mädchen lässt er an den Lippen eines philosophenköpfigen "Zwerges" hängen. Zwei Frauen, die sich austauschen [so steht es wirklich da], beziehen dabei äugelnd und tuschelnd selbst uns mit ein – respektive den Zeichner, an dessen Stelle das Betrachterauge tritt. So kehrt sich der Blick einmal um. Und was der Blick eines Lesenden sagt, von sich und seiner Lektüre, das sollen wir uns dann auch fragen. Nach einer inneren Wirklichkeit fragen. Die Realität der Träumenden sehn. Dem schlummernden Heiligen Josef erscheint bei Fragonard freilich noch immer ein Engel – just an der Stelle, an der später Goya seinem Schläfer die Monstren der Nacht schickt.
Das vertrauliche Gespräch, um 1778
Was den freundlicheren Fragonard fesselt, das sind die Momente der Selbstvergessenheit. Der Selbstauflösung, der seeligen Hingabe. So spielt er in der Motivgeschichte des Kusses eine Rolle. Zu sehen jetzt: eine ins Allegorische ausgreifende Szene von allergrößter Helligkeit. Den Autor diszipliniert sie zur höchsten Feinheit, den Betrachter fordert sie heraus. Aus dem Rauch der Fackel, die der eilig herbeischwebende Amor trägt, lässt Fragonard das umschlungene Paar zart andeutend entstehen. Drum herum skizzieren kräftige Pinselschläge die weitere Welt. In deren Mitte liegt das Paar in einem Sarkophag(!), den weißes gleißendes Licht aufsprengt. So also sieht die unsterbliche Liebe aus.
Der Kuss, um 1775
Die Liebe: Bei Fragonard spielt sie gern in freier Natur. Und wie ihm die Menschen schillernd geraten, zwischen frischer Natürlichkeit und von der Zeit kolorierter, stilisierter Performance – so wird ihm die Natur selbst auch zwittrig. Halb ist sie gebändigte Parknatur. Doch lässt sie ungebändigte Kraft erahnen. Im Gemälde der "Liebesinsel" (um 1770) kippt der Ort des unbeschwerten Wohlseins, der Locus amoenus, in das Bild eines unheimlichen andern. Ins Licht fällt Dunkel ein. Ein blumenreiches Ufer säumt plötzlich ein reißendes Gewässer. Und in den Himmel ragt als gespenstiges graphisches Zickzack das Geäst eines toten Baums. Im tändelnden Spiel der Liebesleute scheint die Natur domestiziert. Und am Ende ist sie es doch, die siegt. Dass Fragonard nicht nur der bezaubernde Rokokomeister ist, dass seine Bilder nicht nur den Duft von Parfüm und Blüten verströmen, damit überrascht die Ausstellung auch.
Die Liebesinsel, 1770
Und mit dem Dramatiker. Dem Graphiker, der die Gesänge des Ariost inszeniert. Dem Leser Fragonard, dem, wie wir sehen, eine Bilderflut vor Augen steht. In den Zeichnungen zum "Orlando furioso" zeigt er Sinn für den bühnenwirksamen Augenblick. Und die Zeichnung ist mit einer Schnelligkeit und Heftigkeit getan, die sie selbst an den Augenblick bindet. Figuren und Szenen in Kürzelform. Die Zeichnung als Wurf.
Staatl. Kunsthalle Karlsruhe. Bis 23. Februar, Dienstag bis Sonntag 10–18 Uhr.
aus Orlando furioso, um 1780
Nota. - Der Berichterstatter hat wegen dieser Ausstellung seine Meinung über Fragonard geändert. Man sollte wegen Fragonard die landläufigen Meinungen über das Rokkoko ändern: graziös, gepudert, parfümiert, geschminkt, geziert - und von frivoler Oberflächlichkeit. Wenn man nachsucht, gibt es eigentlich kaum einen namhaften Maler, der dem Klischee entspricht - außer vielleicht ebenden Boucher, bei dem Fragonard gelernt hat. Aber bevor er zu Boucher kam, war er bei Chardin. Und der ist bei aller milden Ironie ganz ernst, wie ein Ästhetiker eben.
Fragonard als Zeichner loben heißt, ihn als Koloristen und Meister des Helldunkel zurücksetzen. Aber Farbe und Licht sind gerade das, was diesen Bildern ihr überreales Flair gibt, nicht die Linie. Nicht so sehr expressiv ist Fragonard, als vielmehr surreal. Und wenn man lange genug hinschaut, erkennt man darin einen durchgehenden Zug des ganzen Rokkoko.
JE, 7. Dezember 2013
Tivoli, Wasserfall
Jean-Honoré Fragonard - nicht nur Parfüm und Blütenduft
"Poesie und Leidenschaft": Die Kunsthalle Karlsruhe zeigt den Rokokokünstler Jean-Honoré Fragonard.
von Volker Bauermeister
Zeichnung ist Kunst als Handlungsform.
Was da zu sehen ist – das Strichgespinst –, ist sichtbar Bewegung. Viel eher spontan gesteuert als alles sonst. Die Ausstellung in der Karlsruher Kunsthalle zeigt nun einen Maler vor allem als Zeichner. Man muss die Entscheidung als schlüssig ansehn. Jean-Honoré Fragonard ist impulsiv – und sucht dafür den poetischen Ausdruck. Die Zeichnung ist sein Medium.
Die Wasserfälle von Tivoli, 1760
Fragonard (1732 bis 1806), den Repräsentanten des französischen Rokoko, den Schüler François Bouchers, zeichnet Rasanz aus und Grazie – eine Art Leichtigkeit, die einem den Zugang aber auch wieder schwer machen kann. Mag sein, man nimmt ihn nicht ernst genug. Im eher schwerblütigen Deutschland hat man ihn wohl nie richtig gesehen. Wer jetzt die Chance dazu nutzt – dies ist die erste Ausstellung im Land! –, der ist ihm auch fast schon verfallen. Oberflächlich? Wer will da das Wort noch in den Mund nehmen? Was für ein Zeichner!
Die Küste bei Genua
Eine seiner fein ausgearbeiteten Rötelstudien aus der Zeit des frühen ersten Italienaufenthalts um 1760 ist aus dem Besitz der frankophilen Karlsruher Kunsthalle selbst. Das Motiv hat schon ein Jahrhundert vorher den großen Claude Lorrain angezogen: die Wasserfälle von Tivoli [s.o.]. Doch es zeigt sich hier gleich eingangs schon viel von dem eigenen Wesen Fragonards. Das Chaos aus Felsen, Pflanzenwuchs und stürzendem Wasser bringt der in einen feinen Reim. Organisches und Anorganisches versöhnt der Rhythmus der Zeichnung. Und wenn der Zeichner Menschen dem großen Naturraum nur sehr klein einfügt, dann will er doch nichts von unterlegener Kleinheit sagen. Schön eingebettet finden die sich.
Die Überraschung, um 1771
Fragonard zeichnet viel. Nicht nur vor der Natur allein. Studienfleiß treibt ihn in Rom, Florenz, Bologna oder Genua auch in die Bildersammlungen und Kirchen. Michelangelo und eine ganze Reihe Barockmaler kopiert er mit Kohle. Und selbst die Kopie wird ihm zur ingeniösen graphischen Handlung. Selbst große Vorbilder machen den Lernwilligen nicht für den kleinsten Moment zum Sklaven. Was ihm die Tradition zu sagen hat, das weiß er. Aber auch, dass er sich nicht an Konventionen binden will.
Die Tränke
Akademiker auf Widerruf.
Historienmaler nur ab und an. Ein unverhohlener Hang zum Frivolen macht ihn berühmt. So fängt er Zeitkolorit ein. Kollidiert aber auch mit der doppelten Moral der Epoche. Die nicht unanstößige Geschichte vom "neuen Modell" erzählt er ganz ohne die bekannte mythologische Verbrämung. Ein junger Maler tritt bei ihm als Freier auf. Die unberührte Leinwand dahinter mag auf andere als künstlerische Interessen deuten. Und während eine Kupplerin schon mal daran geht, die physischen Vorzüge des neuen Mädchens offenzulegen, lupft der Maler lässig mit dem Malstock dessen Rocksaum. Ein noch weiter gehendes Wagestück intimer Zurschaustellung ist das oft variierte "Mädchen mit Hund". Unverschämt spielt da der Maler Fragonard den Unschuldigen – lässt den Akt der Entblößung wie unabsichtlich, wie Zufall aussehn. Nur der wuschelige Spaniel verhindert die vollständige Schau des porzellanenen Körpers.
Mädchen mit Hund
Momente der Selbstvergessenheit
Doch nicht nur mit erotisierenden Einblicken spielt Fragonard souverän. Menschen sind ihm allemal ein Hinschauen wert. Ein waches Mädchen lässt er an den Lippen eines philosophenköpfigen "Zwerges" hängen. Zwei Frauen, die sich austauschen [so steht es wirklich da], beziehen dabei äugelnd und tuschelnd selbst uns mit ein – respektive den Zeichner, an dessen Stelle das Betrachterauge tritt. So kehrt sich der Blick einmal um. Und was der Blick eines Lesenden sagt, von sich und seiner Lektüre, das sollen wir uns dann auch fragen. Nach einer inneren Wirklichkeit fragen. Die Realität der Träumenden sehn. Dem schlummernden Heiligen Josef erscheint bei Fragonard freilich noch immer ein Engel – just an der Stelle, an der später Goya seinem Schläfer die Monstren der Nacht schickt.
Das vertrauliche Gespräch, um 1778
Was den freundlicheren Fragonard fesselt, das sind die Momente der Selbstvergessenheit. Der Selbstauflösung, der seeligen Hingabe. So spielt er in der Motivgeschichte des Kusses eine Rolle. Zu sehen jetzt: eine ins Allegorische ausgreifende Szene von allergrößter Helligkeit. Den Autor diszipliniert sie zur höchsten Feinheit, den Betrachter fordert sie heraus. Aus dem Rauch der Fackel, die der eilig herbeischwebende Amor trägt, lässt Fragonard das umschlungene Paar zart andeutend entstehen. Drum herum skizzieren kräftige Pinselschläge die weitere Welt. In deren Mitte liegt das Paar in einem Sarkophag(!), den weißes gleißendes Licht aufsprengt. So also sieht die unsterbliche Liebe aus.
Der Kuss, um 1775
Die Liebe: Bei Fragonard spielt sie gern in freier Natur. Und wie ihm die Menschen schillernd geraten, zwischen frischer Natürlichkeit und von der Zeit kolorierter, stilisierter Performance – so wird ihm die Natur selbst auch zwittrig. Halb ist sie gebändigte Parknatur. Doch lässt sie ungebändigte Kraft erahnen. Im Gemälde der "Liebesinsel" (um 1770) kippt der Ort des unbeschwerten Wohlseins, der Locus amoenus, in das Bild eines unheimlichen andern. Ins Licht fällt Dunkel ein. Ein blumenreiches Ufer säumt plötzlich ein reißendes Gewässer. Und in den Himmel ragt als gespenstiges graphisches Zickzack das Geäst eines toten Baums. Im tändelnden Spiel der Liebesleute scheint die Natur domestiziert. Und am Ende ist sie es doch, die siegt. Dass Fragonard nicht nur der bezaubernde Rokokomeister ist, dass seine Bilder nicht nur den Duft von Parfüm und Blüten verströmen, damit überrascht die Ausstellung auch.
Die Liebesinsel, 1770
Und mit dem Dramatiker. Dem Graphiker, der die Gesänge des Ariost inszeniert. Dem Leser Fragonard, dem, wie wir sehen, eine Bilderflut vor Augen steht. In den Zeichnungen zum "Orlando furioso" zeigt er Sinn für den bühnenwirksamen Augenblick. Und die Zeichnung ist mit einer Schnelligkeit und Heftigkeit getan, die sie selbst an den Augenblick bindet. Figuren und Szenen in Kürzelform. Die Zeichnung als Wurf.
Staatl. Kunsthalle Karlsruhe. Bis 23. Februar, Dienstag bis Sonntag 10–18 Uhr.
aus Orlando furioso, um 1780
Nota. - Der Berichterstatter hat wegen dieser Ausstellung seine Meinung über Fragonard geändert. Man sollte wegen Fragonard die landläufigen Meinungen über das Rokkoko ändern: graziös, gepudert, parfümiert, geschminkt, geziert - und von frivoler Oberflächlichkeit. Wenn man nachsucht, gibt es eigentlich kaum einen namhaften Maler, der dem Klischee entspricht - außer vielleicht ebenden Boucher, bei dem Fragonard gelernt hat. Aber bevor er zu Boucher kam, war er bei Chardin. Und der ist bei aller milden Ironie ganz ernst, wie ein Ästhetiker eben.
Fragonard als Zeichner loben heißt, ihn als Koloristen und Meister des Helldunkel zurücksetzen. Aber Farbe und Licht sind gerade das, was diesen Bildern ihr überreales Flair gibt, nicht die Linie. Nicht so sehr expressiv ist Fragonard, als vielmehr surreal. Und wenn man lange genug hinschaut, erkennt man darin einen durchgehenden Zug des ganzen Rokkoko.
JE, 7. Dezember 2013
Tivoli, Wasserfall
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