Es führt in die Irre, das Ästhetische durch die Kunst zu definieren, wie es von Hegel bis Gadamer immer wieder versucht wurde. Aber es führt auch in alle möglichen Sackgassen, die Kunst durch das Ästhetische bestimmen zu wollen. Haute Cuisine ist ein Kunst, und doch essen wir nicht um des Geschmacks willen. Na ja, manchmal schon. Aber wenn es sein müsste, würden wir auch dem Geschmack zum Trotz essen.
Ohne Essen hätte unsere Spezies nicht überlebt (und keine andere), ohne Kunst womöglich doch, und wenn an der Kunst gar nichts Ästhetisches wäre, wollte sie keiner haben. Ohne das Ästhetische würde es keine Kunst geben, aber das Ästhetische würde es auch ohne Kunst geben – nur hätten wir es womöglich nicht erkennen gelernt, und für uns wäre es also nicht...
Die Frage, ob das Ästhetische durch die Rolle bestimmt ist, die es in der Lebenspraxis spielt, ist nicht die Frage, welche Stellung die Kunst in der Gesellschaft hat und wie wichtig sie in meinem Leben ist. Das Ästhetische ist geradezu dadurch definiert, dass es keine Rolle in der Lebenspraxis spielt: als dasjenige, was übrigbleibt, wenn man alle nützlichen Dinge und alles Nützlich an den Dingen abgezogen hat (was restlos gar nicht möglich ist, denn wenn es stimmt, dass Grün meine Nerven beruhigt, während Orange sie aufregt, dann kann ich zumindest diese Farben niemals 'rein ästhetisch erleben'). Das Ästhetische ist der bestimmte Gegensatz zum Nützlichen.
Die Kunst steht dazu in einem Verhältnis der Teilhabe, méthexis: "Ein bisschen" stand die Kunst "immer auch" im Gegensatz zum Ökomischen, zur materiellen Produktion, und wenn noch dem praktischsten Utensil eine gute Form gegeben wird, dann wird sie doch als das Uneigentliche daran erkannt; siehe La Fontaines Fabel von dem geschnitzten Bogen.
Das ist ein zaghaftes, tastendes, stets unsicheres Verhältnis; es ist nämlich seinerseits 'nichts als' ein Ausdruck der prekären Stellung des Künstlers gegenüber dem Arbeiter. Originär ist die Kunst dadurch entstanden, dass sich ein gesellschaftlicher Stand von Menschen ausgebildet hat, die ihren Lebensunterhalt dadurch bestritten, dass sie ästhetisch-ausgezeichnete Dinge herstellten, die sie gegen nützliche Dinge eintauschten, die die Andern herstellten – oder gegen ihre allgemeinen Stellvertreter, das Geld. Je wohlhabender die Andern werden, umso weniger müssen die Künstler auf deren profane Bedürfnisse (etwa nach hübschen Illusionen) Rücksicht nehmen – denn umso weiter können jene über dieselben hinausschauen.
Mit der Sackgasse der Abstraktion, mit dem Ende der Avantgarde, mit der Beliebigkeit des Alles-schon-mal-Dagewesenen klingen solche Debatten wie Nachrufe. Mit einbrechender Dämmerung steigt die Eule der Minerva auf uns sieht, was Kunst einmal gewesen ist und welchen Beitrag zur Ästhetisierung der Welt sie einmal geleistet hat.
Samstag, 28. März 2015
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