Sonntag, 21. August 2016

Der Künstler, ein bürgerlicher Held.



Die Geringschätzung, derer sich ein Komponist wie Dvorak heute bei der Musikwissenschaft erfreut, erhellt schlaglichtartig die ästhetische Verlegenheit des bürgerlichen Zeitalters: "belangloser Wohlklang", heißt es; soll heißen: dass er der Musik - nach Brahms - formal, d. h. stilistisch nichts Neues hinzugefügt hat. Denn das ästhetische Interesse der Anspruchsvollen in bürgerlicher Zeit gilt eben dem Sitl: weil das bürgerliche Zeitalter einen gültigen Stil nicht hervorzubringen fähig war, misst es ästhetische Produktionen an ebendiesem Mangel: Was hat er getan, um diese unsere Leere zu füllen?!

Aber wenn Dvorak auch an Form nichts 'hinzugefügt' hat, so hat er doch - in gegebener und seinerzeit noch gar nicht erschöpfter - Form der Musik beachtliches Material hinzugefügt: böhmisch-mährische und indianische Folklore (welch letztere er für "Negergesänge" hielt); dass die volkstümlichen Melodien (und Rhythmen und Harmonien) in die Kunstmusik aufgenommen wurden, war schon nicht mehr originell, aber immer noch aktuell, und ist es noch lange geblieben. Es ist immerhin bemerkenswert: Er hat "gute", d. h. schöne* Musik geschrieben, was ihm keiner bestreitet; aber es soll ihm nicht als Verdienst angerechnet werden. 

Natürlich steht dahinter l'image des "Künstlers" als Außenseiter - Unangepasster, Rebell...; er soll das sein, was der Bourgeois auch gern wäre: ein Abenteurer, der in seinem Ehrgeiz alles wagt;** und er soll auch - zu Lebzeiten wenigstens - scheitern: Ein Unternehmer, der nicht mit den Marktgegebenheiten rechnet, verdient's nicht anders. Und dergestalt eignet sich "der Künstler" - sei's auch nur symbolisch - zum Spekulationsobjekt: Spekulation auf den Nachruhm: zu einer Zeit auf einen Künstler "gesetzt" zu haben - und sei's nur geschmacklich, ohne finanziellen Einsatz -, als "noch keiner ahnte", dass er postum Furore machen würde - das adelt den Bourgeois; als wäre er selber ein bisschen Entreprenuer, auf den ein bisschen Abglanz fällt von Huttens "Ich hab's gewagt!"

Bemerkenswert, dass die Kühnheit im Imaginarium der feudalen Ritterschaft so wenig Platz hat, nämlich Kühnheit hat zu tun mit der Angemessenheit der Zwecke - und der Ritter hat keine Zwecke; er hat einen Stil, und der bringt sein Leben in Gefahr, und dann braucht er Tapferkeit, die entsprechend hochgeschätzt wird, aber das Abwägen von Einsatz und Chancen, das Kalkulieren des Risikos und das Wagen auch bei knappen Chancen - das ist dem Edelmann völlig fremd.

*) und das ist mehr als nur 'dem Publikum gefallend'
**) ein Kapitän.

aus e. Notizheft, 18. 5. 1987


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