Donnerstag, 11. August 2016

Zum 500. Todestag von Hieronymus Bosch.


aus Der Standard, Wien, 9. August 2016                                 Weltgerichts-Tryptichon, Ausschnitt

"'Der Garten der Lüste' musste in Freuds Wien erfunden werden"
Auch 500 Jahre nach seinem Tod begeistern Hieronymus Boschs schaurig-fantasievolle Gemälde. Bosch-Experte Nils Büttner, der heute, Dienstag, in Wien vorträgt, über plausible Monster, ignorierte Quellen und das Unbewusste

INTERVIEW von Anne Katrin Feßler

Wien – Am 9. August 1516, also heute vor 500 Jahren, wurde Jheronimus van Aken, der sich nach seiner Heimatstadt 's-Hertogenbosch Hieronymus Bosch nannte, zu Grabe getragen. Seine berühmtesten Bilder, die skurrile Mischwesen, ungeheuerliche Folterknechte oder die Höllenqualen der Verdammten zeigen, einst wohl als mahnender Beitrag eines Moralisten zur Seelenrettung gedacht, begeistern bis heute. Die große, nun im Prado in Madrid Station machende Bosch-Ausstellung, lockte zum diesjährigen Jubiläum 420.000 Besucher nach 's-Hertogenbosch.

Nicht dabei: das Weltgerichtstriptychon aus der Wiener Gemäldegalerie. Die Darstellung des Jüngsten Gerichts konnte aufgrund des fragilen Zustands der Holztafeln nicht reisen, bietet jetzt aber eine fantastische Kulisse für den Vortrag des Bosch-Experten Nils Büttner.



STANDARD: Was macht Boschs Gemälde auch 500 Jahre nach seinem Tod so faszinierend?

Büttner: Seine unglaublich starken Bilder, in denen sich auch die modernen Menschen wiederfinden können. Er hat eine Phantastik gepflegt, die das Unheimliche aus dem uns Vertrauten bezieht. Mit Blick auf seine Fabelwesen und Monster klingt das skurril, aber Bosch hat die Natur – Insekten, Reptilien, Vögel, Fische, Säugetiere – genau studiert und aus ihren Teilen Monster zusammengebaut, die uns als unglaublich plausibel und "funktionierend" erscheinen. Das Besondere seiner Monster ist, dass sie uns unmittelbar ansprechen und anrühren.

STANDARD: Sind es Ängste, die er unmittelbar im Betrachter anspricht?

Büttner: Ich glaube nicht, dass er auf die Ängste abzielte. Diese Bilder gehen einem nicht wegen ihres theologischen Gehalts, sondern wegen ihres ungemeinen Erfindungsreichtums und ihrer ungeheuren Lebendigkeit unter die Haut. Die Medienauffassung, die Bosch mit seinen Zeitgenossen geteilt hat – und die sozusagen ein Teil der Sinnstiftung des Bildes ausmacht –, ist natürlich verlorengegangen. Eine Generation nach seinem Tod malt Pieter Bruegel der Ältere viele Bilder in der Art des Hieronymus Bosch. Als sein berühmtester Nachfolger trägt er auch den Beinamen "de Drol", also der Lustige. Da konnte man also bereits über diese Bilder schmunzeln.



STANDARD: Was musste Bruegel beachten, um Boschs Bildsprache zu beherrschen?

Büttner: Bruegel hat einzelne Motive kopiert, etwa Die großen Fische fressen die kleinen (1556, Albertina, Wien, Anm.), was ja auch ein Sprachbild ist. Vor allem aber hat er das Prinzip verstanden, nach dem Bosch seine Monster konstruiert. Es sind solche, die funktionieren; man glaubt, dass dieses Gewürm kriecht und diese merkwürdigen Vogelfisch-Monster-Reptilien fliegen oder laufen können. Bosch studiert eine Pflanze, die passenderweise Teufelskralle heißt, und diese Pflanze kombiniert er dann mit Fliegenbeinen und anderem und macht daraus ein Wesen, von dem man sich vorstellen könnte, dass es existiert. Diese Plausibilität haben viele andere Bosch-Nachfolger nicht verstanden und es ins Dekorative abgleiten lassen.

STANDARD: Komik und Unterhaltungswert von Boschs grotesken Diablerien wurden bereits Mitte des 16. Jahrhunderts genossen. Aber haben Zeitgenossen moralische Fingerzeige darin gesehen?

Büttner: Ein Bild wie der Garten der Lüste hing im Palais von Heinrich III. von Nassau in Brüssel, also in einem Schloss, wo Feste gefeiert wurden. Dort fand man etwa auch ein Bett, in dem man 50 betrunkene Gäste unterbringen konnte. Egal wie fromm das Publikum war, das durchaus Boschs Weltsicht, dass die Apokalypse bald kommt, geteilt hat, dort hat es anders auf ein Bild geschaut als in einer Kirche.



STANDARD: Sie sagen, Boschs Werke ließen auf genaueste Kenntnis der geistlichen Literatur jener Zeit schließen. Ein Beispiel?

Büttner: Bosch war Mitglied einer religiösen Bruderschaft, empfing niedere Weihen, war also sozusagen ausgebildeter Kleriker. Er hat vermutlich etliches über das Denken und Schreiben von Dionysius dem Kartäuser, Dionysius van Rijkel (1402–1471, Anm.) genannt, gewusst, der auch in 's-Hertogenbosch gelebt hat. Dieser hat beispielsweise gesagt, dass mit der Schöpfung Gottes auch das Böse in die Welt gekommen sei und dass dieses nicht nur in der Gestalt des Hässlichen, sondern manchmal auch hübsch und schön erscheine. Diese Denkfigur kann man bei Bosch durchaus finden, etwa in den Versuchungen des heiligen Antonius, wo der ja nicht nur von hässlichen schleimigen Monstern versucht wird.

STANDARD: Ist es nicht unwahrscheinlich, dass jemand, der theologische Studien betrieben hat, selbst keine Schriften verfasst hat?

Büttner: Dass die Qualität eines Textes sich darin bemisst, emotional anzurühren, zu erfreuen und zu belehren, fordert die Rhetorik seit der Antike. Sie wird aber seither auch an die Bilder herangetragen. Tatsächlich gehen Bosch und seine Zeitgenossen davon aus, dass ein Bild genauso funktioniert wie ein Text. Bosch ist also sozusagen von der Verpflichtung, auch noch schriftliche Kommentare abzugeben, entbunden.



STANDARD: In Ihrer Bosch-Werkeinführung nimmt die Mitgliedschaft in der religiösen Bruderschaft einen bedeutenden Stellenwert ein. Standen Ihnen für diese Bewertung neue Quellen zur Verfügung?

Büttner: Nein. In der Tat ist es so, dass die vielen vorhandenen Quellen erstaunlicherweise von vielen Menschen, die sich intensiv mit Bosch beschäftigen, schlichtweg ignoriert werden. Ich denke, man muss die Summe aller Quellen anschauen. Historiker Reinhart Koselleck hat einmal gesagt, eine historische Quelle kann einem nie verraten, was man über historische Zusammenhänge sagen kann, aber sie kann einem verraten, was man nicht sagen darf. Wenn man aber Boschs Bilder zur Quelle stilisiert, dann kommt man zu ganz merkwürdigen, schrägen Ergebnissen.

STANDARD: Jene Kunstgeschichtsschreibung, die von Bosch sagte, er habe Drogen genommen, okkulte Praktiken betrieben, sei ein Ketzer gewesen, hat also die Quellen schlichtweg ignoriert? Boschs erster Biograf, Maurice Gossart, nannte ihn ja einen "Teufelsmacher".

Büttner: Genau so ist es. Das Epitheton des "Teufelsmachers" ist ja auch passend. Die Teufel und Dämonen sind sozusagen seine Spezialität und sein Markenzeichen. Aber deshalb war er sicherlich kein Ketzer und auch kein Außenseiter der Gesellschaft. Man weiß über Bosch mehr als über die meisten anderen Maler seiner Zeit – von seiner Mitgliedschaft in der Bruderschaft und wie er seinen Alltag finanzieren konnte. Er war finanziell unabhängig. Das hat sicherlich dazu beigetragen, dass seine Bilder in jener Zeit so ohne jeden Vergleich sind. Er gehörte zum reichsten Prozent der 20.000 Einwohner zählenden Stadt 's Hertogenbosch. Da kann man dann malen, wie man will, und es sich leisten, seine theologischen Vorstellungen in Bilder umzusetzen.

STANDARD: Könnte man die Liebfrauenbruderschaft mit einem Netzwerk vergleichen, das einem gute Kontakte und Aufträge einbringt?


Büttner: Absolut. Das war Networking auf höchstem Niveau. Angehörige des Hauses Habsburg und des burgundischen Hofes, höhere Verwaltungsbeamte, niederländische Fürsten – alle waren Teil dieser Bruderschaft.

STANDARD: Sie sagen, vieles in Boschs Werken führe ins menschliche Unbewusste. Aufs Unbewusste beruft sich auch der Surrealismus. Salvador Dalí allerdings schätzte die Vergleiche der Bosch'schen Erfindungen mit dem Surrealismus nicht, dessen Kreaturen seien vielmehr "Produkt des nebelverhangenen Nordens und der schrecklichen Verdauungsstörungen des Mittelalters". Wie nun?

Büttner: Das hat Dalí nett formuliert. Dass manche Bosch als Vorläufer des Surrealismus deklariert haben, mag mit der Rezeptionsgeschichte seiner Werke zu tun haben. Bald nach seinem Tod ist er relativ vergessen, weil ein begeisterter Sammler, Philipp II., eigentlich alles, was man an großartigen Bosch-Werken kennt, kauft. Diese verschwinden im Escorial und sind einfach nicht mehr sichtbar. Das Wiener Weltgericht gilt lange als Werk von Pieter Brueghel des Jüngeren, dem "Höllenbrueghel". Bosch verschwindet also aus der Wahrnehmung, bis der Kunsthistoriker Carl Justi Ende des 19. Jahrhunderts nach Spanien reist und in den Berichten seiner dortigen Entdeckungen auch auf Bosch zu sprechen kommt. Und dann erscheint 1898 in Hermann Dollmayrs Jahrbuch der kunstgeschichtlichen Sammlungen des allerhöchsten Kaiserhauses in Wien die erste Reproduktion vom Garten der Lüste. Dollmayr veröffentlicht nicht nur die erste Abbildung, sondern er gibt dem Gemälde, das von Bosch und seinen Zeitgenossen nicht so genannt wurde, auch diesen Titel – und zwar justament zu jener Zeit, in der Sigmund Freud an seiner Psychoanalyse bastelt: "Der Garten der Lüste" – dieser Titel musste in Freuds Wien erfunden werden! Die Surrealisten berufen sich auf Freud, der den Garten der Lüste sicher kannte, und die Psychologen tun das ja sowieso. Bosch ist bei C. G. Jung lebendig und auch bei Lacan. Für Lacan ist Bosch der Erfinder des mittelalterlich Monströsen. Wenn Dalí sich auf das Mittelalterliche an Bosch beruft, kann er sich ja auch auf Lacan berufen. Von Bosch zum Surrealismus kommt man auf dem Umweg über die Psychoanalyse.

Nils Büttner (geb. 1967) ist Professor an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart. Sein Forschungsschwerpunkt ist Peter Paul Rubens, aber als Experte für die niederländischen Meister schrieb Büttner 2012 auch eine Einführung in das Werk von Hieronymus Bosch (C. H. Beck Wissen, München).

Das Weltgerichts-Tryptichon

aus Badische Zeitung, 9. 8. 2016

Der 500. Todestag des Malers Hieronymus Bosch
Bis heute geben seine Bilder Rätsel auf. 

von Christa Sigg

Fische fliegen mit weit aufgerissenen Mäulern am Himmel, und wolfsköpfige Drachen kreisen bedrohlich um einen Heiligen im Gebet. In einer Blase umschlingt sich ein selbstvergessenes Liebespaar, während drei Meter weiter eine wohlgenährte Sau mit Nonnenschleier ihrem männlichen Opfer gierig auf den nackten Leib rückt. Sind das nun Schweinereien? Oder malte der Künstler im Drogenrausch? Alles Mögliche hat man Hieronymus Bosch angedichtet, die tollsten Lesarten ziehen sich durch die Geschichte der Kunst. Vor allem aber fasziniert dieses Œuvre bis heute – und ist selbst 500 Jahre nach dem Tod des Meisters voller Rätsel.

aus Garten der Lüste

Das empfanden die Zeitgenossen übrigens kaum anders. Der weit herum gekommene Albrecht Dürer bemerkt anerkennend, dass "dergleichen nie zuvor gesehen noch erdacht ward". Und natürlich spielt er auf Boschs sagenhafte Erfindungsgabe an, seine Mischwesen aus Mensch und Tier, die furchteinflößenden Dämonen und wuselnden Winzlinge, die wie auf einer frühen Insel Liliput in Krügen hausen oder auf einer Erdbeere balancieren. Das ist eine Bilderwelt, deren Proportionen auf den Kopf gestellt sind. Kurioserweise zu einer Zeit, als man die Perspektive endlich im Griff hatte.

Wer war dieser Künstler?

Zu gern würde man wissen, was diesen Künstler angetrieben hat. Ob er ein Sonderling war oder ein vergrübelter Kauz. Leider existieren weder Briefe noch Tagebuchaufzeichnungen. Das macht es auch so schwierig, dieses hochkomplexe Werk zu deuten. Man weiß noch nicht einmal, wann dieser Jeroen van Aken, so der eigentliche Name, genau geboren wurde. Vermutlich um das Jahr 1450. Sicher ist dagegen, dass der Urgroßvater aus Aachen kam – daher van Aken – und dessen Sohn Jan 1426 ins aufstrebende ’s-Hertogenbosch im Norden Brabants gezogen war. Es sind zwar keinerlei Gemälde überliefert, aber seit Generationen hat die Familie ihren Unterhalt mit der Malerei verdient und wohl erfolgreich. Denn man konnte sich direkt am Marktplatz ein Haus leisten.

dito

Doch erst dem hochtalentierten Jüngsten gelang ein deutlicher Sprung nach oben. Als Jeroen 1481 die reiche Bürgerstochter Aleyt Goyaert heiratete, zog er auf die noblere, sonnigere Seite des Platzes. Geldsorgen dürfte er keine gehabt haben. Solche Unabhängigkeiten beflügeln oft genug die Freiheit im Kopf. Manche Forscher suchten hinter Boschs Tafeln voller Nackter sogar eine Art kryptischen Ketzertums. Im Zentrum des berühmten "Gartens der Lüste" (1495–1505) mit seinem sexuell freizügigen Personal wollte etwa der Kunsthistoriker Wilhelm Fraenger noch das Kultbild einer Sekte sehen, die sich in das Dasein vor dem Sündenfall zurücksehnt. Entsprechend sei der Künstler Mitglied eines solchen Geheimbundes gewesen, der ein ausschweifendes Sexualleben pflegte. Dieser unterhaltsame Irrtum geistert bis heute durch die Rezeptionsgeschichte. Nur wird der "orgiastische" Mittelteil des Triptychons von Paradies und Hölle gesäumt. Wo werden wohl die triebgesteuerten Kandidaten am Ende landen?

Beten statt wandern

Ohnehin muss Bosch ein frommer, gottgläubiger Zeitgenosse gewesen sein. Man kann das an seiner Erziehung und dem gesellschaftlichen Umfeld festmachen: Mit einiger Gewissheit hatte der jüngste von drei Söhnen eine von Mönchen geführte Lateinschule besucht und eine fundierte christliche wie humanistische Ausbildung genossen. Im Gegensatz zu Künstlern wie den Cranachs und vor allem Dürer zog es Bosch wahrscheinlich auch nie auf Wanderschaft. Als geschworenes Mitglied der "Bruderschaft Unserer Lieben Frau" ab 1488 hatte Bosch sowieso "Anwesenheitspflicht".


Garten der Lüste. linker Flügel

Dort kam er mit Vertretern aus den höchsten Kreisen der Stadt zusammen, mit Adligen, Patriziern und Gelehrten, die ihm wertvolle Kontakte – etwa zum burgundischen Hof – und Aufträge verschafften. Dieser elitäre religiöse Zirkel stand unter der Obhut der Dominikaner. Man traf sich nicht nur, um Geschäfte einzufädeln und zu netzwerken, sondern in erster Linie zu Gottesdiensten in der mächtigen Sint Jans Kathedrale, wo die Brüder bis heute eine eigene Kapelle besitzen. Der Maler, der seine Bilder seit diesem Aufstieg international verständlich als Hieronymus Bosch signierte, befand sich also in einem äußerst straffen kirchlichen Korsett.

Bosch, der Moralist

Wie passt das aber zu den Nackedeis, die sich in Blütenkelchen räkeln? Und den unkeusch in die Höhe gereckten Hintern, aus denen Blumen sprießen? Das 16. Jahrhundert kannte keine Tabus, und die Künstler hatten um 1500 das ganz normale Leben als Quelle der Inspiration entdeckt. Gerade in der flämischen Malerei geht es zwischen Bauernstuben und Bordellen hart zur Sache. Und Bosch gehörte zu den Pionieren dieser Alltagsbilder. Doch während etwa bei Bruegel der Humor im Vordergrund steht, dominiert bei Bosch die Angst vor der Hölle. Überhaupt ist die zentrale Botschaft eine zutiefst moralische. Boschs innovatives Dauerthema lautete: Der Mensch gerät auf seinem Lebensweg immer wieder in Versuchung und muss sich entscheiden, ist für sein Tun verantwortlich. Im "Garten der Lüste", der zu den Hauptwerken des Madrider Prado zählt, sind es die Verlockungen erotischer Genüsse, die ziemlich fatal enden. Wo doch das Paradies in den freundlich friedlichsten Farben leuchtet – auch wenn die Katze schon die Maus im Maul hat und der Vogel den Frosch.

Auf dem "Narrenschiff" (um 1500/10) im Pariser Louvre verlieren alle das Maß, sei es beim Zechen, Völlen oder beim Liebesspiel, und sind "nur drei Finger Breit vom Tod entfernt". So schreibt es Sebastian Brant im Vorwort seiner "Stultifera Navis", der lateinischen Version seines "Narrenschyffs" von 1497. Und beim goldglänzenden "Heuwagen" (1510–16) geht es schließlich um die Habgier, der alle verfallen. Vom Tross mit Papst und Kaiser und noblem Gefolge bis zu den kleinen Leuten, die einander für ein Büschel Heu zur Not auch abmurksen, ziehen alle wie in einer Prozession dem Inferno zu.

Der Heuwagen

Und das ist grausig. Da stechen spitze Schnäbel in Achselhöhlen, während die Arme dieses Höllenopfers abgetrennt werden. Kahle Äste bohren sich – 200 Jahre vor Goyas "Desastres" – durch nackte Leiber, und an einem blutüberströmten Ritter schlingen gleich acht Hundsdrachen. Es gibt kein Entkommen. Und man könnte Bosch, der unberührt von den Zentren Gent, Brügge oder Antwerpen seiner kuriosen Kunst nachging, leicht für einen ängstlichen, depressiven Geist halten.

Bilder für ein gelehrtes Publikum

Er hat sicher in seinem eigenen Kosmos gebrütet. Aber mit einer unfassbaren Fantasie und einer schier endlosen Lust am Experimentieren. Und man darf nicht vergessen, dass das Resultat keine Kunst für die Masse war. In einer Zeit wackelnder Weltbilder und Glaubenswahrheiten richtete sich Bosch an ein gelehrtes Publikum, das er verblüffen und zugleich auf einer sehr persönlichen Ebene ansprechen wollte. Interessanterweise hat der Burgunderherzog Philipp der Schöne mit dem "Heuwagen" und dem "Garten der Lüste" die innovativsten und delikatesten Arbeiten Boschs in Auftrag gegeben. Nicht zuletzt, um ein höfisches Publikum zu beeindrucken, das schon alles gesehen hat. Und später sollte der erzkatholische König Philipp II. zu den tiefen Bewunderern El Boscos gehören, wie man ihn in Spanien nennt.

Der "Teufelsmaler"

Dass so einer exzessiv kopiert wurde, braucht nicht zu überraschen. Und es waren besonders die Dämonen, die saftigen und frivolen Szenen, die Bosch den Ruf des "Teufelsmalers" einbrachten. Dabei gibt es genauso die Heiligen, die standhaft bleiben. Der Christophorus, der das Jesuskind auf den Schultern trägt, ein jugendlich zarter Johannes auf Patmos mit visionärem Blick zur Mutter Gottes – oder der erst vor ein paar Monaten Bosch zugeschriebene Antonius aus dem Nelson-Atkins-Museum in Kansas, der unbeirrt von den kleinen Monstern um ihn herum seinen Weg geht. Und die Heilige Wilgefortis, die lieber den Märtyrertod am Kreuz stirbt als einen heidnischen Prinzen zu heiraten. Der Legende nach wächst der Schönen ein Bart – ein frühes Mysterium, das die Leute mindestens so irritiert haben muss wie Conchita Wurst beim Song-Contest in Kopenhagen.

Wer sich ein bisschen eingesehen hat, entdeckt immer mehr. Wobei dieser Bosch nicht nur Heil und Hölle vor Augen führt, er macht vor allem auch höllisches Vergnügen. Aufregender hat keiner je Moral gepredigt. Bis zum vermutlich bitteren Ende. Bosch dürfte einer Seuche zum Opfer gefallen sein. Der Pleuritis oder der Pest. Sicher ist allerdings, dass er im Sommer 1516 starb, denn am 9. August haben ihm die Liebfrauenbrüder ein prächtiges Requiem ausgerichtet. So steht es jedenfalls in den Rechnungsbüchern. 
  Der Garten der Lüste

Buch: Die aktuellen Ergebnisse eines langjährigen internationalen Forschungsprojekts sind in diesem spannend zu lesenden Band zusammengefasst: Matthis Ilsink, Jos Koldeweij, Ron Spronk (Herausgeber u.a): Hieronymus Bosch – Maler und Zeichner. Belser Verlag, Stuttgart 2017.
594 Seiten, 500 Abbildungen, 128 Euro.

Ausstellung: "Hieronymus Bosch – Visionen eines Genies": Die größte Bosch-Ausstellung aller Zeiten ist nach der ersten Station in ’s-Hertogenbosch (BZ, 16. Februar) noch bis 11. September im Prado in Madrid zu sehen. Katalog auf Deutsch: Belser Verlag, Stuttgart 2016. 192 Seiten, 140 Farbillustrationen, 24,95 Euro.  

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