Mittwoch, 3. August 2016

Kitsch: Jeff Koons' "Now" in London.

aus nzz.ch, 3.8.2016, 05:30 Uhr                                                                    «Titi» (2004–2009) aus spiegelblank poliertem Stahl

Der grösste lebende Zeremonienmeister
Wie kein anderer Künstler versteht sich Jeff Koons auf die Mechanismen des Marktes. Sein Kunstschaffen hat er vollständig seinen Gesetzen unterworfen. 

von László F. Földényi

«Jetzt» – mit diesem Titel eröffnete im Mai die neueste Ausstellung von Jeff Koons in London. Der Schauplatz ist die Newport Street Gallery, die Damien Hirst für die Dauerausstellung seiner Sammlung erbauen liess. Hirst trifft auf Koons. Und Koons auf Hirst. Und die Ausstellung gleicht einer Art Celebrity Show, wo es weniger auf die ausgestellten Werke als auf die blosse Tatsache der Ausstellung ankommt. Auf die Repräsentation. Deren grösster heute lebender Zeremonienmeister zweifellos Jeff Koons ist. ...


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Jochen Ebmeier


«Three Ball Total Equilibrium Tank», 1985. (Bild: Jeff Koons)


«Bowl with Eggs (Pink)», 1994–2009. (Bild: Jeff Koons)




«New Hoover Convertible», 1980. (Bild: Jeff Koons)


«Jim Beam – J.B. Turner Engine», 1986. (Bild: Jeff Koons)




«Balloon Dog», 1994–2000. (Bild: Jeff Koons)


László F. Földényi ist Kunsttheoretiker, Literaturwissenschafter und Essayist. Er lehrt an der Theater- und Filmakademie in Budapest. – Aus dem Ungarischen von Akos Doma.


Nota. - Sehen Sie sich das Video an: Das Wort, das am häufigsten fällt, ist die schöne deutsche Vokabel the kitsch, die so zu Weltgeltung gelangt. 

Hört ein Stück Kitsch auf, eines zu sein, weil sich einer danebenstellt und mit dem Auge zwinkert? Nein, es macht nur dem Gebildeten den Gefallen daran weniger peinlich - womit er als Käufer in Frage kommt. "Ich seh' selber, dass das kitschig ist; aber es ist doch schön!" - das ist gar nicht naiv. Kinder sagen das nicht, denn sie wissen gar nicht, was Kitsch bedeutet, und finden's einfach schön; auch wenn's lediglich sehr gut gemacht ist.

Sehr gut gemacht sind die Sachen von Koons fast alle. Schön ist gar nichts, das meiste ist scheußlich, ein paar Stücke sind gar nicht mal schlecht. Die Frage ist gar nicht, ob das Kunst ist. Kunst ist, was Künstler machen, und ein Künstler ist Koons ohne Zweifel, aber das ist ein Sozialtyp und ein Lebensstil, über Qualitäten sagt es gar nichts. Die Qualität, die das Publikum - nicht unbedingt der Sammler - von einem Kunstwerk erwartet, ist eine ästhetische

Ästhetisch ist ein Phänomen auch dann (schon), wenn es den Geschmack des Betrachters auf die Probe stellt. Damit meine ich aber, dass es seine bisherigen Maßstäbe ins Wanken bringt; dass es ihm also "die Augen öffnet", und nicht, dass er's fast schon nicht mehr aushält. Wenn also einer zum ersten Mal ein abstraktes Gemälde sieht und zu seiner Überraschung was dran findet, obwohl er nichts darauf erkennen kann. Um eine mäßige Erwartung zu übertreffen, braucht es kein starkes Werk, ein mäßiges kann ausreichen. 

Und wer schon immer einen Kitschgeschmack hatte, der wird bei manchem Ballonhund von Jeff Koons die Stirn runzeln, und der Künstler wird rufen: "Seht ihr's?!" Es gibt Gegenden der Welt, da ist der Kitschgeschmack weiter verbreitet als in anderen, wo er Anstoß erregt; das hat mit dem Alter und der Qualität ihrer Kulturen zu tun. Und ein Geschmack, der seiner allzu sicher ist, ist in Wahrheit gar keiner, sondern nur Konvention. Darum kann ein Stück fettesten Kitsches in einem wahren Meisterwerk auch seine Berechtigung haben. 

Ich habe ein ganzes Buch geschrieben über den größten Künstler unseres Zeitalters und größten Showman aller Zeiten (dem auch Jeff Koons eines seiner berühmtesten Werke gewidmet hat), der hat davon reichlich Gebrauch gemacht. Der hatte wegen seiner Herkunft auch einen konventionell wenig anspruchsvollen Geschmack, aber wenn das ästhetische Genie aus- reicht, ist das wie der Pfeffer auf der Auster. Doch bei Koons konnte ich so etwas noch nicht finden.
JE

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