Freitag, 31. Januar 2014

Individualität; oder: Was verbindet das Porträt mit der Landschaftsmalerei?


Mein gestriger Eintrag sollte als Einleitung dienen zu dem - schwant mir - weitläufigen Thema Was hat die Landschaftsmalerei mit der Porträtkunst gemein.



Ich habe darzustellen versucht, wie durch die Landschaftsdarstellung die Malerei dazu kam, das 'Bedeutende', das 'Thema', die 'Aussage', das allgemein Gültige nach und nach aus ihrer Kunst auszuscheiden und das einmalig Gegebene 'als es selbst' wiederzugeben, ohne auf irgend ein Anderes, Vergleichbares zu schauen und den Vergleich zum heimlichen, nämlich eigentlichen Inhalt des Bildes zu machen. 



Zu diesem Ergebnis gelangt, denke ich verblüfft daran, dass das Porträt von vornherein immer nur das Einmalige, Nicht-Vergleichbare des abgebildeten Individuums zum Gegenstand hatte. Und ich erinnerte mich, dass mir schon früher aufgefallen war: In Sachen Porträt war die Kunst diesseits der Alpen nie 'im Rückstand' gewesen hinter Italien, sondern ging vielmehr voran, so dass italienische Künstler mir gutem Grund nach Norden schauten. Sie schauten, als mit dem Geist der Renaissance - und des Nominalismus - das einzel-Unvergleichliche (als das 'Natürliche') erst neben, dann vor den allgemeingültigen Sätzen zum Merkmal des Wirklichen geworden war.



Da konnte die nordische Bildkunst sagen Ick bün all do.

Stammt also die Renaissance vielleicht doch nicht aus Italien?








Donnerstag, 30. Januar 2014

Kunst und das Einmalige.

Honoré Daumier, Conseils à un jeune artiste

Musik sei nicht zu unbestimmt, um in Worte gefasst zu werden, hat Felix Mendelssohn gesagt, sondern zu bestimmt. 

Heute würden wir sagen: Das Musikstück – und jedes Kunststück – ist überbestimmt. So sehr bestimmt, dass es durch allgemein-geltende Zeichen eben nicht sicher erfasst und vollkommen re-präsentiert werden kann. Das Kunststück ist singulär. De singularibus non est scientia - Von einem Einzigen gibt es kein Wissen, sagten die Scholastiker. Das, was ganz allein auf der Welt so ist, wie es ist, das kann durch kein Anderes – Bekanntes – auf der Welt beschrieben werden. Es ist lediglich quale; schon quid wäre zu viel gesagt, weil das an ein Verhältnis zu Anderem glauben lässt.

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Das ist eine erkenntnislogische Sache. Was hat das mit Kunst zu tun? Dies, dass Kunst als solche keine Erkenntnis ist. Als solche, das heißt: sofern sie um ihrer selbst und nicht um eines ihr äußeren Zweckes willen besteht. Das ist aber bei den Werken und sogar den einzelnen künstlerischen Gattungen ganz verschieden. Selbst die Musik, die nur hörbar ist, solange sie erklingt, hat man ein 'Programm' verkünden lassen. Es stört aber meistens, und man tut der Musik und sich einen Gefallen, wenn man es übersieht. 

Nicht übersehen lässt sich das Programm, das Thema, die Absicht in den bildenen Künsten. Das Bild als Zeichnung kann ganz unbemerkt zum Zeichen werden für etwas, das nicht es selber ist. Wenn der Betrachter es so nimmt, tut er der Kunst kein Unrecht, das gehört zu ihren Unwägbarkeiten, aber vielleicht dem Künstler, der es nicht so gemeint hat, und sich selber, den der damit von der ästhetischen Qualität des Werks ablenkt. 

Und wenn der Künstler selber es so gemeint hat? 

Die Verbindung von Zeichnung und Zeichen ist nicht bloß ein Wortspiel. Die Zeichnung ist am Bild das, was am deutlichsten zeigt, was gemeint ist. Der Umriss der Dinge und Figuren, ihre Binnenlinien sind dasjenige, war das Gezeigte im Raum situiert. Die Zeit steht im Bild zwar still, aber dennoch kann das Bild eine Geschichte erzählen, indem es nämlich eine Szene daraus darstellt. 

Raum und Zeit sind nun die beiden Merkmale des Wirklichen, mit und in dem wir leben und unsere Interessen haben. Das Wirkliche, das, was uns interresiert, ließe sich auch in Worte fassen, die das spezifische Medium der scientia sind. Was immer sich in Worte fassen ließ, war mit Anderm zu vergleichen und positiv oder negativ oder sonstwie in Beziehung zu setzen. Es war dann kein Einzelnes, sondern etwas, an dem ich Interesse haben und von dem ich wissen kann. 

Darf der Künstler es dann in ästhetische Gewänder kleiden und womöglich unerkannt dem Betrachter in die Sinne schmuggeln? Das kann er machen, wenn er sich nicht dabei geniert. Aber die Betrachter - es gibt eben doch einen Fortschritt in der Kunst - haben es im Laufe der Jahrhunderte immer weniger zu schätzen gewusst und teils als Agitprop, teils als Kitsch und teils als Agitpropkitsch verschmäht.

Donnerstag, 23. Januar 2014

Nachtrag zu Aivazovski.

Dieses hier fällt ein bisschen aus dem Rahmen, mehr thematisch als stilistisch: Byron in Venedig.


Mittwoch, 22. Januar 2014

Was man den Künstlern ablernen soll.


Cézanne
 
299. Was man den Künstlern ablernen soll.— Welche Mittel haben wir, uns die Dinge schön, anziehend, begehrenswerth zu machen, wenn sie es nicht sind?—und ich meine, sie sind es an sich niemals! Hier haben wir von den Aerzten Etwas zu lernen, wenn sie zum Beispiel das Bittere verdünnen oder Wein und Zucker in den Mischkrug thun; aber noch mehr von den Künstlern, welche eigentlich fortwährend darauf aus sind, solche Erfindungen und Kunststücke zu machen. Sich von den Dingen entfernen, bis man Vieles von ihnen nicht mehr sieht und Vieles hinzusehen muss, um sie noch zu sehen—oder die Dinge um die Ecke und wie in einem Ausschnitte sehen—oder sie so stellen, dass sie sich theilweise verstellen und nur perspectivische Durchblicke gestatten—oder sie durch gefärbtes Glas oder im Lichte der Abendröthe anschauen—oder ihnen eine Oberfläche und Haut geben, welche keine volle Transparenz hat: das Alles sollen wir den Künstlern ablernen und im Uebrigen weiser sein, als sie. Denn bei ihnen hört gewöhnlich diese ihre feine Kraft auf, wo die Kunst aufhört und das Leben beginnt; wir aber wollen die Dichter unseres Lebens sein, und im Kleinsten und Alltäglichsten zuerst.

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Friedrich Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft 

Samstag, 18. Januar 2014

Feste Burgen im Dritten Reich.

aus NZZ. 15. 1. 2014                                                                                        Albert Boßlet, Abtei Münsterschwarzach, 1935-38
 
Mit Gotteshäusern geistig Krieg führen
Die dunkle Zeit des Nationalsozialismus war dem Kirchenbau weit bekömmlicher als gemeinhin gedacht
 

von Joachim Güntner 

Das passt schlecht zum Bild christlichen Leidens unter dem braunen Ungeist: Zwischen 1933 und 1944 entstanden in Nazideutschland über tausend kirchliche Neu- und Umbauten - oft im Einklang und mit Zuschüssen des Regimes.

Wie nur konnte die Ansicht entstehen, im nationalsozialistischen Deutschland sei, bedrängt von der braunen «neuheidnischen» Obrigkeit, der Bau von Kirchen zum Erliegen gekommen? Ein populärer Irrglaube ist das. Zwischen 1933 und 1944 erbaute die katholische Kirche über 390 Gotteshäuser, im evangelischen Bereich lassen sich mindestens 210 Neubauten nachweisen. Von Defensive keine Spur, sogar monumentale Kirchen griffen mit stolzer Gebärde Platz. Dazu kam eine Vielzahl von An- und Umbauten, bei denen ganze Seitenschiffe, Türme oder Westwerke neu errichtet wurden. Überdies entstanden Gemeindehäuser, viele davon in jenem «Heimatschutz-Stil», der ihnen wie auch den kleinen Kirchen in städtischer Randlage ein dörfliches Gepräge geben und von Bodenständigkeit künden sollte.

Die Kirche von Pahlen in Dithmarschen ist eines der wenigen Beispiel für 'Heimatschutzarchitektur' im Kirchenbau

Heroische Neo-Romanik

Die nationalsozialistische Bauästhetik propagierte für Sakralbauten mittelalterliche Vorbilder, ihr Favorit war die Romanik. Wohlgelitten waren zudem Neoklassizismus und Neobarock, rundweg ausgeschlossen blieben der Expressionismus sowie Anleihen bei der Gotik. Zu «undeutsch»!
 
Albert Boßlet,  St. Ludwig Frankenthal
Funktionale Sachlichkeit war als technizistisch verpönt, moderne Baustoffe wie Beton und Stahl traten den Rückzug an. Bruchstein, Backstein, Schiefer erhielten den Vorzug. «Avantgardistische Sakralbauten wurden in der NS-Zeit mit Ausnahme bereits vor 1933 begonnener Bauten nicht mehr errichtet», schreiben Beate Rossié, Stefanie Endlich und Monica Geyler-von Bernus in ihrer jüngsten Wanderausstellung «. . . aus dem Geist unserer Zeit», wobei sie es nicht versäumen, mit Otto Bartnings moderner Gustav-Adolf-Kirche in Berlin eine der Ausnahmen zu präsentieren. 
Otto Bartning, Gustav-Adolf-Kirche in Berlin-Siemensstadt
Architekten, die schon in der Weimarer Republik mit Kirchenbauten Prominenz erworben hatten, mischten unter den neuen Machtverhältnissen kräftig mit. Ehemalige Exponenten des Neuen Bauens wie Dominikus Böhm passten sich der Romanik-Verehrung an; Traditionalisten wie Albert Bosslet oder German Bestelmeyer, der 1935 zum Reichskultursenator aufstieg, bekamen Oberwasser.
Dominikus Böhm,  St. Josef in Lingen-Laxten

Zur architektonischen gesellte sich die ikonografische Umprogrammierung. Neugotische Gestaltungsmittel, als artfremd und kitschig gebrandmarkt, durften nicht mehr Teil deutscher Tradition sein. Also flog die Neugotik hinaus aus den kirchlichen Innenräumen, und eine kargere und zugleich heroisierende Formen- und Bildsprache zog ein. Die Kunsthistorikerin Rossié hat wiederholt auf krasse Fälle hingewiesen, wo die nationalsozialistische Weltanschauung und Politik ganz unmittelbar im kirchlichen Raum Präsenz markierte. Das reicht von antisemitischen Kirchenfenstern und Friesen, auf denen ein «germanischer» blondgelockter Jesus von hakennasigen jüdischen Schriftgelehrten oder Schächern mit übler Visage umgeben ist, bis zur Beschwörung einer heldenhaften Wehrmacht oder dem Kotau vor dem «Führer». Die völkische Demagogie drang zumal dort, wo sie auf Beistand von Klerikalfaschisten rechnen konnte, ungeniert in die Gotteshäuser ein.

 Curt Steinberg, Martin-Luther-Gedächtniskirche in Berlin-Mariendorf
Nachdrücklich ist das Exempel, das die Martin-Luther-Gedächtniskirche in Berlin-Mariendorf gibt. Während die pfeilerartige Gliederung von Turm und Fassade zwar ein Pathos von Kantigkeit und Strenge verströmt, die äussere Hülle des Baus jedoch nicht einfach als NS-Ästhetik lesbar ist, unterwirft sich das Innere dieser 1935 vollendeten Kirche vollständig einem nationalsozialistischen Bildprogramm. Den Vorraum hatte man als Ehrenhalle für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs gestaltet; Reichspräsident Hindenburg und Reichskanzler Hitler waren in
Porträts gegenwärtig. Hitler musste nach 1945 einem Luther-Bildnis weichen, desgleichen entfernte man auf einem Triumphbogen die nun peinlich gewordenen NS-Symbole wie das Hakenkreuz im Strahlenkranz, das NS-Hoheitszeichen und das Zeichen der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt. Noch immer aber kann man auf dem Relief der Kanzel einen der Predigt lauschenden SA-Mann sehen, noch immer lässt der athletische Christus am Kreuz seine Muskeln spielen, und auf dem Sockel des Taufsteines flankieren eine «deutsche Mutter» und ein SA-Mann die Figur des Christus. Aufgrund dieser Ballung von erhalten gebliebenen Werken sakraler Kunst im Griff der NS-Ideologie steht die Kirche seit 1995 unter Denkmalschutz.

Martin-Luther-Gedächtniskirche in Berlin-Mariendorf 
Die Bevorzugung romanischer Bauformen für kirchliche Neubauten ging einher mit weltanschaulicher Aufladung, etwa der rassistischen Interpretation der Romanik als Ausdruck der «hervorragenden Eigenschaften der nordischen Rasse». In diesem Sinne schuf ein Schüler Bestelmeyers, der junge, bis dato unbekannte Architekt Gottfried Dauner, die Reformations-Gedächtniskirche in Nürnberg. Mit seinem Entwurf gewann Dauner einen von Nürnbergs nationalsozialistischem Oberbürgermeister 1933 initiierten Wettbewerb. Der karge Rundbogen-Stil, die zwölfeckige Grundform, ihre Massivität und ihre drei Türme geben der 1938 vollendeten Kirche Bollwerk-Charakter - fürwahr ein «Symbol geistiger Kriegführung» (Holger Brülls).

Gottfried Dauner, Reformations-Gedächtniskirche in Nürnberg.
Der Wettbewerb wünschte die geplante Kirche «als sinnfälligen Ausdruck des neuen Reiches und der neuen Zeit auch innerhalb der evangelischen Kirche unter der Herrschaft des Reichskanzlers Adolf Hitler», und der siegreiche Architekt liess sich mit den Worten vernehmen, der Bau solle «zu einem wuchtigen, trutzigen Gedächtnismal der Reformation und gleichzeitig Ausdruck unserer heutigen, herben, kämpferisch-heldischen Zeit» werden. - Das Fazit macht staunen: Die Bautätigkeit der beiden Grosskirchen war zwar geringer als die des NS-Staats, aber grösser als die der Industrie. Und das in einer Zeit, da Deutschland zum Krieg rüstete und Krieg führte. Bis zum Inkrafttreten des Vierjahresplans 1937 zum Zweck der Kriegsvorbereitung stieg die Zahl der christlichen Gotteshäuser kontinuierlich an. Selbst danach fanden sich Wege, angefangene Projekte fortzuführen. Wer gross baut, hat auch das Geld und den Spielraum dafür. Die gern beschworenen christlichen Opponenten des NS-Regimes dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich bloss um eine schwache Minderheit handelte.
German Bestelmeyer, Gustav-Adolf-Gedächtniskirche, Nürnberg, 1930

Fürbitten für den «Führer»

Sicher, es gab dies alles: auf evangelischer Seite den Kirchenkampf zwischen den «Deutschen Christen» aus der NSDAP-Anhängerschaft und ihren auf Bekenntnisfreiheit bestehenden Gegnern um Dietrich Bonhoeffer, Martin Niemöller und Karl Barth; auf katholischer Seite den Jesuitenpater Alfred Depp, der am 20. Juli 1944 sein Leben opferte, oder Bischof Clemens von Galen, der mutig die Euthanasie-Aktionen und Morde des NS-Regimes an geistig Kranken anprangerte. Es gab Predigtverbote und Hunderte von Geistlichen beider Bekenntnisse in Konzentrationslagern. Den systemfreundlichen Grundton aber bestimmten Pfarrer, welche die Waffen der Wehrmacht segneten, und Gottesdienste mit Fürbitten für Adolf Hitler. Man betete zu Ostern «Sei mit dem Führer unseres Volkes und aller Obrigkeit» und sang auf die Melodie alter christlicher Choräle den neuen unchristlichen Text: «Den Führer schütze deine Macht / Er, der für unsre Wohlfahrt wacht, ist uns von dir gegeben.» Dass sich trotz diesem Hintergrund der Irrglaube verbreiten konnte, das «Dritte Reich» habe den Kirchenbau abgewürgt, zeigt nur: Dies Kapitel Zeitgeschichte harrt noch immer einer gründlichen Aufklärung.

 Dominikus Böhm, Heilig Kreuz Kirche Dülmen 1938-39
 
 
 
Nota. 
 
Das Verhältnis der beiden Kirchen zum nationalsozialistischen Regime ist ein politisches Problem. Das behandle ich auf diesem Blog nicht. Aber ich will etwas zum Stilistischen sagen.
 
Man sollte nicht meinen, allein weil ein Gebäude während der nationalsozialistischen Herrschaft entstanden ist, handle es sich um faschistische oder Nazi-Architektur. Die Architekten haben zu aller Zeit den Zeitumständen Rechnung getragen, und dass der Geschmack der Einen unter einem neuen Regime mehr Zuspruch findet als unter den vorangegangenen, als noch die Andern den Ton angaben, das war immer so und wird wohl so bleiben.
 
 
Die Architektur von Albert Speer war etwas anderes. Sie sollte den Wahn, dem sie entsprang, hoheitlich manifestieren. Dass sie Hitlers Spießergeschmack entsprach, kam erschwerend hinzu. Mussolini war ein Fanatiker der Technik, er liebte es futuristisch, und neben den faschistischen Protz- und Pomp-Gemäuern entstanden unter seiner Herrschaft eine ganze Reihe bemerkenswert modernen Bauwerke. 
 
Der italienische Faschismus stellte sich geradezu als die Speerspitze des Fortschritts dar, und Maschinen- und Technikult war auch den Nazis nicht fremd.
 
Mit Kirchenbauten ist es aber was Besonderes. Die protestantischen sind eigentlich nur Gemeindehäuser, aber sollen doch Stätten der Andacht sein; die katholischen sind sogar geweihte Gottesburgen. Ob die damalige Avantgarde-Architektur - Expressionismu und Neue Sachlichkeit - auf die Dauer der beherrschende Stil im Kirchenbau bleiben konnte, war auch ohne Nationalsozialismus zweifelhaft. 
 
Und andererseits war die Neigung der beiden katholischen Architekten Bestelmeyer und Boßlet für Romanik nicht einfach antimodern. Es war ja nicht die abscheuliche "Neoromanik" des Kaiserreichs:
 Die Berliner Gedächtniskirche im Urzustand
 
Vielmehr sind die klare Linienführung und der Sinn für Proportionen und Volumina durchaus moderne ästhetische Parameter, und fast muss man sich wundern, dass die allem Irrationalen und Okkulten zugetanen Nazis nicht viel eher eine schwülstige und formlose Neugotik vorgezogen haben.
 
Christkönigkirche, Titisee, 1935-3z
 
Ich glaube, man sollte eher sagen: Das Verschanzen hinter der Romanik war die Rückzuglinie,  hinter der die moderne Architektur selbst unterm Nationalsozialismus überlebt hat. Diesen romanischen Innenraum hat Dominikus Böhm nach dem Krieg in Augsburg gestaltet:
 
Dominikus Böhm, Augsburg, Moritzkirche 
 
St. Heinrich von Michael Kurz in Bamberg entstand dagegen schon 1929: 
 
 JE

Freitag, 17. Januar 2014

Dürer im Städel, II.

aus NZZ, 15. 1. 2014                                                                 Marienleben, Verlobung Mariens, Holzschnitt, altkoloriert

Melancholie und Selbstgewissheit
Der fordernde Blick - Eine Ausstellung im Frankfurter Städel-Museum zeigt Albrecht Dürer im Kontext der Vorgänger und Zeitgenossen

von Andrea Gnam 

Das Frankfurter Städel-Museum zeigt die Entwicklung, Vielfalt und Besonderheit von Albrecht Dürers Werk im permanenten Zwiegespräch mit Bildschaffen und Weltverständnis seiner Zeitgenossen und Vorgänger.

Mit der Fülle von Dürers druckgrafischen Blättern und Zeichnungen konfrontiert, mag es einem zunächst ein wenig ergehen wie einem kulturbeflissenen Atheisten in einer romanischen Kirche: Man sucht nach steinernen Dämonen und anderen Mischwesen, die sich zuverlässig in den Ecken und Nischen des Gebäudes niedergelassen haben. Bei Dürer sind die visuellen Anker eher sanfterer Natur und erscheinen in einer Zeit des Umbruchs wie stehen gebliebene Wegweiser ins Jenseits: Am unteren Bildrand finden sich kleine Pflanzen, Steine, das Monogramm, während, je weiter das Auge nach oben wandert, das Geschehen auch einmal apokalyptisch werden kann. Hin und wieder gibt es altdeutsche Reminiszenzen: eine Burg, ein Dorf, einen Turm.

 Büßender Hl. Hieronymus, um 1496,

Zeit des Umbruchs

Das Eingangsbild der Frankfurter Ausstellung (kuratiert von Jochen Sander) zeigt nicht den lockenköpfigen jungen Dürer, der sich so gerne auf seinen Bildern in verschiedenen Figuren festhielt, oder die Dame, die einmal auf dem deutschen Zwanzigmarkschein die Marktteilnehmer grazil durch das finanzielle Leben zu leiten wusste, sondern eine spätmittelalterliche Marterszene aus der Nürnberger Werkstatt von Hans Pleydenwurff, sechs Jahre vor
Dürers Geburt im Jahr 1471 datiert. Eine grausige Tat - ein andersgläubiger König enthauptet seine mariengleiche, christliche Tochter mit einem Schwert - ist mit grosser Innigkeit und vor ausgebreiteter Weltenlandschaft ins Bild gesetzt. Erdbeeren, Maiglöckchen, Akelei am Bildrand, allesamt Marien-Symbole, sind mit bezaubernder, an altniederländischer Kunst geschulter Akribie erfasst. Das Tafelbild steht trotz der noch dem alten Sehen verhafteten Landschaftsdarstellung am Anfang und führt vor Augen, was Dürer übernommen hat - das genaue Hinschauen auf die Eigenart von Pflanzen, Blumen, Tieren - und wovon er sich lösen musste, um in die Welt der Renaissance einzutauchen. Die geistige Umbruchsituation im 15. Jahrhundert ist immens und geht Hand in Hand mit technischen Neuerungen, wie dem nur einige Jahrzehnte vor Dürers Geburt ins Leben gerufenen Buchdruck 
oder Einblattholzschnitt und Kupferstich, die innerhalb kurzer Zeit eine Art Medienrevolution in Gang setzten. Hinzu kommen Zentralperspektive und Proportionslehre in Italien, Luthers reformatorische Bestrebungen in Deutschland. Auf der anderen Seite ist das körperliche Elend geblieben: Pest und weitere Geisseln halten Endlichkeit und Tod nach wie vor präsent.

Dämon im Barthaar

Solchermassen eingestimmt, gilt es inmitten der ausgebreiteten Querverweise und Bildvergleiche die Besonderheit des Dürerschen Werks zu erkunden, der innige Marienbildnisse, aber als junger Mann auch ohne jede religiöse Kontextualisierung vier nackte Frauen in Kupfer sticht (1497), frontal und a tergo, so präsent und nur wenig idealisiert in ihrer Körperlichkeit, dass sie als Hexen eingestuft wurden, zumal auch ein Teufelsdämon in der Ecke lauert. Ausgeprägte Körperlichkeit, ehe er nur wenige Jahre später mittels Zirkels und Richtscheits ans Idealisieren und Auffinden idealer Proportionen für Körper, Bauwerke und Schrift geht, zeigen auch Badehausszenen und eine herrliche Nemesis (1501), die hocherhobenen Hauptes mit Zaumzeug und Pokal in Händen auf einer Kugel über einer altdeutschen Landschaft schreitend balanciert, als könnte das gar nicht anders sein.

Nemesis
Dürer griff auf, was ihm die künstlerische, intellektuelle und merkantile Situation seiner Zeit zu bieten hatte, verfeinerte und transformierte kühn ältere Bildformen in Neues, so, dass man sie aufs Feinste nachschwingen zu sehen glaubt. Besonders schön zeigt dies eine frei aufgefasste Feder-Zeichnung eines Männerkopfes (1505), bei der man meint, die Dämonen, die den physiognomisch ähnlichen «Antonius» von Martin Schongauer (1470-1475) peinigen, in die bewegten, aus welligen Schraffuren und Kringeln aufgebauten Formationen des Barthaares hinübergezogen zu finden. Ein Blick auf die grösstenteils gut erhaltenen Blätter aus der Entstehungszeit ermöglicht eine Seherfahrung, die durch Abbildungen so nicht einzuholen ist.

Studie zum Heller-Altar, 1508

Bei sehr detailreichen, durchgehend bespielten Ansichten im druckgrafischen Werk glaubt man indes, bei langem und genauem Hinsehen, ein Hin-und-Her-Springen zwischen Komposition und Zeile-für-Zeile-Lektüre des Bildes zu entdecken. Letzteres ist fast notwendig, um die Fülle des auf einem Bild Gezeigten zu bewältigen, so beispielsweise in den 15 Holzschnitten zur «Apokalypse», die den Grundstock für Dürers kommerziellen Erfolg legten. Dieses vexierbildhafte Hin-und-Her-Springen mag angesichts des apokalyptischen Treibens mit Schwertern und Lanzen und der Technik des Holzschnitts nicht unpassend sein, aber auch bei den vier nackten Damen erschliessen sich bei einem solchen, eher schematischen Lesevorgang zusätzliche formale Querbezüge. 

Das siebenköpfige Tier aus dem Meer und das Tier mit den Lammshörnern

Und schaut man sich in späteren Räumen Dürers Proportionsstudien an [s. u.], mit denen er versuchte, anhand von Messungen ideale Körperverhältnisse für Männer wie Frauen zu erforschen, so sieht man auch hier versuchsweise doppelte Konturen in einer «Zeile». Dürers schwierige Überlegungen und Berechnungen zur Architektur des ideal gebauten Körpers, die sich auf Vitruv und Alberti berufen, wurden von einem unbekannten Meister (Meister IP) in einer kleinen Gliederpuppe veranschaulicht, die aus 55 Teilen bestand. Eine Computeranimation führt die erstaunliche Grazie dieser Bewegungen vor, und man fühlt sich an Kleists Jahrhunderte später entstandenen Aufsatz «Über das Marionettentheater» erinnert. 

Monogrammist I. P. (zugeschrieben), Gliederpuppe, um 1525, Buchsbaumholz, geschnitzt, aus 55 Einzelteilen bestehend,

Melancholie und Selbstgewissheit sind die Begleiter, die Dürer sich und anderen Porträtierten attestiert. Auch auf Gruppenbildern (zum Beispiel den «Hexen») oder einem Altarflügel, auf dem ein Pfeifen- und ein Trommelspieler (der wohl den schönen jungen Dürer zeigt) zu sehen sind, schaut jeder auf seine eigene Welt, zutiefst damit beschäftigt, wie er den eigenen Kosmos neu zentriert. Das ergibt eine faszinierende Versonnenheit, ein Moment des Zögerns und Forderns zugleich.

Wirtschaftliche Verwertung

Der Blick von heute auf Dürer sieht in ihm auch gerne den erfolgreichen Geschäftsmann, der sich auf dem entstehenden Markt zu behaupten weiss (sich aber auch mit Festdekorationen in kaiserliche Dienste begibt). Und allzu gerne werden dazu Schlagwörter aus dem heute allgegenwärtigen Wirtschaftsjargon verwendet. 

Ehrenpforte für Kaiser Maximilian

Auch diese Ausstellung ist nicht jargonfrei, das wird wohl erst in einigen Jahren wieder möglich sein. Sie weiss dies indes in kunstgeschichtliche Schulung umzumünzen: Kupferstiche von fremder Hand, die Dürers Holzschnittserie «Marienleben» samt Monogramm zu veräussern suchen, sind nicht nur ein wirtschaftliches Ärgernis, sondern, wie anhand des Anschauungsmaterials deutlich wird, für den Künstler auch ein ästhetisches Problem, wogegen er sich mit einem Urheberrechtsprozess zur Wehr setzte. 

Der Heller-Altar im geöffneten Zustand

Eine Zusammenführung von Teilen des von einem Frankfurter Kaufmann in Auftrag gegebenen «Heller-Altars» war Anlass der Ausstellung, die Bilder des Flügelretabels sind von Dürer, die Mitteltafel ist nur noch in einer Kopie von Jobst Harrich erhalten, die Standflügelbilder indes gelten als Werk Grünewalds. Beeindruckende Vorstudien auf blau grundiertem Papier werden gezeigt, wenn auch nicht die durch allzu viele Reproduktionen belasteten «Betenden Hände», sondern, auch für uns heutige Betrachter noch ganz kühn und unverbraucht, ein nach hinten gelegter Kopf und die nackten Fusssohlen eines Knienden.

Dürer. Kunst - Künstler - Kontext. Frankfurt, Städel-Museum. Bis 2. Februar 2014. Katalog € 39.90.

 Dresdner Skizzenbuch

Mittwoch, 15. Januar 2014

Aivazovski.

Die neunte Welle

Ich stelle Ihnen heute und in den kommenden Tagen ein paar russische Landschaftsmaler vor.

Weil sie so bedeutend wären?

Ach, oder auch nur, weil Sie Ihnen zufällig vielleicht nie begegnen würden...




Hier ist zunächst Ivan Aivazovski (1817-1900). Kein Russe eigentlich, sondern ein Armenier. Er scheint sich an der russischen akademischen Malerei auch nicht orientiert zu haben. Vor dem knalligen Effekt hatte er keine Scheu, aber dass uns das meiste heute kitschig vorkommnt, ist ein Anachronismus: Zu seiner Zeit war das gewagt. William Turner, der ihn in Italien traf, hat sogar ein Gedicht auf ihn geschrieben.

Und dass er in der Darstellung lichtdurchglänzten Wassers eine unerreichte Meisterschaft entwickelt hat, kann man ihm nicht streitig machen.

Sie werden es sich nicht nehmen lassen, da bin ich sicher, seine Spur im Internet weiter zu verfolgen. 







Es gibt auch ein paar Stücke ohne Meereswellen aus seinem heimatlichen Kaukasus:








Das ist alles nur aus dem Internet zusammengesucht, und da hat nicht jedes Bild einen Titel und ein Datum. Dass es wirklich von Auvazovski ist, legt der unnachahmliche Stil nahe. Aber meine Hand ins Feuer legen würde ich dafür nicht.