Irgendwie muss er ja mal angefangen haben. Er hat ja nicht gleich Küchengardinen entworfen.
Freitag, 30. Mai 2014
Eine Wolke von Heiligen.
aus nzz.ch, 27. Mai 2014, 11:30 Sacra conversazione eines lombardischen Meisters, 16. Jahrhundert.(Ausschnitt)
Das Kunstmuseum Mendrisio lädt in eine andere Welt, für manchen Zeitgenossen wohl eine exotische, obwohl sie sich
vor der Haustür befindet. Wir werden konfrontiert mit den Heiligen und
der Heiligenverehrung im Tessin der Jahrhunderte bis zur
Gegenreformation.
Nach den Ausstellungen «Mater Dolorosa» (1998), «Manto di giubilo» (2000) und «Mysterium Crucis» (2010) nimmt sich das Kunstmuseum Mendrisio wiederum kirchlicher Kunst an, nun unter dem Titel «La nube dei testimoni. Santi in Ticino: arte, fede e iconografia». Ein Titel, zu dem eine Stelle aus dem Hebräerbrief (12.1) inspiriert hat: «. . . da wir eine so grosse Wolke von Zeugen um uns haben.» So breitet sich gegenwärtig in den Räumen des Museums eine Wolke sakraler Kunst aus, die von der Heiligenverehrung im Tessin zeugt. Angelo Crivelli, kunstbeflissener Pfarrer zu Mendrisio, hat auch diese Ausstellung zusammen mit einer Gruppe von Spezialisten kuratiert. Sie schlägt mit einer interessanten Auswahl von hundert Objekten – zu einem guten Teil aus Tessiner Kirchen, ergänzt mit Leihgaben aus dem Landesmuseum und regionalen Museen – den Bogen vom 12. Jahrhundert (Stuckfiguren aus Castro und Corzonesco) zur Gegenreformation.
Die Heiligen – eine Erfolgsstory
Die Schar der Heiligen wuchs. Den Aposteln folgten die Märtyrer, diesen kanonisierte Bischöfe und schliesslich besonders engagierte, Wunder empfangende und ausübende Gläubige überhaupt. So vielfältig die Heiligenverehrung, so vielfältig ist das ausgestellte Material. Es reicht von Fresken und Bildtafeln über geschnitzte Altar- und Nischenfiguren zu Miniaturen, Monstranzen, Kreuzen und mancherlei kirchlichem Gerät, Reliquiaren und prunkvollen Kelchen. Karten informieren über die regionale Verbreitung der Heiligen. Petrus ist charakteristisch für die frühe Christianisierung entlang der Transitachsen. Vor allem an Verkehrswegen grüsst Christophorus (dem die Ausstellung besondere Aufmerksamkeit schenkt) riesig von so mancher Kirchenfassade herab die Gläubigen. Der Ruf des legendären Käsers und Volksheiligen Lucio breitete sich zuerst von Alp zu Alp und dann den Wegen des Käsehandels entlang aus. Im Sopraceneri stammen nicht wenige Altäre und Figuren aus dem süddeutschen Raum. Sie sind in Mendrisio in Zahl und Qualität eindrücklich vertreten.
Blüte und Verblühen
Der Parcours schliesst mit der grossen, emblematischen Figur San Carlos (1538–1584), des Mailänder Erzbischofs, Kardinals und feurigen Propagandisten der Gegenreformation. Im Barock drängen die Heiligen aus den bereits eroberten und theatralisch überwallenden Kirchen auch in die Landschaft. Es entstanden die Sacri Monti, und es florierten die Votivtafeln. Erst als San Carlo Borromeo – so schwärmte Piero Bianconi – «mit vom Eifer überquellendem Herzen» die Täler durcheilte, da «spross diese wuchernde Blust von Heiligstöcklein, Heiligenbildern und Kapellen auf, welche den Tessin zu einem frommen Garten machte» (im Gegenzug zur nördlichen Bilderfeindschaft). Damit treten wir in ein neues Heiligenkapitel ein, dem sich hoffentlich eine spätere Ausstellung noch zuwenden wird, die dann wohl auch vom langsamen Auflösen der «Wolke» und Verblühen im zwanzigsten Jahrhundert handeln müsste.
Der umfangreiche Katalog, der zu Entdeckungsfahrten im Terrain anregt, enthält auch eine Abhandlung über das für das Heiligenwesen fundamentale Verhältnis der Christen zu den Bildern – ein Text aus der Feder des kürzlich eingesetzten neuen Tessiner Bischofs Valerio Lazzeri. Als eine Art praktische Anweisung zum Besuch der Ausstellung merkt er an: Wer sich heute einer Sammlung von Heiligenbildern zuwende, verfüge wohl im Allgemeinen über kunsthistorische Kriterien, um den Wert dieser künstlerischen Produktion zu schätzen. Es gehe dabei leicht ein Element vergessen, nämlich die Intentionalität, mit der diese Werke, ihrem Zweck entsprechend, geschaffen wurden.
La nube dei testimoni. Santi in Ticino: arte, fede e iconografia. Museo d'arte, Mendrisio. Bis 22. Juni 2014. Katalog Fr. 50.–.
Tessiner Heiligenverehrung im Museum Mendrisio
Wundersame Wolke der Heiligen
Nach den Ausstellungen «Mater Dolorosa» (1998), «Manto di giubilo» (2000) und «Mysterium Crucis» (2010) nimmt sich das Kunstmuseum Mendrisio wiederum kirchlicher Kunst an, nun unter dem Titel «La nube dei testimoni. Santi in Ticino: arte, fede e iconografia». Ein Titel, zu dem eine Stelle aus dem Hebräerbrief (12.1) inspiriert hat: «. . . da wir eine so grosse Wolke von Zeugen um uns haben.» So breitet sich gegenwärtig in den Räumen des Museums eine Wolke sakraler Kunst aus, die von der Heiligenverehrung im Tessin zeugt. Angelo Crivelli, kunstbeflissener Pfarrer zu Mendrisio, hat auch diese Ausstellung zusammen mit einer Gruppe von Spezialisten kuratiert. Sie schlägt mit einer interessanten Auswahl von hundert Objekten – zu einem guten Teil aus Tessiner Kirchen, ergänzt mit Leihgaben aus dem Landesmuseum und regionalen Museen – den Bogen vom 12. Jahrhundert (Stuckfiguren aus Castro und Corzonesco) zur Gegenreformation.
Die Heiligen – eine Erfolgsstory
Die Schar der Heiligen wuchs. Den Aposteln folgten die Märtyrer, diesen kanonisierte Bischöfe und schliesslich besonders engagierte, Wunder empfangende und ausübende Gläubige überhaupt. So vielfältig die Heiligenverehrung, so vielfältig ist das ausgestellte Material. Es reicht von Fresken und Bildtafeln über geschnitzte Altar- und Nischenfiguren zu Miniaturen, Monstranzen, Kreuzen und mancherlei kirchlichem Gerät, Reliquiaren und prunkvollen Kelchen. Karten informieren über die regionale Verbreitung der Heiligen. Petrus ist charakteristisch für die frühe Christianisierung entlang der Transitachsen. Vor allem an Verkehrswegen grüsst Christophorus (dem die Ausstellung besondere Aufmerksamkeit schenkt) riesig von so mancher Kirchenfassade herab die Gläubigen. Der Ruf des legendären Käsers und Volksheiligen Lucio breitete sich zuerst von Alp zu Alp und dann den Wegen des Käsehandels entlang aus. Im Sopraceneri stammen nicht wenige Altäre und Figuren aus dem süddeutschen Raum. Sie sind in Mendrisio in Zahl und Qualität eindrücklich vertreten.
Blüte und Verblühen
Der Parcours schliesst mit der grossen, emblematischen Figur San Carlos (1538–1584), des Mailänder Erzbischofs, Kardinals und feurigen Propagandisten der Gegenreformation. Im Barock drängen die Heiligen aus den bereits eroberten und theatralisch überwallenden Kirchen auch in die Landschaft. Es entstanden die Sacri Monti, und es florierten die Votivtafeln. Erst als San Carlo Borromeo – so schwärmte Piero Bianconi – «mit vom Eifer überquellendem Herzen» die Täler durcheilte, da «spross diese wuchernde Blust von Heiligstöcklein, Heiligenbildern und Kapellen auf, welche den Tessin zu einem frommen Garten machte» (im Gegenzug zur nördlichen Bilderfeindschaft). Damit treten wir in ein neues Heiligenkapitel ein, dem sich hoffentlich eine spätere Ausstellung noch zuwenden wird, die dann wohl auch vom langsamen Auflösen der «Wolke» und Verblühen im zwanzigsten Jahrhundert handeln müsste.
Der umfangreiche Katalog, der zu Entdeckungsfahrten im Terrain anregt, enthält auch eine Abhandlung über das für das Heiligenwesen fundamentale Verhältnis der Christen zu den Bildern – ein Text aus der Feder des kürzlich eingesetzten neuen Tessiner Bischofs Valerio Lazzeri. Als eine Art praktische Anweisung zum Besuch der Ausstellung merkt er an: Wer sich heute einer Sammlung von Heiligenbildern zuwende, verfüge wohl im Allgemeinen über kunsthistorische Kriterien, um den Wert dieser künstlerischen Produktion zu schätzen. Es gehe dabei leicht ein Element vergessen, nämlich die Intentionalität, mit der diese Werke, ihrem Zweck entsprechend, geschaffen wurden.
La nube dei testimoni. Santi in Ticino: arte, fede e iconografia. Museo d'arte, Mendrisio. Bis 22. Juni 2014. Katalog Fr. 50.–.
Mittwoch, 28. Mai 2014
Der Architekt Giulio Minoletti
aus nzz.ch, 22. Mai 2014, 05:30 Condominio ai Giardini d'Arcadia in corso di Porta Romana (1955-1959)
Der Architekt Giulio Minoletti
Italienische Heiterkeit
holl. Die Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg waren die «stagione fortunata» der italienischen Baukunst. Giò Ponti, BBPR und Ignazio Gardella belebten die Szene, aber auch kleinere Meister wie der in Mailand tätige Giulio Minoletti (1910 bis 1981) entwickelten eine neue Sprache. Dieser hatte in den späten dreissiger Jahren als blutjunger Architekt unter dem Einfluss des Novecento-Klassizismus und eines schlackenlosen Rationalismus bereits Bauten von minimalistischer Bildhaftigkeit wie den Doppelwohnblock am Viale Molise realisiert.
holl. Die Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg waren die «stagione fortunata» der italienischen Baukunst. Giò Ponti, BBPR und Ignazio Gardella belebten die Szene, aber auch kleinere Meister wie der in Mailand tätige Giulio Minoletti (1910 bis 1981) entwickelten eine neue Sprache. Dieser hatte in den späten dreissiger Jahren als blutjunger Architekt unter dem Einfluss des Novecento-Klassizismus und eines schlackenlosen Rationalismus bereits Bauten von minimalistischer Bildhaftigkeit wie den Doppelwohnblock am Viale Molise realisiert.
Beim Wochenendhaus in Varenna am Comersee näherte er sich dann einem filigran-modernen Ausdruck, den er nach dem Krieg noch steigerte, wie sein Meisterwerk zeigt: ein aus gestapelten Villen bestehender Palazzo mit plastisch vor- und rückspringender Gartenfassade.
Palazzo Minoletti, auch Casa del Cedro
Das an Aalto, Niemeyer und Wright geschulte Interesse am Organischen konkretisierte Minoletti im Swimmingpool von Monza.
Die Curtain Wall zitierte er im Palazzo Liquigas; und der Kontextualismus von BBPR prägte die Loggia-Fassade seines Hotels an der Via Bertani. Nun präsentiert die Galerie der Architekturakademie Mendrisio, die seit 2002 Minolettis Nachlass hütet und aufarbeitet, den vielseitigen Mailänder, der auch einen Luxuszug und mehrere Passagierdampfer gestaltete, in einer vorbildlichen, von einem Katalog begleiteten Schau als Architekten, Urbanisten und Designer. Eine Entdeckung.
Dienstag, 27. Mai 2014
Der McKintosh-Bau in Glasgow.
Bibliothek zerstört
Brand der Glasgow School of Art
mlö. Die britische Kunstwelt ist erschüttert: Am vergangenen Freitag ging die Glasgow School of Art, die Kunsthochschule im Zentrum von Glasgow, in Flammen auf. Dabei brannte die Bibliothek vollständig ab. Das Jugendstilgebäude stammt von einem der berühmtesten schottischen Architekten und Designer, Charles Rennie Mackintosh (1868 bis 1928), und ist eines der prominentesten Gebäude Schottlands.
Das Gebäude wurde nach Ausbruch des Feuers um die Mittagszeit evakuiert. Es gab keine Verletzten. Nach der Begutachtung des Schadens stellte sich heraus, dass die Struktur des Sandsteingebäudes dank einem massiven Feuerwehreinsatz erhalten bleiben konnte, ebenso wie das Archiv, aber die berühmte Mackintosh Library ist verloren. Entstanden war die Kunsthochschule, die in ihrer Funktion bis heute genutzt wird, zwischen 1897 und 1907. Sie war zugleich eine Touristenattraktion, die jährlich bis zu 20 000 Besucher anzog. Das Royal Institute of British Architects hatte sie zum besten Gebäude der vergangenen 175 Jahre gewählt. Deren Präsident Stephen Hodder nannte den Brand eine «internationale Tragödie».
Montag, 26. Mai 2014
Veronese in London.
Ordnung, Schönheit, Luxus, Ruhe und Wollust Bühne frei für Veronese in der Londoner National Gallery. Der Besucher wandelt durch eine Sinfonie aus Licht und Farben, blickt in schöne Gesichter, erfreut sich an Seide, nackter Haut und Marmor – und kann auch über den gemalten schönen Schein nachdenken.
von Andrew John Martin
«Là, tout n'est qu'ordre et beauté / Luxe, calme et volupté.» Der Refrain von Baudelaires Gedicht «L'invitation au voyage» (Einladung zur Reise) trifft die Stimmung in den für die Veronese-Schau reservierten Räumen im Haupttrakt der Londoner National Gallery. Der Ausstellungskurator Xavier F. Salomon hat den jetzt vollständig zu sehenden Bestand des Hauses in chronologischer Hängung mit weiteren Meisterwerken aus aller Welt kombiniert.
Christus und Maria Magdalena, 1548
Den Beginn der kometenhaften Karriere von Paolo Caliari, genannt Veronese (1528–1588), markieren religiöse Bilder wie «Christus und Maria Magdalena» (London, National Gallery). Hier zeigt sich bereits, dass der Maler der antiken Skulptur, die er in Verona und möglicherweise auch in Rom studieren konnte, und der Architektur seines Landsmanns Michele Sanmicheli mehr verdankt als seinem wenig talentierten Lehrer Antonio Badile. Höhepunkte der Ausstellung sind monumentale Altarbilder, intime Andachtsbilder und sinnliche historisch-mythologische Gemälde, die Veronese, der sich 1555 endgültig in Venedig niederliess, für Aristokraten, Kleriker und Konvente schuf, darunter «Das Martyrium des hl. Georg» (Verona, San Giorgio in Braida), «Mars und Venus» (New York, Metropolitan Museum), «Traum der hl. Helena», «Die Familie des Darius vor Alexander» und «Vier Liebesallegorien» (London, National Gallery).
Allegory of Love I - Infidelity, about 1570-75.
Theater, Musik und Mode
Fast alle grossen Kompositionen Veroneses enthalten eindeutig identifizierbare oder aber versteckte Porträts. Gerade deshalb sind die in der Schau gezeigten autonomen Porträts besonders faszinierend. Mit der Ausleihe der Bildnisse von «Iseppo da Porto mit Sohn Leonidas» und «Livia da Porto Thiene mit Tochter Deidamia» aus Florenz und Baltimore gelang dem Kurator eine ebenso sympathische wie instruktive «Familienzusammenführung»; das zwanglose Sitzbildnis eines «Edelmannes aus der Familie Soranzo» (Leeds, Harewood House) weist bereits voraus auf Joshua Reynolds und Thomas Gainsborough.
Iseppo da Porto and his son Leonida, 1552
Theater, Musik und Mode geben den Ton an. Die einheitliche Erscheinung der Ausstellung wird aber auch dadurch erreicht, dass fast ausnahmslos hochqualitative Exponate ausgeliehen werden konnten. Die Problemkandidaten befinden sich im letzten Raum, was den Eindruck verstärkt, Veroneses Schaffenskraft habe in den 1580ern arg nachgelassen, oder aber er habe die Arbeiten verstärkt an seine Mitarbeiter – unter ihnen der Bruder Benedetto und die Söhne Gabriele und Carletto – delegiert. Nichtsdestoweniger setzt der Kurator mit «Die Bekehrung des hl. Pantaleon» (Venedig, San Pantalon) einen fulminanten Schlussakkord.
Im Gegensatz zu Jacopo Tintoretto, dessen Aktivitäten mit wenigen Ausnahmen auf Venedig beschränkt blieben, und zu Tizian, der an Papst, Kaiser, Könige und Herzöge lieferte, stattete Veronese gleichsam flächendeckend Kirchen, Paläste und Villen zwischen Verona und Venedig mit Leinwandbildern und Freskenzyklen aus. Im Vergleich zu seinen beiden langlebigeren Kollegen, die man im vorübergehend Veronese-freien Venezianersaal der National Gallery studieren kann, wirkt unser Maler gefälliger und weniger dramatisch (Baudelaire attestiert selbst seiner Farbe, sie sei «ruhig und heiter»). Dennoch haben sich Generationen von Künstlern von Veronese inspirieren lassen, unter ihnen Anthonis van Dyck, Giambattista Tiepolo und Eugène Delacroix.
Anbetung der Könige,
Und empfinden wir ihn denn nicht auch als modernen Maler, als einen, der uns etwas zu sagen hat – obwohl wir dies nicht wirklich in Worte fassen können? Das mag daran liegen, dass Veronese der erste grosse Chronist der wirtschaftlichen Dauerkrise war, in der sich Venedig nach Verschiebung der Handelswege im 16. Jahrhundert befand – gerade weil er die damit verbundenen Probleme nicht zeigte. All seine Figuren scheinen beim besten Schneider arbeiten zu lassen, um auf der farbenprächtigen Bühne des Lebens Bella Figura machen zu können.
Portrait of a Lady, known as the 'Bella Nani', about 1560-5.
So ist es vielleicht ein Hauptverdienst der Ausstellung, dass uns bewusst wird, dass Veronese den Menschen über die Zeiten hinweg Harmonie schenken wollte und nicht nur der willige Künstler war, der das Geltungs- und Unterhaltungsbedürfnis seiner damaligen Auftraggeber befriedigte. Bei genauerer Betrachtung entdeckt man dann auch durchaus in den Porträts Züge von Selbstzweifel und in den Altar- und Andachtsbildern eine tief empfundene Religiosität. Bei den mythologisch-erotischen Darstellungen kommt das Spiel mit dem Bildbetrachter hinzu, der die Überlegenheit der Damen über das männliche Geschlecht vorgeführt bekommt. Nicht unerwähnt darf bleiben, dass sich Veronese mit der Inquisition angelegt hat – wohlwissend, dass ihm in Venedig nichts passieren konnte.
Mars and Venus United by Love, about 1570-1575
In Shakespeares England
Man mag es als Versäumnis werten, dass gerade in London nicht dezidiert auf die traditionelle Veronese-Begeisterung der Engländer eingegangen wurde. Nicholas Penny macht im Vorwort der begleitenden Publikation darauf aufmerksam, dass die Veronese der National Gallery zu den frühesten und auch teuersten Altmeister-Erwerbungen des Museums zählen. Und zählt man die Exponate durch, kommt man zu folgendem Ergebnis: 20 der 50 Bilder befinden sich oder befanden sich zumindest für eine gewisse Zeit auf den Britischen Inseln. So manche Veronese-Anregung für die sich in der Nachfolge Holbeins ausbildende englische Malerschule erfolgte so möglicherweise nicht nur indirekt durch van Dyck, sondern auch direkt in Häusern von Adeligen, die in Italien gekaufte Werke besassen.
Das Martyrium des Heiligen Georg (um 1565).
Über venezianische Gemälde in englischem Besitz noch vor 1600 wissen wir wenig. Aber es ist bekannt, dass Sir Philip Sydney Veronese 1574 in Venedig für sein Porträt sass. Sir Henry Wotton, legendärer englischer Botschafter in Venedig, kehrte 1594 von seiner ersten Grand Tour zurück. Man fragt sich: Kannte Shakespeare, Autor von «The Merchant of Venice», «Romeo and Juliet» und «The Two Gentlemen of Verona», mehrfigurige Kompositionen unseres Malers, der dem Theater nahestand wie kein anderer?
Jesus im Tempel
In Verona, wohin die Hälfte der Bilder
weiterreisen, um dort vom 5. Juli bis zum 5. Oktober mit weiteren
Gemälde-Ausleihen und auch Entwurfszeichnungen und einem frisch
restaurierten «Gastmahl» der Veronese-Werkstatt im Palazzo della Gran
Guardia gezeigt zu werden (der hl. Georg kommt direkt in seine Kirche
zurück), wird man es sich nicht nehmen lassen, zahlreiche Bezüge zum
Genius Loci herzustellen. Was könnte das junge Talent in seiner Stadt
und in deren Umland nicht alles gesehen und verarbeitet haben? Die von
Paola Marini und Bernard Aikema kuratierte Ausstellung und eine ebenso
in Verona stattfindende internationale Tagung dürfen mit Spannung
erwartet werden. –
Gastmahl im Hause Levis, Ehemals im Refektorium des Klosters von Ss. Giovanni e Paolo.
Gastmahl im Hause Levis, Ehemals im Refektorium des Klosters von Ss. Giovanni e Paolo.
Nüchtern betrachtet ist und bleibt der gebürtige Veroneser aber ein Hauptvertreter der venezianischen Malerei. Denn ein vollständiges Bild des Künstlers erhalten wir, über Vicenza, Maser und Padua nach Osten reisend, erst unter den unsere Nacken strapazierenden Deckengemälden in der Libreria und im Dogenpalast, vor dem opulenten «Gastmahl» aus San Zanipolo in den Gallerie dell'Accademia, das dank Thomas Struth auch Freunden zeitgenössischer Kunst ein Begriff ist, und der Hightech-Kopie des noch figurenreicheren Vorgänger-«Gastmahls» in Palladios Refektorium auf der Isola di San Giorgio, dessen Original Napoleon nach Paris verschleppen liess, und nicht zuletzt in Paolos über Jahrzehnte ausgestatteter Grabeskirche San Sebastiano. Neben London und Verona lädt also im «Veronese-Jahr» nach wie vor auch Venedig ein zur Reise.
Perseus and Andromeda, 1575-80
Deshalb zum Schluss zurück zu Baudelaire. Da er in seinem Gedicht Kanäle erwähnt, will die Forschung im Ort seiner Sehnsucht eine holländische Hafenstadt erkennen. Da er aber auch von reichverzierten Decken, Spiegeln und der Pracht des Orients spricht, dürften die Kanäle doch eher auf das Venedig verweisen, das uns Baudelaire als beste aller möglichen Welten schildert: «Dort herrschen Ordnung nur und Schönheit / Luxus, Ruhe und Wollust.»
Veronese: Magnificence in Renaissance Venice. London, National Gallery. Bis 15. Juni 2014. Begleitbuch zur Ausstellung von Xavier F. Salomon, £ 19.99 (Paperback) / £ 35 (gebunden).
Nota. - Über Kunst erfahren wir gar nichts. Dabei meint der Berichterstatter, Veronese sei zum Chronisten des wirtschaftlichen Niedergangs von Venedig geworden, indem er ihn ignorierte. Das wäre ein wahres Kunststück gewesen und harrte der Erläuterung. "Und empfinden wir ihn denn nicht auch als modernen Maler, als einen, der uns etwas zu sagen hat – obwohl wir dies nicht wirklich in Worte fassen können?" Ich muss ehrlich sagen, bislang hatte ich mir noch nicht einmal die Frage gestellt. Als hätte ich geahnt, dass der Autor der NZZ mich doch auf ihr sitzen lassen würde...
JE
Johannes der Täufer, um 1560
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