aus NZZ. 15. 1. 2014 Albert Boßlet, Abtei Münsterschwarzach, 1935-38
Mit Gotteshäusern geistig Krieg führen
Die dunkle Zeit des Nationalsozialismus war dem Kirchenbau weit bekömmlicher als gemeinhin gedacht
von Joachim Güntner
Das passt schlecht zum Bild christlichen
Leidens unter dem braunen Ungeist: Zwischen 1933 und 1944 entstanden in
Nazideutschland über tausend kirchliche Neu- und Umbauten - oft im
Einklang und mit Zuschüssen des Regimes.
Wie nur konnte die Ansicht
entstehen, im nationalsozialistischen Deutschland sei, bedrängt von der
braunen «neuheidnischen» Obrigkeit, der Bau von Kirchen zum Erliegen
gekommen? Ein populärer Irrglaube ist das. Zwischen 1933 und 1944
erbaute die katholische Kirche über 390 Gotteshäuser, im evangelischen
Bereich lassen sich mindestens 210 Neubauten nachweisen. Von Defensive
keine Spur, sogar monumentale Kirchen griffen mit stolzer Gebärde Platz.
Dazu kam eine Vielzahl von An- und Umbauten, bei denen ganze
Seitenschiffe, Türme oder Westwerke neu errichtet wurden. Überdies
entstanden Gemeindehäuser, viele davon in jenem «Heimatschutz-Stil», der
ihnen wie auch den kleinen Kirchen in städtischer Randlage ein
dörfliches Gepräge geben und von Bodenständigkeit künden sollte.
Die Kirche von Pahlen in Dithmarschen ist eines der wenigen Beispiel für 'Heimatschutzarchitektur' im Kirchenbau
Heroische Neo-Romanik
Die nationalsozialistische
Bauästhetik propagierte für Sakralbauten mittelalterliche Vorbilder, ihr
Favorit war die Romanik. Wohlgelitten waren zudem Neoklassizismus und
Neobarock, rundweg ausgeschlossen blieben der Expressionismus sowie
Anleihen bei der Gotik. Zu «undeutsch»!
Albert Boßlet, St. Ludwig Frankenthal
Funktionale Sachlichkeit war als
technizistisch verpönt, moderne Baustoffe wie Beton und Stahl traten
den Rückzug an. Bruchstein, Backstein, Schiefer erhielten den Vorzug.
«Avantgardistische Sakralbauten wurden in der NS-Zeit mit Ausnahme
bereits vor 1933 begonnener Bauten nicht mehr errichtet», schreiben
Beate Rossié, Stefanie Endlich und Monica Geyler-von Bernus in ihrer
jüngsten Wanderausstellung «. . . aus dem Geist unserer Zeit», wobei
sie es nicht versäumen, mit Otto Bartnings moderner Gustav-Adolf-Kirche
in Berlin eine der Ausnahmen zu präsentieren.
Otto Bartning, Gustav-Adolf-Kirche
in Berlin-Siemensstadt
Architekten, die schon in
der Weimarer Republik mit Kirchenbauten Prominenz erworben hatten,
mischten unter den neuen Machtverhältnissen kräftig mit. Ehemalige
Exponenten des Neuen Bauens wie Dominikus Böhm passten sich der
Romanik-Verehrung an; Traditionalisten wie Albert Bosslet oder German
Bestelmeyer, der 1935 zum Reichskultursenator aufstieg, bekamen
Oberwasser.
Dominikus Böhm, St. Josef in Lingen-Laxten
Zur architektonischen gesellte
sich die ikonografische Umprogrammierung. Neugotische Gestaltungsmittel,
als artfremd und kitschig gebrandmarkt, durften nicht mehr Teil
deutscher Tradition sein. Also flog die Neugotik hinaus aus den
kirchlichen Innenräumen, und eine kargere und zugleich heroisierende
Formen- und Bildsprache zog ein. Die Kunsthistorikerin Rossié hat
wiederholt auf krasse Fälle hingewiesen, wo die nationalsozialistische
Weltanschauung und Politik ganz unmittelbar im kirchlichen Raum Präsenz
markierte. Das reicht von antisemitischen Kirchenfenstern und Friesen,
auf denen ein «germanischer» blondgelockter Jesus von hakennasigen
jüdischen Schriftgelehrten oder Schächern mit übler Visage umgeben ist,
bis zur Beschwörung einer heldenhaften Wehrmacht oder dem Kotau vor dem
«Führer». Die völkische Demagogie drang zumal dort, wo sie auf Beistand
von Klerikalfaschisten rechnen konnte, ungeniert in die Gotteshäuser
ein.
Curt Steinberg, Martin-Luther-Gedächtniskirche in Berlin-Mariendorf
Nachdrücklich ist das Exempel, das
die Martin-Luther-Gedächtniskirche in Berlin-Mariendorf gibt. Während
die pfeilerartige Gliederung von Turm und Fassade zwar ein Pathos von
Kantigkeit und Strenge verströmt, die äussere Hülle des Baus jedoch
nicht einfach als NS-Ästhetik lesbar ist, unterwirft sich das Innere
dieser 1935 vollendeten Kirche vollständig einem nationalsozialistischen
Bildprogramm. Den Vorraum hatte man als Ehrenhalle für die Gefallenen
des Ersten Weltkriegs gestaltet; Reichspräsident Hindenburg und
Reichskanzler Hitler waren in
Porträts gegenwärtig. Hitler musste nach
1945 einem Luther-Bildnis weichen, desgleichen entfernte man auf einem
Triumphbogen die nun peinlich gewordenen NS-Symbole wie das Hakenkreuz
im Strahlenkranz, das NS-Hoheitszeichen und das Zeichen der
Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt. Noch immer aber kann man auf dem
Relief der Kanzel einen der Predigt lauschenden SA-Mann sehen, noch
immer lässt der athletische Christus am Kreuz seine Muskeln spielen, und
auf dem Sockel des Taufsteines flankieren eine «deutsche Mutter» und
ein SA-Mann die Figur des Christus. Aufgrund dieser Ballung von erhalten
gebliebenen Werken sakraler Kunst im Griff der NS-Ideologie steht die
Kirche seit 1995 unter Denkmalschutz.
Martin-Luther-Gedächtniskirche in Berlin-Mariendorf
Die Bevorzugung romanischer
Bauformen für kirchliche Neubauten ging einher mit weltanschaulicher
Aufladung, etwa der rassistischen Interpretation der Romanik als
Ausdruck der «hervorragenden Eigenschaften der nordischen Rasse». In
diesem Sinne schuf ein Schüler Bestelmeyers, der junge, bis dato
unbekannte Architekt Gottfried Dauner, die Reformations-Gedächtniskirche
in Nürnberg. Mit seinem Entwurf gewann Dauner einen von Nürnbergs
nationalsozialistischem Oberbürgermeister 1933 initiierten Wettbewerb.
Der karge Rundbogen-Stil, die zwölfeckige Grundform, ihre Massivität und
ihre drei Türme geben der 1938 vollendeten Kirche Bollwerk-Charakter -
fürwahr ein «Symbol geistiger Kriegführung» (Holger Brülls).
Gottfried Dauner, Reformations-Gedächtniskirche
in Nürnberg.
Der Wettbewerb wünschte die
geplante Kirche «als sinnfälligen Ausdruck des neuen Reiches und der
neuen Zeit auch innerhalb der evangelischen Kirche unter der Herrschaft
des Reichskanzlers Adolf Hitler», und der siegreiche Architekt liess
sich mit den Worten vernehmen, der Bau solle «zu einem wuchtigen,
trutzigen Gedächtnismal der Reformation und gleichzeitig Ausdruck
unserer heutigen, herben, kämpferisch-heldischen Zeit» werden. - Das
Fazit macht staunen: Die Bautätigkeit der beiden Grosskirchen war zwar
geringer als die des NS-Staats, aber grösser als die der Industrie. Und
das in einer Zeit, da Deutschland zum Krieg rüstete und Krieg führte.
Bis zum Inkrafttreten des Vierjahresplans 1937 zum Zweck der
Kriegsvorbereitung stieg die Zahl der christlichen Gotteshäuser
kontinuierlich an. Selbst danach fanden sich Wege, angefangene Projekte
fortzuführen. Wer gross baut, hat auch das Geld und den Spielraum dafür.
Die gern beschworenen christlichen Opponenten des NS-Regimes dürfen
nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich bloss um eine schwache
Minderheit handelte.
German
Bestelmeyer, Gustav-Adolf-Gedächtniskirche, Nürnberg, 1930
Fürbitten für den «Führer»
Sicher, es gab dies alles: auf
evangelischer Seite den Kirchenkampf zwischen den «Deutschen Christen»
aus der NSDAP-Anhängerschaft und ihren auf Bekenntnisfreiheit
bestehenden Gegnern um Dietrich Bonhoeffer, Martin Niemöller und Karl
Barth; auf katholischer Seite den Jesuitenpater Alfred Depp, der am 20.
Juli 1944 sein Leben opferte, oder Bischof Clemens von Galen, der mutig
die Euthanasie-Aktionen und Morde des NS-Regimes an geistig Kranken
anprangerte. Es gab Predigtverbote und Hunderte von Geistlichen beider
Bekenntnisse in Konzentrationslagern. Den systemfreundlichen Grundton
aber bestimmten Pfarrer, welche die Waffen der Wehrmacht segneten, und
Gottesdienste mit Fürbitten für Adolf Hitler. Man betete zu Ostern «Sei
mit dem Führer unseres Volkes und aller Obrigkeit» und sang auf die
Melodie alter christlicher Choräle den neuen unchristlichen Text: «Den
Führer schütze deine Macht / Er, der für unsre Wohlfahrt wacht, ist uns
von dir gegeben.» Dass sich trotz diesem Hintergrund der Irrglaube
verbreiten konnte, das «Dritte Reich» habe den Kirchenbau abgewürgt,
zeigt nur: Dies Kapitel Zeitgeschichte harrt noch immer einer
gründlichen Aufklärung.
Dominikus Böhm, Heilig Kreuz Kirche Dülmen 1938-39
Nota.
Das Verhältnis der beiden Kirchen zum nationalsozialistischen Regime ist ein politisches Problem. Das behandle ich auf diesem Blog nicht. Aber ich will etwas zum Stilistischen sagen.
Man sollte nicht meinen, allein weil ein Gebäude während der nationalsozialistischen Herrschaft entstanden ist, handle es sich um faschistische oder Nazi-Architektur. Die Architekten haben zu aller Zeit den Zeitumständen Rechnung getragen, und dass der Geschmack der Einen unter einem neuen Regime mehr Zuspruch findet als unter den vorangegangenen, als noch die Andern den Ton angaben, das war immer so und wird wohl so bleiben.
Die Architektur von Albert Speer war etwas anderes. Sie sollte den Wahn, dem sie entsprang, hoheitlich manifestieren. Dass sie Hitlers Spießergeschmack entsprach, kam erschwerend hinzu. Mussolini war ein Fanatiker der Technik, er liebte es futuristisch, und neben den faschistischen Protz- und Pomp-Gemäuern entstanden unter seiner Herrschaft eine ganze Reihe bemerkenswert modernen Bauwerke.
Der
italienische Faschismus stellte sich geradezu als die Speerspitze des
Fortschritts dar, und Maschinen- und Technikult war auch den Nazis nicht
fremd.
Mit Kirchenbauten ist es aber was Besonderes. Die protestantischen sind eigentlich nur Gemeindehäuser, aber sollen doch Stätten der Andacht sein; die katholischen sind sogar geweihte Gottesburgen. Ob die damalige Avantgarde-Architektur - Expressionismu und Neue Sachlichkeit - auf die Dauer der beherrschende Stil im Kirchenbau bleiben konnte, war auch ohne Nationalsozialismus zweifelhaft.
Und andererseits war die Neigung der beiden katholischen Architekten Bestelmeyer und Boßlet für Romanik nicht einfach antimodern. Es war ja nicht die abscheuliche "Neoromanik" des Kaiserreichs:
Die Berliner Gedächtniskirche im Urzustand
Vielmehr sind die klare Linienführung und der Sinn für Proportionen und Volumina durchaus moderne ästhetische Parameter, und fast muss man sich wundern, dass die allem Irrationalen und Okkulten zugetanen Nazis nicht viel eher eine schwülstige und formlose Neugotik vorgezogen haben.
Christkönigkirche, Titisee, 1935-3z
Ich glaube, man sollte eher sagen: Das Verschanzen hinter der Romanik war die Rückzuglinie, hinter der die moderne Architektur selbst unterm Nationalsozialismus überlebt hat. Diesen romanischen Innenraum hat Dominikus Böhm nach dem Krieg in Augsburg gestaltet:
Dominikus Böhm, Augsburg, Moritzkirche
St. Heinrich von Michael Kurz in Bamberg entstand dagegen schon 1929:
JE