Mittwoch, 31. August 2016

Delacroix als Landschafter.



Hafen von Antwerpen, Lithographie nach Aquarell

Na, dann muss ich es eben selber verraten. Das Gartenbild ist von Eugène Delacroix, von dem man krasse ausdrucks-starke Historienschinken kennt.

Aber er hat auch reichlich in Landschaften dilettiert, doch nur Aquarelle, höchstens mal eine Ölskizze auf Papier. Er war eine guter Freund des Landschaftsmalers Paul Huet, mit dem er gemeinsam studiert hatte, und an dem orientiert er sich. Huet gilt als der erste, der in Frankreich mit dem akademisch-heroischen Landschaftsstil eines Poussin gebrochen hat, aber nicht, um - wie der nur wenig jüngere Corot - eine neuen Ästhetik Bahn zu brechen, sondern mehr, um das Sujet Landschaft in Stimmung zu versetzen.

Das mag Delacroix dann doch nicht verheißungsvoll erschienen sein.















Es sind Freiluftstudien aus der Normandie, England und Marokko.


Dienstag, 30. August 2016

"Siegerkunst".

Jeff Koons in der Staatsgalerie Stuttgart neben einer seiner Skulpturen. Für Ullrich ist der Amerikaner ein Beispiel eines "Siegeskünstlers".
aus Tagesspiegel.de, 29.08.2016 16:17 Uhr                                                                  Jeff Koons mit einem seiner Werke

Wolfgang Ullrich über den Kunstbetrieb

Der Siegeszug der Siegeskünstler 
Vor zwei Jahrhunderten hat die Ausstellungskunst die Hofkunst abgelöst. Jetzt stehe ein neuer Paradigmenwechsel an, meint Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich in seinem Buch "Siegerkunst".

von Laura Storfner

Vor knapp sechs Jahren stellte Jeff Koons seine Ballonskulpturen in Schloss Versailles aus. Für Wolfgang Ullrich war dies ein Schlüsselerlebnis, weil die Werke geradezu perfekt ins Ambiente passten. Koons „höfische Unterhaltungsästhetik“ ist nicht die einzige Parallele, die der Kunsthistoriker und Kunstwissenschaftler in seinem neuen Essay „Siegerkunst“ zwischen dem zeitgenössischen Kunstbetrieb und der Adelswelt zieht. Vor zwei Jahrhunderten, so seine These, habe die Ausstellungskunst die Hofkunst abgelöst. Nun stehe wieder ein Paradigmenwechsel an: Der „neue Adel“, die Sieger des 21. Jahrhunderts, kauften Siegerkunst.


Damien Hirst

Ullrichs Siegerkünstler sind Teil der High Society: Sie verbringen mehr Zeit in Meetings als im Atelier, haben ihren Namen zur Marke gemacht und lassen Werke von Angestellten umsetzen. Nicht nur Koons, den man seit jeher als Verkaufskünstler kennt, auch Gerhard Richters „simpel angelegte Rakelbilder" und Andreas Gurskys Fotografien, die den Sammlern laut Ullrich eine „gottähnliche“ Perspektive auf ihren Alltag (Formel-1-Rennen, Luxusyachten) ermöglichen, gehören in diese Kategorie. Bisweilen wirkt seine Zuordnung aber willkürlich. Vor allem, wenn die Positionen auf Interpretationen reduziert werden, die ausschließlich der These dienen und den Künstlern ein unterkomplexes Werk, den Sammlern allzu große Oberflächlichkeit unterstellen.

Kunst als nettes Accessoire der Superreichen

Wer die Siegerkunst kauft, lässt sich einfacher zusammenfassen: Folgt man dem Autor, sind es die „Superreichen“. Ähnlich wie in seinem Buch „Habenwollen“ (2006) stützt sich Ullrich auf die Annahme, nach der Luxusobjekte der Identitätsbildung wegen angeschafft werden. Erwirbt ein „Superreicher“ ein Werk, das aufgrund des Preises oder provokanten Inhalts maßlos erscheint, stelle sich ein Gefühl von „Coolness“ ein. Dass der Geschmack Rückschlüsse über die feinen (sozialen) Unterschiede gibt, ist nicht neu. Dass Habenwollen vielleicht nicht nur dem eigenen Imagedesign dient, sondern aus Liebe an der Kunst – diesen Fall hat Ullrich allein für den bildungsbürgerlichen Museumsbesucher reserviert, der sich Kunst nicht leisten kann.


Gerhard Richter

Wenn er ein Fotoporträt von François Pinault beschreibt, der sich im Palazzo Grassi in Siegerpose ablichten ließ, wird vor allem Ullrichs Haltung gegenüber Sammlern deutlich. Dass das Bild von Juergen Teller stammt, lässt Ullrich ebenso unerwähnt [siehe jedoch unten!], wie er auf jede Analyse verzichtet. Zweifellos bekennt sich Pinault zur Pose, das framing ist jedoch entscheidend: Teller spielt schließlich gern mit ambivalentem Glamour-Trash.

Wie Künstler Einfluss auf den Bedeutungsapparat nehmen, der sie umgeben soll, wird dafür umso besser vorgeführt. Teller gab sein Foto nicht zum Abdruck frei, und auch andere Künstler wollten ihre Bilder nicht in Ullrichs Buch sehen und erinnern so an vormoderne Zeiten. Auf seinem Blog „Ideenfrei“ kann man eine Stellungnahme zu den Abbildungsverboten nachlesen, im Buch bleiben nicht nur Koons Skulpturen als Leerstellen zurück.

Wolfgang Ullrich: Siegerkunst. Sachbuch. Klaus Wagenbach Verlag, Berlin 2016, 16,90 Euro.


Takashi Murakami


Stellungnahme des Autors zu den Abbildungsverboten in „Siegerkunst. Neuer Adel, teure Lust“ 

Dass acht der neunzehn für „Siegerkunst“ vorgesehenen Abbildungen nicht gezeigt werden dürfen, kam für mich überraschend. Zwar widme ich mich im Text (S. 93ff.) bereits dem Phänomen, dass Künstler das Urheberrecht vermehrt dazu nutzen, Einfluss auf die Inhalte von Publikationen zu nehmen, doch vermied ich eben deshalb, zum Teil infolge früherer Erfahrungen, von vornherein, Werke z.B. von Damien Hirst, Takashi Murakami oder Gerhard Richter zu besprechen. Selbstkritisch muss ich somit anmerken, dass die um sich greifenden Kontrollversuche von Künstlern bereits Wirkung zeigen, ich also gerade dann, wenn eine Konfrontation drohen könnte, lieber um sie herum schreibe. 

Je häufiger es zu solchen Einflussnahmen kommt, desto stärker ist der Diskurs über Kunst insgesamt gefährdet – und desto dringender müssen Autorinnen und Autoren Strategien im Umgang mit diesem Problem entwickeln. Im folgenden finden sich deshalb nicht nur Links zu den im Buch nicht reproduzierten Bildern (die im Internet alle schnell und meist an diversen Orten zu finden sind, was Abbildungsverbote umso martialischer und aggressiver erscheinen lässt). Vielmehr sind vor allem die Hintergründe der einzelnen Fälle dokumentiert. Damit soll das Spektrum an Interessen und Methoden sichtbar werden, die in derartigen Verboten zum Ausdruck kommen. Solche Fallgeschichten sollten weiter gesammelt und publiziert werden. 

Würde deutlich, wie zahlreich sie bereits sind – „Siegerkunst“ liefert nur eines von diversen Beispielen –, könnte das die Debatte über Sinn und Missbrauch von Urheberrechten neu anstoßen. 


1. Nachdem das Studio von Juergen Teller auf die Anfrage nach einer Abbildungsgenehmigung eine Inhaltsangabe des Buches erbeten hatte und diese zugeschickt bekam, erfolgte, ohne weitere Begründung, die Mitteilung, dass das Foto nicht abgedruckt werden dürfe. Sollte es den Fotografen stören, dass er in dem Buch nicht selbst Thema ist, sein Bild also nicht eigens als Kunstwerk gewürdigt wird? Oder mag er nicht in einem irgendwie kritischen Kontext in Verbindung zu dem Unternehmer und Sammler François Pinault auftauchen? Oder fühlt er sich gar auf den Schlips getreten, dass das Buch „Siegerkunst“ heißt, nachdem er selbst 2014 ein Buch mit dem Titel „Siegerflieger“ herausbrachte, in dem es aber um den Finalsieg der Deutschen Fußballnationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft in Brasilien geht? 

http://si.wsj.net/public/resources/images/OB-XM960_mag061_OZ_20130516175402.jpg
[Juergen Teller: François Pinault im Palazzo Grassi, 2012, Fotografie] 

2. Bei Jeff Koons war es früher eigentlich immer ganz einfach: Man fragte an, bekam rasch eine Zusage, zusammen mit einer ziemlich hohen Geldforderung, über die man noch ein wenig handeln konnte, um sich dann letztlich auf einen stolzen, aber gerade noch zahlbaren Betrag zu einigen. Inzwischen fordert aber auch das Büro von Koons den Text an, zu dem die Abbildungen begleitend gedruckt werden sollen. Also wurde der gesendet. Dann kam keine Antwort mehr. Mehrfache Nachfragen. Fast zwei Monate lang. Nie eine Antwort. Schließlich Strategiewechsel: Man schreibt noch eine Mail, in der steht, der Verlag fasse es als Abdruckgenehmigung auf, wenn er bis zu einem Stichtag nichts mehr höre. Darauf sofort eine Antwort! Etwas müsse verloren gegangen sein, man solle den Text doch nochmals schicken. Das geschieht unverzüglich. Darauf dasselbe Spiel. Keine Antwort mehr. Nachfrage. Keine Antwort. Drucktermin. 

http://www.artsobserver.com/wp-content/uploads/2014/08/IMG_3389.jpg
[Jeff Koons: Large Vase of Flowers, 1991. Bemaltes Holz, 132,1 x 109,2 x 109,2 cm, Installationsansicht Whitney Museum, New York 2014] 

https://c2.staticflickr.com/4/3038/3053119618_3c88f25226_b.jpg
[Jeff Koons: Large Vase of Flowers, Installationsansicht Schloss Versailles 2008]


3. Andreas Gursky lässt sich von der VG BildKunst vertreten. Insofern ist alles klar und verbindlich geregelt, wunderbar. In seinem Fall allerdings gibt es mittlerweile die Bedingung, dass Abbildungen nur noch in Farbe erlaubt sind. Das lässt sich auch rechtfertigen, immerhin stellt es einen Eingriff in die Unversehrtheit der Werke dar, wenn mit den Farben eine ihrer Dimensionen verloren geht. Allerdings sollte dann auch überlegt werden, wie groß Reproduktionen mindestens sein müssten, stellen die Überformate doch genauso einen wichtigen Aspekt von Gurskys Werk dar wie die Farben. Aber vielleicht geht es doch noch um etwas anderes als nur um die Abbildungsqualität. So können sich Farbabbildungen fast nur Auktionshäuser, Galerien, Ausstellungshäuser mit Sponsorengeldern leisten. Für Doktorarbeiten, wissenschaftliche Sammelbände, Bücher unabhängiger Autoren unabhängiger Verlage hingegen sind Farbabbildungen wegen der (erheblichen) zusätzlichen Druckkosten nicht bezahlbar. Das aber heißt, dass fast nur noch Texte über Gursky erscheinen, die einseitig von Wertschöpfungsinteressen geprägt sind und auf die der Künstler zudem Einfluss nehmen kann. Umgekehrt werden analytisch-kritische Texte, die sich mit der Ikonografie oder den Sujets des Künstlers befassen und die deshalb auf Abbildungen als Grundlage und Verifizierung einer Argumentation angewiesen sind, oft sogar unpublizierbar. Das Verbot von Schwarz-Weiß-Reproduktionen führt so zu einer Monokultur des Diskurses, genauer: begünstigt die Monotonie schmeichelnder Lobrede. 

http://www.spruethmagers.com/exhibitions/135@@viewq14 
[Andreas Gursky: Monaco, C-Print, 2006, 307 x 224,5 cm] 

https://www.flickr.com/photos/24552058@N07/5318058281 
[Andreas Gursky: Stateville, Illinois, C-Print, 2002, 184 x 258 cm]


4. Im Fall von Doug Aitken war es nicht leicht, überhaupt in Kontakt zu kommen. Auf seiner Website gibt es zwar ein Formular, mit dem man um Abdruckgenehmigungen ersuchen kann, doch erhält man darauf nie eine Antwort. Also muss man es doch bei den diversen Galerien versuchen, die den Künstler im Programm haben, aber offenbar nicht gut koordiniert sind. Es dauert also, bis sich jemand für zuständig erklärt. Dann kommt die mittlerweile übliche Aufforderung, den Text zu schicken. Diesmal erfolgt die Absage aber nicht kommentarlos, sondern wird von der Londoner Galerie Victoria Miro um die Forderung ergänzt, „der Künstler möchte gern ganz aus dem Buch gestrichen werden, da der Text nicht mit den tatsächlichen Tatsachen übereinstimmt.“ Ja, offenbar ist hier ganz vergessen worden, dass über einen Künstler nicht nur im Auftrag einer Galerie oder einer ausstellenden Institution geschrieben wird, es also auch Texte geben kann, deren Autoren sich das Recht eigener Interpretation erlauben. Natürlich sollten sie sich dennoch an Tatsachen halten. Die Mitarbeiterin der Galerie, näher mit der Funktion einer Archivarin bezeichnet, aber bemängelt, es werde (in Fußnote 103) unzutreffend auf ein Interview mit dem Inhaber der Kunstproduktionswerkstatt Mike Smith verwiesen: „In dem Interview ist Doug Aitken und die Tatsache, dass er so großes Vertrauen in die Handwerker hat, dass er seine Arbeiten selbst zum ersten Mal in seinen Ausstellungen sieht, also nicht einmal vorab kontrolliert, wie seine Konzepte umgesetzt wurden, nicht erwähnt. Diese Annahme missrepräsentiert die Praxis des Künstlers bei weitem und ist völlig unbelegt.“ Nun, wörtlich steht in besagtem Interview folgendes: “In fact we’ve been producing work that we’ve sent all over the world for him [Doug Aitken] now and some of that work he doesn’t see until he gets to the venue, so there’s an immense amount of trust on the part of some of the artists. […] This means they can relax and focus on other aspects of what they’re doing because they know that this is in the bag.” (Patsy Craig (Hg.): Mike Smith Studio, London 2003, S. 29). Am Tag darauf kam eine weitere Mail, mit der dringlichen Nachfrage, ob Doug Aitken denn nun aus dem Manuskript gestrichen worden sei. Als man der Galerie daraufhin jenes Interview-Zitat schickt, gibt es keine Antwort mehr. 

http://www.fengshuidana.com/wp-content/uploads/2012/06/DA-294.jpg
[Doug Aitken: Vulnerable, LED-Lichtbox, 2008, 28 x 216,5 x 7,5 inch] 


5. In diesem Fall gibt es gleich drei Rechteinhaber: den Künstler, den Fotografen und den Sammler. Die ersten beiden stimmten einer Reproduktion zu, der dritte, Christian Boros, hingegen nicht. Da seine Absage sekundenschnell erfolgt, sogar ohne dass er vorab den Text sehen will, darf vermutet werden, dass er grundsätzlich etwas gegen mich hat. Ja, ich bekenne, mich schon zweimal kritisch zu dem Sammler und seiner Art der Selbstinszenierung geäußert zu haben. Kritisch, nicht polemisch oder gar persönlich beleidigend. Aber gut, darüber können die Auffassungen bekanntlich auseinandergehen. Interessant ist jedoch, wie schnell ein Sammler die Verbreitung eines von ihm in Auftrag gegebenen Werks unterbindet, wenn er sich und seinen Ruf tangiert fühlt. Das unterstreicht nochmals die These meines Buches, dass es aktuell zwar viele Aufträge, aber wenig Auftragskultur gibt. Wäre sie entwickelter, würden Sammler und Auftraggeber selbstbewusst verteidigen, was sie zusammen mit Künstlern entwickelt haben. So aber laufen diese Gefahr, selbst zum Opfer der Launen und Imageängste ihrer Auftraggeber zu werden: Wer erst einmal Reproduktionen verhindert, entzieht als nächstes vielleicht auch die Originale jeglicher Öffentlichkeit. 

http://www.schwaebische.de/cms_media/module_img/1869/934843_2_mediagalleryDetail_934843_1_org_B821468240Z.1_20131207134757_000_G211BV57R.2_0.jpg
[Thomas Ruff: Porträt Karen Boros, Wohnzimmeransicht Karen und Christian Boros, Foto: Wolfgang Stahr]


6. Auch im Fall von Karla Black kam die Absage schnell und kommentarlos. Und wieder mag sie die Konsequenz eines früheren Textes sein, in dem ich mich mit der Praxis der Künstlerin befasste, Installationen selbst dann noch auszustellen, wenn sie durch wiederholten Auf- und Abbau schon in ziemlich ramponiertem Zustand sind. Aber vielleicht ist die Absage auch nur Ausdruck einer ‚déformation professionelle‘: Auf dem Markt erfolgreiche Künstler verlieren aus dem Blick, dass es genauso Texte jenseits von Publikationen mit Werbecharakter gibt, es also vorkommen kann, dass jemand in freiem wissenschaftlichen Interesse tätig wird, sich eben deshalb die Inhalte aber nicht vorschreiben lassen will. 

http://www.migrosmuseum.ch/de/ausstellungen/ausstellungsshydetails/?tx_museumplus%5Bexhib%5D=417
[Karla Black: Principles of Admitting, 2009, Gips, Farbpulver, Papier, Selbstbräunungsspray, Kreide, Abdeckstift, 20 x 2770 x 1025 cm] 


Wolfgang Ullrich 



Nota. - Natürlich würde ich Ihnen die von W. Ullrich kritisierten, aber nicht zur Veröffentlichung freigegeben Bilder hier gerne zeigen, aber ich hatte schon Ärger wegen des Urheberrechts und trau' mich nicht.

Einige der von W. Ullrich mitgeteilten Links sind nicht mehr verfügbar. Ich habe sie durch neue Links ersetzt, was mühelos möglich war.
JE




Samstag, 27. August 2016

Freitag, 26. August 2016

Der merkwürdige Schiele.



Schiele würde mir mit den Jahren immer merkwürdiger, habe ich kürzlich geschrieben.

Man sagt: Ein Expressionist, der vom Jugendstil herkommt. Dass er von Gustav Klimt herkommt, ist kaum zu übersehen. Aber ein Expressionist? Edvard Munch kam vom Jugendstil her und wurde zum Expressionisten, indem er nach und nach wegließ, was am Jugendstil Stil, Stilisierung und auch Manier gewesen ist, und den 'reinen Ausdruck' übrig behielt. Aber das hat lange gedauert, der Jugendstil schlägt immer wieder durch:

Munch, Die Mädchen auf der Brücke, 1927 

Das kann man von Schiele nicht sagen. Nachdem er ihn einmal überwunden hatte, kommt er nicht darauf zurück. Allerdings: Das, was man beim Jugendstil die japanische Ästhetik nennen kann, das Verhältnis der Linien zu den Flächen und das Ungleichgewicht der Massen, das behält er bei:

Schiele, Kahler Baum hinter einem Zaun 1912

Hier ist es genau umgekehrt: Was Stil war am Jugendstil, das behält er bei, er verzichtet auf die dekorative Manier. Wo allerdings "Ausdruck" auf diesen Bildern zu finden wäre, kann ich nicht erkennen. Er ist das Gegenteil von einem Expressionisten, nämlich ein strenger Stilist, so streng wie selten einer.   

Sie sehen aber: Ich halte mich an die Landschaften und Stadtveduten. Was ihn so populär gemacht hat, die pp. eroti-schen Bilder, ist mir völlig fremd. Was sehe ich darauf? Nichts, was ich, hélas, nicht schon längst wüsste: dass bei Gott nicht jeder Menschenkörper schön ist. Wenn er das zeigen wollte - es ist ihm gelungen. Das will ich ihm auch gönnen, aber darum muss ich es mir noch lange nicht anschauen.

Schiele, Herbstbaum in bewegter Luft, 1912

Donnerstag, 25. August 2016

Thomas Fearnley, 1802-1842

 Blick auf die Zugspitze vom Murnauer Moos, 1831

 Balestrand on the Sognefjord, 1839

Sonnenuntergang über Dresden

 Fjellandskap

 Gossauer See bei Salzburg

Felsen und Baum

 Schloß Vadstena am Vättern See

 Kakteen

 The Labro Waterfalls 1826

Sonnenuntergang bei Sorrent

 Wolkenstudie

 William Turner bei einer Vernissage

Baum; Studie

 Utsikt mot Fredrikshald fra Månefjellet, trolig 1839.

Die Elbe bei Dresden mit der Augustusbrücke

Tree Study, by a Stream,

Thomas Fearnley war ein norwegischer Maler englischer Abstammung. Nach Studien in Oslo, Stockholm und Kopenhagen ging er 1839 für zwei Jahre nach Dresden, um bei Joh. Christian Dahl zu studieren (was man seinen fertigen Ölbildern meist ansieht). Danach zog er kreuz und quer durch Europa, kehrte aber stets wieder nach Norwegen zurück. Er starb 1842 während eines Aufenthalts in München.



Dienstag, 23. August 2016

Warum die bürgerliche Kultur immer auch ein bisschen anti-bürgerlich ist.


Jakob van Hoddis, "Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut"

Die Geschöpfe der "bürgerlichen" Kultur sind Geschöpfe der Kleinbourgeoisie: Jene stellt nicht 'das Kapital' dar, sondern stellt sich dar unter der Herrschaft des Kapitals: sich als "den Menschen" - und dessen Existenz, subsumiert unter das Kapital, ist "Zerrissenheit" - nämlich das Hin und Her der kleinen Bürger, irgendwie dazu gehörend, aber eben nicht genug; mit-zeh-rend, aber unbefriedigt... So ist die "bürgerliche" Kultur immer auch ein bisschen anti-bürgerlich, die Bohème ist die Strau-ßenfeder am Hut des Philisters.

Alles, was Nietzsche über die Wagnerei sagt, ist nur Diagnose dieser Kleinbürgerlichkeit der "bürgerlichen" Kultur. Was Wunder also, daß die bürgerliche Epochen keinen gültigen Stil gefunden hat - notamment in der Architektur: Es ist im Wesen eine second-hand-Kultur - eine Stellvertreterkultur nicht der Subjekte der kapitalistischen Herrschaft, sondern nur ihrer Kost-gänger. Die ideologische Kostgängerei ist in den hochentwickelten industriellen Gesellschaften ein besonderer, ein eminenter Industriezweig, nicht etwa faux-frais, sondern ein wirtschaftlicher Faktor ersten Ranges: Das Mehrprodukt wird zu erheblichem Maß als Revenü zirkuliert und schafft dem Kapital eine massenhafte Klientel: Sie ist die wahre, mittlerweile einzig solide Basis der demokratischen Herrschaftsform: Es handelt sich, wer hätte das gedacht, um die Bürokratie "unter jeglicher Gestalt". Ihr Rekrutierungsfeld ist die Masse der längst expropriierten Kleinbourgeoisie, ihre fine fleur: die Lehrer. 

Dies ist die Masse, die die bürgerliche Kultur trägt, die sie massenhaft sekretiert, sie wird derart zur demokratisch herrschen-den Macht: Die "bürgerliche", nämlich kleinbürgerliche Kultur ist eo ipso Massenkultur. Das immer auch vorhandene Avant-garde-Element - die Trennung von plat de résistance und Avantgarde ist eine Kreation der "bürgerlichen" Kultur! - ist immer Elite, esoterisch, überheblich, sie erlaubt sich anti-Bürgerlichkeit, zu Zeiten selbst Revolutionarität, sie darf, sie soll!  Sie wird dafür bezahlt - freilich knapp, sonst erschlafft der Elan.

Ja, es ist wahr, es ist die Kleinbourgeoisie, die in der bürgerlichen Gesellschaft der Quell, der fruchtbare Boden aller kulturellen Schöpfung ist - der Ideen wie der Werke; vor allem indessen der kulturellen Massenproduktion - und die ist eben der letzte Dreck, von R. Wagner bis E. Blech, vom Antisemitismus bis zu gesunden und gewaltarmen Alternativen, es ist samt und sonders décadence, wie Nietzsche sagt.   

Nietzsche kommt selbstverständlich auch da her, aber bevor er auch da hin kommen konnte, musste er in die Krallen der Frau Dr. Foerster fallen.

aus e. Notizheft, 10. 3. 1986


Nota. - Von der kulturellen Massenproduktion habe ich inzwischen eine mildere Meinung, fast ein bisschen auch von R. Wagner. Ansonsten hat sich in den seither vergangenen dreißig Jahre nichts ereignet, war mein Urteil über die bürgerliche Klasse im Wortsinn zu verbessern geeignet wäre. Es ist eigentlich alles nur noch schlimmer geworden. Was ich dagegen über die Kleinbourgeoisie schrieb, klingt ja fast schon enthusiastisch; aber sie ist längst schon im großen Sumpf der Angestelltenzivilisation versunken, was früher Avantgarde war, ist jetzt nur noch Gezier.

Worauf ich im Nachhinein besonders den Finger legen will: Das lebende Zeugnis dafür, dass die bürgerliche Kultur nicht bürgerlich, sondern kleinbürgerlich ist, ist - war! - die Schlüsselrolle der Avantgarde. Die gibt es nun allerdings auch nicht mehr.
JE



Montag, 22. August 2016

Gibt es eine bürgerliche Kultur?

Gauguin

Es gibt keine bürgerliche Kultur; es gibt eine kapitalistische Kultur - aber deren schöpferischer Träger, deren Autor, deren Ur-Heber ist nicht die Bourgeoisie,* sondern... deren Kostgänger.

Andere herrschende Klassen bedurften der Kultur als Rechtfertigung ihrer Ausbeutungsordnung - und diese rechtfertigte jene in der Tat; Ausbeutung, Aneignung des gesellschaftlichen Mehrprodukts für Macht und Herrlichkeit - die Ausbeuter brauch-ten selber einen Grund, um sich von sich zu überzeugen, der Luxus allein tats nicht, und es gibt sogar Aubeutergesellschaften, wo die Ausbeuter gar keinen Luxus kennen:** Sparta.

Der Kapitalismus aber bedarf keiner Legitimation - jedenfalls nicht für die Agenten des Kapitals: Dessen Ausbeutung ist der Profit, und der rechtfertigt sich selbst. Die Kapitalisten brauchen keine Kultur, um sich ihrer eigenen raison d'être zu ver-sichern: der Gewinn besorgt das selbst. Das heißt: Sie brauchen keine eigne Kultur! Als Mittel ihrer Erbauung als Privatleute können die Elemente der Kultur x-beliebiger Herkunft sein,*** vorzugsweise sogar feudaler, denn dem Adel gegenüber hat der neureiche Routurier seinen Minderwertigkeitskomplex nie abgelegt: Sich die Produkte der feudalen Kultur kaufen zu können - welch ein Triumph!

Die Kapitalisten sind insbesondere nicht die Träger der Bildung - sie sind nicht die Ideologen ihrer Klasse: Zu dem Zweck müssen sie sich eine ganze Klasse von Kostgängern halten - nicht zur Rechtfertigung vor der arbeitenden Masse. Macht rechtfertigt sich selbst - auch vor den Beherrschten; Reichtum rechtfertigt sich selbst... nur für die Reichen, nicht für die Armen.

Die Ideologen der Feudalität seien ebenfalls nicht die Feudalen selbst gewesen? Doch: Der Klerus ist Teil der Feudalität, ein eminenter Bestandteil, Ingrediens; nicht zuletzt eben durch den Gegensatz, den er in mancher Hinsicht zum Blutadel bildet. Aber die höfische Kultur, die der Ritter, war ein ureigenstes Erzeugnis des Adels, ihr Mythos, ihre Mythologie, ihr Lebensstil, ihr Minnelied...

Die Bourgeoisie muß ein Corps von Panegyrikern für bares Geld einkaufen, um sich den Ausgebeuteten angenehm, d. h. wenigstens respektabel zu machen.

Allerdings muß sie nicht weit suchen. Die Zukurzgekommenen aller Stände, die nach den Fleischtöpfen schielen, die meinen, von Rechts wegen auch einen Anspruch auf die besseren Plätze zu haben, sind es schon ihrem Dünkel schuldig, diese ihre prekäre Lage mit höheren Weihen auszuschmücken, um sie sich selbst schmackhaft zu machen - und sich vor allen Dingen die Aussicht auf den individuellen Aufstieg, und sei er noch so illusorisch, als versöhnenden und zu 'praktischem Leben' ertüch-tigenden Hoffnungsschimmer nicht zu verstellen.

So entsteht die Intelligenz als spezifischer Klassenausdruck des Kleinbürgertums, die Intelligenz als Ausdruck der kleinbürger-lichen Existenzbedingungen in der kapitalistischen Gesellschaft - sie ist Autor und Konsument der "bürgerlichen Kultur": Die Kultur des Kapitalismus ist in ihrem Wesen nach kleinbürgerliche Kultur.

*) cf. England: Dessen originale Kulturleistung ist der comfort, Kreation der verbürgerlichten Aristokratie: des gentleman.
**) Die Feudalen der Blütezueit sterckten weit mehr von dem angeeigneten Mehrprodukt in die Kirchenschätze, als sie ver-praßten - und selbst das taten sie nicht einmal allein.
***) Die Verfertiger der kulturellen Gegenstände sind selbstverständlich Handwerker und Artisten.

aus e. Notizheft, 9. 3. 1986



Sonntag, 21. August 2016

Der Künstler, ein bürgerlicher Held.



Die Geringschätzung, derer sich ein Komponist wie Dvorak heute bei der Musikwissenschaft erfreut, erhellt schlaglichtartig die ästhetische Verlegenheit des bürgerlichen Zeitalters: "belangloser Wohlklang", heißt es; soll heißen: dass er der Musik - nach Brahms - formal, d. h. stilistisch nichts Neues hinzugefügt hat. Denn das ästhetische Interesse der Anspruchsvollen in bürgerlicher Zeit gilt eben dem Sitl: weil das bürgerliche Zeitalter einen gültigen Stil nicht hervorzubringen fähig war, misst es ästhetische Produktionen an ebendiesem Mangel: Was hat er getan, um diese unsere Leere zu füllen?!

Aber wenn Dvorak auch an Form nichts 'hinzugefügt' hat, so hat er doch - in gegebener und seinerzeit noch gar nicht erschöpfter - Form der Musik beachtliches Material hinzugefügt: böhmisch-mährische und indianische Folklore (welch letztere er für "Negergesänge" hielt); dass die volkstümlichen Melodien (und Rhythmen und Harmonien) in die Kunstmusik aufgenommen wurden, war schon nicht mehr originell, aber immer noch aktuell, und ist es noch lange geblieben. Es ist immerhin bemerkenswert: Er hat "gute", d. h. schöne* Musik geschrieben, was ihm keiner bestreitet; aber es soll ihm nicht als Verdienst angerechnet werden. 

Natürlich steht dahinter l'image des "Künstlers" als Außenseiter - Unangepasster, Rebell...; er soll das sein, was der Bourgeois auch gern wäre: ein Abenteurer, der in seinem Ehrgeiz alles wagt;** und er soll auch - zu Lebzeiten wenigstens - scheitern: Ein Unternehmer, der nicht mit den Marktgegebenheiten rechnet, verdient's nicht anders. Und dergestalt eignet sich "der Künstler" - sei's auch nur symbolisch - zum Spekulationsobjekt: Spekulation auf den Nachruhm: zu einer Zeit auf einen Künstler "gesetzt" zu haben - und sei's nur geschmacklich, ohne finanziellen Einsatz -, als "noch keiner ahnte", dass er postum Furore machen würde - das adelt den Bourgeois; als wäre er selber ein bisschen Entreprenuer, auf den ein bisschen Abglanz fällt von Huttens "Ich hab's gewagt!"

Bemerkenswert, dass die Kühnheit im Imaginarium der feudalen Ritterschaft so wenig Platz hat, nämlich Kühnheit hat zu tun mit der Angemessenheit der Zwecke - und der Ritter hat keine Zwecke; er hat einen Stil, und der bringt sein Leben in Gefahr, und dann braucht er Tapferkeit, die entsprechend hochgeschätzt wird, aber das Abwägen von Einsatz und Chancen, das Kalkulieren des Risikos und das Wagen auch bei knappen Chancen - das ist dem Edelmann völlig fremd.

*) und das ist mehr als nur 'dem Publikum gefallend'
**) ein Kapitän.

aus e. Notizheft, 18. 5. 1987