Mittwoch, 22. März 2017

Klee und die Surrealisten.

aus Badische Zeitung, 25. 11. 2016                                                      Marionetten (bunt auf schwarz), 1930

Ein Kopf wie eine Wunderkammer 
Die Geschichte einer Faszination: Die Ausstellung "Paul Klee und die Surrealisten" im Zentrum Paul Klee in Bern.

von Volker Bauermeister

Paris, 20. Dezember 1923. Er habe "hier einige Freunde", erklärt der Briefschreiber Max Ernst dem "verehrten" Herrn Klee, die seien von seinen Bildern "sehr, sehr begeistert" und wollten einiges erwerben. Ob denn noch etwas zu haben wäre von den in Wilhelm Hausensteins "Kairuan. Eine Geschichte vom Maler Klee" abgebildeten Dingen? Schon einmal hatte Ernst bei Klee angeklopft, ihn in München besucht. In den Tagen, im September 1919, entdeckte er in der italienischen Kunstzeitschrift Valori plastici auch die "metaphysischen" Bilder Giorgio de Chiricos. De Chirico und Klee: Sie beide sollten für den Pariser Surrealismus zu ästhetischem Zündstoff werden. Eine enorm materialreiche Ausstellung im Berner Zentrum Paul Klee nimmt den Faden auf, zeichnet die Geschichte einer Faszination nach: "Paul Klee und die Surrealisten".
de Chirico, L'énigme de l'arrivée et de l'après-midi


Der Kampf gegen den Rationalismus

Klee setzte sich in den Köpfen der Aufrührer fest. Einer von Max Ernsts Freunden, Louis Aragon, versuchte, ihn für das Projekt einer Zeitschrift zu interessieren. Der Titel La Révolution Surréaliste mag dem Solisten Klee eher fremd geklungen haben. Die Namen von "Mitarbeitern" dienten dem Literaten Aragon aber erfolgreich als Köder: Picasso und de Chirico. Im Heft Nummer drei im Frühjahr 1925 war Klee dabei, mit Bildern wie "Siebzehn, irr". Noch in dem Jahr hatte er eine Soloschau in Paris und war, neben Max Ernst, Hans Arp, Joan Miró, Picasso und de Chirico, beteiligt an der Ausstellung "La Peinture Surréaliste". Postum ernannte das Surrealistenhaupt André Breton ihn zum "Vorläufer". Was zog die Pariser so an ihm an?

N° 1, 1924

In ihren Augen gewann der unterdessen am Weimarer Bauhaus wirkende Künstler dunkel märchenhafte Züge. "In Weimar blüht eine Pflanze, die einem Hexenzahn ähnelt." Der Satz Aragons steht als merkwürdiges Denkmal da. Und Klees "Diesseitig bin ich gar nicht fassbar" war in den Ohren der Surrealisten die Musik, die sie hören wollten. Sie sahen ihn damit an ihrer Seite, im Kampf gegen den Rationalismus. Klee, mit dem Emblem der geschlossenen Augen. Ein Vorträumer in der Denkfabrik ihrer Träume. Ein Kopf wie eine Wunderkammer. Antonin Artaud sprach von "Visionen im Fötus-Stil". Für die Maler unter den Surrealisten war Klee der Neudeuter der Bildmittel. Bilder ließ er aus der zeichnerischen Spur entstehen. Der "psychische Automatismus", die "écriture automatique" des Surrealismus fand sich in seiner "psychischen Improvisation" vorgeprägt. Die Nicht-Anerkennung einer bloß äußeren Wirklichkeit war in seinem frühen Vorsatz schon enthalten: "Erlebnisse zu notieren, die sich selbst in blinder Nacht in Linie umsetzen könnten."

Klee, Ansicht von Kairuan, 1914 

André Masson entdeckte Hausensteins "Kairuan" und gehörte mit seinem Freund Miró zu den begeisterten Besuchern der ersten Klee-Schau an der Seine. Massons Linienschrift scheint den Gedanken "in blinder Nacht" zu folgen. Mirós mit der kindlichen Psyche liebäugelnde Zeichen-Setzung hat ihren Grund in Klees inspirierter Einfachheit. "Die Begegnung mit Klees Werk war das wichtigste Ereignis in meinem Leben", bekannte Miró. Und der Bewunderer hörte, wie viel das Vorbild von ihm hielt. Ja, Klee wusste, was in Paris passierte. Frappierend, wie er mit "Ein Antlitz auch des Leibes" auf René Magrittes "Le viol" reagiert – den Frauenkörper im poetischen Kurzschluss zum Gesicht erklärt. Im Kapitel der "Surrealen Räume" macht die Ausstellung überraschend deutlich, dass neben Max Ernst auch Klee sich von der Magie der leeren Plätze de Chiricos bannen ließ.
Klee, Ein Antlitz auch des Leibes, 1939

Nicht zuletzt stellt sich dar, wie im Zeichen des Sexus der Surrealismus den Umriss der Menschenfigur aufbricht – wie die Lust ihm zum Sprengsatz wird. Schon für Klee war sie eine Wirklichkeit per se. Dem "Besessenen Mädchen" verformen sich die Augen zur Vulva. Was sein "Verliebter" im Sinn hat, reflektiert der junge Surrealist Alberto Giacometti nicht weniger drastisch in "Homme et femme". Die Welt ist der Spiegel im Kopf. Klee, der eigenwillige "Zwiesprache" mit der Natur hält, gibt den Surrealisten eine Vorstellung davon, wie die Einbildungskraft selbst "Naturgeschichte" entwerfen kann. In seinem Kopf blüht eine "Kosmische Flora". Max Ernst deutet die abgeriebenen Materialstrukturen – die Frottagen – dann systematisch zur "Histoire naturelle" aus. Hans Arp lässt Formen quellen wie Gewölk. Die Natur steht nie still. Sie ist eine unendliche Geschichte, laut Klee. Das statische Abbild erklärt der für passé. Die Phantasie nimmt sich nach ihm bei der kreativen Natur ein Vorbild.

Paul Klee, Besessenes Mädchen 

Klee gilt den Surrealisten als der Wundermann der bewegten Phantasie. Und als Will Grohmann in seiner 1929 in Paris erschienenen Monographie dies Bild zu komplettieren versucht, den konstruktiven Formdenker, den Bauhaus-Pädagogen hervorkehrt, bringt er den Chor der Dichter damit doch nicht zum Verstummen.

Zentrum Paul Klee, Bern. Bis 12. März, Di bis So 10–17 Uhr.



aus Badische Zeitung, 2. 2. 2017                                         Giorio di Chirico, Apollinaire

Eine Beziehung, die keine Einbahnstraße war
Eine Ausstellung über Paul Klee und die Surrealisten in Bern.

von Hans-Dieter Fronz

In Weimar blühe eine Pflanze, die einem Hexenzahn gleiche, schrieb Louis Aragon im Mai 1922 in der Pariser Zeitschrift Littérature. Die magisch-vegetabilische Metapher bezog sich aufs Schaffen des Bauhauskünstlers Paul Klee. Den nannte Antonin Artaud einen "peintre mental". Und Robert Desnos war der Ansicht, Klee könne Blinde das Malen lehren. Eine Ausstellung mit Werken des Bildmagiers in Paris wenige Jahre später war dann nicht nur für André Masson und Joan Miró eine Offenbarung.

Mit untrüglichem Instinkt erkannten die Surrealisten in Klee einen Bruder im Geiste. Fortan war der Maler und Zeichner auf allen großen Surrealismus-Ausstellungen prominent vertreten: in London 1933 etwa oder, ein Jahr später, in Brüssel. Tout Paris strömte 1929 zu seiner dritten Einzelausstellung in die Galerie Bernheim-Jeune; Braque und Picasso waren beeindruckt, Masson neuerlich hingerissen, auch Joan Miró, der im Rückblick bekannte: "Klee war die wichtigste Begegnung in meinem Leben. Unter seinem Einfluss hat sich meine Malerei befreit." Die Ausstellung, in der zahlreiche Werke schon am Eröffnungsabend einen Käufer fanden, war Klees Durchbruch in Frankreich.



Picasso, Metamorphose I (female character), 1928


Die Beziehung von Klee und den Surrealisten war keine Einbahnstraße. Auch Klee ließ sich von den Pariser Künstlern und Literaten inspirieren. Intensiv setzte er sich mit Picassos Werken der surrealistischen Phase auseinander. Und zeigte sich am Schaffen Max Ernsts interessiert, den er bereits 1919 kennen gelernt hatte. Vereinnahmen freilich ließ er sich von der neuen Kunstrichtung nicht. Seine Zeichnung "Menu ohne Appetit" darf sogar als Ausdruck spöttischer Distanz interpretiert werden. Zwar zitiert das biomorph anmutende Ensemble amöbenartig zerfließender Wesen die Bildsprache surrealistischer Künstler wie André Masson und Yves Tanguy. Doch scheint der Titel andeuten zu wollen, dass dem Künstler über der Arbeit der Appetit, sprich: die Lust am Zeichnen, vergangen war.

Das Blatt ist eines von mehr als 250 Exponaten der Ausstellung "Paul Klee und die Surrealisten" im Berner Zentrum Paul Klee. In Kooperation mit dem Pariser Centre Pompidou, das 60 Werke beisteuerte, thematisiert das Museum erstmals umfassend die Beziehung zwischen Klee und den Surrealisten. Neben einer Vielzahl von Werken Klees aus der museumseigenen Sammlung werden Bilder und Skulpturen der Surrealisten aus bedeutenden öffentlichen und privaten Sammlungen geboten; darunter Schlüsselwerke wie Giacomettis Bronzeskulptur "Table" von 1933 oder – ein Surrealismus avant la lettre – Giorgio de Chiricos "Porträt von Guillaume Appolinaire" von 1914. Zu Werken dieser beiden Künstler und Klees gesellen sich Bilder, Zeichnungen, Skulpturen und Fotografien von Miró und Masson, Max Ernst, Dalí und Picasso, Magritte oder Man Ray sowie Stücke aus Klees Naturaliensammlung und Handpuppen, die er für seinen Sohn schuf. Gleich die erste von acht Sektionen führt in medias res: in die surrealistischen Sphären von Nacht, Traum und Unbewusstem. Dort geht ein "Hausgeist" (1923) um oder ein "Vorhäng-Schloss nachts spazieren" (1938). Klee ist in diesen Zeichnungen schier surrealer als die Surrealisten Tanguy in dem Ölbild "Demain", Magritte in dem enigmatischen Gemälde "La sortie de l’école".



Klee, Hausgeist 1923 

Den "Dessins automatiques" (automatischen Zeichnungen) von Max Ernst, Tanguy, Masson und Arp treten Blätter Klees wie "Psychogramm der Näherung" oder "über-beschwingte II" zur Seite, die die surrealistische Écriture automatique ins Visuelle transponieren. Am nachdrücklichsten zeigt Klees Nähe zu den Surrealisten das Kapitel "Histoire naturelle" auf. Just zur Entstehungszeit des Surrealismus und teils Jahre vor Max Ernsts Frottage-Serie "Histoire naturelle" entdeckt beziehungsweise kreiert Klee neue Spezies wie "Kreuz- und Spiralblumen" – oder eine nie gesehene "Silbermondschimmelblüte".

Klee, Kreuz- und Spiralblüten 1922 

In enger Beziehung zueinander stehen die Kapitel "Eros und Sexualität" sowie "Surreale Mechanik und die Desintegration des menschlichen Körpers". Magrittes Ölbild "Le viol" – ein Gesicht in Form eines nackten weiblichen Körpers – findet ein Pendant in Klees "Antlitz auch des Leibes". Dessen "Analÿse verschiedener Perversitäten" wiederum ist nicht weit von Hans Bellmers sexualisierten Puppen entfernt. Man Rays Zeichnung "Begegnung einer Nähmaschine mit einem Regenschirm auf einem Seziertisch" zitiert die Stiftungsurkunde des Surrealismus, eine Stelle bei Lautréamont, und schlägt eine Brücke zum letzten Kapitel der Schau mit Objektkunstwerken wie Man Rays mit Nägeln armiertes Bügeleisen ("Cadeau") oder Mirós "Peinture-objet". Daneben bietet die Schau einige Objets trouvés aus Klees Nachlass wie ein Stück Schlangenhaut oder eine Metallschachtel mit Muscheln.

Zentrum Paul Klee, Monument im Fruchtland 3, Bern. Bis 12. März, Di bis So 10–17 Uhr.

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