Brueghel, Rubens, Ruisdael: Sinn fürs Kleine, Zug ins Große
Schätze der kleinen, aber sehr kostbaren Hohenbuchau Collection zeigt die Stuttgarter Staatsgalerie.
von Hans-Dieter Fronz
Die Sammlung ist nicht gar so umfangreich, dafür umso kostbarer und von seltener inhaltlicher Geschlossenheit. Die rund einhundert Werke der Hohenbuchau Collection – Gemälde durchweg – stammen fast ausnahmslos aus dem 17. Jahrhundert. Neben einer kleinen Gruppe von Werken deutscher, italienischer und spanischer Provenienz beinhaltet das erlesene Bilderensemble vor allem Malerei des niederländischen Goldenen Zeitalters. Auf sie beschränkt sich die Auswahl von rund 80 Werken, mit der die Staatsgalerie Stuttgart die Sammlung, die seit 2007 Dauerleihgabe des Liechtenstein Museums Wien ist, in einer ersten Präsentation in Deutschland vorstellt. Benannt ist die Kollektion nach dem ehemaligen Familiensitz der Sammler, Schloss Hohenbuchau in Hessen.
Karel du Jardin, Weite südliche Landschaft mit Hirten und ihrer Herde, um1675
Die Sammler, das ist das Ehepaar Otto Christian und Renate Fassbender. Schon in den 1970er-Jahren erwarben sie Bilder der Niederländer. Das Sein, so scheint es, bestimmt auch auf dem Feld des Kunstsammelns das Bewusstsein. Denn wie als Sammler kostbarer älterer Kunst hatte der Ökonom Otto Christian Fassbender schon als Vermögensverwalter mit bleibenden Werten zu tun. Dass er darüber hinaus mit Baustoffen und Immobilien handelte, also durchaus handfester Ware, findet eine Entsprechung in seiner Vorliebe für die Niederländer mit ihrer realistischen Nähe zur visuellen Welt. Sie paart sich bei dem Sammler mit Abneigung gegen eine abstrahierende Moderne.
Hendrick ter Brugghen, Ein lachender Landstreicher mit seinem Hund (Diogenes ?) 1628
Dass die Hohenbuchau Collection, auch wenn sie beim Stillleben und der Landschaftsmalerei dezent Schwerpunkte setzt, das ganze Spektrum an Themen und Bildgattungen der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts abbildet, lässt den Parcours zu einem Streifzug durch die flämische und holländische Bildkunst des Goldenen Zeitalters werden. Die ganz großen Namen fehlen zwar: Rembrandt, Vermeer, Frans Hals, Anthonis van Dyck. Rubens als einer der Titelgeber der Schau ("Brueghel, Rubens, Ruisdael") ist nur mit einem "Porträt eines Kapuzinermönchs" – einem Spätwerk – vertreten. Doch kann die Qualität in der Breite das Manko an der Spitze ausgleichen.
Roelant Savery, Cornelis Cornelisz. van Haarlem, Adam und Eva im Paradies – Der Sündenfall, 1618
Die Ausstellung ist teils thematisch, teils nach Bildgattungen gegliedert, wobei sich beide Bereiche stellenweise zudem nach holländischer und flämischer Malerei auffächern. Das Ergebnis sind Gruppierungen intimen Charakters, mit Überschriften wie "Figurenmalerei in Utrecht und Haarlem" – oder "Im Bann von Rubens". Zum Mönchsporträt des schulbildenden Idols gesellen sich etwa eine "Heilige Familie" und das "Porträt eines Musikers und seiner Muse" von Jacob Jordaens – oder Frans Snyders’ köstliches "Stillleben mit Früchten, Wild und Gemüse sowie ein lebender Affe, ein Eichhörnchen und eine Katze".
Austern, Schinken und bewegtes Meer
In der überraschend lebendigen, ja dramatisch bewegten Nature morte mit naschendem Nager und einem Primaten als Früchtedieb spiegelt sich die Tendenz niederländischer Bildkunst zur Vermischung der Genres. So wie Snyders’ Komposition – darin vergleichbar Jacob Marrells Blumenstillleben mit lebenden Tieren: Eidechse oder Papagei – Stillleben und Tierstück in einem ist, verbinden sich in Otto Marseus van Schriecks Waldboden-Stillleben die beiden Genres mit der Bildgattung Landschaft. Stillleben und Landschaft, in wechselnden Mischungsverhältnissen, scheinen als Pole einer Malerei auf, bei der sich der Sinn fürs Kleine und Nahe häufig mit einem Zug ins Große und Großräumige vermählt.
Joachim Antonisz Wtewael, Venus und Adonis, um 1607
So öffnet sich in einem Prunkstillleben von Abraham van Beyeren [s. Kopfbild] der Bildraum ins Urbane, während Jan Brueghel d. J. die genrehafte Intimität seiner "Madonna mit Kind" in eine idyllische Landschaft stellt. Anthony van der Croos’ Waldlandschaft mit Vogelnesträubern und weiteren Figuren ist sogar Genreszene, Landschaft und moralisches Lehrstück in einem. Der Vermischung der Bildgattungen entspricht die schillernde Vieldeutigkeit der Aussage. Van Beyerens Preis irdischer Genüsse in dem Prunkstillleben tritt in seinem "Stillleben mit Fischen" eine expressive Darstellung der Vergänglichkeit des Irdischen zur Seite. Von ihr sprechen auch einige Jagdstillleben und Bilder mit toten Tieren. In Pieter Claesz’ spätem "Bankettstillleben" klingt beides an: Prall-glänzenden Früchten, noch unangetastet, gesellt der Haarlemer Meister aufgeschnittene Austern und ein Reststück Schinken zu.
Abraham Bloemaert, Ruhe auf der Flucht nach Ägypten, 1592
Nicht minder denn einige flämische Malereien mit ihren manieristisch überladenen Weltlandschaften preisen die Schönheit des Daseins die zauberhaften dunkeltonigen Flusslandschaften der Holländer Jan van Goyen und Salomon van Ruysdael. In Jacob von Ruisdaels Wasserfallbild gewinnt das Naturschöne Züge des Erhabenen – wie in einer Handvoll Seestücke mit stürmisch bewegtem Meer. Die südlichen Landschaften niederländischer Italianisten heben den Naturraum ins Erhaben-Ideale.
Salomon van Ruysdael, Belebte Flusslandschaft
"Die Großmut des Scipio", ein Gemeinschaftswerk von Frans Francken d. J. und Hans Jordaens III., hat die Vorbildhaftigkeit der Antike im Auge. Während sich Gerard van Honthorsts antik gewandeter "Standhafter Philosoph" stoisch der sinnlichen Versuchung in Gestalt einer sich entblätternden Schönen verweigert. Ein weiterer Utrechter Caravaggist, Hendrick ter Brugghen, preist in "Lachender Vagabund mit seinem Hund" [s. o.] in einer Szene schöner Unmittelbarkeit das Glück des Augenblicks. Die Porträts nicht zu vergessen; als eins der anrührendsten will Aelbert Cuyps "Der kleine scheue Jäger" erscheinen.
Staatsgalerie Stuttgart, Konrad-Adenauer-Straße 30. Bis 23. Februar, Di, Do 10–20, Mi und Fr bis So 10–18 Uhr.
Nota.
Das kann ich kaum glauben, dass die Flucht nach Ägypten von Abraham Bloemaert ist; das sieht mir eher nach Tiepolo und seinen Zeitgenossen aus, nicht bloß wegen Rosa; aber Bloemart war erstaunlich und vielseitig. - Ich gehe dem nach.
JE
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