Abenteuerliche Geschichten! Der Kunstdiskurs ist fruchtbar noch - Thomas Schütte in der Fondation Beyeler in Riehen
von Maria Becker
von Maria Becker
Man kommt nicht leicht an ihm vorbei: Der 1954 geborene deutsche Künstler Thomas Schütte hat ein sperriges Werk geschaffen, das kontroverse Urteile provoziert. Auch die grosse, dem klassischen Thema Figur gewidmete Schau in der Fondation Beyeler zeigt, dass dem Kunstdiskurs noch heute Kraft innewohnt.
Da stehen sie, schweigend und mit
gesenkten Blicken, festgebannt in ihrer Vasenform, an der die Arme wie
Henkel angesetzt sind. Männer, Frauen und Kinder sind es, in bunter
Kleidung und mit Urnengefässen bestückt. Sie erinnern an Folklorepuppen
und an Jahrmarktsfiguren und zugleich an nichts von beidem. «Die
Fremden», eine Gruppe lebensgrosser Keramikfiguren von Thomas Schütte,
sind eigentlich Ausserirdische. Am Dachrand der Fondation Beyeler
aufgereiht, lassen sie die Besucherströme an sich vorbeiziehen und
verharren in ihrer merkwürdigen, eingezogenen Duldsamkeit. Sie scheinen
zu wissen, dass sie nicht hierher gehören und vielleicht nirgendwo in
der Welt zu Hause sind.
Fremde
Fremde
Eigentümliche Mahnung
Die 1992 entstandene Figurengruppe (die Fondation zeigt einen Teil des Werks ) ist sicher einer der seltsamsten Appelle gegen Fremdenfeindlichkeit, die es je gegeben hat. Der Künstler hat sie im Rahmen der Documenta IX geschaffen, und zwar von Anfang an als Giebelgruppe, die man von unten in den Blick nimmt. Das Thema hat an Brisanz nichts verloren, und so bleibt dem Werk seine eigentümliche Mahnung erhalten, die umso nachhaltiger wirkt, da sie sich nicht konkretisieren lässt. Mit der Vasenfigur, Schüttes ureigenster Erfindung, ist ein neuer Typus Plastik im gegenwärtigen Kunstschaffen eingeführt worden. Sie ist weder Mensch noch Gegenstand, sondern irgendetwas dazwischen, eine Art Zwitter und Spielfigur, die ihren Standort nur in sich selbst hat. Schütte hat mit den Giebelfiguren dem Attribut «fremd» einen bisher ungekannten Ausdruck verliehen.
Große Geister
Die «Fremden» sind der Auftakt für eine Schau, die zu den untypischen und kontroversen in der Geschichte des Hauses gehört. Nicht etwa, weil es bei Thomas Schütte Anstössiges oder Sensationelles zu sehen gäbe. Nein, alles bleibt im Rahmen klassischer Gattungen und Inhalte, auch der groteske bronzene Hase, der im rückwärtigen Teich Wasser speien darf und ebenso im Park der Villa d'Este in Tivoli seinen Platz fände. Selbst die monumentalen, im Foyer vor dem Eingang zur Ausstellung aufgerichteten «United Enemies» wären als Wächterfiguren eines manieristischen Schloss-Entrées durchaus denkbar.
United enemies
Die dem figuralen Werk gewidmete Ausstellung versammelt Arbeiten aus den letzten drei Jahrzehnten und ist die umfangreichste, die dem 1954 geborenen Künstler zurzeit die Ehre gibt (in Luzern und Essen werden seine Architekturen bzw. Frauenbilder gezeigt). Grossplastiken, Büsten, Tierfiguren, Assemblagen von Kleinplastik und einige Serien wunderschöner Aquarellporträts und Stillleben sind zu sehen. Die von Theodora Vischer konzipierte Schau trägt allen Facetten von Schüttes «Figur» Rechnung und füllt die Säle des Rundgangs mit einem ebenso anrührenden wie sperrigen Werk, das die Sammlung des Hauses subversiv konterkariert.
Fratelli
«Eine Ausstellung ist bis heute ja keine Ehre, das ist eine harte Prüfung.» Thomas Schütte bringt mit diesem Satz auf den Punkt, worauf es ankommt. Der Künstler ist gefordert durch die Präsentation seiner Arbeiten, denn jede Ausstellung ist eine Offenbarung, in der Stärken und Schwächen schonungslos sichtbar werden, in der Erwartungen enttäuscht werden und das eigene Vermögen auf dem Spiel steht. Wenn es aber so ist, wird die Ausstellung auch für den Betrachter zur Prüfung, die seine Auseinandersetzung damit in Gang bringt, was Kunst sein kann.
Frauen
Selten geschieht dies so unspektakulär und fast nebenbei wie hier. In Schüttes figuralem Werk stösst Vergangenheit auf Gegenwart, Klassik auf Anti-Klassik, Schönheit auf Karikatur, stille Einfalt auf klobige Protzigkeit, kurz: Die Gegensätze reiben sich und müssen irgendwie miteinander auskommen. Verwundert geht man durch die grotesken Fratzenreihen und Krieger, die ausufernden Frauenakte aus farbigem Metallguss, die zarten gezeichneten Selbstreflexionen und Hommagen an Freunde und fragt sich: Wo will das hin?
Walser's wife.
Forcierter Ausdruck
Abenteuerliche Geschichten! Anlässlich eines Stipendiumaufenthalts in Rom 1992 begann Schütte, angeregt von der barocken Überwältigung durch die Stadt und von physiognomischen Studien in Bus und Restaurant, kleine Gestalten aus Fimo-Knetmasse zu formen und mit Stoffresten zu bekleiden. Es waren die Urbilder der «United Enemies», die in der Ausstellung unter Glasglocken präsentiert werden. Die verschnürten Männertypen, von Schütte später als Grossplastik modifiziert, sind der Beginn einer bis heute fortgesetzten Reihe von hybriden Ausdrucksvarianten. Zu ihnen gehören auch die 1994 entstandenen «Innocenti», 31 handgrosse Köpfe, die der Künstler ebenfalls aus Fimo geknetet und meisterlich fotografiert hat. Ihnen ist ein ganzer Raum gewidmet. Es sind Fratzengesichter ohne Halt, Wesen aus einem unbekannten Zeitalter, die schon uralt waren, bevor sie geboren wurden.
aus innocenti
«Mit Fingerdruck formte ich die Gesichtszüge. Wenn ich an dem Hohlkörper auf die eine Stelle drückte, kam an der anderen zum Beispiel die Nase heraus.» Schüttes Interesse am forcierten Ausdruck, an der mimischen Verzerrung und Absonderlichkeit durchzieht das gesamte figurale Werk. Seine «Fratelli» und «Criminali», seine Krieger und Maskenköpfe sind reine Grotesken, Erben eines Franz Xaver Messerschmidt, mit denen er die Endzeit der klassischen Epoche beschwört. Grösser könnte der Kontrast zu Picasso und den anderen Grossen der hauseigenen Sammlung nicht sein. Selbst moderate Gestalten wie der «Vater Staat» tendieren bei Schütte zur Biedermeierkarikatur. Mit Schlafrock und Fes ausgestattet, wird die Personifikation des Staates zum freundlichen Hausvater, der über die Lage der Nation nur sinnig lächeln kann.
Vater Staat
Es sei viel schwieriger, etwas Schönes zu machen, sagt Thomas Schütte. Dem Schwierigen hat er sich in einer Serie von liegenden Frauenakten und -köpfen ausgiebig gewidmet. Die in den vergangenen zehn Jahren geschaffenen Plastiken verraten die Vorbilder Moore, Laurens und andere und sind Akte im klassischen Sinn. Doch gerät die Rezeption auch hier unversehens zur Karikatur: Verdreht und gummiartig zeigen diese Figuren, was geschieht, wenn man die Klassik wie Knetmasse bearbeitet. Der farbige Lack und der Metallic-Glanz tun ein Übriges, um sie schwer geniessbar zu machen.
Schüttes herausragende künstlerische Qualität findet sich da, wo der Ausdruck sich verselbständigt und zum Inbild menschlicher Befindlichkeit wird. Dies gilt für die «Fremden» ebenso wie für die «United Enemies» oder «Walser's Wife», ein vielfach variiertes fiktives Porträt. Alles konzentriert sich im Ausdruck: Typus, Charakter, Moment. Die Physiognomie dominiert die plastische Form. Diese Gestalten sind Wesen, keine Schönheiten. Die Kraft von Schüttes nur scheinbar widersprüchlichem Werk liegt genau darin.
Thomas Schütte. Fondation Beyeler Riehen. Bis 2. Februar 2014. Katalog Fr. 59.-.
Stahlfrau N°2
Nota.
"...wird die Ausstellung auch für den Betrachter zur Prüfung, die seine Auseinandersetzung damit in Gang bringt, was Kunst sein kann." Dass ich nicht verstehe, was der Künstler sich dabei gedacht hat, stört mich nicht, nicht einmal, wenn ich selber nichts dabei zu denken finde. Dass es etwas zu sehen gibt, ist genug. Ob es Kunst ist oder nicht, interessiert nicht einmal den Händler, höchstens den Museumsdirektor und den Rezensenten. Aber ob es mir in der einen oder andern Weise gefällt, darauf kommt es mir doch an.
Die Innocenti, die Vereinten Feinde, die Fratelli gefallen mir ganz gut, aber das hier ist eine Ausstellung, da muss man schon über den ganzen Künstler urteilen, nicht über die Kunst, aber über seine Kunst. Und da sehe ich doch vor allem Verlegenheit. Die Fremden, die Großen Geister, der Hase gefallen mir gar nicht, das ist Alberei, und wenn es parodistisch gemeint ist, würde ich wissen wollen, was parodiert wird und warum. Der Hinweis auf Messerschmidt verfängt gar nicht, denn von dem wissen wir, dass wir ihn als Phänomen nehmen müssen, weil wir ihn sowieso nicht ergründen werden. Das Parodieren als bloßer Gestus kann jedenfalls eine ästhetische Rechtfertigung nicht ersetzen. Das ist dann vielleicht gut gemacht, aber etwas Schönes zu machen wäre schwieriger.
JE
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen