Freitag, 13. Dezember 2013

Stefano della Bella in der Hamburger Kunsthalle.

aus NZZ, 13. 12. 2013                                                             Sechs Frauen als Allegorien der Wissenschaften, 1650er Jahr

Es raschelt und rauscht
Zeichnungen von Stefano della Bella in der Hamburger Kunsthalle 


von Ursula Seibold-Bultmann

Der Florentiner Künstler Stefano della Bella (1610-1664) war einer der besten Druckgrafiker seiner Zeit. Die Hamburger Kunsthalle zeigt nun die erste grosse Retrospektive seiner Zeichnungen. 

Pest, Krieg und Feuer - das war das 17. Jahrhundert. Aber mittendrin sehen wir einen stolzen Fahnenschwinger mit Federhut und eine melancholische Muse, einen zeichnenden jungen Prinzen und einen Puppenspieler mit seinem Dudelsack, einen toten Elefanten, ein Stachelschwein und die antiken Ruinen Roms. Arme Zwergwüchsige müssen zur Belustigung des toskanischen Grossherzogs und seiner Gäste Ball spielen, während am Hafen von Livorno unter Ächzen und Stöhnen tonnenschwere Bündel auf eine prunkvolle Galeere verladen werden. Und in Florenz triumphiert der Sonnengott Apoll in goldgelb flatterndem Kostüm auf der Opernbühne, begleitet von Musikern in wallenden Mänteln und einer Gärtnerin, die ebenso schön und reich geschmückt ist wie Rembrandts Saskia. Überhaupt, das Theater: Hier tanzt ein Narr, dort wütet eine schlangenbekränzte Furie. Wir staunen, und am Ende zerbrechen wir uns den Kopf auch noch über einem Bilderrätsel: Was mögen die einsamen Noten bedeuten, und warum steht die brave Kuh «Io» unter einer Uhr mit Zeigerstellung auf zwanzig vor zwei? Auf Stefano della Bellas Zeichnungen entfaltet sich das pralle Leben einer fernen fremden Zeit.

Ein Hafen

Der in seiner Heimatstadt Florenz als Goldschmied und Maler ausgebildete, bald schon auf Radierungen spezialisierte Künstler hielt sich zunächst von 1633 bis 1636 zu Studienzwecken in Rom auf, bevor er zwei Jahre später für ein Jahrzehnt nach Paris ging und dort eine so steile Karriere machte, dass er es sich leisten konnte, den Posten als Zeichenlehrer des jungen Ludwig XIV. abzulehnen. Durch politische Unruhen zur Rückkehr nach Florenz gezwungen, schuf er dort ab der Jahrhundertmitte noch ein umfangreiches Spätwerk. Seine rund 1000 Radierungen gehören zu den Klassikern der Druckgrafik des 17. Jahrhunderts; eine umfassende Auswahl war 2005 in der Karlsruher Kunsthalle in der ersten monografischen Ausstellung zu della Bella auf deutschem Boden zu sehen. Seine über 3000 heute bekannten Zeichnungen sind der Öffentlichkeit weniger vertraut; so gab es bisher nur Bestandskataloge zu diesem wichtigen Bereich seines Schaffens, aber weder eine Einzelausstellung noch ein kunsthistorisches Übersichtswerk.


Zwischen Italien und Frankreich

Dass nun die Hamburger Kunsthalle rund 120 höchst qualitätvolle Handzeichnungen della Bellas vorstellt - sie stammen aus eigenem Besitz ebenso wie aus den wichtigsten musealen Beständen in Europa und zu einem kleinen Teil aus Privatbesitz -, hat seinen Grund in der jahrelangen wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit diesem Künstler im Kupferstichkabinett des Hauses. 2009 publizierte der Kurator der jetzigen Ausstellung, David Klemm, die in Hamburg befindlichen Zeichnungen della Bellas - den drittgrössten Bestand weltweit. All diese 286 überwiegend kleinformatigen Blätter befinden sich in einem alten Klebeband; obwohl nicht vom Künstler selbst zusammengestellt, enthält dieser gleichsam ein Grundrepertoire, aus dem er für seine Radierungen Figuren oder Landschaftselemente schöpfen konnte. Die Ausstellung bietet daneben auch grössere bis sehr grosse Formate, die andere Funktionen erfüllten.

 Studie: Menschen kämpfen gegen den Wind, o. D.

Als Günstling des Florentiner und Pariser Hofes war della Bella vielleicht kein gänzlich freier Mensch, aber völlig frei war und blieb seine rasant gezeichnete Linie. Wie eine für die Hamburger Ausstellung unternommene materialtechnische Untersuchung ergab, benutzte er ein begrenztes Instrumentarium von Rötel, Grafitstift, schwarzer Kunstkreide und bevorzugt die Feder, wobei er seine Federzeichnungen mit Vorliebe virtuos in Grau oder Braun lavierte. Farbige Tinten oder Papiere schätzte er nicht. So erzielte er seine zeichnerischen Effekte fast ausschliesslich mit seiner lockeren Hand und kontrollierter Nervosität. Zehn Bleistiftschwünge und einige Federstriche mehr, und schon meinen wir eine wütende Sturmbö durch den Kapuzenmantel eines sich mühsam vorankämpfenden Passanten fahren zu sehen. Oder wir erblicken den Tod - und zwar als explosives Bündel ineinander verwirbelter abstrakter Linien, die von hinten um den Körper eines panisch fliehenden Mannes greifen: Der Künstler brauchte nicht zwingend allegorische Hilfen, um die wilde und unbegreifliche Schnittstelle des Lebens mit dem Jenseits zu fixieren.
 
 Der Tod verfolgt einen Mann, 1650er Jahre

Da sich der Zeichenstil della Bellas im Laufe der Jahre nur wenig veränderte, ist die Ausstellung nach Themen gegliedert: Religion, Mythologie, Krieg, Tiere und Jagd, Landschaft und so weiter. Besonders elegant präsentiert sich die rauschende und raschelnde Formphantasie des Meisters im Kapitel «Ornament und Wappen». Daneben interessiert der Abschnitt «Wissenschaft und Dichtkunst», war doch della Bella zum Beispiel ab 1655 mit der ebenso ehrenvollen wie politisch heiklen Aufgabe betraut, das Frontispiz für die erste Gesamtausgabe der Schriften Galileo Galileis zu entwerfen, der gute zwanzig Jahre zuvor unter päpstlichen Bann gestellt worden war. In Hamburg sieht man zwei Schritte des Entwurfsprozesses, leider aber nicht die endgültige Radierung.

 Studie: Reiter

Wegweiser ins Rokoko

Seit einiger Zeit versucht die Forschung, den Blick auf della Bella von dem Vorurteil zu befreien, er sei nicht mehr als ein Nachfolger des grossen Jacques Callot (1592-1635) gewesen. Dessen Radierungen haben ihn in seinen frühen Jahren zwar zweifellos beeindruckt, waren aber keineswegs sein einziger künstlerischer Bezugspunkt. Insgesamt gesehen schlagen die in Hamburg gezeigten Blätter einen Bogen vom Florentiner Spätmanierismus bis hin zu einem in ihnen schon stark vorauszuahnenden Rokoko. Das Miteinander von brillanter, stilistisch facettenreicher Zeichenkunst und packender Zeitgeschichte machen die fachlich fundierte Ausstellung für den Besucher zum lohnenden Ziel.

Von der Schönheit der Linie. Stefano della Bella als Zeichner. Hamburger Kunsthalle. Bis 26. Januar 2014. Katalog (Petersberg, Imhof-Verlag) € 29.80.


Nota.

Ich tanze wieder aus der Reihe. Ich kann, was die Rezensentin so hoch lobt, nicht erkennen; nicht einmal seinen Landschaften kann ich viel abgewinnen, am besten gefallen mir noch der halbe Reiter und die vom Wind Gebeutelten.

In der Reanissance galt, nach Vasaris kanonischen Texten, il disegno, die Zeichnung, als das Herzstück der Malerei: die Linie, die klare Linie natürlich, die deutliche, die eindeutige. Hier wird aus der Linie ein gestricheltes Dornengestrüpp, unter dem man nicht viel erkennt. Ihre Schönheit, die im Titel der Hamburger Ausstellung steht, scheint an keiner Stelle beabsichtigt. Aber Abstraktion oder Ausdruck auch nicht. Mich könnte das nicht nach Hamburg locken.
JE     

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