Freitag, 27. Dezember 2013

Géricaults Floß der Medusa.

aus Badische Zeitung, 26. 11.2013

Das nackte Leben 
Der französische Romantiker Théodore Géricault in der Frankfurter Schirn-Kunsthalle. 

von Volker Bauermeister  

Man sah ihn als Maler des Morbiden und Moribunden. "Das Klassische nenne ich das Gesunde, und das Romantische das Kranke", sagte Goethe. Théodore Géricault schien das berühmte Vorurteil brutal zu bestätigen. Sein "Floß der Medusa", diese Riesenleinwand , missachtete auf unerhörte Weise, was man klassisch nennen wollte. Oder schien so jedenfalls. Der Romantiker Géricault schaute dem wirklichen Unschönen ins Auge.

 
Wie geht das zusammen? Géricault, der Begründer der Romantik in Frankreich, – ein Realist? Die Ausstellung in der Frankfurter Schirn fragt nach seiner Haltung zur Realität. Das "Floß der Medusa" ist im Louvre natürlich unabkömmlich. Eine Skizze vertritt das Katastrophenbild. Und Studien berichten von Géricaults Arbeit daran. Er greift da ein Thema auf, das hohe Wellen geschlagen hatte.


Die Fregatte "Medusa" war durch das Verschulden des Kapitäns vor Westafrika auf Grund gelaufen. An die 150 Menschen fanden nicht in den Rettungsbooten Platz und wurden auf einem eilig zusammengezimmerten Floß dem Schicksal überlassen, ohne Wasser und Nahrung unter sengender Sonne. 15 überlebten am Ende das Drama. Géricault malte in seinem Skandalbild von 1819 den Moment, in dem am Horizont die Rettung sichtbar wird. Er recherchierte wie ein Reporter, suchte Überlebende auf und intensivierte, um der Handlung die angemessene Physis zu geben, seine Studien der menschlichen Anatomie. Der junge Maler Delacroix, der für eine der Figuren auf dem Floß Modell gesessen hatte, wird dann erzählen: Er sei "wie verrückt" durch die Straßen gerannt, nachdem er das Bild gesehen habe.

  
Rund 220 Jahre nachdem Caravaggio sein abgeschlagenes Schreckenshaupt gemalt hatte, die "Medusa", die im Moment ihres eigenen Todes auf Perseus’ spiegelndem Schild erscheint, malt Géricault seine "Medusa". Keinen Mythos, sondern ein Stück verbürgte Wirklichkeit: ein modernes Historienbild. Und er setzt auch nicht, wie Caravaggio mit triefendem Blut und sich ringelndem Schlangenhaar, auf blanken Horror. Zwar finden wir in Frankfurt in einer der Skizzen auch eine der kannibalischen Szenen auf See abgebildet, von denen berichtet wurde. 

Caravaggio, Das Haupt der Medusa

Aber das Gemälde spart am Ende solche grausigen Entgleisungen der Not aus. Géricault geht es nicht um den Kitzel der Grausamkeit. Vielmehr um die Darstellung von Wirklichkeit. Im Moment der Krise – in der Extremsituation des Schiffbruchs sucht er das Bildnis des nackten Lebens. Wo die Ordnung zusammenbricht, da soll es sich zeigen. Wo es gefährdet ist, scheint seine Kostbarkeit auf. Und er zapft nun auch Quellen der Kunst an, um es zu charakterisieren. Er zieht Michelangelo und Rubens zurate. Sucht sich "Höllensturz" und "Jüngstes Gericht" als Fluchtpunkte. Das Wirkliche, das die Schönheitsanbeter bei ihm irritierte, erhöht er doch auch.



Stillleben aus abgetrennten Gliedern

Géricault kennt nicht die Ausflucht ins Jenseits. Er weiß nur, was ist. Als er am großen Bild des "Floßes" malt, malt er auch Stillleben. Nature morte – aus abgetrennten Körpergliedern. Doch er schlachtet die Wirkung des Schaurigen nicht aus. Und ist selbst in diesen "Anatomischen Fragmenten" nicht der Effekt haschende Maler des Morbiden. Seine Menschen haben nichts als ihr ungeschütztes Dasein, aber dieses vermag er als Wert anzusehen. Die zusammengewürfelten Leichenteile aus den Sälen der Anatomie sind kein lebloser Haufen. Während der Maler sie anrührt, sieht man sie sich wahrhaft beleben und Regung zeigen. Géricault malt vom Tod aus das Leben. Obwohl er von nichts als sterblichem Fleisch weiß, lässt sich bei ihm – mit dem Frankfurter Kurator Gregor Wedekind – von der "Suche nach einem Humanum" sprechen. Von einer romantischen Sehnsucht.



Er würdigt die Menschen, aber in einem düsteren Bild. Er sagt: "Wenn uns auf Erden eine Sache sicher ist, dann sind dies unsere Mühen. Das Leiden ist wirklich . . ." Die Ausstellung zeigt auch Blätter aus Francisco Goyas "Desastres de la Guerra" und Adolf Menzels grafische Sequenz "Bergung einer männlichen Leiche aus dem Landwehrkanal". Und sie zeigt Géricaults eigenes Leiden und Sterben, in den Bildberichten zeichnender und malender Augenzeugen. Der vitale junge Mann, der leidenschaftliche Reiter, war mehrfach vom Pferd gestürzt und erholte sich danach nicht mehr. 1824 starb er, kaum über 30. Es wird erzählt, er habe eine Rückenoperation noch im Spiegel verfolgt, den Eingriff am eigenen Leib. Ein Wirklichkeitssüchtiger war er.

 

Er wollte sehen, was alles zum Leben wirklich dazugehört. In Gesichtern fand er es auch: ein Porträtmaler wie selten einer. Die Ausstellung bietet Beispiele. Vor allem jene legendären "Monomanen", die sich 1863 auf einem Dachboden in Baden-Baden wiederfanden. Keine Krankheitsbilder sind sie, auf die sich die medizinische Forschung des frühen 19. Jahrhunderts versteifte. Keine medizingeschichtlichen Dokumente, wie sie die Ausstellung daneben auch ausbreitet. Krankheiten des Gemüts aus den Gesichtszügen zu lesen, diese fixe Idee der Physiognomik, lag Géricault fern. Menschenkenntnis verbot ihm die Schematisierung. Die überlieferten Bildtitel sind gewiss nicht von ihm. "Die Monomanin des Neides", "Der Monomane des Diebstahls" . . . Ihre Augen erzählen Geschichten, die sich nie und nimmer so einsinnig titeln lassen. Ein großes lebendiges Rätsel ist jedes Gesicht. Erklärung menschlicher Unerklärlichkeit. Vier Bilder sind da von den fünf. Nur das in Winterthur steht für die Ausleihe nicht zur Verfügung. Eine Bewunderin Géricaults ist dafür eingesprungen: Marlene Dumas hat es jetzt nachgeschaffen.

Schirn-Kunsthalle, Frankfurt. Bis 26. Januar, Di + Fr bis So, 10–19, Mi, Do 10–22 Uhr.
 

Bildnis eines Knaben

Nota.

Romantik ist kein Stil. Sie ist eine epochale Auffassung dessen, was ist. Nämlich in seiner begriffslosen Singularität und Einzigkeit; und oder dessen, was auch sein könnte, in seiner idealen Vollkommenheit: jedenfalls des Abhandenkommens einer verbürgten Ordnung in den Dingen. Das Wesen des Romantischen sei das Unbestimmte, meinte Oscar Wilde.
JE  

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