Wie Untugenden zur Tugend wurden
In der Vortragsreihe "Künstlerhelden" sprach der Kunsthistoriker Jürgen Müller über Rembrandt.
von Hans-Dieter Fronz
Können Künstler Helden sein? Der Begriff des Heros wurzelt im Mythos und bezieht sich ursprünglich aufs Militärische, doch seit je heftet er sich als Metapher an Menschen jedweder Profession von herausragender Bedeutung für die Identität einer Gruppe oder Nation. So wurden Dichter, Komponisten und Künstler, die in der Kunstreligion des 18. und 19. Jahrhunderts als Kulturheroen die politische Ohnmacht des Bürgertums kompensierten, vielfach als Helden verehrt.
Eine zweisemestrige Vortragsreihe an der Freiburger Albert-Ludwigs-Universität widmet sich seit dem Sommer diesem Phänomen und zieht nach Betrachtung von Künstlern aus Antike und Renaissance nun die Linien über das Barock zur Gegenwart aus. Die von Mitgliedern des Freiburger Sonderforschungsbereichs "Helden – Heroisierungen – Heroismen" organisierte Vortragsreihe kehrt bereits im Titel ("Künstlerhelden?") das Fragwürdige heroischer Stilisierung und Instrumentalisierung von Künstlern hervor. Nicht einmal ein "Anti-Held" gleich Rembrandt entging der Heldenverehrung, wie jetzt ein Vortrag des Dresdener Kunsthistorikers Jürgen Müller zeigte.
Noch im 18. Jahrhundert, so Müller, war Rembrandt ein "Künstler für Künstler"; erst nach der Loslösung Belgiens von den Niederlanden 1831 avancierte er als protestantisch-bürgerlicher Antipode des katholischen Höflings Rubens zur Identitätsfigur der Holländer. Eben die Untugenden, die zuvor einen Schatten auf seinen Ruhm warfen – schon den Zeitgenossen galt Rembrandt als ungebildet und rüpelhaft –, wurden nun in Tugenden umgedeutet: Der vermeintliche Mangel an Bildung erschien als Volksnähe, Rembrandts Schroffheit als Wahrhaftigkeit und Ausdruck von Genie. Es waren Kunstwerke, die seine Heroisierung beförderten, mit unterschiedlicher Zielrichtung: Mal ist der Künstler Bürgerschreck, mal bürgernahe Idealfigur wie in Louis Royers Amsterdamer Denkmal. Die Rhetorik der Volkstümlichkeit und Bürgernähe fließt in dem Ehrenmal von 1852 aus einer "Geste des Understatements". Der Künstler erscheint in traulich-beobachtender Haltung, das Spielbein ragt über den Sockel hinaus in den Betrachterraum, macht ihn zum Bürger unter Bürgern.
Louis Royer, Rembrandt
Zu solch schöner Bescheidenheit kontrastieren monumentalisierende Darstellungen wie Albert Ernest Carrier-Belleuses Tischpendüle, die den Künstler in genialischer Pose sitzend und gleichsam zeitenthoben über der Uhr thronen lässt – in der gewichtigen Attitüde von Michelangelos Moses vom Grabmal Julius’ II. In der Bezugnahme auf die biblische Gestalt, die das Volk ins gelobte Land führte, das sie selbst nicht betreten durfte, sind spätere Stilisierungen als Ausgestoßener und einsames Genie keimhaft schon angelegt.
Rembrandt, selbst
So pendelt das Rembrandt-Bild zwischen Volkstümlichkeit und Volksferne – ehe es im Zeitalter des Nationalismus ins Chauvinistische kippt. Von Julius Langbehns Monografie "Rembrandt als Erzieher" ist es nicht mehr weit zu "Dürer als Führer". Gerade für die Nationalsozialisten war Rembrandt, man staunt, der deutscheste aller Künstler. Aufs Ganze gesehen, so lautete Müllers Fazit, wurde kein anderer Künstler vor den "nationalen Karren gespannt" wie er.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen