Montag, 2. Dezember 2013

Felix Vallotton im Grand Palais.

aus NZZ, 30. 11. 2013                                                                                                                                 Am Strand 1899

Erzähler von Unausgesprochenem
«Félix Vallotton - Le feu sous la glace» - eine umfassende Ausstellung im Pariser Grand Palais

Dem aus Lausanne stammenden Félix Vallotton gilt derzeit eine Ausstellung im Pariser Grand Palais. Vorstellen muss man ihn den Franzosen und ihrem internationalen Publikum nicht, könnte man denken. Doch die Schau bietet manche Überraschung.

von Peter Kropmanns

Die gedachte Linie der Ismen, die sich dem auftut, der den Werdegang jedweden in Paris tätigen Künstlers des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts verfolgt, funktioniert bei Félix Vallotton nicht. Und dies, obwohl seine Lebensdaten - er wird 1865 in Lausanne geboren und stirbt 1925 in Paris - eine entsprechende Entwicklung verheissen. Was damals neun von zehn Malern beschäftigt - Impressionismus, Pointillismus, Fauvismus und Kubismus - scheint für ihn keine Rolle zu spielen. Anfangs, er ist Student an der Pariser Académie Julian, malt er altmeisterlich, bisweilen fotorealistisch. Augenscheinlich ist es die Begegnung mit der Kunst von Gauguin, Sérusier und Bernard, die ihn andere Wege einschlagen lässt. Er gibt den Illusionismus auf, schliesst sich den Nabis an, gehört zum Kreis der «Revue blanche» und kultiviert für seine figurativ bleibende Kunst einen Flächenstil, der sich wenig verändert. Weitaus komplexer sind seine Themen.

Selbstbildnis mit 20

Grosse Ehre für einen Individualisten

Die jetzige Vallotton-Ausstellung in Paris hat das Verdienst, seine Singularität eindringlich zu betonen. Dass der Schweizer, den es in die Seine-Metropole zieht, wo er die französische Staatsangehörigkeit erwirbt, zur Avantgarde um 1900 zählt, war zwar bekannt. Doch erst diese denkbar grösste Ehre, die ihm in Paris zuteilwerden kann - eine grosse Schau retrospektiven Charakters im Grand Palais -, lässt ihn den Franzosen und ihrem internationalen Publikum als Individualisten greifbar werden. - Man gewinnt den Eindruck, in der Schweiz befinde sich derzeit kein wichtiges Bild mehr von ihm: Eidgenössische Museen und Privatsammlungen sind mehrheitlich Leihgeber der 110 Gemälde und 60 Grafiken, obwohl zahlreiche Werke auch aus den USA und aus französischen Museen kommen. Dabei wird manche Überraschung geboten, darunter wenig bekannte Akte und Badende sowie Stillleben. 


Besonders stark wirkt Vallotton als Landschaftsmaler sowie als Erfinder von mysteriösen, Fragen aufwerfenden Interieurs mit Figuren, die von Ironie, ja von Sarkasmus geprägt sind. Er demonstriert dabei eine ausgeprägte narrative Ader, mehr noch ein Gespür für Unausgesprochenes. In der Schau werden auch seine Kodak-Kamera und damit gemachte Aufnahmen gezeigt, aus denen er Gemälde entwickelt. Doch sie sind nur Hilfsmittel bei der Dekonstruktion dessen, was er wie ein Seismograf notiert, aber filtert und neu zusammensetzt.








 

Das Selbstporträt des Zwanzigjährigen und eine Reihe von Bildnissen eröffnen den Parcours, der hauptsächlich dem Maler, aber auch dem Grafiker gilt. Die jetzt zu sehenden Ensembles seiner berühmten, auf Schwarz und Weiss reduzierten Holzschnitte gehören zweifellos zum Besten, was man sich in dieser Disziplin vorstellen kann. Der finanzielle Erfolg dieser Arbeiten und seine Heirat mit einer etwa gleichaltrigen Witwe, der Schwester der Kunsthändler Josse und Gaston Bernheim-Jeune, erlauben ihm, sich am Scheitelpunkt seiner Karriere auf die Malerei, in der er seine Stärke und Berufung erkennt, zu konzentrieren.

Demonstration

Die von Affinitäten und vergleichbaren Motiven bestimmte Hängung in zehn Sektionen beruht auf dem modischen Konzept der «transversalité». Sie gewährleistet Spannung bis zum Schluss, schafft aber auch, ausser bei den Strassen- und Parkszenen, die ohnehin fast alle aus der gleichen Zeit stammen, problematische Nachbarschaften. Das Bilderpaar des «Porträts» eines Schinkens auf Draperie (1918) und des Zooms auf ein Hinterteil mit Zellulitis

im Frühstadium (1884) wirkt jedenfalls deplaciert. Oder wird hier Vallottons Verhältnis zu Frauen kommentiert? Obwohl er sie oft malt, spürt man seine Distanz zu ihnen, den Männer mordenden, zumindest sie - oder besser: ihn - quälenden. Bei Vallotton, der an Neurasthenie leidet, ist die Femme wörtlich fatale: Er betrachtet ihre Emanzipation mit Skepsis und fürchtet mehr noch - wie seinen Schriften zu entnehmen ist - ihre Vorherrschaft.


Entwicklung schwer nachvollziehbar

Vallottons Entwicklung im Grand Palais nachzuvollziehen, fällt schwer. Die Ausstellungsstruktur kaschiert, wann seine Kunst qualitativ kippt, nämlich um 1903. Danach glückt sie ihm weniger, wirklich Bedeutendes wird rar, wie «La Loge» (1909), ein absolutes Meisterwerk, an dem man sich, obwohl wenig zu sehen ist, kaum sattsehen mag, oder «La cathédrale de Petropavlovsk» (1913), ein durch seinen Ausschnitt wirkungsvoller Blick auf die Kirche der Peter-und-Paul-Festung an der Newa. 

 Die Loge

Vallotton scheint zwar in gewisser Weise neue Sachlichkeit oder gar Magritte vorwegzunehmen, doch er verlässt das kleine und mittlere Format, in dem er brilliert, zugunsten grosser Leinwände und mythologischer Darstellungen, ausgerechnet in jener Zeit, in der sie allgemein auf dem Rückzug sind. Im letzten Teil der Ausstellung irritieren diese Themen auch deshalb, weil er die üblichen jungen, aber zeitlosen Heroinen durch in die Jahre gekommene grossbürgerliche Damen der Belle Epoque mit hochgesteckten Haaren oder gar Mannweiber ersetzt. Hier ist er Böcklin oder Corinth verwandt, die der Gattung ebenfalls neues Leben einhauchen wollen. Man fragt sich, was in Vallotton vorgeht, wenn er sich antiken Stoffen und Phantasiewelten bis zur Persiflage hingibt, die an die Güte seiner Bilder von Situationen, die sich nicht nur auf Vaudeville-Bühnen, sondern auch in vier Wänden abspielen können, nicht einmal entfernt heranreicht.

Perseus

1917 - lange nach der Entscheidung, das Studium seiner Zeit, deren scharfer Beobachter er jahrelang ist, weitgehend aufzugeben - holt ihn der Krieg vorübergehend in die Realität zurück: Er glänzt erneut als Grafiker und malt «Verdun», eine zugleich apokalyptische wie ästhetisierende Landschaft, die einsetzenden Regen zeigt, der erste Pfützen bildet, einen Rest von Wald, aus dem zwischen verkohlten Stämmen Feuer züngelt und Rauchschwaden aufsteigen, während sich darüber die farbigen Strahlen und Lichtkegel des Stahlgewitters kreuzen. Die Katastrophe, die sich an Maas, Marne und Somme verdichtet, lässt die Ismen, die er schmäht, an die Oberfläche kommen. «Feuer unter Eis», heisst die Ausstellung auch in dieser Hinsicht nicht ganz ohne Grund.

Félix Vallotton - Le feu sous la glace. Grand Palais, Paris. Bis 20. Januar 2014. Katalog € 45.-. Anschliessend im Van-Gogh-Museum Amsterdam und im Mitsubishi-Ichigokan-Museum in Tokio.

Verdun 1917

Nota.

Dass die Sachen nach 1903 schlechter geworden wären, kann ich nicht sehen. Richtiger scheint mir die Beobachtung, dass eine "Entwicklung" nicht zu erkennen sei. Wie ein 'Suchender' wirkt er auf keinem der Bilder, und darum scheint er auch niemals etwas gefunden zu haben: Es sieht immer so aus, als sei ihm immer das gelungen, was er gerade vorgehabt hat; mal dies, mal das. Habe ich gesagt, es wirke beliebig? Nein nein. Aber wie etwas Endgültiges wirkt auch keins der Bilder.


Er hat nichts 'versucht', er hat alles schon gekonnt. Dass er so vieles 'vorweggenommen' zu haben scheint -  das obige Art-déco-Stück stammt von 1896 -, rührt eben daher. Aber führt dazu, ihn immer bloß als Vorläufer von irgendwem zu sehen. Ist auch nicht gerecht.
JE  

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