Sonntag, 4. Januar 2015

Affentheater.

aus Castorfs Ring
aus nzz.ch, 4.1.2015, 05:30 Uhr

«Zeitgeistgötter»

von Sieglinde Geisel 

In der Theaterkritik ist Gerhard Stadelmaier («FAZ») Institution und Urgestein, ein unersättlicher und oft unterhaltsamer Polemiker. Das Theater sei (wie die Zeitungen) eine «Zeitgeistmaschine», denn die Regisseure – «Zeitgeistgötter» – wollten nicht mehr «Diener der Dichtung» sein, sondern das Gegenteil: Sie machten sich den Stoff zu Diensten (Romane und Filme lieber als Theaterstücke) und traktierten ihn mit allem, «was dem Regisseur so durch die Zeitgeist-Rübe rauscht». Das Regietheater, gegen das Stadelmaier wettert, sei «eigentlich ein Regisseurstheater», wie er in seinem Essay betont: «Ich darf es so nennen, denn ich habe den Begriff erfunden.» Ausdrücklich zieht Stadelmaier dabei nicht gegen das Regietheater per se zu Feld. Dieses gebe es seit mindestens 140 Jahren: Ämter wie Regisseur, Dirigent und Generaldirektor seien in der Kunst eingeführt worden als Ersatz für den absolutistischen Herrscher, begrenzt auf eine Sparte und auf Zeit.


Wogegen Stadelmaiers ungebrochener Furor sich dagegen wendet, ist jene «Abart des Regietheaters», die es erst seit gut zwanzig Jahren gebe, als Folge der Wiedervereinigung und somit ein Erbe der DDR, und zwar in Gestalt von Frank Castorf. Dessen «Theaterwüterei» habe das Theater zu einem «Durchlauferhitzer des Zeitgeists», einer «alles entgrenzenden Szeneverkopfungsfabrik» verkommen lassen und die Schauspieler zu «Demonstrationsmaschinen» degradiert.

Bis diese These allerdings aus dem Sack ist, hat man bereits zwei Drittel des Hefts und einige weit gestreute Rundumschläge hinter sich: gegen den Prototyp des Kritikers, der jedem «angesagten» Zeitgeist hinterherrennt, und den Prototyp des Chefredaktors, der seine Leser nicht mehr als Partner sieht, sondern als Kunden (und denen er deshalb keine Kritiken mehr zumuten mag, sondern nur noch Homestorys und Glossierendes). Gegen den Zeitgeist der «historisch informierten Aufführungspraxis» in der alten Musik polemisiert Stadelmaier ebenso wie gegen «das, was einmal Zeitung war» und sich nun «im allgemeinen elektronischen Stammtisch-Sumpf des Jeder-darf-mal!-Postens und Senf-dazu-Gebens sozusagen nivelliert, also verblödet hat». Womit wir beim Stil wären. Stadelmaier ist immer für Bonmots gut – «Der Zeitgeist weht nicht, wie er will. Er wird auch gemacht» –, doch seine verbalen Flächenbombardements lernt man fürchten. «Diese Aufführungspraxis versteinerte sozusagen in der Verpackung der flutschenden Plötzlichkeit.» «Das Auskotzen der Gegenwart verträgt in seinem Präsentismus keinen Ruhepunkt.» Und so weiter. In gewisser Weise tut Stadelmaier als Kritiker-Essayist das, was er den Regisseuren vorwirft: Er stellt seine Sprache nicht in den Dienst dessen, was er sagen will, sondern umgekehrt.

Gerhard Stadelmaier: Bühnen des Zeitgeists. Mit Illustrationen von Martial Leiter. Schriftenreihe der Stiftung Vontobel, Nr. 2130, 2014. Unentgeltlich zu beziehen unter www.vontobel-stiftung.ch oder bei Vontobel-Stiftung, Schriftenreihe, Tödistrasse 17, 8002 Zürich.

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