Das Schlachtfeld der Kunst
von Hans-Dieter Fronz
Angesichts myriadenfacher Realitätsverdoppelung mittels digitaler Medien neigt man zu ersterer. Aber sind beispielsweise Digitalfotos tatsächlich lupenreine Abbilder des Realen? Haben nicht auch sie dank wesentlicher Parameter – wie Wahl der Perspektive, Zeitpunkt der Entstehung, ja schon durch die Tatsache, dass sie (und aus welchen Impulsen heraus?) entstanden sind – menschliche Anteile? Noch der digitalen Wirklichkeitskopie, so scheint es, wohnt als unauslöschlicher Rest ein subjektiver Faktor inne. Pure Abbildlichkeit von Bildern ist reine Fiktion.
Gerhard Richter, Alles fließt. 10. 4. 88
Die Kunst seit der Moderne reflektiert die Frage des Realitätsgehalts des Bildes – bis hin zur strikten Verleugnung in der Abstraktion. Das Spannungsfeld von Figuration beziehungsweise Gegenständlichkeit und Abstraktion ist das Schlachtfeld dieser Auseinandersetzung. Es dient dem "Bilderwechsel" im Museum Frieder Burda, der die zweite Halbzeit der über sechs Monate währenden Ausstellung zum zehnjährigen Jubiläum des Hauses einläutete, jetzt als thematische Grundlage. Wobei Kurator Helmut Friedel eindeutig Position bezieht: "Die Idee des Bildes als Abbild ist einfach nicht tot zu kriegen – so sehr auch mit ihr gerungen wird."
Sigmar Polke, Nach Altdorfer
Friedel ist nobel und liberal genug, der Gegenposition im zentralen großen Saal im Erdgeschoss weitreichende Einspruchsrechte zuzugestehen. Im Unterschied zum Sammlungsquerschnitt des ersten Teils, der ein Panorama der Kunst von der Klassischen Moderne bis zur Gegenwart entfaltete, dominiert jetzt klar die zeitgenössische Kunst – auch im großen Saal: mit monumentalen Malereien solcher Sammlungsschwergewichte wie Richter, Polke und Baselitz, aber auch mit Werken von Isa Genzken, Imi Knoebel und David Schnell. So wie im Zwischengeschoss in Richters "Abstraktem Bild, See" besagtes Schlachtfeld bereits im Titel aufscheint, lässt im großen Saal Polkes raumgreifende Acrylmalerei "Nach Altdorfer" in der Überschrift Gegenständlichkeit erwarten – um dann doch ein Informel aus bunten und grauen Farbsetzungen oder -rinnsalen zu liefern; selbst die das Bildzentrum okkupierenden, schönlinig-ornamentalen Schnörkel bringt man nur mit Mühe mit dem altdeutschen Künstler in Verbindung.
Imi Knoebel Großes Doppelkreuz 1985
In Polkes "Rasterköpfen" dient das gemalte grobkörnige Punktraster mehr als Camouflage der Titelhelden, als dass sie sich darin figürlich offenbarten. Baselitz’ "Adler" steht, so realitätsfern wie nur möglich, Kopf, während Imi Knoebels "Doppelkreuz" ohne eindeutige gegenständliche Referenz mit den Bedeutungsvarianten des Begriffs spielt. Das Portal aber, das David Schnells wandfüllende Öl- und Acrylmalerei "Eingang" von 2007 im Titel annonciert, löst sich im Bild selbst spektakulär in ein chaotisches Ensemble von Holzstreben und Brettern auf.
David Schnell, Eingang, 2007
Selbst die Abgesandten der Klassischen Moderne – Künstler wie Clyfford Still und Willem de Kooning als Abstrakte Expressionisten ohnehin – halten sich mit Gegenständlichem oder Figürlichem diplomatisch zurück und übrigens nach allen Seiten offen. De Koonings "Large Torso" zerfließt amorph; auch Joan Mirós Bronze "Femme, monument" [Kopfbild] erschiene ohne den Titel weniger als Frauenfigur denn als Konfiguration aus abstrakt-geometrischen Körpern. Unzweifelhaft figürlich ist seine bronzene "Femme" von 1981 – auch wenn der Digital native den um neunzig Grad gedrehten Lächelmund im displayähnlichen Antlitz der Dame vermutlich als Bildzeichen – Emoticon für Freude – interpretieren dürfte.
Lucio Fontanas perforierte, rot bemalte Leinwand "Concetto spaziale, Attese" – Burdas allererste Erwerbung - ist abstraktes Bild und Zerstörung eines Bilds in einem, das als zerschnittene Leinwand seine Materialität hervorkehrt – und gerade dadurch wiederum Räume der Imagination öffnet: So dialektisch ist das Verhältnis von Bild und Wirklichkeit. Im Mezzanin, wo es zuvor hing, mäandert die Schau zwischen Abstraktionen Richters, Mark Rothkos und de Koonings auf der einen, Figurationen wie Lehmbrucks traurig-schöner "Frauenbüste" oder Picassos später Malerei "Nu couché" auf
der anderen Seite hin und her. Während er im Obergeschoss, wo er diesmal sowohl den Ausgangs- wie den Endpunkt markiert, mit einem Pollock-Dripping und einer abstrakten Leinwand von Adolph Gottlieb einer figurativen Übermacht gegenübersteht, die von Bildern und Skulpturen von Kirchner, Beckmann und Lipchitz über Picasso und Laurens bis zu Alex Katz, Neo Rauch und Tim Eitel reicht. Thematisch erscheint die Schau darin am Ende schön austariert. Das Untergeschoss bietet noch eine Reihe von Architektursujets – Werke von Beckmann, Richter oder Eberhard Havekost: eine Hommage an Richard Meier, den Architekten des Museums, aus Anlass seines 80. Geburtstags.
Museum Frieder Burda, Lichtentaler Allee 8b, Baden-Baden. Bis 15. Februar, Dienstag bis Sonntag 10–18 Uhr.
Nota. - "Die Kunst seit der Moderne reflektiert die Frage des Realitätsgehalts des Bildes" - naja, kann man sagen, ist aber zu allgemein und auch dann noch nur halbrichtig. Jedoch - die Kunst der Postmoderne visualisiert die Frage "Was kann ich heute noch malen, ohne als Epigone dazustehen?" - das fällt mir jedesmal wieder ein, wenn ich zeitgenössische Kunst betrachte.
JE
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