Mittwoch, 14. Januar 2015

Courbet, Daubigny und die Schleuse von Optevoz.


aus nzz.ch, 13.1.2015, 05:30 Uhr                                                 Schleuse im Tal von Optevoz, Charles-François Daubigny, um 1855

«Courbet - Daubigny» in München 
Überraschende Metamorphose

von Franz Zelger

Im Jahre 1909 erwarb der Direktor der Münchner Sammlungen, Hugo von Tschudi, das Bild «Schleuse im Tal von Optevoz» als wichtiges Zeugnis von Courbets früher Landschaftsmalerei. Das jüngst restaurierte Werk steht nun im Zentrum einer faszinierenden Schau.

Das Gemälde der «Schleuse von Optevoz» zeigt die Ansicht eines beliebten Ausflugsziels etwa 40 Kilometer östlich von Lyon. Zahlreiche Maler der Schule von Barbizon haben dieses Motiv in ihren Werken festgehalten. Das Schleusentor steht in einer markanten felsigen Landschaft. Es ist geöffnet, Wasser fliesst schäumend durch das Wehr und ergiesst sich in ein flaches Flussbett. Die Landschaft wirkt unspektakulär. Eine etwas düstere, melancholische Stimmung sowie die Signatur des Künstlers haben dem Bild einen festen Platz in der Courbet-Literatur gesichert. Hinzu kommt, dass das von Hugo von Tschudi, einem der besten Kenner der französischen Moderne, erworbene Gemälde aus der Sammlung des mit Courbet persönlich bekannten Kunstschriftstellers Théodore Duret stammt. Seine Authentizität stand somit ausser Zweifel.


vor der Restaurierung, als es Courbet zugeschrieben war

Falscher Courbet, echter Daubigny

Immer wieder und zu Recht haben die Fachleute die Münchner «Schleuse» mit Daubignys Versionen desselben Landschaftsausschnittes verglichen und versucht, die grundsätzlichen Unterschiede zwischen Courbet und Daubigny aufzuzeigen. Hier lichterfüllte Natur in differenzierter Farbigkeit, ganz im Sinne der Schule von Barbizon. Dort Materialität des gespachtelten Farbauftrags, die Zurückführung der Landschaft in eine spröde, unberührte Natur von monumentaler Blockhaftigkeit, vergleichbar mit den gleichzeitigen Felsbildern von Ornans, die Addition unbedeutender, in ihrer Besonderheit betonter Einzelteile.

Daubigny, Detail

Seit Tschudis Ankauf waren an der «Schleuse» lange Zeit keine restauratorischen Massnahmen durchgeführt worden. Erst in den 1990er Jahren, im Vorfeld einer Ausstellung über die Maler von Barbizon, wurde das Gemälde kunsttechnologisch untersucht. Die tradierte Meinung, es handle sich dabei um eine frühe Landschaft von Courbet, geriet ins Wanken. Neben der deutlich lesbaren Signatur Courbets kam diejenige von Daubigny zum Vorschein, was zur Annahme führte, es handle sich um ein Gemeinschaftswerk der beiden Maler unter Nutzung der Palette von Courbet.

Weitere Untersuchungen führten jedoch zu einem anderen Resultat. Die Komplexität des Sachverhalts schildert Herbert Rott wie folgt: «Die Signatur Courbets ist Teil einer Veränderung und Übermalung des Bildes, die lange nach Courbets Tod erfolgt ist. Eine ursprünglich vermutlich ebenfalls vorhandene Signatur Daubignys wurde dabei entfernt. Die zweite, nur im Infrarotreflektogramm erkennbare Signatur Daubigny gehört einer tieferen Schicht an, einem ersten darunterliegenden Gemälde, das ebenfalls eine Landschaft aus der Gegend zeigt und das Daubigny mit der Darstellung einer Schleuse übermalt hat.» Im Übrigen stellten sich vermeintliche stilistische Charakteristika Courbets als Teil späterer Überarbeitungen und folglich nicht authentisch heraus. Selbst der Einsatz eines Palettmessers, wie es Courbet verwendete, im Mittelgrund der Landschaft erscheint angesichts von Daubignys Experimentieren mit der Farbe durchaus einleuchtend. Alle diese Erkenntnisse führten zur Entscheidung, die entstellende Übermalung abzunehmen und damit den Zustand des Gemäldes vor seiner Überarbeitung wiederherzustellen. Die Stimmung düsterer Einsamkeit und die schweren Erdtöne haben einer lichten Landschaft Platz gemacht.


zeitgenössische Fotografie

So ist mit grösster Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass das Bild von Daubigny stammt und auch von ihm signiert worden ist, zumal es von Courbet keine Zeugnisse aus der Umgebung von Lyon gibt. Auf welchen Wegen es in die Hände eines Manipulators und dann in die Sammlung Duret geraten ist, bleibt ein Rätsel. Weshalb wurde ein echter Daubigny postum in einen Courbet verwandelt? Finanzielle Gründe können es kaum gewesen sein, da Courbet damals kaum höhere Preise erzielt hat als Daubigny. Ausstellung und Katalog gehen diesen Fragen nach. Eva Ortner, die Leiterin der Restaurierungsabteilung des Doerner-Instituts, hat die Freilegung und Restaurierung des Gemäldes durchgeführt. In einem spannenden Bericht dokumentiert sie den komplexen Veränderungsprozess des Bildes. Damit hat die Restauratorin die Kenntnisse zu Daubignys Maltechnik wesentlich erweitert.


Daubigny, Schleuse von Optevoz, spätere Fassung

Die Ausstellung – klein, aber fein

Herbert Rott, der zuständige Kurator, versteht es seinerseits, die «Schleuse» in der gediegen präsentierten Ausstellung im kunsthistorischen Kontext stringent und didaktisch anschaulich zu situieren. Die Version aus dem Musée des Beaux-Arts in Rouen sowie die zwei weiteren Fassungen des Motivs aus dem Louvre und der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe ermöglichen es, das Münchner Bild mit anderen für Daubigny gesicherten Fassungen zu vergleichen. Weitere Werke aus der Gegend von Optevoz, darunter auch Radierungen und Fotografien, sind aufschlussreiche Dokumente der künstlerischen Entdeckung dieser Landschaft. Besondere Aufmerksamkeit verdient Rotts Katalogbeitrag «Courbet, Daubigny und die Schleuse von Optevoz», der einen Meilenstein in der Erforschung der Schule von Barbizon bildet.

Fr.-Auguste Ravier, Teich bei Optevoz, Fotografie, ca. 1851

Damit leistet die Münchner Veranstaltung auch ohne Courbet einen wissenschaftlich fundierten und visuell überzeugend präsentierten Beitrag nicht nur zu Daubigny, sondern auch zu Courbet. Einen ähnlich kritischen Ansatz hätte man sich für die Exposition «Gustave Courbet. Les Années Suisses» im Genfer Musée Rath gewünscht (NZZ 23. 10. 04). Während des Schweizer Exils hat der Meister von Ornans eine gut gehende Werkstatt unterhalten, in der Bilder mit grossen Qualitätssprüngen entstanden. Gelegentlich signierte er die Werke der Mitarbeiter und Schüler, so dass er selbst an der Fälschung dieser Gemälde beteiligt war. Eine intensive Beschäftigung mit der Händescheidung wäre im Rahmen der Genfer Schau vorrangig gewesen. Die Chance wurde verpasst. So bleiben manche Äusserungen zu Courbets Spätwerk nach wie vor spekulativ. In München dagegen vermitteln Ausstellung und Katalog dank beispielhafter Forschung und Restaurierung das Resultat eines langwierigen Arbeitsprozesses, der zu überraschenden Entdeckungen führte.

Courbet – Daubigny. Das Rätsel der «Schleuse im Tal von Optevoz». Neue Pinakothek, München. Bis 9. März 2015. Katalog € 21.90.

Daubigny, Das Tal von Optevoz, 1857

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