Freitag, 9. Januar 2015

Ist Musik die Sprache der Welt?

Ndima-Mundbogen der Aka-Pygmäen
institution logo
Ist Musik wirklich eine universelle Sprache der Gefühle?

Stefanie Terp 
Stabsstelle Presse, Öffentlichkeitsarbeit und Alumni 
Technische Universität Berlin 

9. 1. 2015

Der Musik wird gemeinhin ein universeller Charakter zugeschrieben. Musik, so heißt es oft, werde überall und von jedem verstanden. Aber stimmt das? 

In einem Experiment haben deutsche und kanadische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einer Gruppe von isoliert lebenden Mbenzélé-Pygmäen in Kongo und einer Gruppe von Kanadiern jeweils die Musik der Pygmäen und die westliche Musik vorgespielt. Die Pygmäen hatten zuvor noch nie Kontakt mit westlicher Musik und Kultur. Ebenso war den kanadischen Probanden die der Pygmäen gänzlich unbekannt. „Wir wollten herausfinden, wie die Musik der Pygmäen und die westliche Musik auf beide Gruppen wirkt, um eventuell eine Antwort zu finden auf die Frage, ob die durch die Musik hervorgerufenen Gefühle angeboren sind, also universell, oder angelernt und somit kulturspezifisch“, sagt Dr. Hauke Egermann, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachgebiet Audiokommunikation der TU Berlin, das von Prof. Dr. Stefan Weinzierl geleitet wird.

Das Experiment:

Um die Frage zu beantworten, wurden bei den Probanden die physiologischen Parameter Hautleitwert sowie Herz- und Atemrate gemessen. Alle drei spiegeln den Grad der körperlichen Erregung wider. Gleichzeitig sollte jede Versuchsperson beurteilen, welche subjektive emotionale Wirkung die Musik bei ihr hervorruft.

In einem computerbasierten Diagramm gaben die Hörerinnen und Hörer dazu über ein Smartphone an, ob das vorgespielte Musikstück sie positiv (+) oder negativ (-) gestimmt hat und ob die Musik beruhigend oder erregend/stimulierend wirkte. „Ein solches kulturvergleichendes Musikwirkungsexperiment, bei dem sowohl die subjektive Reaktion erfasst, als auch physiologische Messungen vorgenommen wurden, ist unseres Wissens erstmalig durchgeführt worden“, erzählt Hauke Egermann. Neben der TU Berlin waren an diesem Experiment zwei kanadische Universitäten beteiligt: die McGill Universität und die Université de Montréal.

Die Unkenntnis der Probanden über die Musik der jeweils anderen Gruppe ist das Besondere an diesem Versuch und Ausgangspunkt, um analysieren zu können, ob es einen universellen Kern in der Musik gibt.


Die Ergebnisse:

Während die Pygmäen die Musik aus ihrer Kultur immer als positiv und erregend erlebten, konnten hier keine Ähnlichkeiten in den Reaktionen der westlichen Hörer auf diese Musik beobachtet werden. Anders war dies jedoch für die westlichen Musikstücke, die bei den westlichen Hörern eine Reihe von unterschiedlichen emotionalen Wirkungen verursachten. Insbesondere die Musikausschnitte, die auf die westlichen Hörer erregend wirkten, führten auch bei den Pygmäen zu einer Erhöhung des subjektiven Erregungsgrades. „Dementsprechend war die körperliche Reaktion beider Versuchsgruppen: Je stimulierender die Probanden die Musik empfanden, desto höher waren bei allen Herz- und Atemrate sowie Hautleitwert“, so Egermann.

„Die Musik besitzt also Eigenschaften, die unabhängig von der kulturellen Prägung wirken, sodass wir sagen würden, ja, die Musik verfügt über universelle Aspekte.“ In dieser Studie waren dies die Klangfarbe, die Tonhöhe sowie das Tempo, welche eine ähnliche subjektive und physiologische Wirkung auf die Hörer beider Gruppen hatten. Es gab aber auch Unterschiede zwischen den Reaktionen beider Gruppen.

Diese Einschränkung ist Egermann wichtig. Denn bei dem Experiment stellte sich auch heraus, dass es keinerlei Übereinstimmung gab bei der Bewertung der Stücke hinsichtlich ihrer positiven oder negativen Wirkung. Das war vollkommen verschieden. Grundsätzlich bewerteten die Teilnehmenden beider Gruppen die Musik aus ihrem Kulturkreis positiver und intensiver.

Die Auswertung der Daten legt den Schluss nahe, dass die subjektive emotionale Wirkung der Musik eher kulturspezifisch, also davon beeinflusst ist, welche kulturelle Bedeutung die Musik hat, mit der man aufgewachsen ist. „Nach unserem Experiment muss die landläufige Behauptung, Musik sei eine universelle Sprache der Gefühle, in dieser Grundsätzlichkeit revidiert werden“, so Hauke Egermann. 

Ob ein Musikstück subjektiv als fröhlich oder traurig, feierlich oder romantisch ankommt, ist absolut individuell. Die Universalität der Musik scheint eher die Parameter Erregung und Beruhigung zu betreffen, was die Wissenschaftler anhand der gemessenen physiologischen Parameter nachweisen konnten.


Liste der in Ausschnitten vorgespielten Musikstücke:

Westliche Musik:

Felix Mendelssohn Bartholdy: Italienische Sinfonie, Franz Liszt: Tasso, Lamento e Trionfo, Richard Strauss: Tod und Verklärung, Johann Sebastian Bach: Sonate für Violine Nr. 3, Igor Strawinski: Petruschka, Johannes Brahms: Violinkonzert, Dmitri Schostakowitsch: Trio Nr. 2 für Violine, Violoncello und Klavier, Richard Wagner: Tristan und Isolde, Cantina – Musik aus dem Film „Starwars“, Soundtrack des Films „Psycho“, Soundtrack des Films „Schindler’s Liste“

Musik der Pygmäen:

Schlaflied, Musik, um den Zorn zu besänftigen, Musik für Djengui (einen Mbenzélé-Geist), Musik zur Unterhaltung, Musik gegen die Angst, Musik zur Beerdigung, Musik gegen die Traurigkeit, Musik, um die Männer bei der Jagd im Regenwald zu beschützen

Der Artikel zum Download:
http://journal.frontiersin.org/Journal/10.3389/fpsyg.2014.01341

Weitere Informationen erteilt Ihnen gern:
Dr. Hauke Egermann
TU Berlin
Fachgebiet Audiokommunikation
Tel.: 030/314-29093
E-Mail: hauke.egermann@tu-berlin.de


Nota. - Nicht nur die deutschen, sondern auch die kanadischen Wissenschaftler müssen ziemlich weiß gewesen sein! Sonst hätten sie spätestens, als ihnen das Erregungspotential der (westlichen) Musik als Gemeinsamkeit auffiel, eine besondere Aufmerksamkeit der Rhythmik zuwenden müssen, die unmittelbar auf die Psychomotorik wirkt und, konkurrierend mit der Melodik, als die andere mögliche "Wurzel der Musik" in Frage kommt; und die bei afrikanischer Musik viel mehr im Vordergrund steht als bei der "weißen". Anders gesagt: Die Pygmäen könnten die weiße Musik da geschätzt haben, wo sie rhythmisch wurde, während die weißen Kanadier bei der Musik der Pygmäen die Melodie vermisst haben mögen, während sie für den Rhythmus so recht kein Ohr hatten. 

Das wär doch eine zweite Untersuchung wert!

Da fällt mir auf: Unter 'Westlicher' Musik verstehen sie offenbar nur das E-Genre. Auch unter den Kanadiern dürften die, denen klassische Musik leicht ins Ohr geht, doch eine Minderheit sein! Die Popmusik zählen sie jedenfalls nicht zur westlichen Musik. Weil die zu 'schwarz' eingefärbt ist? - Das könnte das Ergebnis einer Untersuchung sein, aber doch nicht deren Prämisse.
JE 


Nota. Die obigen Fotos gehören mir nicht, ich habe sie im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und ihre Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen