Donnerstag, 15. Januar 2015

Otto Mueller, Brücke.

aus Badische Zeitung, 12. 1. 2015                                                    Badende Akt Natur Landschaft                           
Wohnsitz in der Moderne
Das Kunstmuseum Ravensburg zeigt in einer umfangreichen Werkschau Otto Mueller.

von Hans Dieter Fronz

Auch vier Papierarbeiten aus den eigenen Beständen sind ausgestellt. Im oberen Saal, in dem gewöhnlich ein Querschnitt der hauseigenen Sammlung Peter und Gudrun Selinka geboten wird. Die bildet nicht nur den Grundstock der Bestände des Kunstmuseums Ravensburg. Sporadisch ist sie zugleich Anlege- und Andockstelle für die überwiegend mit auswärtigen Kunstwerken bestückten Sonderschauen – wie diesmal. Schwerpunkte der Sammlung: der deutsche Expressionismus und die Künstlergruppen Cobra sowie Spur. Ausdruckskunst ist Trumpf in Ravensburg, sie bestimmt das Sammlungsprofil.


Landschaft mit Badenden 1915

Für die aktuelle Ausstellung hat Nicole Fritz, Leiterin des Museums, Hochexpressives aus den Depots geholt. Wie Asger Jorns Ölgemälde "Appassionata" von 1962. Oder Pierre Alechinskys "Gilles végétal". Dazu Bilder von Gabriele Münter und Alexej von Jawlensky, Max Pechstein und Karl Schmidt-Rottluff. Und eben, passend zur Sonderschau, die erwähnten vier Papierarbeiten: Aquarelle und Lithografien von Otto Mueller, Bademotive mit weiblichen Aktfiguren in der Landschaft. Die rund sechzig Werke Muellers im unteren Saal dagegen stammen zum großen Teil aus dem Brücke Museum in Berlin. Die berühmte "Zigeunermappe" von 1927 mit Farblithografien wird in Ravensburg um historische Dokumentarfotografien mit Sinti und Roma-Motiven aus der Wiener Nationalbibliothek ergänzt.


Stehende Zigeunerin mit Kind, 1926 

Badende also: ein zentrales Motiv Muellers, lange bevor er sich 1910 der Künstlervereinigung "Brücke" anschloss, die die nämliche Vorliebe zur künstlerischen Freikörperkultur, zu Aktfiguren an See oder Meer pflegte. Überhaupt erfreut sich das Sujet im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert großer Beliebtheit. Es signalisiert Distanz zur hochgeknöpften wilhelminischen Gesellschaft als einer mehr und mehr als widernatürlich empfundenen sozialen Ordnung.


Zigeunerkind im Dorf

Stärker als bei anderen ist für Mueller die Oppositionshaltung zu zivilisatorischer Widernatur im doppelten Wortsinn ein Motiv: als schöpferischer Impuls und Sujet. Die geradezu programmatische Annäherung von Figur und Landschaft in der Komposition übt Kritik an der Gesellschaft durch Kontrast. Muellers lebenslange Sehnsucht und Suche nach gesellschaftlicher Harmonie, nach Natürlichkeit und Einklang mit der Natur formuliert sich darin. Als utopisches Gegenbild zur sozialen Realität greift Kunst bei ihm in die Zukunft aus.


Knabe zwischen Blattpflanzen 

Körperformen und Dünenlandschaft

So nähert Mueller Figur und Natur kompositorisch einander an. Die beiden Holzschnitte "Mädchen beziehungsweise Knabe zwischen Blattpflanzen" stellen formal wie im Punktmuster der Bademützen eine Verbindung zu der die Figur umgebenden, gepunkteten Vegetation her. In beiden Fällen wiederholt die Silhouette der Dünen im Hintergrund gleichsam rahmend die Form der Köpfe mit Bademütze. Ein "In den Dünen liegender Akt" von 1923 spielt in den Körperformen selbst in eine Dünenlandschaft hinüber – wie in "Waldsee mit zwei Akten" die beiden Figuren farblich und formal in die Ufervegetation.


In den Dünen liegender Akt.

In ihrem Skizzenstil, der formalen Reduktion unterscheiden sich die vier Blätter aus den 20er Jahren nicht von früheren Kompositionen. In solcher Konstanz bezeugt sich ein wesentlicher Unterschied zur spontanen Ausdruckskunst der Expressionisten: Muellers Schöpfungen sind bedeutend reflexiver angelegt. Sie zielen auf überzeitliche Zusammenhänge. Durch Vereinfachung bis hin zu geometrischer Stilisierung von Figur wie Natur, durch Reduktion aufs Elementare auch in der reduzierten, abgetönten Farbigkeit der Leimbilder auf Rupfen erreicht Mueller eine Verwesentlichung der Komposition.


Ziegeunerliebespaar

Man möchte Muellers Flächenstil als sein "ägyptisches" Erbe bezeichnen – und die spielende "Verfremdung" seiner inmitten heimischer Landschaft platzierten Figuren als Ausdruck einer Sehnsucht nach Exotik und Fremde. In der geometrischen Stilisierung zeigen die "Zwei badenden Mädchen" von 1921 geradezu asiatische Züge. Ein Pendant findet die zauberhafte Komposition im Exotismus der so genannten Zigeunerbilder. Für Mueller sind die Angehörigen der Ethnie, vergleichbar Gauguins Südseeinsulanern, so etwas wie moderne Naturmenschen. Nackt geht in zwei Bildern ein Zigeunerkind durchs Dorf. Mit Maschka, seiner Frau, stilisiert sich Mueller einmal selbst zum "Zigeuner-Liebespaar".


Selbstporträt mit Maschka

Wie lässig modern und bildsprachlich kontemporär andererseits die Körperhaltung der beiden exotischen Europäer des versteckten Selbstporträts! Auch der "Zwei Zigeunerinnen" oder der Pfeife rauchenden "Zigeunermadonna"! Merke: Spätestens seit Otto Mueller haben die Roma einen festen Wohnsitz in der Moderne.

Kunstmuseum Ravensburg, Burgstr. 9. Bis 25. Januar, Dienstag bis Sonntag 11–18 Uhr, Donnerstag bis 20 Uhr.


Neger und Tänzerin, ausgestellt in der Neuen Secession

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