Die Kunst kommt aus dem Dunkel
Odilon Redon - eine grosse Ausstellung in der Fondation Beyeler in Riehen
von Maria Becker
Odilon Redon (1840-1916) war ein Solitär innerhalb der frühen Moderne und ein Wegbereiter der Kunst des 20. Jahrhunderts. Die Fondation Beyeler zeigt mit über 70 Ölgemälden, Pastellen, Lithografien und Zeichnungen einen Überblick des noch immer überraschenden Werks.
Odilon Redon - eine grosse Ausstellung in der Fondation Beyeler in Riehen
von Maria Becker
Odilon Redon (1840-1916) war ein Solitär innerhalb der frühen Moderne und ein Wegbereiter der Kunst des 20. Jahrhunderts. Die Fondation Beyeler zeigt mit über 70 Ölgemälden, Pastellen, Lithografien und Zeichnungen einen Überblick des noch immer überraschenden Werks.
«Ich verstehe die Beziehung der
Farbtöne zur Komposition und zum Sujet nicht: Warum ein Blau hier und
Gold da? Man wird mir sagen: weil es dem Maler gefiel. Aber diese
Erklärung, die mir bei Monet oder Renoir genügen würde, stellt mich
nicht zufrieden. Es gibt einen Grund, den ich nicht ganz begreife.»
Camille Mauclair, ein Kritiker des «Mercure de France», der dem Werk von
Odilon Redon einigermassen wohlgesinnt war, geriet 1894 in Verlegenheit
vor dessen Bildern: Blauviolette Frauenprofile vor goldenem Grund,
gelbe Barken auf smaragdgrünem Meer, Blumenbuketts, deren Blüten zu
Wimpertierchen und Schmetterlingen mutieren. Es gab da etwas
Unberechenbares, eine subtile Irreführung des Auges und unverhohlene
Suggestivität, die Mauclair Probleme machten.
Skurril und fremdartig
Kannte man nicht schon Maler wie Gustave Moreau, die weitaus kühner mit Farben und Formen experimentierten? Im Vergleich mit dessen pastosen Wirbeln waren die leuchtenden Farbräume Redons stimmungsvoll wie Andachtsbilder. Gab es nicht die ornamentalen Intérieurs von Vuillard, die magisch aufgeladene Farbe von Gauguin, das flirrende Farblicht der Impressionisten? Redons Bilder standen zwischen diesen wie Verwandte aus einem hybriden Pflanzenreich. Vieles an seiner Malerei war skurril und fremdartig, mit nichts vergleichbar in der zeitgenössischen Szene. Doch das eigentliche Problem für die Kritik waren nicht der Gebrauch der Farbe oder die Seltsamkeit des Dargestellten. Es war der Widerspruch zwischen der Freiheit der Komposition und dem symbolhaft aufgeladenen Sujet.
Redon schuf sich seine eigene Bildwelt und blieb zeitlebens ein Einzelgänger. In der Kindheit von schwächlicher Konstitution, wuchs er unter der Obhut eines Onkels auf einem Weingut der Familie im Médoc auf. Innige Verbundenheit mit der Landschaft und der Vegetation prägten ihn, ebenso wie grosses literarisches und musisches Interesse. Er scheiterte an der Aufnahmeprüfung für ein Architekturstudium in Paris und fand dann in dem Grafiker Rodolphe Bresdin und dem Mikrobiologen Armand Clavaud die ihm gemässen Lehrer. Das artifizielle Schattenreich der Zeichen- und Druckkunst wurde Redon zur Offenbarung, die Gestalten keimender Organismen und metamorpher Strukturen zur unerschöpflichen Inspiration.
Aus beidem entwickelte er einen Bildkosmos, den er gleich einem Traum mit offenen Augen aus seiner Imagination holte. Damit wurde Redon zum Vorbild für die Künstlergruppe der Nabis, die ihm ihrerseits den Anstoss zur Farbmalerei gab. Doch er trieb die Autonomie der Farbe noch weiter. Er spielte mit ihrer Substanzialität, löste sie ab vom Sujet und liess sie ins Unbestimmbare treiben, ebenso wie die Intention seiner Themen. Weit über seine Lebenszeit hinaus sind die Impulse der Kunst des Aussenseiters aus dem Médoc in der abstrakten und surrealistischen Moderne des 20. Jahrhunderts spürbar.
Zweifellos ist es vor allem die Autonomie der Farbe, die Redon zu einem Solitär der französischen Moderne macht. Die Ausstellung in der Fondation Beyeler folgt diesem Aspekt des Werks wie selbstverständlich, indem sie das Hauptgewicht auf die mittlere und späte Phase legt. Der Geist der Sammlung sprach bei der Konzeption wohl ganz natürlich mit. In der Schirn Kunsthalle Frankfurt, die dem Künstler 2007 eine differenzierte und forscherisch sehr ergiebige Schau widmete, waren es die «Noirs«, Redons phantastische Grafikserien, die im Zentrum standen.
Es war der bekanntere Redon, dem
man in Frankfurt bis in die literarischen Verzweigungen und die
Wassertropfenmikroskopie des 19. Jahrhunderts nachging. Dass man in
Riehen das farbige Werk bevorzugt, macht überraschende Entdeckungen
möglich. Der von Raphael Bouvier konzipierte Rundgang folgt dem Werk in
lockerer Chronologie und thematischen Zyklen, die sich wie selbst zum
Kosmos der stetig wiederkehrenden Motive von Redons Bildwelt
zusammenschliessen. Der harte Kontrast der gelb-violetten Wände steht
der kontemplativen Wirkung der Malerei allerdings etwas im Weg, und das
stumpfe Violett saugt ihnen manchmal fast die Farbe ab. Doch freut man
sich dafür umso mehr, einige der Leinwände ohne Glas anschauen zu
können.
Fenster, Garten, Aquarium
«Le Char d'Apollon«, 1905-1914 entstanden, ist eines der Werke, an dem man sehr schön sehen kann, wie Redon den Leinwandgrund zwischen Wolken und Himmelsblau mitsprechen lässt. Schwebender und lichter könnte die Komposition nicht sein. Das Bild ist eine Übersetzung des apollinischen Triumphs in Malerei und kommt dabei - wie alle Bilder des Malers - ganz ohne Pathos aus. Viele der Werke sind Mischtechniken aus Öl und Pastell, die sich zu kreidiger Leuchtkraft verbinden. Nie gesehene Schmetterlinge gaukeln über mythische Landschaften, Wesen zwischen Mensch und Fisch schweben im Ozean der Urschöpfung, phantastische Gärten fügen sich in der Rahmung eines Kirchenfensters zu abstrakten farbigen Gebilden. In seinen besten Werken gelingt es Redon, Erscheinungen zu produzieren, die wie schwankende Sphären sind: Fenster, Garten, Aquarium.
So sind auch seine Blumensträusse - die Ausstellung widmet ihnen einen grossen Teil - ambivalente Sphären. Was sich auf den ersten Blick in die Gattung des konventionellen Blumenstilllebens fügt, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als Galaxie der Entmaterialisierung: Blütenformen, Farbflecken, organische und zelluläre Vorbilder verschmelzen miteinander zu einer ortlosen Fülle, die im Bildraum kaum verankert scheint. Es kam Redon nicht auf botanische Präzision an. Seine Blumenstillleben sind Phantasien analog zur Natur und vibrieren in ihrem eigenem Fluidum. Die Fülle des Blütenlichts tritt an die Stelle einer spirituellen Vision.
«Schwarz ist die unbedingteste Farbe. Sie gewinnt ihr Leben und ihre Spannung - soll ich es gestehen, aus den geheimen, tiefen Quellen der Gesundheit.» Redons Bekenntnis in seinen Aufzeichnungen von 1913 ist rätselhaft, wie manche seiner Bildtitel und Motive. Er schaut dabei zurück auf seine Anfänge, als das Schattenreich der Kohle und Lithografie sein Hauptmedium war. In den ersten Räumen des Rundgangs blickt dem Besucher sein Selbstporträt von 1888 entgegen. Aus Kohle- und Kreidestrichlagen aufgebaut, erscheint es eindringlich und dennoch abwesend, wie jemand, der überraschend aus dem Dunkel tritt.
Nacht herrscht in den Räumen der «Noirs«. Der frühe Redon gewann seine Farbe aus der Fülle des Schwarz, das für ihn nicht schwarz war. Es ist die Sphäre der Unbestimmtheit und des Traums, die sich als schützendes Dunkel um die dämonischen und skurrilen Gestalten der kleinformatigen Blätter legt. Ein riesiges Auge schwebt zwischen den Säulen eines Tempels, ein Gefangener schaut traurig durch die Fensterkreuze seiner Existenz. Die Weichheit der Schattenlichts verbirgt die Schrecken der Verzweiflung und nährt die Ahnung der Geburt aus embryonalen Anfängen. Wenn die Kunst tatsächlich den schützt, der sie liebt, wie Redon sagte, dann ist hier die Quelle seiner Inspiration.
Odilon Redon. Fondation Beyeler, Riehen. Bis 18. Mai 2014. Katalog.
Nota.
"Die Fülle des Blütenlichts tritt an die Stelle einer spirituellen Vision" - das ist schwülstig formuliert, aber ästhetisch trifft es den Sachverhalt: Die sinnliche Erscheinung schiebt sich über das - in diesem Fall symbolisch gemeinte - Thematische und ersetzt es geradezu. Man kann die Bilder von Odilon Redon anschauen, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, was sie 'bedeuten' mögen; so wie man Beethovens Sechste hören kann, ohne ans Wetter zu denken.
Morgen werde ich darauf zurückkomen.
JE