Dienstag, 23. September 2014

Adolf Wölfli

aus Die Presse, Wien, 24. 9. 2014                                                                                                       Umweg

Museum Gugging: 
Das Universum des Adolf Wölfli
Vor 150 Jahren wurde der Künstler geboren – eine Schau mit 50 Werken erinnert an den ersten und wohl berühmtesten Vertreter der Art brut.



Nicht weniger als eine neue Schöpfungsgeschichte schrieb er, benannte sich zuletzt sogar in Skt. Adolf II. um. Insgesamt 25.000 Seiten umfasst das Gesamtwerk, in dem Adolf Wölfli seine eigene Geschichte neu erfindet, einmal um die Erde reist, von fremden Ländern erzählt und ein kommendes Universum entwirft. 1600 Zeichnungen und ebenso viele Collagen gehören dazu, in denen der Schweizer Künstler Schrift, Bild und Musik in einzigartiger Weise verbindet. Mit diesem Werk wurde Wölfli zum ersten und berühmtesten Vertreter der Art brut: ein Begriff, den Mitte der 1940er-Jahre der französische Künstler Jean Dubuffet erfand. Es bezeichnet Kunst von Menschen, die keine künstlerische Ausbildung besitzen und deren Werk spontan und unreflektiert entsteht, sinngemäß „rohe, unverbildete Kunst“. Wölflis gesamtes Werk entstand während seiner Jahre in der psychiatrischen Heilanstalt Waldau bei Bern. 150 Jahre nach seinem Geburtstag hat jetzt Daniel Baumann eine Ausstellung von 50 Werken für das Museum Gugging in Klosterneuburg zusammengestellt.

Die höchste Zahl nannte er „Zorn“

Ausgangspunkt von Wölflis Kunst sind seine Erfahrungen: 1864 wurde er als jüngstes von sieben Kindern geboren, seine Familie verarmte, und er musste schon als Kind unter entwürdigenden Bedingungen bei Bauern als Knecht arbeiten. Als knapp 30-Jähriger wird er 1895 in der Waldau interniert und bleibt dort bis zu seinem Tod 1930. Hier entstehen die fünf Hefte und die auf dem Kunstmarkt begehrten Einzelblätter. Die ältesten erhaltenen Zeichnungen sind von 1904 – damit setzt auch die Ausstellung im Museum Gugging ein. Schon hier ist die ganz eigenwillige, künstlerische Sprache des Außenseiters erkennbar: In einer symmetrisch-ornamentalen Grundstruktur sind Mengen von Details wie Erzählungen eingefügt.

Laura Knoops

Dieser Aufbau eines klaren Gerüsts mit vielen, bisweilen kryptischen Szenen ist bis zuletzt typisch für sein Werk, in dem immer wieder Vögel und die von ihm als „Schnecken“ bezeichneten Formen vorkommen. 1907 folgen erste Farbzeichnungen: Sein Psychiater hatte das Talent erkannt und ihm die damals sündteuren Farbstifte geschenkt. „Sommer-Wirtschaft. Zehnder-Mätteli“ ist eines der ersten und ganz seltenen dieser Blätter, bis vor Kurzem noch unbekannt und jetzt in Gugging erstmals ausgestellt. Rückkehr aus Sibirien, 1905

In „Geographischen und Allgebräischen Heften“ (1912–16) beschreibt er dann die Gründungsgeschichte seiner fiktiven „Skt. Adolf-Riesen-Schöpfung“ und entwickelt hier auch seine Zahlenbilder. Sein Faible für Zahlen ließ ihn neue Begriffe erfinden, Milliarden und Trilliarden waren ihm nicht genug. Die allerhöchste Zahl heißt „Zorn“. Ab 1916 signierte er mit Skt. Adolf II. und begann mit den Einblattzeichungen, die Ärzte, Pfleger und Besucher kauften und die heute auf Auktionen um die 20.000 Euro kosten. Kurz vor seinem Tod entwarf Wölfli den „Trauer March“ (1928–30), die rund 8000 Seiten enden mitten auf einer Seite – bis zu seinem Tod durch Magenkrebs arbeitete er daran.



Skt. Adolf mit Brille
 

Danach wurde sein Werk nahezu vergessen, bis Jean Dubuffet es auf einer Reise durch die Schweiz entdeckte. Erste Ausstellungen folgten, der Durchbruch kam in den 1970er-Jahren, als der Schweizer Documenta-Leiter Harald Szeemann Wölfli entdeckte. Vier Jahre tourte eine große Wanderausstellung durch Europa, später unter dem Titel „The Other Side of the Moon“ durch die USA. Es seien immer wieder „Wellen“, in denen das Interesse an Wölfli aufflackert, erzählt Gastkurator Baumann. Er ist seit 1996 Konservator der Adolf-Wölfli-Stiftung im Kunstmuseum Bern und jüngst zum neuen Leiter der Kunsthalle Zürich berufen worden. Seine Beschäftigung mit Wölfli habe ihn geprägt, bekennt Baumann, häufig messe er die Qualität eines zeitgenössischen Künstlers an dem außergewöhnlichen Werk dieses „Pioniers einer Kunst jenseits von Kunst“.

Adolf Wölfli: „Universum.!“, Museum Gugging, bis 1. März 2015


aus Der Standard, Wien,

Megalomanie in den Gehirnwindungen
Das Museum Gugging gibt in "Adolf Wölfli. Universum.!" mit gut 50 Werken einen umfassenden Einblick in den Kosmos des faszinierenden Schweizer Künstlers, der vor 150 Jahren geboren wurde



Maria Gugging - Seinem Gegenüber in die Gehirnwindungen schauen können, das wollten die Menschen wohl schon immer. Gedankenlesen: in etwa so wünschenswert wie Fliegenkönnen.


Die Zeichnungen des Schweizers Adolf Wölfli (1864-1930), die in "Adolf Wölfli. Universum.!" im Museum Gugging zu sehen sind, wirken tatsächlich, als würde man in ein fremdes Gehirn schauen. Hier, wo sich bis 2007 eine Nervenklinik (mit unrühmlicher NS-Geschichte) befand, erzählt nun einer seinen Lebensweg - der in ähnlicher Weise von unrühmlichen Taten zur Kunst führt.

Die Skt-Wandanna-Kathedrale in Band-Wand, 1910

Ein imaginäres Leben

Wölfli wuchs unter schlimmsten Bedingungen auf, führte früh ein entwürdigendes Dasein als "Verdingbub". Wegen "versuchter Notzucht" an zwei Kindern landete er im Zuchthaus, nach erneuten Versuchen in der Irrenanstalt Waldau bei Bern. Hier begann sein zweites, imaginäres Leben, das in rund 50 Arbeiten in Gugging zu besichtigen ist.

Campbell's Tomato Soup

Die Arbeiten teilen sich in fünf Gruppen: In "Von der Wiege bis zum Graab" erzählt Wölfli seine imaginierte Lebensgeschichte, in der sein Alter Ego, das Kind "Doufi", durch die Welt reist. "Geographische und Allgebräische Hefte" beschreibt die Gründung seines Weltreiches "Skt.Adolf-Riesen-Schöpfung". Es folgen die "Hefte mit Liedern und Tänzen", "Allbumm-Hefte mit Tänzen und Märschen" und schließlich der "Trauer-Marsch". Aus allen diesen Werkgruppen sind, ergänzt durch Blätter aus dem Frühwerk und solche der "Brotkunst", die er gegen Zeichenmaterial oder Zigaretten eintauschte, Arbeiten zu sehen. Was sie verbindet, ist die Formensprache Wölflis, die sich über die Jahre nur wenig veränderte. Es ist diese ornamentale Ordnung, die an Gehirnwindungen erinnert, in deren Zwischenräumen sich die Geschichten seines imaginären Lebens abspielen.

Schähren=Hall und Schährer=Skt. Adolf=Ring, 1926

Immer wieder kehren Formen wie jene des "Vögelis" wieder: ein stilisierter Vogel, der auf das "Vögeln" verweist - ein immer präsentes Begehren. Was der Künstler begehrt, ist all das, was ihm in der Anstalt verwehrt bleibt: Anerkennung, Normalität, Liebe, Sex, Erfolg. In seiner "Skt.Adolf-Riesen-Schöpfung" ist darum naturgemäß alles megaloman. Die Figuren haben Kreuze auf den Köpfen, scheint doch das Heilige für Wölfli mit das Höchste. Daneben will er die ganze Welt in seiner Schöpfung modernisieren, urbanisieren, berechnen, besitzen und am Ende: unterwerfen. Er will in seinen Zeichnungen die Welt in Ordnung und unter Kontrolle bringen - und das auf jede Art und Weise.

 

Die Werbung als Leben

Was wir durch Wölflis Augen sehen, ist ein völlig ungeschöntes, nahezu unvermitteltes Bild der menschlichen Weltbeherrschungsträume, wie sie wohl Anfang des 20. Jahrhunderts noch existierten. Ein durch nichts erschütterter Fortschrittsglaube.

Irren-Anstalt Band-Hain, 1910

In den letzten Werkgruppen werden die gezeichneten Illustrationen weniger, Wölfli arbeitet nun mehr mit Collagen und Ausschnitten aus Illustrierten. Sie sind sein Tor zur Welt; und wie ein Kind, das nur zusehen darf, scheint er sich zu erträumen, Teil dieser "Erwachsenenwelt" zu sein. Hier zeigt sich auch das damalige Geschlechterverhältnis in seiner vollen Härte: die Männer als Macker und Brötchenverdiener, die Frauen als hübsch ondulierte Schokoladen-Konsumentinnen. Was die Werbung behauptet, nimmt Wölfli als bares Leben - und sehnt sich danach.

Die Ausstellung bietet, ergänzt durch den Film Der Künstler Adolf Wölfli (1976), auch für Besucher, denen Wölflis Werk neu ist, einen umfassenden Einblick - ohne dabei überfrachtet zu sein. Die Werke wirken für sich selbst, erschlagen einander nicht. Am Ende spricht Wölfli ohnehin für sich allein. Und so fremd, so kryptisch sein Denken und Arbeiten in vielerlei Hinsicht sein mag, so meint man doch, ihn zu verstehen. Ein Beweis für das Allgemeinmenschliche vielleicht, das irgendwo in unseren Gehirnwindungen steckt.

Bis 1. März

Nota.
 
Bei ihm springt es in die Augen, wie wenig das Ergründen dessen, 'was der Künstler gemeint hat', zu einer ästhetischen Würdigung beiträgt. Dass Wölfli sich bei jedem einzelnen Werk sehr viel gedacht hat, kann man ja sehen. Es ist aber ganz unfruchtbar, herausfinden zu wollen, was. Verständlich war es nur ihm. Das ist der extreme Fall von einem Künstler. Aber die andern kommen ihm alle mehr oder weniger nahe. Die ästhetische Qualität - qualitas - ist davon unberührt. Ich muss Wölfli nicht besser "verstehen" als etwa Paul Klee.
JE

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