Dienstag, 2. September 2014

Anfänge der Kunst schon beim Neanderthaler.

aus scinexx                                                                     Felsritzung des Neandertalers aus der Gorham-Höhle in Gibraltar

Erste Felskunst vom Neandertaler
Gekreuzte Linien im Stein sind erster Beleg für Kunst und abstraktes Denken des Eiszeitmenschen
Kreuze im Stein: Auf Gibraltar haben Forscher den ersten Beleg für Felskunst des Neandertalers entdeckt. Die tiefen, in Stein eingeritzten Linien zeugen davon, dass auch der Eiszeitmensch bereits abstrakt denken konnte und seine Gedanken in Form von Symbolen ausdrückte, konstatieren die Wissenschaftler im Fachmagazin "Proceedings of the National Academy of Sciences". Bisher hatte man dies dem Neandertaler nicht zugetraut.

Kunst, Schmuck und die Nutzung von Symbolen gelten als entscheidender Schritt in der geistigen Entwicklung des Menschen. Lange allerdings hielt man den vor rund 40.000 Jahren ausgestorbenen Neandertaler für zu primitiv, um diese Form abstrakter Darstellungen zu nutzen. Gestützt wurde dies dadurch, dass die frühesten Beispiele von Felsmalereien und Ritzzeichnungen in Europa erst durch den eingewanderten Homo sapiens, unsre Vorfahren, geschaffen wurden – so dachte man jedenfalls bisher.

Überlagerte Kreuze auf einem Steintisch

Doch ein Fund in der Gorham-Höhle in Gibraltar hat die Anthropologen nun eines Besseren belehrt. Die an der Ostküste Gibraltar gelegene Höhle diente wahrscheinlich über Jahrtausende den Neandertalern als Schutz und Lagerplatz, wie urzeitliche Knochen, Werkzeuge und Nahrungsreste belegen. Im hinteren Teil der Höhle stießen Joaquín Rodríguez-Vidal von der Universität von Huelva und seine Kollegen nun auf ein äußerst ungewöhnlich Relikt: eine Felsgravur.

Die Gravur befindet sich auf einer etwa 40 Zentimeter hohen, tischähnlichen Erhebung aus dem Höhlenboden. In der flachen, verbreiterten Oberseite sind acht tief eingeritzte Linien zu erkennen, die ein Muster aus sich überlagernden Kreuzen bilden. Die längste Linie ist dabei rund 15 Zentimeter lang.


Schema der in Fels geritzten, gekreuzten Linien

Neandertaler als Urheber

Um auszuschließen, dass die Einkerbungen durch natürliche Prozesse entstanden, führten die Forscher Vergleichsuntersuchungen durch. Sie ritzten dazu mit verschiedenen Materialien ähnliche Strukturen in den Fels und verglichen die Ergebnisse mit dem Original. Die Analysen belegten: Es handelt sich nicht um natürliche Felsrisse und es erscheint auch unwahrscheinlich, dass die Linien ein zufälliges Beiprodukt einer profanen Tätigkeit waren, wie beispielsweise durch die Bearbeitung von Nahrung.

Wer aber schuf diese Felskunst? Wie die Forscher berichten, war die Platte mit den Ritzungen durch eine ungestörte ununterbrochene Schicht von Ablagerungen überdeckt. Diese aber wurde auf ein Alter von rund 39.000 Jahren datiert und enthielt zudem Relikte, die eindeutig von den Neandertalern stammen. Nach Ansicht der Forscher macht es dies sehr unwahrscheinlich, dass der moderne Mensch diese Spuren hinterließ. "Der Homo sapiens war zu dieser Zeit zwar schon in Westeuropa präsent, hatte aber das Südende der Iberischen Halbinsel noch nicht erreicht", merken die Forscher an.
 
Eingang zur Gorham-Höhle in Gibraltar
Nur abgeschaut?

Theoretisch bestünde allerdings die Möglichkeit, dass sich die Neandertaler diese Form der Kunst oder Rituellen Ritzungen von unseren eingewanderten Vorfahren abgeschaut haben. Immerhin vermutet man Ähnliches für Schmuckstücke aus Elfenbein und Knochen, die in der Grotte de Renne in Frankreich gefunden wurden. Diese 35.500 bis 41.000 Jahre alten Anhänger, Ringe und Spangen sollen zwar von Neandertalern hergestellt worden sein, ihre Machart könnten sich die Eiszeitmenschen aber von den in der Nähe lebenden modernen Menschen kopiert haben.

Doch im Falle der Ritzungen von Gibraltar halten Rodríguez-Vidal und seine Kollegen ein Abgucken für eher unwahrscheinlich. "Die aus Deutschland und Frankreich bekannten Darstellungen der Aurignacien-Kultur sind jünger als die Ritzungen der Gorham-Höhle und haben keinerlei Ähnlichkeit damit", konstatieren sie. "Die spricht dagegen, dass die Neandertaler dieses Design unter dem kulturellen Einfluss des Homo sapiens ausführten." Stattdessen deute alles darauf hin, dass die Neandertaler unabhängig von unseren Vorfahren diese Form der symbolischen Darstellungen entwickelten.

Beleg für abstraktes Denken und Intelligenz

Welche Bedeutung diese eingeritzten Kreuze hatten, darüber lässt sich allerdings nur spekulieren. War es ein Symbol, ein kultisches Zeichen oder nur eine Spielerei? Was den Neandertalern einst im Zusammenhang mit diesem Zeichen durch den Kopf ging, wird vermutlich immer ein Geheimnis bleiben. Doch klar ist: Der aktuelle Fund zeigt einmal mehr, dass die frühere Sicht des Neandertalers als einer primitiven, eher tumben Nebenlinie der Menschheit falsch ist.

"Diese Entdeckung demonstriert die Fähigkeit der Neandertaler, abstrakt zu denken und diese Gedanken durch geometrische Formen auszudrücken", konstatieren die Forscher. Sie könnten daher nicht weniger intelligent und geschickt gewesen sein wie unsere Vorfahren. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2024; doi: 10.1073/pnas.1411529111)


(PNAS, 02.09.2014 - NPO)


aus Der Standard, Wien, 2. 0. 2014
Die dekorierte Neandertaler-Höhle
...

Die Wissenschafter um Ruth Blasco und Clive Finlayson vom Gibraltar-Museum schlossen aus, dass die Vertiefungen zufällig entstanden sind. Über ihre Entdeckung berichteten sie in den Proceedings der US-Akademie der Wissenschaften ("PNAS").

Die Gorham-Höhle in Gibraltar an der Südspitze der iberischen Halbinsel mit Blick aufs Meer ist seit langem als ehemalige Behausung von Neandertalern bekannt. Die Forscher entdeckten die Gravuren auf einer etwa einen Quadratmeter großen, natürlichen Plattform, die rund 40 Zentimeter über dem Niveau des damaligen Höhlenbodens liegt.

Keine Gebrauchsspuren

Die unterste Deckschicht über der Gravur datierten sie mit geochemischen Analysen auf ein Alter von 39.000 Jahren. Die Symbole selbst müssen also älter sein. Zu der Zeit sei der moderne Mensch noch nicht in dieser Gegend angekommen, schreiben die Wissenschafter. Die in der Deckschicht gefundenen Werkzeuge werden der Moustérien-Kultur und damit dem Neandertaler zugeordnet.

Das Forscherteam unternahm eigene Einkerbungsversuche mit Kalkstein, wie er am Boden der Höhle vorliegt. So zerschnitten sie darauf mit spitzen oder klingenförmigen Steinen die Haut eines Schweins. Doch die dabei entstandenen Rillen unterschieden sich offenbar deutlich von den gefundenen Felsgravuren. Diese stellen somit keine Gebrauchsspuren dar, sondern Muster.

188 und 317 Schläge

Um die tiefsten Rillen zu erzeugen, brauchten die Wissenschafter mindestens 54 Schläge. Für die acht größeren und fünf kleineren Rillen der Felszeichnung kalkulieren sie insgesamt zwischen 188 und 317 Schläge. "Wir folgern, dass diese Gravuren ein absichtliches Muster darstellen, erdacht, um von seinem Neandertaler-Schöpfer gesehen zu werden und - unter Berücksichtigung seiner Größe und Lage - auch von den anderen in der Höhle", sagen die Forscher. Der gravierte Kalkstein war überdeckt von Schichten aus Sand, Ton und anderen Gesteinen.

Den Erkenntnissen der Forscher zufolge wanderten Phosphor- und Mangan-Ionen aus der Deckschicht in die oberste Schicht des Kalksteins. Aus dem tieferen Kalkstein selbst gelangten Magnesium und Kalzium an die Oberfläche. Diese mineralische Härtung des Kalksteins habe die Felsgravuren besonders gut konserviert. (APA/red)

PNAS: "A rock engraving made by Neanderthals in Gibraltar"


Nota.

Nicht zu vergessen jedoch, dass es Körperbemalung zum Schmuck schon sehr viel länger gegeben zu haben scheint. In Südafrika wurde vor etwa 100 000 Jahren regelmäßig Ockerfarbe gewonnen, und alle Anzeichen deuten darauf hin, dass er zur Körperdekoration gebraucht wurde.
JE

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