Freitag, 19. September 2014

Fotokunst im Frankfurter Städel.

aus nzz.ch, 19.9.2014, 11:30 Uhr                                                                      Werner Mantz  Köln: Brücke, ca. 1927

Museumsbilder 
In einer konzentrierten Sonderausstellung präsentiert das Frankfurter Städel-Museum eine Auswahl seiner Bestände und Neuerwerbungen aus den letzten Jahren. In Verbindung mit der historisch gewachsenen Sammlung entsteht so eine subjektive und qualitätvolle «Kleine Geschichte der Fotografie».

von Kerstin Stremmel

Bereits seit einigen Jahren werden die Fotografien des Städels in den Sammlungsräumen mit Werken der Malerei kombiniert, Giorgio Sommers «Blick auf Sorrent» etwa kann gut neben Camille Corots «Bildnis eines italienischen Mädchens» als Ausdruck einer gefühlvollen Italiensehnsucht bestehen. Diese Präsentationsweise erteilt der Frage nach einem Museum der Fotografie eine Absage, ist die bestechende Qualität der Aufnahmen doch Grund genug, sie in unmittelbarer Nähe zu anderen Meisterwerken der Moderne zu zeigen.

Giorgio Sommer - Sorrento - Marina coll'Albergo Tramontano

Nun allerdings, im Jahr des 175. Geburtstags der Fotografie und nachdem das Museum jüngst umfangreiche Konvolute erworben hat, war es Zeit für eine Sonderausstellung. Dabei wurde eine hübsche Entdeckung gemacht, denn fünf Jahre nachdem das Daguerreotypie-Verfahren in Paris der Öffentlichkeit vorgestellt worden war, gab es im Städel bereits 1845 eine Fotoausstellung mit Porträts des Frankfurter Fotografen Sigismund Gerothwohl. Der Künstler bewarb die Vorzüge der neuen Lichtbilder im Frankfurter Intelligenz-Blatt mit folgenden Worten: «Sie vereinigen neben dem von allen Künstlern anerkannten Vorzug des allgemeinen Effektes den eines wahren Aquarellbildes, durch Farbung (sic).» Damit werden Kunstanspruch und Selbstverständnis des Mediums bereits angedeutet.

Sigismund Gerothwohl, Herrenbildnis (1845)

Selbstbewusste Rückbesinnung

Ein «Herrenbildnis» von Gerothwohl gelangte in diesem Jahr als Schenkung in die Sammlung, auf dem Salzpapierabzug ist ein gefasst wirkender Mann zu sehen, dem die lange Belichtungszeit nur wenig zu schaffen macht, weil er sich mit seinem Ellbogen auf einem Polster abstützen kann. Zusammen mit einer vollständigen und angenehm unprätentiösen Präsentation von anonymen Fotografien nach Kartons von Raffael, die der damalige Direktor des Städelschen Kunstinstituts Johann David Passavent für eine umfangreiche Lehrsammlung erwarb und im Jahr 1859 erstmals ausstellte, sind hier zwei Motive für die selbstbewusste Rückbesinnung auf historische Konstanten erkennbar: Fotografie war im Haus traditionell ein wichtiges Medium der Vermittlung von Kunst, und zugleich kann das Städel wohl die früheste Erwähnung einer Fotoausstellung in einem Kunstmuseum für sich reklamieren.

Albert Renger-Patzsch, Herbst-Buchenwald, ca. 1954
 
Experimente und reine Schönheit

So ist der Titel der Ausstellung, «Lichtbilder», monumental und schlicht, die Zusammenstellung allerdings facettenreich. Neben Pionieren wie David Octavius Hill, Roger Fenton oder Nadar werden ins Malerische vordringende Piktorialisten wie Heinrich Kühn oder Gertrude Käsebier gezeigt, in der Abteilung «Experimente» sind neben Bewegungsdarstellungen von Eadweard Muybridge auch frühe Versuche mit farbigen Eindrücken zu sehen; so simulierte Carlo Naya um 1870 venezianische Nachtveduten mit Mondscheineffekt, indem er unterbelichtete Negative zusammenfügte und mit einem bläulichen Ton überzog. Bereits Gerothwohl deutete die Farben im vermeintlichen Schwarz-Weiss an, der Reichtum der rötlichen, bräunlichen oder gelblichen Töne, den der Autor und Sammler Wilfried Wiegand in seinem Textbeitrag beschreibt, lässt sich in der Ausstellung immer wieder studieren.
 
Carlo Naya, Blick auf Markusbibliothek, Campanile und Dogenpalast, ca. 1875

Exponate aus der ehemaligen Sammlung Wiegand, die das Städel vor vier Jahren erwarb, sind neben ihrer ans Klassische gemahnenden Schönheit auch an den geschmackvollen Bilderrahmen zu erkennen. Mit ihnen liesse sich dereinst auch eine schöne Hommage an den grossen Wolfgang Hildesheimer machen, der in einer seiner «Lieblosen Legenden» eine Ausstellung von Bilderrahmen geschildert hat, die laut Katalogtext deswegen keine Bilder enthielten, weil sie als Objekte in sich so meisterhaft waren,dass dadurch nur von ihrer sublimen Vollkommenheit abgelenkt würde.

Gustave Le Gray, Salut der französischen Flotte vor Cherbourg, 1858

In der Frankfurter Ausstellung lassen sich einige der schön gerahmten Preziosen betrachten, darunter Gustave Le Grays meisterhaft komponiertes «Salut der französischen Flotte vor Cherbourg» aus dem Jahr 1858, Eugène Atgets «Sonnenfinsternis» von 1912, das skurrile Bild einer Gruppe von Menschen, die etwas beobachten, was ausserhalb des Bildfeldes liegt, und das dadurch berühmt wurde, dass es 1926 als Umschlagbild von André Bretons Zeitschrift «La Révolution Surréaliste» diente. Bezwingend ist auch «Ei auf Block» von Paul Outerbridge, ein nur 11 mal 9 Zentimeter kleiner Platinprint, der motivisch an ein frühes nichtfigürliches Denkmal erinnert, die auf einem Kubus ruhende Kugel, von Goethe unter dem Namen «Stein des guten Glücks» in Auftrag gegeben. Outerbridge fügt der Spannung zwischen Beständigkeit des Fundaments und dem schwankenden Exponat noch das Zerbrechliche des Eies hinzu. Aus der Sammlung des Galeristen Rudolf Kicken stammen umfangreiche Konvolute von Alfred Renger-Patzsch, strenge Maschinendetails, aber auch die nahansichtige Aufnahme eines Reissverschlusses, die statt an neue Sachlichkeit an surrealistische Suggestivität denken lässt. Überraschungen bietet auch die Zusammenstellung der Werke tschechischer Fotografen. So gibt es etwa von Sudek eine berühmte Aufnahme seines lichterfüllten Atelierfensters bei Nacht, aber auch drei Stoffstudien aus den dreissiger Jahren, deren grafische Qualität und Sinnlichkeit überwältigen.
 
Albert Renger-Patzsch, Ohne Titel (1928–1933)

Ikonen und Humor

Humor beweisen die Kuratoren Felicity Grobien und Felix Kraemer beim Finale der Ausstellung. Im letzten Kapitel wird der «subjektive Blick» mit ikonischen Fotografien des einflussreichen Künstlers und Theoretikers Otto Steinert gefeiert, etwa mit dem «Ein-Fuss-Gänger» von 1950, von dem nur ein Hosenbein und der polierte Schuh auf dem Pariser Pflaster deutlich sichtbar sind, der Körper des Passanten löst sich in einen verwischten Schatten auf, eine Emanation, die an frühe Geisterfotografie erinnert. Steinert hatte ein Jahr zuvor unter anderen mit Ludwig Windstosser die avantgardistische Arbeitsgruppe Fotoform gegründet. Windstosser verdanken wir zwei Becher-Schüler-Bilder avant la lettre: Wir glauben, ein Wimmelbild von Andreas Gursky zu sehen und eins der Museumsbilder von Thomas Struth. Doch sowohl die Aufnahme aus dem Berliner Olympiastadion als auch das anekdotische Bild mit Nonne und Botticellis Eva in der Gemäldegalerie Dahlem hat Windstosser in den frühen siebziger Jahren fotografiert und damit die Motivwelt, die in den Bildern der Düsseldorfer Fotografen dann monumentalisiert wurde, auf präzise Weise vorweggenommen. Diese beiden Farbabzüge, die einzigen nach 1960 entstandenen Aufnahmen der Ausstellung, bilden ein Scharnier zur gegenwärtigen Fotokunstproduktion.

Otto Steinert, Ein-Fuß-Gänger, 1950

Mit den Tendenzen der zwanziger und dreissiger Jahre, der tschechischen Avantgardefotografie und den Fotoformvertretern ist es dem Städel gelungen, die Lücken zwischen der historisch gewachsenen Sammlung, den Kostbarkeiten Wiegands und der zeitgenössischen Fotografie zu schliessen. Damit ist die Ausstellung auch zu einer Hommage an den Fotogaleristen Rudolf Kicken geworden, der kurz vor der Eröffnung der Ausstellung, im Juni dieses Jahres, gestorben ist und der viel für die Etablierung fotografischer Sammlungen in Museen und die Gleichberechtigung der Medien, die er in den USA schätzen lernte, getan hat.

Lichtbilder. Fotografie im Städel-Museum von den Anfängen bis 1960. Bis 5. Oktober 2014. Katalog € 24.90.


Otto Steinert, Luminogramm, 1952


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