aus Die Presse, Wien, 28. 9. 2014
Süß,
sauer, salzig, bitter, umami - diese Geschmäcker nehmen wir im Mund
(und auch anderswo) wahr. Aber nicht alle nutzen die ganze Palette.
"Der Mensch ist, was er isst.“ Mit keinem Diktum hat ein Philosoph so viel Spott auf sich gezogen wie Ludwig Feuerbach mit dem. Dabei steckt politische Sprengkraft darin, und anthropologische auch, der Philosoph stellte es klar, als ihm das „Hohngelächter“ zu laut wurde: „Menschliche Kost ist die Grundlage menschlicher Bildung und Gesinnung. Wollt ihr das Volk bessern, so gebt ihm statt Deklamationen gegen die Sünde bessere Speisen!“ Das ging gegen die irdische Macht und den Segen des Himmels bzw. der Kirche dazu, und ins Grundsätzliche wies die implizite Umdrehung des Satzes: „Ist nicht selbst der Magen des gebildeten Menschen ein anderer als der des rohen?“
Aber dass es ganz unterschiedliche Geschmäcker gibt, hat sich so rasch nicht herumgesprochen, lang ging man davon aus, dass quer durch das Tierreich von Zungen und Gaumen das wahrgenommen wird, was wir wahrnehmen: süß, sauer, salzig, bitter – und umami, 1908 in Japan entdeckt und benannt, es klingt an herzhaft und köstlich an und meint den Fleischgeschmack von Aminosäuren. Fünf Geschmacksrichtungen gibt es also, vielleicht auch mehr, weniger hingegen nicht, so stand es in den Büchern. Doch dann kamen, in den 1970er-Jahren, die Katzen: An ihnen bemerkte Gary Beauchamp (Philadelphia), dass es völlig sinnlos ist, sie mit Zucker verwöhnen zu wollen: Sie haben keinen Geschmack für Süßes. Später fand Beauchamp bei anderen Jägern das Gleiche: Seelöwen und Hyänen etwa haben die entsprechenden Gene stillgelegt – zu „Pseudogenen“ –, und sie haben es mit unterschiedlichen Mutationen getan, das Süße-Sensorium also unabhängig voneinander abgelegt (Pnas, 109, S.4956).
Verzicht auf Überflüssiges.
Denn sie brauchen es nicht, sind nicht hinter Zucker her, sondern hinter Fleisch oder Fisch. Diesen schlingen manche unzerkaut hinab und konnten deshalb auf weitere Geschmacksrichtungen verzichten, Delfine etwa auf umami und bitter. Vor allem Letzteres ist rätselhaft, da viele Pflanzen und Beutetiere mit bitterem Geschmack vor ihrem Verzehr warnen, sie haben Gifte eingelagert. Die müssen Delfine auf anderen Wegen detektieren – man weiß nicht, auf welchen –, aber der Verzicht auf Geschmack stellt ein noch viel härteres Problem: Die gleichen Gemacksknospen, die Nahrung verkosten, sitzen auch anderswo im Körper, im Darm etwa achten sie auf den Zuckergehalt der Nahrung – und steuern den Zuckerhaushalt –, in den Nieren auf Salz, in der Lunge auf Bitteres, im Rückenmark auf Saures, sogar in Hoden und Sperma gibt es Sensoren für Bitteres und umami, die Gründe liegen im Dunkeln.
Klar ist nur, dass auch Delfine im Körperinneren Süßes wahrnehmen können müssen, und Pandas – die sich als einzige Bären auf Pflanzenkost beschränken und keinerlei Interesse an umami haben – Fleischgemack. Das gilt auch für Vampirfledermäuse, an denen Huabin Zhao (University of Michigan) erst den Verzicht auf umami bemerkt hat (Genome Biology and Evolution, 4, S.73) und nun auch den auf Bitteres: In Blut ist kein Gift, es schmeckt süß (Proc. Roy. Soc. B, 281: 20141079).
Es sieht also alles danach aus, dass die Palette der Geschmacksrichtungen zunächst in aller Breite etabliert wurde und dann jedes Tier abgelegt hat, was es nicht braucht. Analoges kennt man von Fischen, die in Höhlen leben, sie wurden im Dunkeln blind, das ist bekannt, sie haben aber auch, das ist neu, auf die innere Uhr („circadian clock“) verzichtet, mit der alle anderen Tiere ihren Tagesrhythmus steuern bzw. an der Sonne eichen, Damian Moore (Lund) hat es bemerkt: Die innere Uhr ist teuer, Höhlenfische sparen ohne sie 30 Prozent Energie (PLoS One, 24. 9.).
Entbehrliches wird entbehrt: „Die ganze Geschichte der Evolution des Geschmacks ist eine des Verlusts von Geschmack“, fasst Kurt Schwenk (University of Connecticut) zusammen (Nature 486, S17). Aber das ist nur die halbe Wahrheit, man kann auch auf Geschmack kommen, Maude Baldwin (Harvard) hat es eben an Kolibris bemerkt: Diese Vögel erschlossen vor etwa 72 Mio. Jahren eine ganz neue Nische – Nektar –, indem sie einen Rezeptor entwickelten, den alle anderen Vögel stillgestellt hatten, den für Süßes. Dazu reaktivierten sie nicht etwa die Pseudogene, sie bauten stattdessen die Umami-Detektoren um (Science, 345, S.929).
Bleibt das Rätsel, warum manche Individuen stark auf Bitteres reagieren und andere kaum. Es mag am Bitteren selbst liegen: Zum einen empfiehlt es sich sehr, seine Warnung zu spüren, wir haben 24 verschiedene Bitter-Rezeptoren, Gifte kommen in vielen Strukturen; zum anderen würde Hunger leiden, wer sich zu sehr abschrecken lässt, fast alle Pflanzen schmecken bitter. Zum dritten sind nicht nur Pillen bitter, es gilt auch umgekehrt: Gifte in manchen Pflanzen wirken so gut gegen Krebs, dass die US-Onkologen empfehlen: „Munch on raw broccoli!“ Diese Uneindeutigkeit des Bitteren mag die Entscheidung darüber schwer machen, ob man den Sinn dafür lieber verfeinert oder nicht.
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