Samstag, 13. September 2014

Miró in Wien.

aus Die Presse, 12. 9. 2014                                                                         Frauen und Vogel im Mondschein 1949

Albertina
Joan Mirós Himmel ist voller Monster
Eignen sich Werke von Miró am besten zur Dekoration von Hotelzimmern? Hat er zu viel gemalt? Und war er wirklich ein Surrealist? Die Ausstellung „Von der Erde zum Himmel“ überrascht mit der Vielschichtigkeit des Spaniers.


Als Dekoration in Hotelzimmern und Arztpraxen sind die Kunstdrucke von Joan Miró unschlagbar. Jeder mag diese Bilder, in denen merkwürdige Formen in einem diffusen Farbraum schweben. Oft sind rote Punkte dick schwarz umrahmt, manches erinnert lose an Figuren, Vögel, Sterne, Stricke. „Schnecke Frau Blume Stern“ nannte der Spanier einmal ein Bild, thematisch weit angelegt, inhaltlich sehr offen. Stilistisch sind die Bilder nahe an der Welt der Kinderzeichnungen, was wohl den enormen Erfolg dieses Werkes begründet. Zudem ist der Wiedererkennungseffekt dieser Malerei hoch – was dazu führt, dass Mirós Werk nicht nur auf Postern beliebt ist, sondern auch auf Auktionen beachtliche Preise erzielt. 2012 wurde „Blauer Stern“ bei Sotheby's in London für 29 Millionen Euro zugeschlagen. Aber Miró fertigte stolze 2000 Gemälde, 500 Skulpturen, 400 Keramiken und 5000 Zeichnungen an, dazu ab den späten Fünfzigerjahren Mengen von druckgrafischen Serien – ist da nicht eine gewisse Redundanz zu erwarten, wenn die Albertina eine Auswahl von 100 Werke zeigt?

L'étoile bleue
 
Nein! Im Gegenteil, diese Ausstellung überrascht mit unerwarteter Vielschichtigkeit. Joan Punyet Miró nannte sie bei der Pressekonferenz sogar die Miró-Ausstellung schlechthin. Er ist der Stiefbruder von Mirós Enkel Emilio Fernandez, der 2012 mit 54 Jahren auf Mallorca ertrunken ist. Auch der Kurator der Ausstellung, Jean Louis Prat, betonte, dass hier 100 Meisterwerke zusammengekommen seien. Prat, der bereits 2010 die große Miró-Ausstellung „Die Farben der Poesie“ für das deutsche Museum Frieder Burda zusammenstellte, war mit dem Maler in dessen letzten 15 Lebensjahren befreundet und kennt dessen Werk so gut wie kaum ein anderer.

Das Gold des Azurs, 1967
 
Leichtigkeit geht auf Postern verloren

„Von der Erde zum Himmel“, so der Titel in Wien, ist tatsächlich beeindruckend. Nicht nur kann man hier den künstlerischen Weg Mirós von der frühen figurativ-naiven Malerei zur konsequenten Abstraktion verfolgen. Vor allem ist hier in den vielen verschiedenen Formaten und strahlenden Farben die Leichtigkeit von Mirós Bildwelt erlebbar – die in den allgegenwärtigen Postern verloren geht.

 
Mont-Roig, l’église et le village, 1919

Den Auftakt der Ausstellung stellt Mirós „Bauernhof“, 1921 begonnen und 1922 nach seinem Umzug nach Paris fertiggestellt. Als Sohn eines Goldschmieds und Uhrmachers in Barcelona aufgewachsen, musste Miró zunächst als Buchhalter arbeiten. Wegen seiner Typhuserkrankung zog er dann auf den neu erworbenen Bauernhof seiner Familie und durfte als 19-Jähriger drei Jahre lang eine Kunstschule besuchen. Bald lernte er Francis Picabia kennen, der ihn in den Kreis der Dadaisten einführte. 1918 hatte er seine erste große Einzelausstellung in Barcelona mit Landschaftsgemälden und Stillleben. Diese frühe Phase ist nur mit dem Bild „Kirche und Dorf“ von 1919 in der Albertina vertreten, ein recht rosafarbenes Bild. 1920 zog er nach Paris, und dort änderte sich sein Stil radikal. Zuvor aber malte er den „Bauernhof“ aus seiner Erinnerung heraus. In dieses Bild packte Miró alles, was er an dem Hof liebte, „vom großen Baum bis zur kleinen Schnecke“ (Miró). 1925 lieh sich Ernest Hemingway Geld aus, um dieses Werk zu kaufen.

Bauernhaus, 1921/22

Unter dem Einfluss seiner Pariser Malerfreunde entwickelte Miró eine neue, ganz eigenwillige, naiv-abstrakte Bildsprache. Aber: „Für mich ist eine Form nie etwas Abstraktes, sie ist ein Zeichen für etwas“, erklärte er – und sei es nur eine Emotion. Sein Ateliernachbar 1921 war der Maler André Masson, durch den er 1924 die Surrealisten kennenlernte. 1925 kaufte André Breton, Initiator des berühmten Surrealistischen Manifests, ein Bild Mirós – obwohl er zuvor dessen „intellektuell begrenzte Kunstvorstellung“ kritisiert hatte.

Danger, 1925

Aber war Miró überhaupt je ein Surrealist? Er sei ein „Leuchtfeuer des Surrealismus“ gewesen, sagt Schröder sogar. Denn darin liegt die Begründung für diese Ausstellung: Seit Ende 2011 präsentiert die Albertina immer wieder zentrale Positionen des Surrealismus, zunächst druckgrafische Werke aus einer Privatsammlung mit Werken von Max Ernst, Salvador Dalí, Joan Miró, Pablo Picasso und anderen. Dazu eine Ausstellung mit Magritte – der sich zeitlebens gegen die Kategorisierung als Surrealist wehrte. 2013 folgte eine Soloschau von Max Ernst, jetzt eben Miró, von dem das Haus drei „Hauptwerke“ in der Gemäldesammlung besitzt, darunter eines mit der so typischen roten Sonne, die Miró laut Schröder als „anti-impressionistisches Licht“ verstand.

 Albertina

„Ein Poet, der Gedichte malte“

So ganz aber will das Werk Mirós nicht in diese Kategorie passen. Tatsächlich beweist „Von der Erde zum Himmel“ sogar das Gegenteil, denn Mirós Bilder sind Meilen entfernt von der Bildwelt seines Landeskollegen Dalí, der weit näher an unserer Gegenstandswelt blieb, oder von Max Ernsts fantastischen Landschaften. Zwar schöpfte er aus Traumbildern und der Welt des Unbewussten, aber nie gab er die Kontrolle über Bildaufbau und Komposition ab, im Gegenteil, er fertigte Skizzen und Vorstudien auf Papier an. Viel eher war er ein ewiger Einzelgänger, „ein Poet, der Gedichte malte“, wie es Joan Punyet Miró so schön umschrieb. Und diese Gedichte handeln von Träumen – und Albträumen.

o. T., 1943

Dies ist auch ein großes Verdienst dieser Ausstellung, die Miró nicht nur als fröhlichen Traummaler mit teilweise herrlich absurden Bildtiteln zeigt: „Wassertropfen auf rosafarbenem Schnee“ (1968) etwa ist wie eine amüsante Reaktion auf die Freude an psychedelischen Erfahrungen – weder sehen wir Schnee noch die Farbe Rosa, der Bildgrund ist leuchtend orange. Es kommen daneben die düsteren Werke in den Blick, die in Reaktion auf den Zweiten Weltkrieg und die Franco-Diktatur (1939–1975) entstanden sind, mit Monstern als Vorboten einer dunklen Zeit, die ihm „als einzig adäquater Ausdruck für das erschienen, was Spanien drohte“ (Schröder) – diese Werke gehören zu den Höhepunkten der Ausstellung.

Bis 11.Jänner 2015, täglich: 10–18 Uhr, Mi: bis 21 Uhr.


Stillleben mit altem Schuh 1937

aus Der Standard, Wien, 12. 9. 2014


Mit Feuer im Herzen und den Füßen auf dem Boden
Nach René Magritte und Max Ernst nun Joan Miró (1893-1983): Mit dem berühmten Katalanen setzt die Albertina ihre Ausstellungsreihe mit Künstlern, die dem Surrealismus verbunden sind, fort. "Von der Erde zum Himmel" nennt sich diese Reise


Wien - Der Tod der Malerei war Joan Miró nicht genug. "Die Surrealisten haben, wie man weiß, den Tod der Malerei verordnet. Ich will den Mord", sagte er 1930. Es war weder das erste noch das letzte Mal, dass der 1893 in Barcelona geborene Künstler, dem die Albertina nun eine große Retrospektive widmet, diesen Wunsch äußerte.


Landschaft (Landschaft mit Hahn), 1927

In Paris und unter dem Einfluss der Surrealisten hatte Miró 1924/25 begonnen, sich vom Sichtbaren zu entfernen. Seine Figuren lösen sich in Linien auf, verkürzen sich auf Symbole: Zwei gelb umrandete Kreise? Wache, in alle Richtungen blinzelnde Augen. Ein paar von einer Linie herabhängende Locken? Ein Zauselbart. Eine rote Welle? Ein Haarschopf [Es ist kein Haarschopf, sondern die katalanische boina, JE.]. Fertig war der Kopf eines katalanischen Bauern. Die Dichtung und das Prinzip des unkontrollierten Gestaltens, die Écriture automatique, trieben Mirós Abstraktion voran - oder vielmehr die Entwicklung seiner Zeichenhaftigkeit: "Ich verband das Wirkliche mit dem Mysteriösen."

 
Kopf eines katalanischen Bauern.

Angefeuert von den Theorien zum Formlosen seines Freundes, des Schriftstellers und Philosophen Georges Batailles, wird seine Verachtung konventioneller Malmethoden aber größer, der Wunsch, die Grenzen der Malerei aufzusprengen - sie zu morden -, drängender. "Das Einzige, was mich interessiert, ist der Geist an sich." Eine Phase des Experimentierens mit Materialien beginnt: Collagen aus Dachpappe, Struktur-, sogar Schleifpapier wird Bildträger, ungrundierte Holzfaserplatte Basis grober Malgesten. Raues, Schäbiges für ein Formwollen, das nicht schön sein will.

Man and Woman in Front of a Pile of Excrement 1936

Angst bahnt sich ihren Weg

Wilde Bilder. Wilde Jahre. Sie verlaufen auch zeitgleich zu seiner Rückkehr von Paris nach Spanien im Jahr 1932. Aber die Hoffnungen auf eine liberale Regierung erfüllen sich nicht. Die Rechtsparteien kommen 1934 an die Macht, 1936 bricht der Spanische Bürgerkrieg aus. Ängste vor der faschistischen Bedrohung bahnen sich den Weg auf seine Leinwände, zu jener Zeit mehr Albtraum- denn Traumbilder: "Als ich über den Tod nachdachte, kam ich dazu, die Monster zu schaffen, die mich gleichzeitig anzogen und zurückstießen."

 Zwei Gestalten und eine Libelle, 1936

Schwarzgeränderte Amöbenwesen fletschen die Zähne, tragen unheilvolle Öffnungen in ihren deformierten Körpern; ihr Innereres scheint aus lodernden Feuern zu bestehen. Knüppel, Waffen, Galgen meint man zu erkennen. Menschen, deren Gesicht nur noch aus einem Angst-Auge besteht, die Arme nach den Vögeln, also der Freiheit, ausstreckend. In den Arbeiten auf Papier jener Jahre wird die Bedrohung noch existentieller spürbar. Eine politische Erlösung folgt nicht, sondern die bis 1974 dauernde Franco-Diktatur.

Le Vol de l'oiseau sur la plaine III, July 1939

Dieser düstere, ernste, auch aggressive Miró fällt in der chronologischen Ausstellung der Albertina nicht so sehr ins Gewicht. Man kann das Unangenehme, Ungewohnte, das so gar nicht Vertraute schnell durchschreiten. Der Grundtenor der Schau folgt eher dem Zitat: "Wir Katalanen glauben, dass man die Füße immer fest am Boden haben muss, wenn man in die Luft springen möchte". Von der Erde zum Himmel, so heißt auch die Retrospektive.

Femme se coiffant devant d'une glace, 1938

Der Titel stehe für den Boden Kataloniens, der Miró geerdet habe, Motiv seines Frühwerks, sowie seinen steten Wunsch nach Freiheit, sagt Jean-Louis Prat, der gemeinsam mit Gisela Fischer diese Reise vom Ocker zum tiefen Blau kuratierte. Faszinierend ist diese allemal: Dem aufmerksamen Auge wird nicht entgehen, wie Miró bereits 1919 Vegetation in schwingende Linien auflöste, wie die Liebe zum Ornament und zur kubischen Form Mirós spätere Zeichen und Kürzel vorbereitet.

Titel unbekannt, um 1918
 
Was trotzdem fehlt, ist der späte Bildermord! Nur 2001, im Wiener Kunstforum, war ein Beispiel dieser zerschlitzen, angekokelten Toiles brûlées zu sehen. Sie entstanden 1973: Miró war damals 80, seine farbenfrohen, poetischen Werke mit den Monden und Sternen galten längst als Klassiker. Er war Gefangener seines Stils. Gemordet wurde mit Flammen. Seine Galeristen ignorierten diese Arbeiten. Mirós Enkel Joan Punyet beschrieb sie als Ausdruck des Kampfes seines Großvaters gegen das Franco-Regime. Auch die Albertina entschied sich leider für ein mildes Ende.


Nota.

 




Als Dekoration in Hotelzimmern und Arztpraxen bestens geeignet - für jeden andern Maler (Magritte zum Beispiel) ist so ein Urteil tödlich. Aber Miró ist eben auch auf den Postern so unschlagbar, dass man sich wie ein Snob vorkommt, wenn man zugibt, dass einem die ewigen bunten Luftballons und ewigen Kindergeburtstage doch nicht zusagen. Und sagen Sie selbst - fehlen sie nicht ein bisschen hier auf dieser Seite? Das geht aufs Konto der Berichterstatterin vom Standard, die die sozusagen ernste Seite von Miró hervorhebt, Sie - sagen Sie selbst! - bisher auch nicht so beachtet hatten.

Dabei fehlen in der Albertina offenbar ganz die Keramiken von Miró, die der Menge nach den Hauptteil seines Werks ausmachen, in allen denkbare Formaten, vom Nippes fürs Vertiko bis riesig, winzige Figürchen und Zyklopenmauern. 
Und da erinnert er mich an Jean Tinguely, über den ich gar nichts Schlechtes zu sagen wüsste, und der ebenfalls für eine Kunst einstand, die keinen Zweck hat.

JE





 

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