Montag, 8. September 2014

Und nochmal Courbet.

Aus Badische Zeitung, 6. 9. 2014

Der poetische Aktivist
"Gustave Courbet" ab Sonntag in der Fondation Beyeler – und die Frage nach der Modernität des französischen Malers. 

Von Volker Bauermeister  

Der Mann am Meer. Schau her, wie der die Welt grüßt. Einer, der sich rückhaltlos ins Weite wendet. Die Geschichte der Rückenfiguren lässt doch immer an einen denken: Caspar David Friedrich. Diese aber hier ist von einer anderen Art. Die Bildfiguren des deutschen Romantikers stehen wie gebannt, starr und stumm. Sie sind etwas ausgesetzt, das sie nicht begreifen. Oder schmelzen ihr namenlos ein: der großen Gottesnatur. Diesem Vertreter der figürlichen Gattung, von dem wir reden, aber will die weite Welt gehören. Gustave Courbet (1819–1877) malt das Bild einer extrovertierten Weltliebe. Er widerspricht der romantischen Innerlichkeit mit seinem vorm Horizont an der französischen Mittelmeerküste munter den Hut schwenkenden Mann. Dem "Realisten" Courbet liegt das Sinnen eher fern, so jedenfalls könnte man da meinen.

Im selben Jahr 1854 entstand "La Rencontre", auch bekannt als "Bonjour Monsieur Courbet". Ein Großformat, in dem der Maler gegenüber seinem Gönner Bruyas mit herausforderndem Selbstbewusstsein auftritt. Den mächtigen Malkasten, den er auf dem Rücken im Freien herumträgt, – auch ihn mag man als Zeichen ansehen. Die deutschen Künstler in Rom hatten ja früher schon bei den Kollegen aus Frankreich solche Gerätschaft malerischer Extroversion mit Befremden betrachtet. Courbets programmatisches "Bonjour . . ." – es ist jetzt, wie die kleine "Meeresküste bei Palavas" mit dem enthusiastisch dem Horizont winkenden Herrn, aus Montpellier nach Riehen gelangt. Wir sind in der Ausstellung "Gustave Courbet" in der Fondation Beyeler. 



Eine Woge von Frau

Kurator Ulf Küster fragt nach der Modernität des Malers. Neu ist die Frage natürlich nicht. "Courbet. Ein Traum von der Moderne" hieß vor vier Jahren zum Beispiel eine vom Kunsthistoriker Klaus Herding mitverantwortete Schau in der Frankfurter Schirn. Aber es findet sich hier in Riehen jetzt eine schon durch die Bildauswahl neu formulierte Antwort. Zu sehen ist überraschend das legendäre "L’origine du monde", das eine Frau auf den Nenner des Unterleibs bringt. Wir holen aus.
Die Künstler der frühen Moderne sahen sich als Außenseiter. Und es sind die Selbstporträts des jungen Courbet, mit denen die Ausstellung einsetzt. "Der vor Angst Wahnsinnige" kehrt die existenzielle Verunsicherung krass hervor. Doch gelingt es Courbet, die Position der Schwäche – die Ängste in (gespielte) Furchtlosigkeit zu verwandeln. Er sucht die Konfrontation. Ein frühes Beispiel ästhetischer Opposition in diesem 19. Jahrhundert.

Mit seinem proklamierten "Realismus" nimmt er die Welt künstlerisch in Beschlag. Ihn reflektiert die Ausstellung nicht in dem sozialen Sinn etwa der "Steinklopfer". Nicht der politische Aktivist Courbet steht im Fokus, der Kämpfer der Pariser Commune, der dafür mit Gefängnis bezahlte und am Ende in die Schweiz ins Exil ausweichen musste. (Eine Ausstellung in Genf lässt nun zeitgleich den "Schweizer" Courbet sehen.) Sein Bekenntnis zur Wirklichkeit ist in der Konsequenz vielschichtig. Wirklichkeit ist nicht zuletzt, was er dem Bild abverlangt. Ein Realist des Bildes ist er.


"Farbe soll nicht Materie bedeuten, sie soll Materie sein – dies Credo des 20. Jahrhunderts fußt auf Courbet", erklärte Klaus Herding. Gerade das reliefhafte Impasto, die mit der Hand greifbare Malmaterie lässt uns den Maler des französischen Jura, seiner Klippen, Wälder und Gewässer, und lässt auch den Maler der wogenden Weite des Meers so bannkräftig scheinen. Die Tektonik des Gesteins wird mit dem Palettmesser der Leinwand aufgemauert. Die Meereswogen türmen sich zu einem sprühenden Schwall von Farbe. So fällt auch der Schnee ins Auge, mit dem die kalte Jahreszeit das Skelett der Landschaft auffüllt. In Riehen ist Courbet-Schnee in einem ganzen Saal gesammelt. Kaltes Fleisch des Winters.


Es lässt sich eine lange Linie ziehen, von Courbets revolutionärer Unmittelbarkeit über Cézannes Welt der farbigen Flecken, der taches, bis zum Triumph kruder Materie in der Kunst nach ’45, im Abstrakten Expressionismus, in den Farbkrusten Dubuffets und den "Mauern" Tàpies’. Und bis zu Gerhard Richter schließlich, der an diesem ersten Courbet-Sonntag in der Fondation ja auch noch zu sehen ist. Eine bedeutende Bildstudie übrigens fand aus dem Besitz Jeff Koons’ nach Riehen.

Eigentlicher Mittelpunkt von Küsters "Courbet" aber ist das Bild, das sich selbst heute nicht ohne weiteres zeigen lässt, weil es gegen Sichtschranken verstößt. Es spricht für den Regisseur der Beyeler-Ausstellung, dass er sich nicht verkünstelt – dass er Courbets Frau mit geöffneten Schenkeln, dies "L’Origine du monde" nicht wie eine Heimlichkeit und Peinlichkeit in Szene setzt.
Es zeigt sich da der Realist von seiner herausfordernden Seite. "Ursprung der Welt". Ganz gleich, ob der Titel von Courbet selbst ist oder nicht: Er verfehlt das Bild nicht. Es negiert alle Schöpfungsgeschichten – und handelt doch von nichts anderm, mit dem kompromisslos zur Wirkung gebrachten Fleisch, das es annähernd ausfüllt – ja, ausmacht. Auf den Trümmern einer religiösen Weltanschauung präsentiert Courbet den duftig gemalten Unterleib wie ein neues Heiligtum. Er macht tabula rasa – und füllt den aufgerissenen Leerraum mit seiner weltfrommen Provokation. Stifter eines säkularen Glaubens.
 
 

Auch bringt er den Gedanken der Freiheit auf dem Weg ins Spiel . Sein Sujet ist die "freie Natur". Seine weiblichen Akte provozieren mit der brachialen Freiheit ihrer Erotik. "Die junge Badende", die "Drei Badenden", "Die Quelle". . . Das Motiv der "Quelle" beschreibt er gleich vielfach auch im Landschaftsbild, für das er das Modell in der Franche-Comté findet, in der er geboren wurde. Er kostet ein Näheempfinden aus, tastet sich bis an die Ränder der Dunkelheit vor in der höhlenreichen Gegend. Die Landschaft ist ihm eine Vertraute. Und es gelingt ihm die Engführung von Natur- und Menschenbild. In seiner monumentalen Selbstreflexion, dem "Atelier" (das nicht den Weg nach Riehen fand) zeigt er ich malend vor einem Landschaftsgemälde, eine nackte Frau als Modell und Muse an seiner Seite. Im Anblick eines weiblichen Schoßes unterschreibt der Maler der Grotten und sprudelnden Quellen seinen Glaubenssatz. Er glaubt an das Leben. Als poetischer Aktivist übt er seinen Glauben aus.



Eine "Unschuld des Sehens" attestierte ihm Günter Metken, der sich mit "L’Origine du monde" eingehend befasste – dem Skandalbild, das Courbet für einen türkischen Gesandten malte, das dann lange dem Psychoanalytiker Jacques Lacan gehörte und seit kaum zwei Jahrzehnten in Paris in der Öffentlichkeit ist. Man kannte es nur vom Hörensagen. Und jede Abbildung verwandelt dies Lebensbildnis, das selbst auch die Temperatur lebendigen Fleisches wiedergibt, unwillkürlich in etwas, das es nicht ist: eine kleine Schweinerei. Bild unter Bildern im Universum des Bildermülls. In dem kleinformatigen Opus magnum aber konfrontiert der "peintre-poète" (Giorgio de Chirico über Courbet) sich und uns voll Staunen mit einer Woge von Frau. Der bekennende Realist Courbet lässt das Gemälde so zu etwas Lebendigem werden. Ein moderner Pygmalion.

Fondation Beyeler, Riehen/Basel. Vom 7. September bis zum 18. Januar, täglich 10–18 Uhr, Mittwoch 10–20 Uhr.

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