Donnerstag, 4. September 2014

Der Sog ins Grüne - ländliche Künstlerkolonien um 1900.

aus Badische Zeitung, 4. 9. 2014                                                       Gustav Kampmann, Ruine im Wald, Lithographie 1900

Der Sog ins Grüne
Naturdarstellung um 1900: Die Städtische Galerie Karlsruhe erzählt die Geschichte der Grötzinger Malerkolonie.

von Antje Lechleiter

Ahrenshoop, Murnau, Worpswede und Grötzingen, an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert schossen die Künstlerkolonien wie Pilze aus dem Boden. Die deutsche Kunstlandschaft befand sich im Umbruch, und eine ganze Reihe von Malern zog die Sehnsucht nach einem einfachen, naturnahen Leben fern der Großstädte in die Provinz. Dort malten sie das, was sie sahen: das Dorf und die Landschaft, Tiere und Blumen.

Jenny Fikentscher, Blühender Kirschbaum 1899

In einer umfangreichen Sonderausstellung widmet sich die Städtische Galerie Karlsruhe dieser fast noch romantischen Suche nach dem verlorenen Paradies am Beispiel der Grötzinger Malerkolonie. Der Titel der Ausstellung, ". . .12 Minuten von Karlsruhe", macht allerdings deutlich, dass das idyllische Örtchen an der Pfinz doch nicht so ganz am Ende der Welt lag. Nur etwas mehr als zehn Minuten dauerte die Eisenbahnfahrt von Grötzingen in die badische Residenzstadt. Es waren vorwiegend Absolventen der Großherzoglich Badischen Kunstschule, die es ins Grüne zog. Viele von ihnen hatten bei Gustav Schönleber, einem renommierten Meister der Landschaftsmalerei studiert. Warum also nicht gleich dort leben, wo es Natur in Hülle und Fülle gab? 1889, also vor genau 125 Jahren, bezog das Künstlerehepaar Friedrich Kallmorgen und Margarethe Hormuth-Kallmorgen ein Sommerhaus in Grötzingen. Mit dem Blick der Begeisterung malte Kallmorgen sein "Eigenes Nest" im stimmungsvollen Abendlicht. Als Künstler blieben sie nicht lange alleine, schon kurze Zeit später erwarben Otto und Jenny Fikentscher die Augustenburg – das ehemalige markgräfliche Schloss. Ihrem Pioniergeist folgten die Karlsruher Künstlerkollegen Gustav Kampmann, Franz Hein und Karl Biese mit Familien.

Franz Hein, Aschenbrödel oder Das Fest am Schloss, Öl auf Leinwand

Es wäre sicherlich übertrieben zu behaupten, dass sich das badische Dörfchen zur Geburtsstätte einer neuen Kunstströmung entwickelt hätte. Gustav Kampmann zeigt in seiner frischen Malerei "Blaue Luft" (1907) zwar, wie stark man sich dem unmittelbaren Natureindruck hinzugeben bereit war, doch Franz Heins Gemälde "Aschenbrödel oder Das Fest am Schloss" wurzelt noch tief im 19. Jahrhundert. Überregional Bedeutendes leisteten die Mitglieder dieser südwestdeutschen Malerkolonie auf dem Gebiet der Druckgrafik. Wunderbar differenziert und impressionistisch aufgelöst ist die Lithografie "Morgen im Hafen" von Carl Langhein. Von größter Meisterschaft zeugen auch die Steindrucke von Friedrich Kallmorgen ("Badisches Dorf (Grötzingen))", Franz Hein ("Vogesenlandschaft") und Eduard Euler ("Abend am Schloss Tirol").

Franz Hein, Vogesenlandschaft 

Ob sie ihre Werke dann doch eher in den Städten als auf dem Land verkauften, bliebe noch zu untersuchen. Der Ruf der Akademien holte auf jeden Fall einige Mitglieder dieser ersten Grötzinger Künstlergeneration zu Beginn des 20. Jahrhunderts wieder in die Metropolen zurück. Kallmorgen ging nach Berlin, und Franz Hein zog es an die Akademie der grafischen Künste nach Leipzig. Damit war für sie das Kapitel "Stadtflucht" beendet.

Städtische Galerie, Lorenzstr. 27, Karlsruhe. Bis 5. Oktober, Mi bis Fr 10–18, Sa, So 11–18 Uhr.


Friedrich Kallmorgen  Eigenes Nest, 1900 

Karlsruhe: Städtische Galerie
"...12 Minuten von Karlsruhe" - Die Grötzinger Malerkolonie

Wie in Worpswede, Dachau und Willings­­hau­­sen entstand im ausge­hen­­den 19. Jahrhun­­dert auch in Grötzingen eine "Künst­ler­­ko­lo­­nie". Vor 125 Jahren entdeckten einige Maler das Dorf an der Pfinz für sich, ließen sich dort nieder und hielten gleich­­zei­tig engen Kontakt zur nahe gelegenen badischen Residenz­­stadt. 1889 bezog das Künst­ler­paar Friedrich Kallmorgen und Marga­rethe Hormuth-Kallmorgen sein neu erbautes Sommerhaus in der dörflichen Idylle. Wenig später erwarb Otto Fikent­­scher die Augus­ten­­burg, das alte markgräf­li­che Schloss, wo er mit seiner Frau Jenny Fikent­­scher und ihrem Halbbru­der Gustav Kampmann lebte und arbeitete. 

Gustav Kampmann, Blaue Luft, 1907.

Weitere Künstler wie Franz Hein und Karl Biese zogen ebenfalls dort ein. Ihre Kollegen Eduard Euler, Carl Langhein und Hans Richard von Volkmann pflegten zeitweise regen Austausch mit den "Grötzin­gern". Ausge­­bil­­det an der Großher­zo­g­­li­chen Badischen Kunst­­­schule in Karlsruhe, in der Mehrzahl bei Gustav Schönleber, widmeten sie sich vorwiegend der Landschafts­­ma­le­rei. Alle engagier­ten sich beim Karlsruher Künst­ler­bund und die meisten schufen Litho­­gra­­fien, die über die Grenzen des deutschen Reiches hinaus große Anerken­­nung fanden. Bald nach der Jahrhun­­der­t­wende verließen die ersten Maler Grötzingen: 1902 erhielt Friedrich Kallmorgen einen Ruf an die Berliner Kunst­­a­ka­­de­­mie und 1905 wurde Franz Hein an die Königliche Akademie der grafischen Künste nach Leipzig berufen.

Friedrich Kallmorgen, Die Kriegsstraße im Schnee, 1895

Anlässlich ihres 125-jährigen Jubiläums 2014 widmen sich zahlreiche Veran­­stal­tun­­gen der Grötzin­ger Maler­­ko­lo­­nie. Teil des umfang­rei­chen Festpro­­gramms ist auch die Ausstel­­lung in der Städti­schen Galerie Karlsruhe. Eine Auswahl von etwa 100 Gemälden, Zeich­­nun­­gen und Litho­­gra­­fien aus dem Bestand des kommunalen Museums, ergänzt durch private Leihgaben, zeigt die facet­ten­rei­che Themen­viel­falt der Grötzin­ger Künstler: Szenen des dörflichen Alltags und die Natur als Lebensraum für Tiere gehören ebenso dazu wie Burgen und Ruinen als Projek­ti­­ons­flä­chen nationaler Identi­täts­su­che oder die Darstel­­lung der Künstler als Reisende. Blumen­­ge­­binde im Innenraum und blühende Pflanzen in der Landschaft waren das vorherr­­schende Thema der Künst­le­rin­­nen. Jahres- und Tages­­­zei­ten im steten Wandel, der Reiz des Mondlichts und der flüch­ti­gen Himmels­er­­schei­­nun­­gen spielen dabei eine ebenso wichtige Rolle wie die Reduzie­rung der Farbigkeit zu monochro­­mer Ton in Ton-Malerei, vor allem in Darstel­­lun­­gen des Winters. 

Karl Bliese, Blütenpracht

Die Ausstel­­lung beginnt mit beispiel­haf­ten Gemälden von Gustav Schönleber, Hermann Baisch, Hans Thoma und Ferdinand Keller, die die "Grötzinger" als Profes­­so­ren und Künstler beein­fluss­ten. Besonders Schön­le­bers Freilicht­­ma­le­rei mit ihren Farb- und Licht­wir­­kun­­gen vermit­telte den jungen Malern wegwei­­sende Impulse. Im Mittel­­punkt der Präsen­ta­tion steht die indivi­­du­el­le Ausein­an­­der­­set­­zung der Künstler und Künst­le­rin­­nen mit der Landschaft sowie ihre an der Natur orien­tierte, jedoch jeweils indivi­­du­elle Naturauf­fas­­sung. Die Kunstwerke leben vom Reiz der direkten Anschauung und geben Wetter­­stim­­mun­­gen und Licht­­si­tua­tio­­nen mit einer besonderen atmosphä­ri­schen "Einfühlung" wieder. Der Rundgang endet mit Gemälden und Grafiken, die licht­­durch­­flu­tete Landschaf­ten zeigen. Diese halten den Blick in weitläu­fige Naturräume fest und beschrei­­ben den Zauber landschaft­­li­cher Schönheit.

Friedrich Kallmorgen, Badisches Dorf (Grötzingen), 1898, Lithographie


Nota.

Ich fürchte, Sie stimmen mir zu: Alles brav und bieder. Mit Worpswede, Ahrenshoop oder gar Murnau nicht zu vergleichen. Mit Dachau und Willings­­hau­­sen? Darüber weiß ich nichts.

Und warum bringe ich es dann? Um an die tröstliche Wahrheit zu erinnern: Nicht alles, was man nicht gekannt hat, hat man versäumt.
JE
 

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