Der Sog ins Grüne
Naturdarstellung um 1900: Die Städtische Galerie Karlsruhe erzählt die Geschichte der Grötzinger Malerkolonie.
von Antje Lechleiter
Ahrenshoop, Murnau, Worpswede und Grötzingen, an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert schossen die Künstlerkolonien wie Pilze aus dem Boden. Die deutsche Kunstlandschaft befand sich im Umbruch, und eine ganze Reihe von Malern zog die Sehnsucht nach einem einfachen, naturnahen Leben fern der Großstädte in die Provinz. Dort malten sie das, was sie sahen: das Dorf und die Landschaft, Tiere und Blumen.
Jenny Fikentscher, Blühender Kirschbaum 1899
In einer umfangreichen Sonderausstellung widmet sich die Städtische Galerie Karlsruhe dieser fast noch romantischen Suche nach dem verlorenen Paradies am Beispiel der Grötzinger Malerkolonie. Der Titel der Ausstellung, ". . .12 Minuten von Karlsruhe", macht allerdings deutlich, dass das idyllische Örtchen an der Pfinz doch nicht so ganz am Ende der Welt lag. Nur etwas mehr als zehn Minuten dauerte die Eisenbahnfahrt von Grötzingen in die badische Residenzstadt. Es waren vorwiegend Absolventen der Großherzoglich Badischen Kunstschule, die es ins Grüne zog. Viele von ihnen hatten bei Gustav Schönleber, einem renommierten Meister der Landschaftsmalerei studiert. Warum also nicht gleich dort leben, wo es Natur in Hülle und Fülle gab? 1889, also vor genau 125 Jahren, bezog das Künstlerehepaar Friedrich Kallmorgen und Margarethe Hormuth-Kallmorgen ein Sommerhaus in Grötzingen. Mit dem Blick der Begeisterung malte Kallmorgen sein "Eigenes Nest" im stimmungsvollen Abendlicht. Als Künstler blieben sie nicht lange alleine, schon kurze Zeit später erwarben Otto und Jenny Fikentscher die Augustenburg – das ehemalige markgräfliche Schloss. Ihrem Pioniergeist folgten die Karlsruher Künstlerkollegen Gustav Kampmann, Franz Hein und Karl Biese mit Familien.
Franz Hein, Aschenbrödel oder Das Fest am Schloss, Öl auf Leinwand
Es wäre sicherlich übertrieben zu behaupten, dass sich das badische Dörfchen zur Geburtsstätte einer neuen Kunstströmung entwickelt hätte. Gustav Kampmann zeigt in seiner frischen Malerei "Blaue Luft" (1907) zwar, wie stark man sich dem unmittelbaren Natureindruck hinzugeben bereit war, doch Franz Heins Gemälde "Aschenbrödel oder Das Fest am Schloss" wurzelt noch tief im 19. Jahrhundert. Überregional Bedeutendes leisteten die Mitglieder dieser südwestdeutschen Malerkolonie auf dem Gebiet der Druckgrafik. Wunderbar differenziert und impressionistisch aufgelöst ist die Lithografie "Morgen im Hafen" von Carl Langhein. Von größter Meisterschaft zeugen auch die Steindrucke von Friedrich Kallmorgen ("Badisches Dorf (Grötzingen))", Franz Hein ("Vogesenlandschaft") und Eduard Euler ("Abend am Schloss Tirol").
Franz Hein, Vogesenlandschaft
Ob sie ihre Werke dann doch eher in den Städten als auf dem Land verkauften, bliebe noch zu untersuchen. Der Ruf der Akademien holte auf jeden Fall einige Mitglieder dieser ersten Grötzinger Künstlergeneration zu Beginn des 20. Jahrhunderts wieder in die Metropolen zurück. Kallmorgen ging nach Berlin, und Franz Hein zog es an die Akademie der grafischen Künste nach Leipzig. Damit war für sie das Kapitel "Stadtflucht" beendet.
Städtische Galerie, Lorenzstr. 27, Karlsruhe. Bis 5. Oktober, Mi bis Fr 10–18, Sa, So 11–18 Uhr.
Friedrich Kallmorgen Eigenes Nest, 1900
Karlsruhe: Städtische Galerie
"...12 Minuten von Karlsruhe" - Die Grötzinger Malerkolonie
Wie in Worpswede, Dachau und Willingshausen entstand im ausgehenden 19. Jahrhundert auch in Grötzingen eine "Künstlerkolonie". Vor 125 Jahren entdeckten einige Maler das Dorf an der Pfinz für sich, ließen sich dort nieder und hielten gleichzeitig engen Kontakt zur nahe gelegenen badischen Residenzstadt. 1889 bezog das Künstlerpaar Friedrich Kallmorgen und Margarethe Hormuth-Kallmorgen sein neu erbautes Sommerhaus in der dörflichen Idylle. Wenig später erwarb Otto Fikentscher die Augustenburg, das alte markgräfliche Schloss, wo er mit seiner Frau Jenny Fikentscher und ihrem Halbbruder Gustav Kampmann lebte und arbeitete.
Gustav Kampmann, Blaue Luft, 1907.
Weitere Künstler wie Franz Hein und Karl Biese zogen ebenfalls dort ein. Ihre Kollegen Eduard Euler, Carl Langhein und Hans Richard von Volkmann pflegten zeitweise regen Austausch mit den "Grötzingern". Ausgebildet an der Großherzoglichen Badischen Kunstschule in Karlsruhe, in der Mehrzahl bei Gustav Schönleber, widmeten sie sich vorwiegend der Landschaftsmalerei. Alle engagierten sich beim Karlsruher Künstlerbund und die meisten schufen Lithografien, die über die Grenzen des deutschen Reiches hinaus große Anerkennung fanden. Bald nach der Jahrhundertwende verließen die ersten Maler Grötzingen: 1902 erhielt Friedrich Kallmorgen einen Ruf an die Berliner Kunstakademie und 1905 wurde Franz Hein an die Königliche Akademie der grafischen Künste nach Leipzig berufen.
Friedrich Kallmorgen, Die Kriegsstraße im Schnee, 1895
Anlässlich ihres 125-jährigen Jubiläums 2014 widmen sich zahlreiche Veranstaltungen der Grötzinger Malerkolonie. Teil des umfangreichen Festprogramms ist auch die Ausstellung in der Städtischen Galerie Karlsruhe. Eine Auswahl von etwa 100 Gemälden, Zeichnungen und Lithografien aus dem Bestand des kommunalen Museums, ergänzt durch private Leihgaben, zeigt die facettenreiche Themenvielfalt der Grötzinger Künstler: Szenen des dörflichen Alltags und die Natur als Lebensraum für Tiere gehören ebenso dazu wie Burgen und Ruinen als Projektionsflächen nationaler Identitätssuche oder die Darstellung der Künstler als Reisende. Blumengebinde im Innenraum und blühende Pflanzen in der Landschaft waren das vorherrschende Thema der Künstlerinnen. Jahres- und Tageszeiten im steten Wandel, der Reiz des Mondlichts und der flüchtigen Himmelserscheinungen spielen dabei eine ebenso wichtige Rolle wie die Reduzierung der Farbigkeit zu monochromer Ton in Ton-Malerei, vor allem in Darstellungen des Winters.
Karl Bliese, Blütenpracht
Die Ausstellung beginnt mit beispielhaften Gemälden von Gustav Schönleber, Hermann Baisch, Hans Thoma und Ferdinand Keller, die die "Grötzinger" als Professoren und Künstler beeinflussten. Besonders Schönlebers Freilichtmalerei mit ihren Farb- und Lichtwirkungen vermittelte den jungen Malern wegweisende Impulse. Im Mittelpunkt der Präsentation steht die individuelle Auseinandersetzung der Künstler und Künstlerinnen mit der Landschaft sowie ihre an der Natur orientierte, jedoch jeweils individuelle Naturauffassung. Die Kunstwerke leben vom Reiz der direkten Anschauung und geben Wetterstimmungen und Lichtsituationen mit einer besonderen atmosphärischen "Einfühlung" wieder. Der Rundgang endet mit Gemälden und Grafiken, die lichtdurchflutete Landschaften zeigen. Diese halten den Blick in weitläufige Naturräume fest und beschreiben den Zauber landschaftlicher Schönheit.
Friedrich Kallmorgen, Badisches Dorf (Grötzingen), 1898, Lithographie
Nota.
Ich fürchte, Sie stimmen mir zu: Alles brav und bieder. Mit Worpswede, Ahrenshoop oder gar Murnau nicht zu vergleichen. Mit Dachau und Willingshausen? Darüber weiß ich nichts.
Und warum bringe ich es dann? Um an die tröstliche Wahrheit zu erinnern: Nicht alles, was man nicht gekannt hat, hat man versäumt.
JE
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