Von wem ist das? Von Claude Monet; es heißt Les Tuileries (étude), das Entstehungsjahr weiß ich nicht - aber es sieht schon sehr nach 20. Jahrhundert aus.
Donnerstag, 31. Oktober 2013
Die Tuilerien.
Von wem ist das? Von Claude Monet; es heißt Les Tuileries (étude), das Entstehungsjahr weiß ich nicht - aber es sieht schon sehr nach 20. Jahrhundert aus.
Architekturfotografie; II.
aus NZZ, 26. 10. 2013
Was uns der Schatten lehrt
Eine Begegnung mit der in London tätigen Architekturfotografin Hélène Binet
Eine Begegnung mit der in London tätigen Architekturfotografin Hélène Binet
Der Architekturfotografin Hélène Binet kommt es
nicht in erster Linie darauf an, ein Gebäude vollständig zu erfassen.
Sie interpretiert es, wie eine Musikerin eine Komposition. Ihren Fotos
wird gelegentlich eine Nähe zu Traumbildern nachgesagt. Und natürlich,
sagt sie, sei sie selbst in jeder ihrer Aufnahmen enthalten.
von Marion Löhndorf
Auch wenn darin fast nie Menschen
zu sehen sind, sind ihre Aufnahmen doch nicht menschenleer: Der
Betrachter ist eingeladen, die von Hélène Binet wiedergegebene
Architekturlandschaft zu betreten und selbst zu erleben: «Aber ich mache
keine absolute Aussage über das Bauwerk.» Binet glaubt, dass die
Wiedergabe auch nur einer einzigen Figur in einer Foto das Bauwerk
bestätige, und das möchte sie vermeiden. Manche Fotografen, wie etwa
Lucien Hervé, den sie verehrt, seien «fast Reporter» gewesen. Sie aber
arbeitet anders: «Ich bin mehr am ursprünglichen Konzept interessiert,
am Traum des Architekten - etwas Immateriellem, als er das Gebäude zum
ersten Mal imaginierte und es noch unscharf war. Das versuche ich in
meiner Arbeit zu vermitteln.»
Theatralische Elemente
Geboren wurde Hélène Binet 1959 in
Sorengo im Tessin als Tochter französisch-schweizerischer Eltern.
Aufgewachsen ist sie in Rom, geprägt von der klassischen Architektur.
Sie war von früh auf umgeben von Künstlern wie Jean Petit, der mehrere
Bücher über Le Corbusier schrieb. Ihre Eltern waren Musiker, ihr
Grossvater der Komponist Jean Binet. Sie studierte Fotografie am
Instituto Europeo di Design in Rom. Ihre Zwischenstation als
Theaterfotografin am Grand Théâtre de Genève mag Spuren in ihrem Sinn
für theatralische Elemente in der Architektur hinterlassen haben. Dann
kam sie nach London, begann Architektur zu fotografieren, angeregt durch
ihren Mann, den Architekten Raoul Bunschoten. Dieser stellte sie Daniel
Libeskind und John Hejduk vor, der ihr Mentor werden sollte. An der
einflussreichen Architectural Association School of Architecture (AA)
traf sie viel später andere gefeierte Architekten, darunter Zaha Hadid
und David Chipperfield.
Atmosphärisch profitierte sie von der investigativen Neugier und Aufbruchstimmung in der Architekturszene der 1980er Jahre. Der grosse Architekturlehrer der AA, Alvin Boyarsky, gab Hélène Binet die Gelegenheit, die Werke von Sigurd Lewerentz und Dimitris Pikionis zu fotografieren: Diese Arbeiten sollte Peter Zumthor eines Tages sehen. Sie führten dazu, dass er Binet, die Zumthor vorher nicht kannte, als Fotografin seines Werks verpflichtete. Dabei entstanden Fotografien, die der Liebe zum Schatten in Peter Zumthors Werk nachspüren, seiner eher introvertierten, sich nicht auf den ersten Blick erschliessenden Anmutung und der Belebung des Materials durch die Betonung des Sensorischen, die in Zumthors Werk eine so grosse Rolle spielt.
Bei aller Investigations- und Interpretationslust ist das Gebäude der Stoff, von dem Hélène Binet ausgeht: «Ich arbeite wie ein Musiker. Die Noten gehören zum Komponisten einer bestimmten Zeit. Ich würde die Musik einer anderen Zeit nicht spielen wie zeitgenössische Musik. Ich möchte der Welt und dem Werk des Architekten nahe sein. Und ich benutze die Architektur nicht nur, um meine eigenen Gedanken auszudrücken. Ich spiele die Idee des Architekten, gebe ihr einen Klang und fühle dabei zugleich, dass es mein eigener ist. Ich interpretiere Zumthor und Zaha nicht auf dieselbe Weise.» Man könnte sagen, dass sie Zaha Hadids kühnen Linien leisere Noten abgewinnt und den asketischeren Entwürfen Peter Zumthors dramatische Akzente hinzufügt. In den vergangenen 25 Jahren fotografierte sie sowohl zeitgenössische Bauten von Raoul Bunschoten, David Chipperfield, Peter Eisenman oder Caruso St John als auch moderne und historische Architektur von Sverre Fehn, John Hejduk, Geoffrey Bawa, Dimitris Pikionis, Alvar Aalto, Sigurd Lewerentz, Le Corbusier oder Andrea Palladio. Libeskind sagte über ihren sensiblen, unsentimentalen Blick: «Jedes Mal, wenn Hélène Binet eine Foto macht, legt sie die Leistung, die Stärke, das Pathos und die Zerbrechlichkeit der Architektur bloss.»
Unterschiedliche Annäherungen
Hélène Binet vertieft sich in das
Werk der Architekten, mit denen sie sich befasst, nicht zuletzt mithilfe
von Literatur und - weil sie seit mehr als zwanzig Jahren in dem Metier
tätig und selbst mit einem Architekten verheiratet ist - wohl auch
durch Osmose. Es geht ihr in ihrer Arbeit um die Berührung verwandter
künstlerischer Sensibilitäten: «Die Annäherung ist jedes Mal eine
andere. Manchmal bin ich als Erstes mit dem Gebäude konfrontiert, manche
Architekten zeigen mir ihr Werk, und andere ziehen es vor, mit mir
essen zu gehen. Einige begleite ich in ihr Studio, sehe, was ihn oder
sie umgibt, die Bücher, die Farben, die Musik - man betritt dann eine
Welt. Es ist nicht immer etwas Präzises, das sich da mitteilt, aber man
erspürt etwas und baut darauf auf. Auch die Entwürfe anzusehen, ist
schön.»
Hélène Binets eigene Werkstatt liegt im Norden Londons, in einem versteckten Hinterhaus in Kentish Town. Man betritt ihr Studio durch einen grün überwachsenen Innenhof, und die Grossstadt, die um die nächste Ecke noch dröhnt und schubst, kommt dort zum Stillstand. So, wie die Fotografin sich im Wesentlichen auf Schwarz-Weiss-Fotografie konzentriert, ist auch ihr Studio eine Welt in Sepiafarben, Grau, Braun und Schwarz.
Poesie der Nüchternheit
Jeder Gegenstand - Arbeitstische,
Regale voller Bücher und Fotos - ist auf die Arbeit bezogen, zeigt
Spuren des Benutztwerdens und ist eben nicht zum Vorzeigen gedacht. Kein
Objekt steht wie zufällig dort, keines, vom Holzstuhl bis zum Schemel,
sieht schwerfällig aus: Es ist eine Poesie der Nüchternheit, wie sie
sich auch auf manchen ihrer Fotos andeutet. Etwa in ihren Arbeiten über
die Londoner Kirchen von Nicholas Hawksmoor (zirka 1661-1736), in denen
sich Einflüsse vieler Kulturen spiegeln. An ihnen entdeckte sie
geheimnisvolle, oft unbeachtete Winkel und betonte das Drama, die
Strenge und die Ungewöhnlichkeit ihrer Strukturen. Da der Architekt, ein
Freimaurer mit Vorliebe für heidnische Symbole, sich mit ungewöhnlichen
Türmen - ein Erkennungsmerkmal seiner Arbeit - auf die Stadt beziehen
wollte, begab sich Binet auf ihre Höhe und fotografierte sie von
umliegenden Gebäuden aus. So machte sie die Dimensionen der
Hawksmoor-Kirchen im Verhältnis zu ihrer Umgebung erfahrbar. «Christ
Church in Spitalfields zum Beispiel hat verrückte Grössenverhältnisse.
Und Nicholas Hawksmoor selbst war ein sonderbarer Charakter - auch damit
wollte ich ein bisschen spielen», sagt Hélène Binet. Ihre
fotografischen Befragungen seines Werks waren 2012 an der
Architekturbiennale in Venedig und in einer Ausstellung des Somerset
House in London zu sehen - in kühnen Grossformaten.
Konzentration, Vertiefung und Zuspitzung gehören zu den Merkmalen von Binets Arbeit. Ihren Aufnahmen ist nicht nur die Kunst des genauen Hinsehens eingeschrieben, sondern auch das Nachdenken über die Motive, über Architektur und Fotografie. Man hat ihren Fotos, den Ergebnissen nahezu meditativer Vertiefung, gelegentlich die Nähe zu Traumbildern nachgesagt. Je länger sie ein Gebäude, das sie fotografiert, in sich aufnehmen könne, desto besser, findet sie. So hielt sie sich im Kunstmuseum Kolumba, das Peter Zumthor für das Erzbistum Köln schuf, fast zwei Wochen auf, um den Bau in unterschiedlichen Licht- und Schattenverhältnissen an verschiedenen Tageszeiten zu erleben und kleine Dinge wie das Zusammenspiel zweier Materialien zu entdecken.
Zu dieser Arbeitsweise passt Binets Ablehnung praktischer und schneller Digitalfotografie: «Mit Film zu arbeiten, ist eine ganz andere geistige Erfahrung. Es ist teuer, es ist schwer - daher muss man vorbereitet sein. Es ist kostbar, und so muss man bei jeder Foto sagen können: Das ist der Moment! Jetzt! Ich glaube wirklich daran, dass die Seele der Fotografie ihre Beziehung zu einem einzelnen Moment ist. Und die Konzentration ist eine ganz andere. Das Licht verändert und bewegt sich ständig. Es ist wie eine Performance, besitzt Eigendynamik.»
Dass die Architekturfotografie
sich mit dem in den vergangenen Jahren enorm gestiegenen Interesse an
der Architektur verändert hat, begrüsst Hélène Binet: «Heute ist das
Interesse an und das Wissen über Architektur sehr gewachsen. Das ist
gut, denn die Architektur ist ein so wichtiger Teil unseres Lebens. Sie
ist zugänglicher geworden. Ikonische Gebäude sind Reiseziele geworden,
das Reisen selbst wurde einfacher, es gibt mehr Bücher zum Thema, mehr
Fotografen. Viele arbeiten in hoher Qualität. Zugleich macht jeder
Architekturinteressierte seine eigenen Fotos mit dem Smartphone. Kaum
erhebt sich ein Gebäude nur ein paar Meter über den Boden - noch als
Baustelle -, gibt es die ersten Fotos. Visuelle Information ist
allgegenwärtig.» Beunruhigend findet Hélène Binet das nicht: «Früher
wurde die Architekturfotografie fast als Teil der Arbeit betrachtet,
Architekten wie Le Corbusier investierten viel in die Fotografie, die
ihre Arbeit repräsentieren sollte. Sie mussten sich stärker darauf
verlassen. Heute habe ich diese Verantwortung nicht mehr, denn eine Foto
braucht nicht mehr alles über ein Bauwerk mitzuteilen. Das empfinde ich
als befreiend. Ich kann mich auf meine Arbeit konzentrieren. Ich
glaube, dass die Architekturfotografie unabhängiger wurde.»
Zu den Fotografen, die ihre Arbeit beeinflussten, gehören Lucien Hervé, László Moholy-Nagy und Judith Turner. Deren Werk lehrte sie in ihren Anfangsjahren, dass Architekturfotografie sehr reich sein kann. Denn natürlich will Binet mit ihrer Arbeit Aussagen treffen, die über die Architektur hinausgehen. «Ich mag die Stille und die Reduktion als Weg der Verbindung zu etwas Grösserem. Wenn zu viel Lärm um uns herum ist, wenn zu viel passiert, findet das nicht statt. Ich bin zwar nicht von der Reduktion um ihrer selbst willen fasziniert - aber sie erlaubt uns, eine einzelne Sache ganz genau wahrzunehmen.» Sie spricht von einem Observatorium in Jaipur - «nur ein kleiner Schatten kann uns mit dem Rest des Universums verbinden» -, von Peter Zumthors Therme Vals, einem Bau aus «Stein, Wasser und Licht», und seiner Bruder-Klaus-Kapelle auf einem Feld in Deutschland. Die Grösse eines Gebäudes rufe die erste und stärkste emotionale Reaktion hervor: «Wenn ein Objekt kleiner ist, gibt es fast eine physische Verbindung. Wenn es gross ist, habe ich immer das Gefühl, an einer anderen Stelle darin sein zu müssen.»
Schatten als Thema
Der aufwendig gestaltete Bildband
«Composing Space» (erschienen 2012 bei Phaidon in London) lädt zu einem
Spaziergang durch das Werk der Fotografin und durch ein Stück
Architekturgeschichte zugleich ein. Hélène Binet hat die
Zusammenstellung und Auswahl selbst übernommen und damit das Buch
gewissermassen kuratiert. Zwischentitel wie «Memory», «Materiality» und
«Ground» lassen dem Betrachter Spielraum für die eigene Imagination - so
wie ja auch ihr Werk eine subtile Balance zwischen formaler
Geschlossenheit und Offenheit hält. Die vielen Schwarz-Weiss-Aufnahmen
werden nur gelegentlich von Farbabbildungen unterbrochen: «Man
betrachtet ein Gebäude und sieht, was es im Laufe eines Tages oder der
Zeit tut; all diese kleinen Phänomene, die ein Bauwerk erzeugen kann.
Eine Art, ein Gebäude zu sehen, ist die Farbe. Manchmal mag ich Farbe.
Ich habe nicht die Absicht, etwas Obskures zu erschaffen. Aber wenn man
reduziert, dann ist es, wie Aristoteles sagt: Man hört besser im
Dunkeln.» Natürlich seien da auch die Schatten - ein grosses Thema in
ihrer Kunst -, die sie als Abwesenheit von Energie mit der Stille
vergleicht. Schatten könnten einen aber auch in die Irre führen, sagt
sie, «weil man das Gefühl haben kann, dass man da noch etwas anderes
sieht. In anderen Kulturen aber hat es diese Interpretation des
Schattens schon immer gegeben: Schatten führten immer zu etwas anderem.»
Nota.
Das ist ja alles schrecklich maniriert. Sie fotografiert, als solle man nicht erkennen können, dass es sich um Häuser handelt. Sie hat ja auch eine Vorliebe für ArchitektInnen, die so bauen, als dürfte man nicht erkennen, dass es sich um Häuser handelt; und das ist des Schönen etwas viel. Wie konnte das der Rezensentin nicht auffallen?
JE
Nota.
Das ist ja alles schrecklich maniriert. Sie fotografiert, als solle man nicht erkennen können, dass es sich um Häuser handelt. Sie hat ja auch eine Vorliebe für ArchitektInnen, die so bauen, als dürfte man nicht erkennen, dass es sich um Häuser handelt; und das ist des Schönen etwas viel. Wie konnte das der Rezensentin nicht auffallen?
JE
Mittwoch, 30. Oktober 2013
Architekturfotografie, I.
Dialog der Bauwerke, Einsamkeit der Nutzer
Die zeitgenössische Architekturfotografie kennt ganz unterschiedliche Positionen
Die zeitgenössische Architekturfotografie kennt ganz unterschiedliche Positionen
Architekturfotografie begnügt sich nicht mit der präzis erfassten Wiedergabe der Anatomie eines Gebäudes. Die Standpunkte reichen vom praxisorientierten Zugang über Freiräume der Imagination bis hin zum Augenmerk auf Rückbau und Absurdität entfesselter Bautätigkeit.
von Andrea Gnam
«Offenbar schlug ein kühner Architekt vor, als Brest nach dem Krieg in Ruinen lag, wo man schon alles neu bauen müsse, da sollten doch alle Einwohner das Meer sehen können: Man könne doch die Stadt im Halbkreis wieder aufbauen, nach hinten immer höhere Häuser, die Stadt bis an den Rand der Strände gezogen.» So setzt Tanguy Viels 2009 erschienener Roman «Paris-Brest» ein. Statt der Freigabe des Blicks und der Aufkündigung sozial differenzierender Höhenunterschiede sei es zu einem Wiederaufbau gekommen, der die Hafenstadt «kubisch und abgeplattet» erscheinen lasse «wie eine aztekische Pyramide abgeschnitten mit einem horizontalen Sensenhieb». Solch literarische Architekturkritik, die mit einprägsamen visuellen Bildern arbeitet, rüttelt an dem, was Architektur und Architekturfotografie im gelungenen Fall materiell und immateriell in Aussicht stellen: Freude am Ausblick, eine soziale Perspektive, die Reminiszenz an tradierte geometrische Formen, die aber auch wie hier zum Nachteil für die städtische Situation gegen den Strich gebürstet werden können.
Stimmungen und Zwischenräume
Sofern Architekturfotografie heute
nicht als klassische Auftragsarbeit lediglich Ansichten zur
dokumentarisch-werbenden Identifizierung bietet oder Bauten wie Stars in
Szene setzt (vor wolkenlosem Himmel in leichter Untersicht), ist sie
offen für den Raum, den Architektur formt und umschliesst. Georg Aerni
unterscheidet in «Bildbau - Schweizer Architektur im Fokus der
Fotografie» (Christoph-Merian-Verlag, Basel 2013) zwischen Aufnahmen zum
professionellen Gebrauch, bei denen die Präsentation des Objekts im
Vordergrund steht, und einer weiterreichenden Beschäftigung mit dem
Gegenstand: «Bei den freien Arbeiten fokussiere ich eher Zwischenräume,
und ich versuche, Bilder zu komponieren, auf denen alle Bildbereiche
mehr oder weniger gleichbedeutend sind.» Stimmungen und «imaginäre
Verbindungen» zu schaffen, «die nah an der Wahrnehmung von Raum sind»,
sieht Hélène Binet als Vorteil der wohlkomponierten Bildfolge im Medium
Fotobuch. Das sind Überlegungen, die davon ausgehen, Gebautes nicht nur
als Baukörper visuell zu erfassen, sondern auch als körperliche
Erfahrung sichtbar werden zu lassen. Solcherart Architekturerlebnis ist
in seinen feinen Abschattierungen von Licht, Tageszeit, Wetter und der
Umgebungssituation abhängig. Was in der analogen Fotografie als eine Art
Nabelschnur des Bildes zur Situation vor der Kamera mit dem Begriff
«Realitätseffekt» bezeichnet wird, das ist hier die Beziehung zu einer
vorgefundenen Situation: Anlass für die Aufnahme ist das Gebäude, wie es
in seiner Umgebung steht, oder das Haus, das vom Fotografen mit der
Kamera in der Hand durchschritten wird.
Georg Aerni, in Bildbau - Schweizer Architektur im Fokus der Fotografie
Georg Aerni, in Bildbau - Schweizer Architektur im Fokus der Fotografie
Zeigt der Fotograf hier Ausblicke,
die rein ästhetisch geschaffen und ein Produkt seiner Aufmerksamkeit
und seines Könnens sind, abhängig von der Wahl der technischen Mittel?
Hat das so entstandene Bild etwas mit der alltäglichen Erfahrung von
Architektur zu tun? Oder ist es grundsätzlich das Resultat einer
Ausnahmesituation, welches auf die Schönheit, die Gefahren, die
Möglichkeiten von Architektur aufmerksam macht oder diese sogar
weitsichtig antizipiert?
Thomas Florschuetz, der sich nicht
als «Architekturfotograf» verstanden wissen will, gelingt es durch das
präzise
Setzen von Ausschnitten und Durchblicken, in vertikal, diagonal und horizontal angelegten Blickführungen, im Einfangen feinster Grauabstufungen der Wandoberfläche und farblicher Akzente, das Versprechen vor Augen zu führen, das die Architektur der Moderne auch heute noch für uns bereithält (in: «Assembly», Hatje Cantz, Ostfildern 2013). Es liegt weniger im kommunikativen Austausch als in ruhiger Konzentration und funktionaler Reduktion, einer Askese, die bestimmter mentaler Voraussetzungen - und wohl des Alleinseins - bedarf. Auf solchen Aufnahmen, die im visuellen Wechselspiel zwischen Bergen und Öffnen den Fokus auf die Qualität gestalteter Zwischenräume richten, kommen körperliche Momente zum Vorschein, wie sie sich einem im ungehinderten Umhergehen erschliessen. In der Alltagswahrnehmung bilden diese Erfahrungen lediglich einen Grundstrom der Befindlichkeit, auf dem Bild haben wir es mit einem Konzentrat zu tun. «Eigentlich ist eine gute Architekturfotografie eine Fotografie, die viele Fragen stellt. Und wenn eine Architektur gut ist, dann stellt auch sie viele Fragen», erklärt Armin Linke (in: «Concrete. Fotografie und Architektur», Scheidegger & Spiess, Zürich 2013) das Spannungsverhältnis zwischen Architektur und Fotografie.
aus Armin Linke, Concrete. Fotografie und Architektur
Setzen von Ausschnitten und Durchblicken, in vertikal, diagonal und horizontal angelegten Blickführungen, im Einfangen feinster Grauabstufungen der Wandoberfläche und farblicher Akzente, das Versprechen vor Augen zu führen, das die Architektur der Moderne auch heute noch für uns bereithält (in: «Assembly», Hatje Cantz, Ostfildern 2013). Es liegt weniger im kommunikativen Austausch als in ruhiger Konzentration und funktionaler Reduktion, einer Askese, die bestimmter mentaler Voraussetzungen - und wohl des Alleinseins - bedarf. Auf solchen Aufnahmen, die im visuellen Wechselspiel zwischen Bergen und Öffnen den Fokus auf die Qualität gestalteter Zwischenräume richten, kommen körperliche Momente zum Vorschein, wie sie sich einem im ungehinderten Umhergehen erschliessen. In der Alltagswahrnehmung bilden diese Erfahrungen lediglich einen Grundstrom der Befindlichkeit, auf dem Bild haben wir es mit einem Konzentrat zu tun. «Eigentlich ist eine gute Architekturfotografie eine Fotografie, die viele Fragen stellt. Und wenn eine Architektur gut ist, dann stellt auch sie viele Fragen», erklärt Armin Linke (in: «Concrete. Fotografie und Architektur», Scheidegger & Spiess, Zürich 2013) das Spannungsverhältnis zwischen Architektur und Fotografie.
aus Armin Linke, Concrete. Fotografie und Architektur
Wie vertraut soll und darf ein Fotograf mit den Räumen sein, über die er arbeitet? Thomas Ruff kokettiert als Fotograf sogar mit seiner körperlichen Abwesenheit und delegiert Aufnahmen an andere Fotografen, um sich auf die Position der Konzeption zurückzuziehen, mit der Begründung, es wäre arbeitstechnisch unsinnig gewesen, für einen Auftrag 500 Kilometer zurückzulegen: «Besser, das erledigte jemand vor Ort, der nur fünf Minuten fahren musste» (in: «Bildbau», 2013). Ganz anders Christian von Steffelin, der, um im Inneren des Berliner «Palastes der Republik» zu fotografieren, dessen Rückbau kurz bevorstand, sich auch Strategien der Mimikry bedienen musste, um überhaupt eingelassen zu werden (Hatje Cantz, Ostfildern 2011). Mit wie viel Umsicht bewegt man sich fast als Letzter in solcherart kostbar gewordenen Räumen, welches Gewicht erlangen hier die Details, die später als Statthalter für das Ganze stehen? Steffelin fand eine schöne Lösung: Er kontrastierte Raumaufnahmen mit Grossaufnahmen der im Innenbereich zum Einsatz gekommenen Materialien und Fotos aus der DDR-Zeit.
Beklemmende Kulissen
Nicht immer auf den ersten Blick zu durchschauende Sonderfälle bilden Aufnahmen, die den - in der älteren Malerei so beliebten - Architektur-Capriccios verwandt sind. Düster endzeitliche, aus vielen Aufnahmen digital erstellte Bild-Kompilationen finden sich bei Beate Gütschow, als heiter-vertrackt erweist sich Gerhard Vormwalds Werkkomplex «Concrete Illusions» mit Konstruktionen, die teilweise auch einem eigenmächtigen Bauherrenwillen auf dem Land entsprungen sein könnten. Aus modernen Architekturelementen und Gerümpel sind die futuristisch anmutenden «Favelas» von Dionisio González zusammengesetzt. Bei Nachbauten von Architektur handelt es sich ebenfalls fast schon um ein eigenes Genre. Aus Legosteinen erbaute und aus der Vogelperspektive aufgenommene, schwindelerregende Ansichten finden sich bei Andreas Zimmermann, die real beklemmenden Kulissen des für die französische Armee zu Übungszwecken aufgebauten Phantomdorfs Jeoffrécourt rückt Guillaume Greff (in: «Dead cities», Kaiserin Editions, Paris 2013) ins Blickfeld.
Absurdität und Traurigkeit strahlen Bauwerke aus, die ihren politischen Kontext verloren haben und alleine stehen geblieben sind. Ihres Anspruchs beraubt, sind das verbrauchte Architekturen, die eines unvoreingenommenen Blicks und eines Fotografen bedürfen, der ihren übergreifenden, formalen Zusammenhang ebenso aufspürt wie das, was trotz vielen enttäuschten Erwartungen bleibt. So geraten Bushaltestellen in Armenien (Ursula Schulz-Dornburg) und besonders individuell gestaltete Anlagen in der ehemaligen UdSSR (Christopher Herwig) in den Blick, wie jüngst eine Ausstellung zur Sowjetmoderne im Architekturzentrum Wien zeigte. Frédéric Chaubin zeigt im Bildband «Cosmic Communist Constructions» (Taschen-Verlag, Köln 2011) Gebäude aus der Sowjetzeit in ihrer überbordenden und doch bürokratisch genormten, kühn absurden Phantastik.
Hier wird deutlich, was heute auch skulpturaler Stararchitektur in ihrer globalen Standortlosigkeit vorgeworfen wird: Die Bauwerke der Architekten halten weltweit untereinander Zwiesprache, aber nicht mit ihrer unmittelbaren Umgebung. Es sei denn, ein Fotograf erkennt auch hier wieder eine Struktur, die manchmal allerdings auch ein Effekt der Übersetzung in die Zweidimensionalität sein kann: HG Esch schafft in «City and Structure» (Hatje Cantz, Ostfildern 2009) mit einem europäisch-traditionellen Blick von oben eine in Form- und Farbkorrespondenzen überwältigende Geometrie der grossen, von Sonnenlicht oder nächtlicher Beleuchtung durchfluteten Städte. Einem historischen Gestus verpflichtet kommt das Prinzip der Reihung daher, wie es sich etwa im Bildband «Manhattan New York» (Schirmer/Mosel-Verlag, München 2007) präsentiert, in dem Gerrit Engel bekannte und weniger bekannte Gebäude Manhattans nach ihrem Entstehungsjahr porträtiert.
Eine besondere Form der historischen Aufmerksamkeit gegenüber Architektur stellt sich mit der Frage nach ihrem Gebrauch. Denn in der Regel werden Gebäude in ihrer Jugendblüte fotografiert. Wie aber bewähren sie sich auf Dauer? Sollte man soziologisch auch nach Nutzungsmöglichkeiten unterscheiden - schliesslich werden die Räume eines Museums, eines öffentlichen Gebäudes oder einer Villa anders erfasst, je nachdem, ob man darin zu Besuch ist oder dort arbeiten muss? Ila Bêka & Louise Lemoine gehen diesen Fragen nach, sie prüfen - mit ironischem Abstand in ihrem Film- und Fotoprojekt «Living Architectures» Räume von Stararchitekten aus der Sicht von Putzpersonal («Koolhaas Houselife», 2013) oder untersuchen sie auf ihre Brauchbarkeit zum Essen und Feiern («Pomerol, Herzog & de Meuron», 2013).
Für die Idee einer «Amateur-Architektur» macht sich Wang Shu als Architekt stark. Diese huldigt keiner kühnen Idee, ist keiner dauerhaft festgelegten Form verpflichtet, sondern lässt möglichst viele Nutzungsmöglichkeiten offen, die sich erst in der Realisierung durch die Bewohner ergeben. Eine solch pragmatische Sichtweise, die sich zum Temporären hin öffnet, mag ihre Anregungen oder ihre Notwendigkeit von der Strasse holen: von den einfachsten Behausungen, die gerade in den Megastädten Asiens und Afrikas Seite an Seite mit gigantischer Repräsentationsarchitektur einhergehen oder andernorts von zeitweiligen Protestcamps auf öffentlichen Plätzen. Für eine offene, flexible Konzeption, die je nach Umständen sich wechselnder, auch kontrastierender Mittel von Entwurf, Material und Darstellung bedient, votiert Eike Becker mit seinem Konzept der «Superferenz» (Hatje Cantz, Ostfildern 2012). Interessanterweise arbeiten er und sein Büro mit kühnen Tuschzeichnungen, die an Kalligrafie erinnern, um ihnen recht biedere Architekturfotografie zur Seite zu stellen.
Statement und Bekenntnis
Welche (materiellen) Bilder indes Architekten als für ihre Arbeit bedeutend erachten, ist Gegenstand von Valerio Olgiatis Bilder-Buch «The Images of Architects» (Quart-Verlag, Luzern 2013). Er hat 44 bekannte Architektenkollegen (darunter nur fünf Frauen)* gebeten, solche Bilder zusammenzustellen, wie er es selbst bereits seit Jahren tut. Neben Zeichnungen sind es eine Reihe von Fotografien: Man sieht Ansichten von Eisenkonstruktionen, Rückenfiguren der Malerei, die in die Ferne blicken (Hans Kollhoff), oder Menschenansammlungen im Wechsel mit Bildern vom Wald (Sou Fujimoto). Einiges mag mehr Statement als Bekenntnis sein, anderes reflektiert wie die Bildauswahl von Adam Caruso und Peter St John, die das Spannungsfeld auslotet, innerhalb dessen sich Architektur zwischen Repräsentation, Nutzung und sakral-meditativem Freiraum positioniert: Ein Fahrradfahrer dreht eine Kurve, im Hintergrund erhebt sich die Fassade einer Bank im brutalistischen Stil; der Kreuzgang einer Abtei; zum Trocknen aufgehängte Wäsche vor einer Siedlung; der Nike-Tempel in Athen neben einem Zementwerk als liegendem, dreiseitigem Prisma auf dem flachen Land in den USA - fremd und ein wenig seltsam anmutend wie Tanguy Viels ins Weichbild von Brest projizierte Pyramide aus dem Aztekenreich.
PD Dr. Andrea Gnam ist Privatdozentin für deutsche Literatur an der HU Berlin, lehrt auch an der Universität Wien und ist Mitglied der Deutschen Fotografischen Akademie. Sie ist die Autorin von zahlreichen wissenschaftlichen und journalistischen Publikationen zu Kunst, Fotografie, Medien und Literatur (Fotoblog http://fotobuch.gnam.info).
aus Chaubin, Cosmic Communist Constructions
*) Doch wieviele Rothaarige und wieviele Blauäugige? Das interessiert mich viel mehr.
JE
Dienstag, 29. Oktober 2013
Ist das überhaupt Kunst?
Beate Hentschel Presse,
Kommunikation und Marketing
Georg-August-Universität Göttingen
28.10.2013 09:58
Neuigkeiten von Levi und Nofretete
Universitätsbund Göttingen verleiht Dissertationspreis an zwei Göttinger Promovenden
pug) Für ihre mit „summa cum laude“ bewerteten Promotionen wurden Harald Samuel und Kai Widmaier mit dem Dissertationspreis des Universitätsbundes Göttingen ausgezeichnet.
... der Ägyptologe Widmaier entwirft einen Paradigmenwechsel von der Kunstgeschichte hin zu einer ägyptologischen Bildwissenschaft. Der mit jeweils 4.000 Euro dotierte Dissertationspreis des Universitätsbundes wird von der AKB-Stiftung gefördert. Der Vorsitzende des Auswahlgremiums, Prof. Dr. Reinhard G. Kratz, überreichte die Auszeichnung am 26. Oktober 2013 im Rahmen des Göttinger Alumni-Tages. Die Laudationes hielt der Göttinger Ägyptologe Prof. Dr. Friedrich Junge.
...Sollen Ägyptologen die Büste der Nofretete kunsthistorisch einordnen? Kai Widmaier setzt sich in seiner Arbeit „Bilderwelten: Ägyptische Bilder und ägyptologische Kunst. Vorarbeiten für eine bildwissenschaftliche Ägyptologie“ kritisch mit der Wahrnehmungspraxis seines Faches auseinander, ägyptische Gegenstände wie Plastik, Malerei und Reliefs seien Kunst. Nach Überlegungen zu den Grundbegriffen Kunst und Stil entwirft er eine bildwissenschaftliche Alternative, die zwischen „ägyptologischer Kunst“ und „ägyptischen Bildern“ unterscheidet. Er fordert für sein Fach, bei der Arbeit am ägyptischen Bild auf den Kunstbegriff und den musealen Blick zu verzichten. „Die Dissertation von Dr. Widmaier ist eine der wichtigsten Arbeiten der vergangenen 20 Jahre und wird die Ägyptologie als Disziplin nachhaltig verändern“, so Erstgutachter Prof. Dr. Gerald Moers vom Institut für Ägyptologie der Universität Wien. Kai Widmaier studierte Ägyptologie an der Universität Göttingen und wurde hier 2012 promoviert. Er ist Mitherausgeber der Fachzeitschrift „Lingua Aegyptia“. Für seine Dissertation wurde er zudem beim Tag der GSGG am 24. Oktober 2013 mit dem Christian-Gottlob-Heyne-Preis ausgezeichnet.
Kontaktadressen:
Kai Widmaier
Rambatzweg 5
22303 Hamburg
Telefon (040) 32842131
E-Mail: KaiWidmaier@web.de
Montag, 28. Oktober 2013
Emil Nolde, der entartete Nazi.
aus Der Standard, Wien, 25.10.2013 Selbstbildnis, 1917
Ein Nationalsozialist als "Parade-Entarteter"
Das Kolorit in Emil Noldes Bildern ist mächtig: "Glut und Farbe" heißt die umfassende Retrospektive, die einen herausragenden Maler vorstellt. Was in der Ausstellung trotzdem nicht fehlen dürfte, ist ein zeithistorisches Kapitel über dessen Nazi-Sympathie
von Anne Katrin Feßler
Wien - 1600 Nolde-Blumen ließ das Gartenamt Baden-Baden rund um die Ausstellung Die Pracht der Farbe im Museum Frieder Burda erblühen. Rund 80 Blumenbilder Emil Noldes (1867-1956) waren in der Ausstellung zu sehen, die bis Mitte Oktober 140.000 Besucher angelockt hat. Der Herbst in Wien verspricht zwar keine Blumen, aber mit Emil Nolde. In Glut und Farbe im Belvedere auch sehr farbstark zu werden.
Begegnungen am Strand 1920
Das intensive Kolorit kommt bei Nolde fast in jedem Ausstellungstitel vor, sagt Kurator Stephan Koja, dem in diesem Zusammenhang besonders Farben heiß und heilig (Stiftung Moritzburg, 2013) gefällt; es ist genauso wie In Glut und Farbe ein Zitat Noldes.
Tropensonne, 1914
Statt allein Blumen präsentiert Koja gut 190 Werke aus allen Schaffensperioden, gliedert sie in logische, chronologische Kapitel. Und fürwahr begegnet dem Betrachter dort ein leidenschaftlicher Farbmagier: Bevor er um 1910/11 die Farbe in seinem Oeuvre entfesselte, strichelte er im Frühwerk expressionistisch: etwa drollige Bergriesen, aufreizende Traumwesen oder beschauliche Landschaften. Es folgen pastose Stimmungsbilder der See: vom Gewittersturm aufgewühlt, vom Sonnenuntergang in Brand gesteckt oder verhängnisvoll und tiefschwarz. Nolde stürzt sich mit seiner Ada in nächtliche Halbwelten, malt Tänzer, Trinker, Teufel. In großem Kontrast dazu, die religiösen Bilder Noldes, die viele seiner Kollegen nicht guthießen; Ernst Ludwig Kirchner, einstiger "Brücke"-Kollege beklagte den "Formenschatz des Mittelalters".
Kreuzigung
Neben dämonisch leuchtenden Landschaften der 1920er- und mystischen Meerbildern der 1940er-Jahre widmet man sich Noldes Südseereise, dem Einfluss auf österreichische Maler und zu guter Letzt den "legendären 'ungemalten Bildern'":
Marschlandschaft mit Mühle, 1920-1925
Er fühlte sich unverstanden ...
Nolde - zur NS-Zeit als "entartet" eingestuft und mit Malverbot belegt - schuf diese Aquarelle, die "nicht sein durften", zurückgezogen im Geheimen. Es grämte ihn zutiefst, so verfemt zu werden, war er doch Parteimitglied seit 1934 und hatte im Memoirenband Jahre der Kämpfe guten Einblick in seinen Antisemitismus gegeben.
Berglandschaft
Die "Glut" im Titel darf jedoch nicht als Verweis auf Noldes glühende Nazi-Anhängerschaft gedeutet werden. Die Ausstellung belässt es bei kurzen Verweisen auf "Mitgliedschaft" und "Sympathie". Aber ein zeitgeschichtliches Kapitel zu Noldes bereits um 1910 geführten "Kulturkämpfen gegen die Überfremdung (...) und die alles beherrschende jüdische Macht" hätte einer Retrospektive mit derart umfassendem Anspruch gut zu Gesicht gestanden.
Sonnenuntergang mit zwei Seglern, 40er Jahre
... der Bewunderer Hitlers
Und zwar nicht nur, weil Die Zeit diesen Aspekt in Noldes Biografie aufgrund von Briefen an seinen Schüler Hans Fehr vergangene Woche aufgegriffen hat. Dort ist unter anderem zu lesen: "Der Führer ist groß und edel in seinen Bestrebungen." Bald werde "die Sonne hier durchbrechen, diese Nebel zerstreuend". Naturvergleiche, wie sie sich im Grunde auch in den dramatischen Bildern Noldes wiederfinden lassen; seine Ansichten werden nicht besser, nur weil die Nationalsozialisten seine Kunst nicht als "ihre" erkannten.
Dschunke, 1914
Wie auch Koja bemerkt, sind diese Aspekte in Noldes Biografie ebenso aus anderen Quellen bekannt. Noldes "blöde" Aussprüche allerdings nur im Katalog zu zitieren oder auf Publikationen wie Mein Leid, meine Qual, meine Verachtung. Emil Nolde im Dritten Reich (Thomas Knubben, 1999) zu verweisen, reicht das? Reicht es, keine Propagandakunst gefertigt zu haben, keine Filme wie Heimkehr (G. Ucicky, 1941)? Ist Kunst Kunst und Zustimmung zur NS-Ideologie reine Charakterfrage?
Meer mit Dampfer 1945-48
Im Fall des Bildhauers Gustinus Ambrosi, der sich vom Speer-Günstling zum "Nazi-Opfer" stilisierte (Nolde: erst von Goebbels gesammelt, dann "Parade-Entarteter"[Koja]) wurde von Francesca Habsburgs Kunstplattform TBA21, die seit 2012 dessen Augarten-Atelier bespielt, Historiker Oliver Rathkolb mit einem Essay beauftragt. Das wäre auch dem Belvedere zumutbar gewesen.
?
Ist es ein österreichisches Phänomen? Angesichts dessen, dass Österreich sich im Museum Auschwitz-Birkenau bis zum 22. Oktober "entgegen dem zeitgemäßen Geschichtsbild" noch als "erstes Opfer des Nationalsozialismus dargestellt" hat (Hannah Lessing, Nationalfonds für Opfer des Nationalsozialismus), läge dieser Verdacht nahe. Aber dem ist nicht so.
So gehts aber auch: Nordseeabend, 1935
Im Katalog zu Mensch Natur Mythos (2009, Staatliche Museen zu Berlin) wird Noldes Klagen und Bitten um Aufhebung der Diffamierung als "entartet" mit Hinweisen auf seinen Kampf "gegen die Überfremdung der deutschen Kunst" relativiert. Von "taktisch begründeter Affirmation der NS-Ideologie" ist hier die Rede. Das ist heruntergespielt.
Bis 2. 2. 2014
Abendliche Marschlandschaft 1938
Nota.
Wir haben ja das Wagner-Jahr, da wurde zu dieser Thematik schon einiges gedruckt. Denn bei Wagner, nicht wahr, kann man von der Kunst nicht reden, ohne von seiner Weltanschauung zu reden. Aber schon da muss man unterscheiden. Ob die sich in seinen Klängen und Harmonien niederschlägt, ist eine ähnliche Frage wie: ob man aus Mendelssohns Musik Judentum raushört. Es gibt Leute, die finden Wagners Musik schwülstig, zudringlich und kitschig, und schlaue Leute könnten meinen, das gälte für die NS-Kunst ja auch... Ein Malerkollege (ich glaube, es war Paul Klee) hat Noldes Farbexzesse ihrerseits als Kitsch abgetan, und manch ein Feuilletonredakteur würde sich mit dieser Volte zufriedengeben.
Aber Wagners Musik gehört zu Texten, zu denen sie passt wie die Faust aufs Auge, das muss man ihm lassen. Und diese Texte, Musikdramen, bringen allerdings die sie tragende Welt- und Lebensanschauung zum Ausdruck - eine theatralische Antibürgerlichkeit zu einem völkischen Herz- und Bauchspeicheldrüsensozialismus aufgebläht und mit dem hierbei unvermeidlichen Antisemitismus versetzt. Ob man es Wagner als persönliche Schuld anrechnen soll, dass aus diesem Gebräu auch der Nationalsozialismus seine Ideologie gekocht hat, gehört weder in kunsthistorische noch in ästhetische Erörterungen. Aber dass die Nationalsozialisten sich nicht ohne Berechtigung wirklich auf Wagner berufen haben, ist eine Tatsache, an der auch künstlerischer und ästhetischer Feinsinn nichts beschönigen kann.
Ob Noldes Malerei schwülstig, zudringlich und kitschig ist, ist eine kunstkritische Frage. Und die ist mehr als berechtigt; aber das gilt für den Brücke-Expressionismus überhaupt. Dass ebendies einen (großen?) Teil seines ästhetischen Reizes ausmacht, gehört schon ein bisschen zur Antwort.
Und dass Noldes dunstige Weltsicht in seinen Farben ihren Ausdruck findet, wird man ohne großen Streit wohl auch sagen können. Aber dass ihm eine Verantwortung dafür zufiele, dass seine Malerei den Nationalsozialismus befördert hätte und dass die Nazis sie für ihre Zwecke ausbeuten konnten, ist offenkundig falsch. Wenn er es auch nicht verstehen wollte: Sie haben seine Kunst zu Recht zu der entarteten gezählt. Wo von seiner Kunst geredet wird, muss davon geredet werden. Dass er in seinem Herzen selber Nazi war, gibt der Sache eine komische Tragik und mag in seiner Biographie einen großen, in einem Ausstellungskatalog aber nur eine kleinen Platz einnehmen.
J.E.
Ein Nationalsozialist als "Parade-Entarteter"
Das Kolorit in Emil Noldes Bildern ist mächtig: "Glut und Farbe" heißt die umfassende Retrospektive, die einen herausragenden Maler vorstellt. Was in der Ausstellung trotzdem nicht fehlen dürfte, ist ein zeithistorisches Kapitel über dessen Nazi-Sympathie
von Anne Katrin Feßler
Wien - 1600 Nolde-Blumen ließ das Gartenamt Baden-Baden rund um die Ausstellung Die Pracht der Farbe im Museum Frieder Burda erblühen. Rund 80 Blumenbilder Emil Noldes (1867-1956) waren in der Ausstellung zu sehen, die bis Mitte Oktober 140.000 Besucher angelockt hat. Der Herbst in Wien verspricht zwar keine Blumen, aber mit Emil Nolde. In Glut und Farbe im Belvedere auch sehr farbstark zu werden.
Begegnungen am Strand 1920
Das intensive Kolorit kommt bei Nolde fast in jedem Ausstellungstitel vor, sagt Kurator Stephan Koja, dem in diesem Zusammenhang besonders Farben heiß und heilig (Stiftung Moritzburg, 2013) gefällt; es ist genauso wie In Glut und Farbe ein Zitat Noldes.
Tropensonne, 1914
Statt allein Blumen präsentiert Koja gut 190 Werke aus allen Schaffensperioden, gliedert sie in logische, chronologische Kapitel. Und fürwahr begegnet dem Betrachter dort ein leidenschaftlicher Farbmagier: Bevor er um 1910/11 die Farbe in seinem Oeuvre entfesselte, strichelte er im Frühwerk expressionistisch: etwa drollige Bergriesen, aufreizende Traumwesen oder beschauliche Landschaften. Es folgen pastose Stimmungsbilder der See: vom Gewittersturm aufgewühlt, vom Sonnenuntergang in Brand gesteckt oder verhängnisvoll und tiefschwarz. Nolde stürzt sich mit seiner Ada in nächtliche Halbwelten, malt Tänzer, Trinker, Teufel. In großem Kontrast dazu, die religiösen Bilder Noldes, die viele seiner Kollegen nicht guthießen; Ernst Ludwig Kirchner, einstiger "Brücke"-Kollege beklagte den "Formenschatz des Mittelalters".
Kreuzigung
Neben dämonisch leuchtenden Landschaften der 1920er- und mystischen Meerbildern der 1940er-Jahre widmet man sich Noldes Südseereise, dem Einfluss auf österreichische Maler und zu guter Letzt den "legendären 'ungemalten Bildern'":
Marschlandschaft mit Mühle, 1920-1925
Er fühlte sich unverstanden ...
Nolde - zur NS-Zeit als "entartet" eingestuft und mit Malverbot belegt - schuf diese Aquarelle, die "nicht sein durften", zurückgezogen im Geheimen. Es grämte ihn zutiefst, so verfemt zu werden, war er doch Parteimitglied seit 1934 und hatte im Memoirenband Jahre der Kämpfe guten Einblick in seinen Antisemitismus gegeben.
Berglandschaft
Die "Glut" im Titel darf jedoch nicht als Verweis auf Noldes glühende Nazi-Anhängerschaft gedeutet werden. Die Ausstellung belässt es bei kurzen Verweisen auf "Mitgliedschaft" und "Sympathie". Aber ein zeitgeschichtliches Kapitel zu Noldes bereits um 1910 geführten "Kulturkämpfen gegen die Überfremdung (...) und die alles beherrschende jüdische Macht" hätte einer Retrospektive mit derart umfassendem Anspruch gut zu Gesicht gestanden.
Sonnenuntergang mit zwei Seglern, 40er Jahre
... der Bewunderer Hitlers
Und zwar nicht nur, weil Die Zeit diesen Aspekt in Noldes Biografie aufgrund von Briefen an seinen Schüler Hans Fehr vergangene Woche aufgegriffen hat. Dort ist unter anderem zu lesen: "Der Führer ist groß und edel in seinen Bestrebungen." Bald werde "die Sonne hier durchbrechen, diese Nebel zerstreuend". Naturvergleiche, wie sie sich im Grunde auch in den dramatischen Bildern Noldes wiederfinden lassen; seine Ansichten werden nicht besser, nur weil die Nationalsozialisten seine Kunst nicht als "ihre" erkannten.
Dschunke, 1914
Wie auch Koja bemerkt, sind diese Aspekte in Noldes Biografie ebenso aus anderen Quellen bekannt. Noldes "blöde" Aussprüche allerdings nur im Katalog zu zitieren oder auf Publikationen wie Mein Leid, meine Qual, meine Verachtung. Emil Nolde im Dritten Reich (Thomas Knubben, 1999) zu verweisen, reicht das? Reicht es, keine Propagandakunst gefertigt zu haben, keine Filme wie Heimkehr (G. Ucicky, 1941)? Ist Kunst Kunst und Zustimmung zur NS-Ideologie reine Charakterfrage?
Meer mit Dampfer 1945-48
Im Fall des Bildhauers Gustinus Ambrosi, der sich vom Speer-Günstling zum "Nazi-Opfer" stilisierte (Nolde: erst von Goebbels gesammelt, dann "Parade-Entarteter"[Koja]) wurde von Francesca Habsburgs Kunstplattform TBA21, die seit 2012 dessen Augarten-Atelier bespielt, Historiker Oliver Rathkolb mit einem Essay beauftragt. Das wäre auch dem Belvedere zumutbar gewesen.
?
Ist es ein österreichisches Phänomen? Angesichts dessen, dass Österreich sich im Museum Auschwitz-Birkenau bis zum 22. Oktober "entgegen dem zeitgemäßen Geschichtsbild" noch als "erstes Opfer des Nationalsozialismus dargestellt" hat (Hannah Lessing, Nationalfonds für Opfer des Nationalsozialismus), läge dieser Verdacht nahe. Aber dem ist nicht so.
So gehts aber auch: Nordseeabend, 1935
Im Katalog zu Mensch Natur Mythos (2009, Staatliche Museen zu Berlin) wird Noldes Klagen und Bitten um Aufhebung der Diffamierung als "entartet" mit Hinweisen auf seinen Kampf "gegen die Überfremdung der deutschen Kunst" relativiert. Von "taktisch begründeter Affirmation der NS-Ideologie" ist hier die Rede. Das ist heruntergespielt.
Bis 2. 2. 2014
Abendliche Marschlandschaft 1938
Nota.
Wir haben ja das Wagner-Jahr, da wurde zu dieser Thematik schon einiges gedruckt. Denn bei Wagner, nicht wahr, kann man von der Kunst nicht reden, ohne von seiner Weltanschauung zu reden. Aber schon da muss man unterscheiden. Ob die sich in seinen Klängen und Harmonien niederschlägt, ist eine ähnliche Frage wie: ob man aus Mendelssohns Musik Judentum raushört. Es gibt Leute, die finden Wagners Musik schwülstig, zudringlich und kitschig, und schlaue Leute könnten meinen, das gälte für die NS-Kunst ja auch... Ein Malerkollege (ich glaube, es war Paul Klee) hat Noldes Farbexzesse ihrerseits als Kitsch abgetan, und manch ein Feuilletonredakteur würde sich mit dieser Volte zufriedengeben.
Aber Wagners Musik gehört zu Texten, zu denen sie passt wie die Faust aufs Auge, das muss man ihm lassen. Und diese Texte, Musikdramen, bringen allerdings die sie tragende Welt- und Lebensanschauung zum Ausdruck - eine theatralische Antibürgerlichkeit zu einem völkischen Herz- und Bauchspeicheldrüsensozialismus aufgebläht und mit dem hierbei unvermeidlichen Antisemitismus versetzt. Ob man es Wagner als persönliche Schuld anrechnen soll, dass aus diesem Gebräu auch der Nationalsozialismus seine Ideologie gekocht hat, gehört weder in kunsthistorische noch in ästhetische Erörterungen. Aber dass die Nationalsozialisten sich nicht ohne Berechtigung wirklich auf Wagner berufen haben, ist eine Tatsache, an der auch künstlerischer und ästhetischer Feinsinn nichts beschönigen kann.
Ob Noldes Malerei schwülstig, zudringlich und kitschig ist, ist eine kunstkritische Frage. Und die ist mehr als berechtigt; aber das gilt für den Brücke-Expressionismus überhaupt. Dass ebendies einen (großen?) Teil seines ästhetischen Reizes ausmacht, gehört schon ein bisschen zur Antwort.
Und dass Noldes dunstige Weltsicht in seinen Farben ihren Ausdruck findet, wird man ohne großen Streit wohl auch sagen können. Aber dass ihm eine Verantwortung dafür zufiele, dass seine Malerei den Nationalsozialismus befördert hätte und dass die Nazis sie für ihre Zwecke ausbeuten konnten, ist offenkundig falsch. Wenn er es auch nicht verstehen wollte: Sie haben seine Kunst zu Recht zu der entarteten gezählt. Wo von seiner Kunst geredet wird, muss davon geredet werden. Dass er in seinem Herzen selber Nazi war, gibt der Sache eine komische Tragik und mag in seiner Biographie einen großen, in einem Ausstellungskatalog aber nur eine kleinen Platz einnehmen.
J.E.
Samstag, 26. Oktober 2013
Wien - Berlin, II.
aus Süddeutsche.de,Franz Lerch, Mädchen mit Hut, 1929.
Franz Skarbina, Dame auf der Wandelbahn eines Seebades, 1883,
"Volk ohne künstlerische Instinkte"
...Und sie sind auch an Berlin-Bashing gewöhnt. "Dort lebt ein Volk ohne künstlerische Instinkte", urteilte einst die Wiener Journalistin und Kunstkritikerin Berta Zuckerkandl, wie Klebba verlas. "Ein Volk mit zersetzender, nutzenabwägender Verstandesart, fremd dem heiteren Zug der Phantasie. Es muss sich förmlich zum Schönen zwingen, um eine Empfindungsfähigkeit zu erlangen, welche der Wiener aufgrund seiner Veranlagung von Hause aus besitzt. Aber diese Leute haben an sich gearbeitet. Sie haben mit Macht alles Fremde an sich gerissen, um zu sehen und zu lernen. Und so hat Verstandesarbeit bessere Resultate ergeben als Talent." Soweit das doch ein wenig vergiftete Lob der damaligen Kunstkritikerin. Dazu muss man wissen: Die alte Kaiserstadt Wien hatte gerade ihren Rang als führende Kunststadt an den Newcomer Berlin als Reichshauptstadt abtreten müssen. Berlin war schwerst angesagt. Da kann man als Wiener Kulturinstanz schon mal ein bisschen säuerlich reagieren.
Jeanne Mammen, Schachspieler, 1929-30.
Max Liebermann vs. Gustav Klimt
Eminent. Oder einfach dufte
Eindringlich, umwerfend, witzig, schön
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