Kunst ist immer gut für Überraschungen
Unfassbar hohe Summen am Kunstmarkt wie jetzt der neue Weltrekord für ein Triptychon von Francis Bacon verweisen auf die ebenso irrationale Bedeutung von Kunst.
Von Philipp Meier
Unfassbar hohe Summen am Kunstmarkt wie jetzt der neue Weltrekord für ein Triptychon von Francis Bacon verweisen auf die ebenso irrationale Bedeutung von Kunst.
Von Philipp Meier
Man muss kein an Kunst besonders
interessierter Mensch sein, um zu erahnen, dass ihr eine enorme
Bedeutung zukommt. Bisweilen scheint es, als würde sie in unseren Tagen
Religion ersetzen, deren Stellenwert für die Menschheit ja auch
Atheisten nie ernsthaft in Zweifel gezogen haben. Allein die
Spekulationen um den spektakulären Münchner Kunstfund vermögen auf
magische Weise zu fesseln, auch wenn die Bilder selber - bisher bloss
auf schlechten Fotografien in den Medien zu sehen - viele kaum wirklich
interessieren. Das Auratische, das ihnen anhaftet, ist vielleicht
weniger in ihrer künstlerischen Schönheit oder Einmaligkeit zu sehen als
in ihrer Geschichte, die auf jeden Fall eine tragische ist.
Ecce-Homo
Ecce-Homo
Die Kehrseite solcher Tragik, die Kunst für die ganze Welt zum Faszinosum werden lässt, ist bisweilen auf dem Kunstmarkt zu finden. Die Sonnenseite, die er mit seinem Glamour und seinem Reichtum darstellt, hat indes auch etwas Komisches, ja Bizarres. Da werden für Kunstwerke exorbitante Summen bezahlt, so dass man sich fragt, welch magische Kräfte denn wohl in ihnen schlummern mögen, dass sie das Äquivalent sagenhafter Vermögen darstellen. Verheisst etwa Picassos «Jüngling mit der Pfeife» seinem Besitzer, der dafür im Jahr 2004 den Preis von 104 Millionen Dollar bezahlt hat - und damit zum ersten Mal in der Geschichte der Kunstversteigerungen die Marke von 100 Millionen Dollar überschritten hat -, ewige Jugend? Hat die Milliardärin Lily Safra in der Bronzeplastik des «Schreitenden» von Alberto Giacometti, für die sie 2010 ebenso viel Geld ausgegeben hat, etwa doch noch den Mann ihres Lebens gefunden? Und was erhofft sich der neue Besitzer des nun zum Weltrekordpreis von sagenhaften 142,4 Millionen Dollar erworbenen Triptychons von Francis Bacon? Die Galerie, die es gekauft hat, wird es wohl weitervermitteln, wenn sie es nicht einem Museum schenkt.
Noch vorgestern das teuerste: einer von Munchs Schreien
Der grosse britische Maler der menschlichen Krisen hat darauf einen anderen Meister der figurativen Malerei festgehalten: Lucian Freud. Wie Bacon hat sich Freud, in dessen Namen der Urvater der Ergründung der menschlichen Psyche stets gegenwärtig ist, zeitlebens mit der menschlichen Figur auseinandergesetzt. Im gemalten Bild hat er vielen Menschen wie sein Malerkollege Bacon in die Seele geschaut. Bacons dreiteiliges Altarwerk, das zurzeit das teuerste je gehandelte Kunstwerk darstellt, hat den Seelenmaler selber zum Gegenstand: ein Ecce-Homo, vielfach geschachtelt gleichsam. Damit ist Bacons dreifache Studie zu Lucian Freud so etwas wie eine Ikone der Moderne - ein künstlerisches Zeugnis menschlichen Seins mit all seiner Tragik und Komik - nicht anders als der «Schrei» von Edvard Munch, der letztes Jahr zum damaligen Rekordpreis für ein versteigertes Kunstwerk von 119,9 Millionen Dollar den Besitzer wechselte.
Francis Bacons Arbeit hat
zweifellos Qualitäten, die dazu angetan sind, Religionsersatz zu
stiften. Und sei es auch nur, dass sie seinem neuen Besitzer durch die
enorme Ablasszahlung ein Stück Seelenheil beschert. Kunstbesitz mag
schliesslich in vielerlei Hinsicht adeln. Im Unrecht erworbene Kunst
hingegen kann als veritabler Fluch auf den Besitzer zurückfallen. Und
wer nun argumentieren mag, es gehe hier in Anbetracht des boomenden
Kunstmarkts und der schwierigen Verhältnisse auf den Finanzmärkten nur
um Anlagestrategien, der sei daran erinnert, dass auch die Kirche eine
Art Safe Haven darstellte - dies explizit auch in Geldangelegenheiten.
Die Schatzkammern der Gotteshäuser waren stets angefüllt mit Kunst, oft
gestiftet von vermögenden Gläubigen. Auch heute sind diese Institutionen
vielfach wahre Juwelen unter den Museen. Man denke allein an die
Schätze in den Palästen des Vatikans - alles Kunst, die ja der
Religionsgemeinschaft gehört.
Das erste über 100 Dollar; Picassos Junge mit Pfeife von 1905
*
Unter der Überschrift Das Geld muss halt irgendwohin schreibt auch Niklas Maak in der heutigen FAZ über das New Yorker Ereignis. Über Jeff Koons' Aluminiumhund zuerst. "Sofort allgemeiner Meldungsalarm: Koons habe Gerhard Richter 'vom Thron des teuersten lebenden Künstlers gestoßen', sei 'souverän vorbeigezogen', sein Hund liegt jetzt gut zwanzig Millionen Dollar über dem bisherigen Rekord", usw. Bemerkenswert, dass die oft blütentreibende Rede über Kunst inzwischen den Ton von Sportreportqagen angenommen habe. "' Koons', titelt ein Branchendienst, 'überholt Richter', der vor einem Jahr schon einen 'Fehlstart' hingelegt habe" und weiter in diesem Jargon. Habe früher die Präsenz eines Künstlers in den Museen über dessen, na ja, Bedeutung entschieden, so sind es heute Auktionserlöse. Allerdinga böten heute nicht nur Museen, sondern die Galeristen selber feste mit, 'im Auftrag meines anonym bleiben wollenden Kunden', und treiben die Preise für die von ihnen vertetenen Künstler in schwindelerregende Höhen. So kommen wir zu Bacon:
"Dass ein paar Galeristen sich in New York im Auftrag unbekannter Bieter solange mit Millionenbündeln beworfen haben, bis man fünfzig Millionen Dollar über dem Wunschergebnis lag, zeigt vor allem, dass das Kaufen von Kunst zu einem neuen Herrscherritual geworden ist: Der letzte Preisrekord für einen Bacon wurde 2008 im Dienst des russischen Oligarchen Roman Abramowitsch aufgestellt, der damals 86,2 Millionen Dollar ausgab.
War mit 86, 3 Mio. $ auch schonmal Rekordhalter: Francis Bacons Triptych, 1976
Die Bieterschlachten werden fast ausschließlich von einer neuen Finanzaristokratie betrieben, die mit sportlichem Ehrgeiz und zum Zeichen absoluter Souveränität das rare kulturelle Gut gewissermaßen als Krönung ihres ökonomischen Siegeszuges an sich bringt. Im Ritual der Bieterschlacht zeigt man, dass Geld nicht die geringste Rolle spielt – so gesehen ist es vielleicht kein Zufall, dass die Kunstmarktrhetorik ihre Metaphern im Feld von Motorsport und Adel ('vom Thron gestoßen') findet."
Doch haben die Museen, die bei solchen Beträgen nicht mithalten können, nicht wirklich Grund, darüber zu klagen, dass zeitgenössische Kunst auf diese Weise dem großen Publikum vorenthalten würde, denn sie drehen selber mit an der Spirale. "Koons’ Ballonpudel war, wie der Auktionskatalog stolz erläutert, nicht nur durch alle für die Aufladung mit Hochkulturwürden relevanten Schleusen der Museumswelt (Metropolitan, Venedig) gezerrt, sondern auch in Versailles ausgestellt worden, wo sich die Welt des Sonnenkönigs in ihm spiegelte."
Rekord vor drei Jahren: noch ein Picasso.
"Koons’ Sammler wie der Luxusprodukteherstellers François Pinault, der zyprische Industrielle Dakis Joannou und diverse Oligarchen der osteuropäischen Medien- und Schwerindustrie", fährt Maak fort, "schätzen ganz offenbar eine Kunst, die glitzert und saftig ins Auge haut und den Sammler nicht mit übermäßig sperriger Nachdenkästhetik belästigt. Koons’ Werk entspricht dem Selbst darstellungsbedürfnis eines neuen Sammlermilieus perfekt: Es glänzt, es ist larger than life und unfassbar teuer, es ist, was für Ludwig XV. die diamantbesetzte Krone war. Es steht im Mittelpunkt eines Oligarchenkunstsystems, das die Museumswelt, die bisher andere Bewertungskriterien hatte, gleich mitkauft, wenn etwa Koons die Privatsammlung seines Förderers Dakis Joannou im New Museum kuratieren darf, das diesen Privatinteressen bereitwillig seine Hallen überließ."
So kommt es, dass ein Machwerke wie die von Koons "mit hohem Kostenaufwand hergestellten Riesennachbildung des populären Billigplastikschrotts" rund um den Globus als Höhepunkt der Gegenwartskunst gelten darf. "Und wenn die einfach nicht mitmachen würden? Ohne die kulturelle Hochglanzverchromung durch Schirn, Liebieghaus, Metropolitan und Versailles wäre der Hund am Ende nur ein großes Metallding mit viel Luft drin."
Herr Maak, ich sage Ihnen, was dann wäre: Dann würde das weltweite Feuilleton beklagen, dass die Museen ihren kulturellen Auftrag verrieten, indem sie sich mit der Kunst der Vergangenheit begnügten und die Künstler der Gegenwart nicht zur Kenntnis nähmen.
*
Und um das Thema abzurunden, meldet dieselbe Zeitung in derselben Ausgabe: "Eine so große Sensation wie am Abend zuvor bei Christie’s war es nicht, ein Paukenschlag aber auf jeden Fall: Der Auktionsrekord für einen Warhol ist in New York gebrochen worden - und nicht nur ein bisschen" - sondern um mehr als die Hälfte: "'Silver Car Crash (Double Disaster)' wurde am Mittwochabend bei Sotheby’s in New York für 105,4 Millionen Dollar (78,7 Millionen Euro) versteigert. Damit ist es erst das fünfte Bild in der Auktionsgeschichte, das für mehr als 100 Millionen Dollar verkauft wurde. Der Kunstmarkt ist extrem launisch und der Verkauf von 'Warhols' ist erst recht unberechenbar. Liz #1, ein buntes Porträt von Elizabeth Taylor, wurde nur Minuten nach dem Rekord-Warhol, mit 20,3 Millionen Dollar nur für das unterste der geschätzten Spanne verkauft. Am Tag zuvor hatte ein Bild des Künstlers, das an ein Werbeplakat für Coca-Cola erinnerte, bei Christie’s immerhin fast 60 Millionen Dollar gebracht, war dabei aber auch innerhalb der Erwartungen geblieben."
Der Beitrag schließt: "Andere 'Warhols' bleiben dagegen sogar liegen und finden gar keinen Käufer." - Immerhin eine Meldung über den Kunstmarkt, die auch der Normalverbraucher (wie sagt man doch gleich? Ach ja:) nachvollziehen kann.
JE
Das erste über 100 Dollar; Picassos Junge mit Pfeife von 1905
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Unter der Überschrift Das Geld muss halt irgendwohin schreibt auch Niklas Maak in der heutigen FAZ über das New Yorker Ereignis. Über Jeff Koons' Aluminiumhund zuerst. "Sofort allgemeiner Meldungsalarm: Koons habe Gerhard Richter 'vom Thron des teuersten lebenden Künstlers gestoßen', sei 'souverän vorbeigezogen', sein Hund liegt jetzt gut zwanzig Millionen Dollar über dem bisherigen Rekord", usw. Bemerkenswert, dass die oft blütentreibende Rede über Kunst inzwischen den Ton von Sportreportqagen angenommen habe. "' Koons', titelt ein Branchendienst, 'überholt Richter', der vor einem Jahr schon einen 'Fehlstart' hingelegt habe" und weiter in diesem Jargon. Habe früher die Präsenz eines Künstlers in den Museen über dessen, na ja, Bedeutung entschieden, so sind es heute Auktionserlöse. Allerdinga böten heute nicht nur Museen, sondern die Galeristen selber feste mit, 'im Auftrag meines anonym bleiben wollenden Kunden', und treiben die Preise für die von ihnen vertetenen Künstler in schwindelerregende Höhen. So kommen wir zu Bacon:
"Dass ein paar Galeristen sich in New York im Auftrag unbekannter Bieter solange mit Millionenbündeln beworfen haben, bis man fünfzig Millionen Dollar über dem Wunschergebnis lag, zeigt vor allem, dass das Kaufen von Kunst zu einem neuen Herrscherritual geworden ist: Der letzte Preisrekord für einen Bacon wurde 2008 im Dienst des russischen Oligarchen Roman Abramowitsch aufgestellt, der damals 86,2 Millionen Dollar ausgab.
War mit 86, 3 Mio. $ auch schonmal Rekordhalter: Francis Bacons Triptych, 1976
Die Bieterschlachten werden fast ausschließlich von einer neuen Finanzaristokratie betrieben, die mit sportlichem Ehrgeiz und zum Zeichen absoluter Souveränität das rare kulturelle Gut gewissermaßen als Krönung ihres ökonomischen Siegeszuges an sich bringt. Im Ritual der Bieterschlacht zeigt man, dass Geld nicht die geringste Rolle spielt – so gesehen ist es vielleicht kein Zufall, dass die Kunstmarktrhetorik ihre Metaphern im Feld von Motorsport und Adel ('vom Thron gestoßen') findet."
Doch haben die Museen, die bei solchen Beträgen nicht mithalten können, nicht wirklich Grund, darüber zu klagen, dass zeitgenössische Kunst auf diese Weise dem großen Publikum vorenthalten würde, denn sie drehen selber mit an der Spirale. "Koons’ Ballonpudel war, wie der Auktionskatalog stolz erläutert, nicht nur durch alle für die Aufladung mit Hochkulturwürden relevanten Schleusen der Museumswelt (Metropolitan, Venedig) gezerrt, sondern auch in Versailles ausgestellt worden, wo sich die Welt des Sonnenkönigs in ihm spiegelte."
Rekord vor drei Jahren: noch ein Picasso.
"Koons’ Sammler wie der Luxusprodukteherstellers François Pinault, der zyprische Industrielle Dakis Joannou und diverse Oligarchen der osteuropäischen Medien- und Schwerindustrie", fährt Maak fort, "schätzen ganz offenbar eine Kunst, die glitzert und saftig ins Auge haut und den Sammler nicht mit übermäßig sperriger Nachdenkästhetik belästigt. Koons’ Werk entspricht dem Selbst darstellungsbedürfnis eines neuen Sammlermilieus perfekt: Es glänzt, es ist larger than life und unfassbar teuer, es ist, was für Ludwig XV. die diamantbesetzte Krone war. Es steht im Mittelpunkt eines Oligarchenkunstsystems, das die Museumswelt, die bisher andere Bewertungskriterien hatte, gleich mitkauft, wenn etwa Koons die Privatsammlung seines Förderers Dakis Joannou im New Museum kuratieren darf, das diesen Privatinteressen bereitwillig seine Hallen überließ."
So kommt es, dass ein Machwerke wie die von Koons "mit hohem Kostenaufwand hergestellten Riesennachbildung des populären Billigplastikschrotts" rund um den Globus als Höhepunkt der Gegenwartskunst gelten darf. "Und wenn die einfach nicht mitmachen würden? Ohne die kulturelle Hochglanzverchromung durch Schirn, Liebieghaus, Metropolitan und Versailles wäre der Hund am Ende nur ein großes Metallding mit viel Luft drin."
Herr Maak, ich sage Ihnen, was dann wäre: Dann würde das weltweite Feuilleton beklagen, dass die Museen ihren kulturellen Auftrag verrieten, indem sie sich mit der Kunst der Vergangenheit begnügten und die Künstler der Gegenwart nicht zur Kenntnis nähmen.
*
Und um das Thema abzurunden, meldet dieselbe Zeitung in derselben Ausgabe: "Eine so große Sensation wie am Abend zuvor bei Christie’s war es nicht, ein Paukenschlag aber auf jeden Fall: Der Auktionsrekord für einen Warhol ist in New York gebrochen worden - und nicht nur ein bisschen" - sondern um mehr als die Hälfte: "'Silver Car Crash (Double Disaster)' wurde am Mittwochabend bei Sotheby’s in New York für 105,4 Millionen Dollar (78,7 Millionen Euro) versteigert. Damit ist es erst das fünfte Bild in der Auktionsgeschichte, das für mehr als 100 Millionen Dollar verkauft wurde. Der Kunstmarkt ist extrem launisch und der Verkauf von 'Warhols' ist erst recht unberechenbar. Liz #1, ein buntes Porträt von Elizabeth Taylor, wurde nur Minuten nach dem Rekord-Warhol, mit 20,3 Millionen Dollar nur für das unterste der geschätzten Spanne verkauft. Am Tag zuvor hatte ein Bild des Künstlers, das an ein Werbeplakat für Coca-Cola erinnerte, bei Christie’s immerhin fast 60 Millionen Dollar gebracht, war dabei aber auch innerhalb der Erwartungen geblieben."
Der Beitrag schließt: "Andere 'Warhols' bleiben dagegen sogar liegen und finden gar keinen Käufer." - Immerhin eine Meldung über den Kunstmarkt, die auch der Normalverbraucher (wie sagt man doch gleich? Ach ja:) nachvollziehen kann.
JE
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