Montag, 11. November 2013

Franz Gertsch in Baden-Baden.

aus Badische Zeitung, 11. 11. 2013                                                                                                  Bromelia (Guadeloupe), 2012

Die Bilder, die Fenster sind
Franz Gertsch im Museum Frieder Burda in Baden-Baden.

von Antje Lechleiter

Wie selbstverständlich fügt sich das Baden-Badener Museum Frieder Burda in die Parklandschaft der Lichtentaler Allee ein. Der New Yorker Architekt Richard Meier hat in der Innenstadt von Baden-Baden ein Tageslichtmuseum geschaffen, dessen natürliche Beleuchtung sich im Wechsel der Tages- und Jahreszeiten verändert. Franz Gertsch, der mit seiner Ausstellung "Geheimnis Natur" derzeit in der Bäderstadt zu Gast ist, verfügt seit 2002 im schweizerischen Burgdorf über ein eigenes Museum. Das Architekturbüro Jörg + Sturm schuf einen auf seine fotorealistische Malerei hin maßgeschneiderten Bau. Diese Ausstellungsräume verzichten auf Öffnungen nach außen. Warum das so ist, erklärt Gertsch im Pressegespräch: "Die Bilder sind die Fenster".


 
Winter, 2009; darunter Ausschnitt

Kein Wunder, dass er der von Götz Adriani kuratierten Ausstellung mit Spannung entgegensah. Wie werden sein "Vier Jahreszeiten-Zyklus" (2007–11), das gerade fertiggestellte Triptychon "Guadeloupe" mit den Tafeln "Maria",
"Bromelia" und "Soufrière" und seine "Gräser" in Räumen wirken, die sich von ihrer Anlage her der Natur öffnen? Was wird die direkte Konfrontation mit der Realität aus seinen "Gemäldefenstern" machen? Rund 30 monumentale Gemälde und Holzschnitte aus der Zeit zwischen 1970 und 2013 – drei frühe Figurenbilder, sowie Landschaften und Porträts – sind nun in Baden-Baden zu sehen. Bei der Pressekonferenz bekannte Gertsch, dass er inzwischen mit der "wundervollen Architektur versöhnt" sei. Dazu hat er allen Grund. Atemberaubend schön ist gerade der große Saal mit den wahrhaft geheimnisvollen Landschaften und der mehr als drei auf drei Meter großen, nicht minder rätselhaften "Johanna I" (1983/84) geworden. Die Ausstellung zeigt eine interessante Umkehr bei den Gemälden. Um in der Natur kleinste Details wahrnehmen zu können, müssen wir uns den Objekten nähern und dicht an Gräser und Blätter herantreten. Angesichts von Gertschs riesigen Formaten muss man hingegen weit zurücktreten, sonst ergibt sich kein scharfes Bild. Aus der Nahsicht lösen sich seine Landschaften in abstrakte Formen und Farbflächen auf.


 
Frühling, 2011; darunter Auschnitt

Franz Gertsch, 1930 in Mörigen im Kanton Bern geboren, hält sich vom Trubel des Kunstbetriebs fern. Die Auffüllung seines Aufmerksamkeitskontos interessiert ihn nicht. Seit 1969 entstehen großformatige realistische Gemälde. Die Landschaftsmotive findet er in der unmittelbaren Umgebung von Rüschegg am Fuß der Berner Voralpen, wo er seit 1976 lebt und arbeitet. Nur einen Katzensprung von Haus und Atelier ist der auf seinen Jahreszeitendarstellungen abgebildete Waldweg entfernt. Doch es gibt auch einen anderen Gertsch. Den, der seit 1972 und der Documenta 5 internationale Erfolge feiert und Ende der 1970er Jahre die amerikanische Punk- und Rockmusikerin Patti Smith in seinem Atelier begrüßt und fotografiert. Begeistert von ihrem Gesicht, der Stimme und der Musik malt er einen fünfteiligen Porträtzyklus der Rock-Ikone. Das in Baden-Baden ausgestellte Selbstporträt von 1980 schließt sich an diese Bilder an und zeigt – ungeachtet der Bretterwand im Hintergrund – den klaren Blick des damals 50-jährigen auf sich und die Welt.

Selbst, 1980

"Die Fotovorlage ist eine Art Sprungbrett, um tief in die Malerei eindringen zu können", sagt der Künstler. Das Malen ist ein Prozess, der eine ähnliche Körperspannung erfordert. Gertsch projiziert ein von ihm aufgenommenes Diapositiv auf die ungrundierte Leinwand und legt die Farbzonen der Komposition fest. In einzelnen "Tagewerken" reibt er seine Pigmente in den Stoff ein, produziert also Tag um Tag kleine Bilder. Über einen Zeitraum von mehreren Monaten hinweg fügen sie sich zu einem monumentalen Gesamtwerk zusammen.

Johanna I

Nachdem er Mitte der 1980er Jahre mit einer Serie von sechs Frauenbildnissen (darunter die ausgestellte "Johanna I") einen vorläufigen Höhepunkt innerhalb seines malerischen Werkes erreicht hatte, suchte Gertsch nach neuen Wegen. Von 1986 bis 1995 nutzte er die Möglichkeiten der Fotografie als Sprungbrett, um – nicht minder tief – in die Druckgrafik einzutauchen. In jenen Jahren und bis zur Entstehung der ausgestellten "Gräser-Serie I-IV" gab Gertsch die Malerei auf.
 
Schwarzwasser, Triptychon

Es entstanden riesige realistische und monochrome Farbholzschnitte. Neun Handabzüge – Porträts und Landschaften – finden sich in der Ausstellung. Denkt man an das Quälende, an die spröde Linienführung expressionistischer Holzschnitte, so drängt sich eine Frage auf: Warum wollte er ausgerechnet mit diesem Verfahren ein realistisches Bild erwirken? Die Antwort: Weil er es kann. Mit einer unnachahmlichen Präzision schneidet Gertsch mit kleinen Hohleisen winzige Vertiefungen in die Holzplatte – Linien gibt es bei ihm nicht. Staunend stehen wir vor seiner "Silvia", seinem "Schwarzwasser", seinem "Pestwurz". Sie sind im Untergeschoss des Frieder Burda Museums allerdings besser aufgehoben als in den oberen Räumen. Die großen Glasflächen ihrer Rahmen vertragen nun wirklich kein Tageslicht.

Pestwurz

Wer jetzt auf das Museum Franz Gertsch in Burgdorf neugierig geworden ist, trifft dort möglicherweise alte Bekannte. Unter dem Titel "Wahlverwandtschaften" ist derzeit aktuelle Malerei und Zeichnung aus der Sammlung Frieder Burda zu sehen.

Museum Frieder Burda, Lichtentaler Allee 8b, Baden-Baden. Bis 16. Februar, Dienstag bis Sonntag 10–18 Uhr.

 La Soufrière (Gouadeloupe)

Nota. - "Warum wollte er ausgerechnet mit diesem Verfahren ein realistisches Bild erwirken? Die Antwort: Weil er es kann", schreibt die Berichterstatterin der Badischen. Das ist dürftig als Rechtfertigung für Kunst. 'Man muss nicht alles machen, was man kann', lautet ein heute beliebter Sinnspruch. Wo es um Kunst geht, muss man hinzufügen: Es sei denn, man hat keinen besseren Grund. 

Und so wird es wohl sein. Als ich vor Jahr und Tag in meinem damaligen (inzwischen gelöschten) Blog Aesthetica einen Eintrag über Franz Gertsch veröffentlichte, konnte ich nicht verhehlen, dass mir diese Kunst die Sprache verschlug. Das hat sich im Jahr 2013 verändert. Inzwischen kommen mir diese Riesenungetüme vor wie weitere, nicht wirklich notwendige Variationen über das Thema Was kann man heute noch malen? Leute, die malen können, hat es immer gegeben, und Leute, die es einfach nicht lassen können, wird es auch immer geben. Ja, das ist eine brauchbare Rechtfertigung für ein Werk: 'Ich muss eben.' Eine künstlerische. Eine ästhetische noch nicht. Denn da wird aus warum? ein Was?

Gertsch hat in den fünfziger Jahren angefangen wie alle seiner Generation: mit allem Möglichen. Mit andern Worten, mit Beliebigem. Das ist unbefriedigend, für den Maler wie fürs Publikum. Der Künstler hat doch das Gefühl, das machen zu sollen, was nur er kann, weil nur er es kann;  jedenfalls der moderne. Und so ist Gertsch bei der Pedanterie im Gargantuaformat angekommen. Riesenformate machen sie heute alle, was man sich an Schönheit nicht mehr traut, muss die 'Erhabenheit' hergeben. Thomas Struth fotografiert sogar so, und hyperrealistisch ist das auf seine Art auch. Aber das Format dann auch noch in Holz schnitzen, das sticht alle Konkurrrenz aus. "Weil er es kann."
JE 
 



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