Ihren zweiten großen Aufschwung nimmt die Landschaftsmalerei in England – nachdem sie sich in Holland in Routine und Gefälligkeit verausgabt hatte.
Die englischen Maler können an zwei Traditionen anknüpfen – die Holländer und die Italiener.
War bei den Holländern der im nationalen Aufbruch befreite Blick die Voraussetzung für den künstlerischen Auschwung gewesen, so war er in Italien das Ergebnis einer Jahrhundertelangen Arbeit an der Kunst. Hier war die Landschaft ein Sujet, dem sich die Malerei, nachdem sie sich so viele Gebiete jenseits der Heiligengeschichte erschlossen hatte, schließlich “auch noch” zuwenden musste – neben und nach allen andern.
So finden sich unter den Bildermengen der alleskönnenden Carracci-Brüder (1555 bis 1622) schon auch drei oder vier reine Landschaften.
Während in 17. Jahrhundert die Landschaftsmalerei in Holland in voller Blüte stand, war sie in Italien noch eine bloße Marotte Einzelner. Salvator Rosa (1615-1673), der ein Liebling der deutschen Romantik werden sollte, wählte sie aber nicht um ihrer selbst, sondern um ihrer bizarren Effekte willen:
Und natürlich sind es keine realen Landschaften, sondern um – dem Effekt zuliebe – vorgestellte.
Damit auch in Italien ein besonderes Genre daraus entstehen konnte, bedurfte es der Ausländer.
Nämlich der englischen Aristokratie, in der im siebzehnten Jahrhundert the Grand Tour, die ausgedehnte Bildungsreise durch den Kontinent, zur Bedingung und zum Ausweis der Hoffähigkeit wurde. Die Ansichten der antiken Stätten, der venezianischen Palazzi und der Golfs von Neapel wollten festgehalten und auf das neblige Eiland mitgebracht werden.
Und… eines Holländers! Caspar Adriaensz. van Wittel (Vanvitelli; 1653-1736) hatte soeben die Veduten-Kunst dort als selbstständiges Genre etabliert:
Seine Stärke waren die topographisch exakten Stadtansichten, und dank der englischen Nachfrage machte er schnell Schule. Doch den Geschmack an stimmungsvollen Landschaften brachten erst die Touristen ins Land, und die einheimischen Künstler folgten ihren Neigungen.
Und folgten wohl gar den Touristen selbst in ihre feuchte Heimat:
Der ältere Canaletto malte ihnen London mit einem südlichen Himmel, als wär’s Venedig…
Den Weg hatte ein in Italien malender Ausländer gewiesen, Claude Gellée (1600-1682) aus Lothringen, genannt Le Lorrain – der vor zweihundert Jahren so berühmt war, dass man ihn wie Tizian, Raffael und Michelangelo nur bei seinem Vornamen zu nennen brauchte.
Mythische Häfen mit auf- oder untergehenden Sonnen – das war sein Lieblingssujet. Stilbildend wurde er aber als Landschafter.
Es sind Ideallandschaften. Die Figuren, die wie Holzpuppen wirken, dienen nur als Anlaß, nicht einmal mehr als Vorwand. ‘Italienisch’ ist der Landschaftstyp, die Vegetation und – das Licht!
Reale Landschaften hat auch Claude meist nur als Studie abgebildet:
Und während er bei seinen heroischen Phantasielandschaften neben der Luftperspektive noch großen Wert auf die Linien und die Tiefe des Raumes legt, wird die ‘echte’ Landschaft rein flächig – sobald er zum weichen Tuschpinsel greift...
*
Wieso die Italiener und den wahlitalienischen Claude zu Beginn des Abschnitts über die Engländer?
Weil Claude seine historische Wirksamkeit von Italien aus in England fand.
Im achtzehnten Jahrhundert verarmte der italienische Adel rasant, die
‘Claudes’, die ihre Palazzi geziert hatten, wurden von den wohlhabend
wohltätigen Touristen nach England heimgeschafft, wo sie die aufkommende
Mode der Landschaftsparks anfachten – manche sind, noch heute
sichtbar, direkt einem Lorrain-Gemälde nachempfunden (und von denen
hingen seither zwei Drittel in englischen Schlössern).
Hier Capapility Browns Punkstück, Stourhead Garden (den italienischen Himmel hat er nicht so hingekriegt wie Canaletto):
So sieht es in Stourhead Garden aber auch aus:
Hier Capapility Browns Punkstück, Stourhead Garden (den italienischen Himmel hat er nicht so hingekriegt wie Canaletto):
So sieht es in Stourhead Garden aber auch aus:
Croome Park war Lancelot Browns erster ganz eigener Entwurf. Es sieht aus “wie gewachsen”, dass eine gestaltende menschliche Hand daran mitgewirkt hat, ist nicht zu erkennen. Im Laufe seines Arbeitslebens sollte dieser Geschmack Browns – aus ganz eigenen Gründen – immer stärker in den Vordergrund treten.
Indes ist die Geschichte des Landschaftsparks eine ganz eigne Sache, die eine gesonderte Behandlung verdient.
Nota, 2013:
Das habe ich vor viereinhalb Jahren geschrieben. Seither habe ich noch viele Bilder gesehen und konnte mein Urteil... verbessern, will ich sagen. Zum Beispiel weiß ich jetzt, dass Claude Lorrain sehr wohl auch 'echte' Landschaften in Öl gemalt hat, und nicht erst im Alter; es gibt einige schöne Bilder aus der Umgebung von Tivoli, die es ihm angetan hatte:
Blick von Tivoli in die römische Campagna, 1644/44
Das ist nur ein Detail, aber doch der Erwähnung wert.
Und natürlich fallen bei einer Darstellung 'im großen Bogen' viele Künstler fort, die doch auch der Erwähnung...
Das Ganze soll schließlich lesbar bleiben.
Aber einen habe ich weggelassen, den ich wohl gekannt, aber wirklich nicht so hoch geschätzt habe, wie ich es inzwischen tue. Das hatte ich auf meinen Blogs in späteren Einträgen schuldigst korrigiert, aber die hat Google ja gelöscht. Darum hier dieser Coup de chapeau:
Sie haben es sofort erkannt, es ist der atemberaubende Francesco Guardi, der seinem Vorbild Canaletto auf seine eigne Art gefolgt ist und den Venezianern, passend zu ihrer verfallenden Stadt, den Londoner Himmel geschenkt hat.
Er passt auch deshalb gut an diesen Schluss, weil er von der Schönheitswut reisender Engländer nicht mehr profitieren konnte. Deren Strom war zu seiner Zeit schon versiegt.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen