Als die Maler alles wussten
«Caravaggio to Canaletto - The Glory of Italian Baroque and Rococo Painting» - eine grosse Ausstellung im Kunstmuseum Budapest
Eine Barock-Ausstellung im Kunstmuseum von Budapest zeigt, dass diese Epoche weit mehr hervorgebracht hat als nur die etwas süsslich beschwingten Jubel-Bilder, mit denen sie gemeinhin assoziiert wird. Die exzellente Schau präsentiert 140 Gemälde und illustriert die verschiedensten Tendenzen jener Zeit.
von Samuel Herzog
Während Borromini und Bernini in Rom eine Kirche nach der anderen in die Höhe trieben, schossen im kaum mehr als 800 Kilometer entfernten Budapest Minarette zuhauf in den Himmel. Da läuteten die Glocken zur Feier einer Konfession, die als Folge des Konzils von Trento eine noch nie da gewesene Pracht entfalten konnte. Dort rief der Muezzin zum Gebet, bereiteten sich die Truppen des Sultans zum nächsten Angriff auf Wien vor. Von 1541 bis 1686 waren Buda und der grössere Teil Ungarns fest in osmanischer Hand - die Magyaren haben also Spätrenaissance, Frühbarock und den grössten Part des Hochbarock gewissermassen aus türkischer Perspektive erlebt. Erst als die Habsburger gegen Ende des 17. Jahrhunderts die Macht übernahmen, hat Ungarn in Sachen Barock tüchtig nachgelegt (wie zum Beispiel die Altstädte von Buda oder Eger eindrücklich illustrieren). Von den Osmanen haben sich im heutigen Budapest kaum Spuren erhalten - sieht man vom Grab des Dichters Gül Baba auf dem Rosenhügel ab. Ja oft hat man den Eindruck, dieser Teil der Landes-Historie sei in den letzten dreihundert Jahren sehr aktiv aus der Erinnerung verdrängt worden.
«Caravaggio to Canaletto - The Glory of Italian Baroque and Rococo Painting» - eine grosse Ausstellung im Kunstmuseum Budapest
Eine Barock-Ausstellung im Kunstmuseum von Budapest zeigt, dass diese Epoche weit mehr hervorgebracht hat als nur die etwas süsslich beschwingten Jubel-Bilder, mit denen sie gemeinhin assoziiert wird. Die exzellente Schau präsentiert 140 Gemälde und illustriert die verschiedensten Tendenzen jener Zeit.
von Samuel Herzog
Während Borromini und Bernini in Rom eine Kirche nach der anderen in die Höhe trieben, schossen im kaum mehr als 800 Kilometer entfernten Budapest Minarette zuhauf in den Himmel. Da läuteten die Glocken zur Feier einer Konfession, die als Folge des Konzils von Trento eine noch nie da gewesene Pracht entfalten konnte. Dort rief der Muezzin zum Gebet, bereiteten sich die Truppen des Sultans zum nächsten Angriff auf Wien vor. Von 1541 bis 1686 waren Buda und der grössere Teil Ungarns fest in osmanischer Hand - die Magyaren haben also Spätrenaissance, Frühbarock und den grössten Part des Hochbarock gewissermassen aus türkischer Perspektive erlebt. Erst als die Habsburger gegen Ende des 17. Jahrhunderts die Macht übernahmen, hat Ungarn in Sachen Barock tüchtig nachgelegt (wie zum Beispiel die Altstädte von Buda oder Eger eindrücklich illustrieren). Von den Osmanen haben sich im heutigen Budapest kaum Spuren erhalten - sieht man vom Grab des Dichters Gül Baba auf dem Rosenhügel ab. Ja oft hat man den Eindruck, dieser Teil der Landes-Historie sei in den letzten dreihundert Jahren sehr aktiv aus der Erinnerung verdrängt worden.
Trotzdem hat man die spezielle Lage, in der sich Budapest bis ins späte 17. Jahrhundert hinein befand, durchaus vor Augen, wenn man heute eine Ausstellung im Kunstmuseum am Heldenplatz betritt, in deren Zentrum italienische Malerei steht, die zum grössten Teil während eben jener Jahre der Besetzung entstanden ist: «Caravaggio to Canaletto - The Glory of Italian Baroque and Rococo Painting» heisst die Schau. Das Szépmüvészeti Múzeum verfügt über eine vorzügliche Sammlung auch und vor allem im Bereich der italienischen Barockmalerei. In der gegenwärtigen Ausstellung stammen indes nur gerade 36 der 140 gezeigten Werke aus der hauseigenen Kollektion - der grosse Rest wurde in der ganzen Welt zusammengetrommelt, wobei sich unter den Leihgebern nicht weniger als 37 Museen und Sammlungen aus Italien befinden (man braucht kein Museumsmann zu sein, um sich vorstellen zu können, was das bedeutet). Zu sehen gibt es ausschliesslich Gemälde.
Was Museumsdirektor László Baán und die Kuratoren Zsuzsanna Dobos und Vilmos Tátrai versammelt haben, ist absolut erstaunlich: Die Ausstellung vereint kapitale Bilder der bekanntesten italienischen Barockmaler - und zahllose Hauptwerke ihrer etwas weniger berühmten Zeitgenossen. Sie kann so ganz verschiedene Facetten der Malerei jener Zeit illustrieren und auf eindrückliche Weise zeigen, wie viel mehr diese Epoche hervorgebracht hat als nur die jubelnden, wirbelnden und manchmal etwas süsslichen Überschwänglichkeiten, mit denen sie so oft assoziiert wird.
Zu den Qualitäten der Schau zählen auch die zahlreichen Vergleiche, die sie dem Auge anbietet. Sie ermöglichen es erst, die Eigentümlichkeiten und Leistungen einzelner Künstler und ihrer Werke als solche zu erkennen. Der erste Teil der Ausstellung arbeitet Aspekte jenes Realismus heraus, der sich nach 1600 in Rom entwickelte. Hier treffen wir zum Beispiel auf zwei fast gleichzeitig, zwischen 1600 und 1605, entstandene Ecce-Homo-Darstellungen. Giulio Cesare Procaccini, von Haus aus Bildhauer, führt uns einen Christus mit dramatisch zur Seite gelegtem Kopf vor, der mit offenem Mund und schläfrig wirkenden Augen gen Himmel blickt - demonstratives Leiden. Er wird von einem Folterknecht und einer ungemein lebendig gemalten Pilatus-Figur in orientalischem Gewand flankiert. Aus dem Hintergrund schiebt sich die eigentümliche Fratze eines weiteren Knechts ins Bild. Procaccinis Figuren sind Schauspieler, die uns eine Geschichte erzählen wollen - die Szenerie ist kompliziert gebaut, die Personen sind ein wenig künstlich zueinander in Beziehung gebracht, die Stoffe sind aufwendig moduliert und sehen fast aus wie schwere Schmuckstücke aus kostbarem Material.
Giulio Cesare Procaccini, Ecce homo 1602/3
Wie ganz anders wirkt die gleiche Szene auf dem Gemälde von Caravaggio, das unmittelbar daneben hängt. Hier steht Christus mit geschlossenen Augen vor uns, in sich selbst versunken, ganz weit weg und doch ganz da, ein Mensch, einfach so: Ecce Homo. Während das Auge bei Procaccini nervös im Bild herumirrt, nimmt es hier ruhig und sehr rasch wahr, worum es geht. Alles ist bei Caravaggio denkbar einfach gehalten - dazu passen auch die Figuren: Christus und der Knecht sind Bauernjungen mit bleichen Körpern und von der Arbeit auf dem Feld geröteten Gesichtern. Pilatus könnte ein Krämer sein oder ein Baumeister. Sie stecken in gewöhnlichen Kleidern ihrer Zeit, und ihre Gesten sind simpel und ohne Theatralik: Die Art, wie der Knecht Christus ein Tuch über die Schultern legt, hat etwas eminent Menschliches - und es ist, als flüstere er ihm zugleich Worte des Trostes zu. Welche Gliedmassen genau zu welcher Figur gehören, ist bei Procaccini nicht auf Anhieb klar - ja das Knie in der linken unteren Ecke bleibt auch bei längerer Betrachtung noch ein Mysterium. Caravaggio hingegen setzt Licht, Farben und Modulationen so entschieden ein, dass Christus, Knecht und Statthalter klar als einzelne Formen erscheinen. Lichtführung und die schiere Alltäglichkeit der Charaktere geben den Figuren eine enorme Präsenz - und doch hat die Szene dabei auch etwas Geheimnisvolles, scheint längst nicht alles ausgesprochen.
In den nächsten Räumen führt die Ausstellung weitere Tendenzen jener Zeit vor. Ein Leit-Bild stammt hier von Annibale Carracci: Jesus und die Frau von Samaria aus dem Jahr 1596 [s. weiter oben]. So kompliziert die Figuren und der Hintergrund hier auch sind, so verschiedene Geschichten da erzählt werden, alles ist durch Farben und Formen in eine Beziehung zueinander gebracht, raffiniert verschränkt, perfekt orchestriert - eine bewusste Rückkehr zu den Werten der Hochrenaissance, zu einer Harmonie, wie sie etwa Raffael stets mit besonderer Perfektion ausgetüftelt hat. Auf ganz andere Weise klassizistisch ist Guido Reni, der hier mit «Atalanta und Hippomenes» von 1615-20 vertreten ist. Das grossformatige Werk steckt voller Widersprüche: So sind etwa die Figuren in voller Bewegung und wirken doch, als wären sie Statuen. Sie sind aus einer anderen Welt, aus der Welt der Heroen - und haben doch eine Haut, die so fein gemalt ist, dass man fast meint, sie streicheln zu können, sie berühren zu wollen.
Guido Reni, Atalanta und Hippomenes
Ein paar Schritte weiter treffen wir dann auf den Schutzengel, den Pietro da Cortona 1656 gemalt hat [s. Kopfbild]. Da ist er endlich, der grosse Jubel der Farben und Formen, der quirlige Glamour, die triumphale Geste, die wir so sehr mit dem Begriff «Barock» verbinden. Doch so flüssig hier alles scheint, so redegewandt und harmonisch alles wirkt - auf der Oberfläche des Bildes wüten Pinselstriche, die alles in eine nervöse Vibration versetzen. Die grosse Harmonie ist hier in einem kritischen Zustand, in der süssen Schokolade hat es Sichuan-Pfeffer, der die Zunge taumeln lässt. Die Qualitäten von Pietro da Cortona werden umso deutlicher, wenn man seinen Engel zum Beispiel mit dem Bild «Joseph und Potiphars Frau» vergleicht, das Carlo Cignani 1670 gemalt hat: Hier ist alles nur süsslich, auf theatralische Weise sentimental und ohne jedes Mysterium.
Ein paar Schritte weiter treffen wir dann auf den Schutzengel, den Pietro da Cortona 1656 gemalt hat [s. Kopfbild]. Da ist er endlich, der grosse Jubel der Farben und Formen, der quirlige Glamour, die triumphale Geste, die wir so sehr mit dem Begriff «Barock» verbinden. Doch so flüssig hier alles scheint, so redegewandt und harmonisch alles wirkt - auf der Oberfläche des Bildes wüten Pinselstriche, die alles in eine nervöse Vibration versetzen. Die grosse Harmonie ist hier in einem kritischen Zustand, in der süssen Schokolade hat es Sichuan-Pfeffer, der die Zunge taumeln lässt. Die Qualitäten von Pietro da Cortona werden umso deutlicher, wenn man seinen Engel zum Beispiel mit dem Bild «Joseph und Potiphars Frau» vergleicht, das Carlo Cignani 1670 gemalt hat: Hier ist alles nur süsslich, auf theatralische Weise sentimental und ohne jedes Mysterium.
«Das 17. Jahrhundert hat in der Geschichte der Malerei eine besondere Bedeutung, weil die Maler zum ersten Mal alles wissen, alles können: Blumen, Körper, Stoffe . . . man malt die unmöglichsten Sachen. Es gibt keine technischen Hindernisse mehr, hier vollendet sich der Prozess der perfekten Illusion.» Was Kurator Vilmos Tátrai meint, wird vor allem in jenem Teil der Ausstellung deutlich, die dem Stillleben und neueren Gattungen wie dem Genrebild, der Landschaft und dem Genreporträt gewidmet ist. Wer etwa vor dem Stillleben «Gläser auf einem Marmortisch» steht, das Giuseppe Recco 1675-80 gemalt hat, der versteht auch, dass es hier nicht nur um Illusion geht, sondern auch um Demonstration: Ich kann alles, ich bin fähig, die unmöglichsten Dinge zu visualisieren, es gibt nichts mehr auf dieser Welt, was vor meinem Pinsel sicher wäre.
Die Gläser auf dem Marmortisch hätte ich Ihnen gern gezeigt und gerne selber gesehen, aber nicht gefunden. Nehmen Sie mit dem Stilleben mit einem Widderkopf von Giuseppe Recco Vorlieb.
Heute, da wir uns längst an Computeranimationen und dreidimensionale Bilder gewöhnt haben, können wird den schieren Triumph nur noch teilweise verstehen, der in diesen Malereien zum Ausdruck kommt. Doch die malerische Eroberung der Welt war für die Zeitgenossen vielleicht nicht weniger aufregend als die Eroberung des Planeten mit Schiffen, Truppen und Handelskompanien, die damals in vollem Gange war - wenngleich gerade Italien bei dieser Eroberung keine allzu bedeutende Rolle mehr spielte.
Canaletto, Piazza San Marco e Piazzetta
Venedig etwa musste im 16. und 17. Jahrhundert unter dem Druck der Osmanen seine Vormachtstellung im Mittelmeer und die meisten seiner Kolonien aufgeben. Im Gegenzug allerdings wurde es (zusammen mit dem Rest von Italien) zur Geburtsstätte einer neuen ökonomischen Macht: Tourismus. Davon erzählt die letzte Abteilung dieser Ausstellung, die sich unter dem Titel «Italian Journey» der Vedutenmalerei widmet. Hier können wir die unglaublich akkuraten Venedig-Bilder von Canaletto mit den fein austarierten Florenz-Szenen eines Bernardo Bellotto vergleichen - oder dem lockeren Pinsel von Francesco Guardi folgen, der uns in sein fiebrig-flirrendes Venedig führt.
Bernardo Bellotto, Der Arno in Florenz
Von Buda hingegen, wie es unter den Osmanen aussah, haben sich kaum Bilder erhalten - sieht man von einigen Karten ab, welche die Belagerung der Stadt durch die christlichen Truppen 1686 zeigen. Schade eigentlich, gab es keinen Donau-Canaletto, der uns einen Eindruck vom Charakter der osmanischen Stadt vermitteln könnte. Immerhin hätte damals nicht viel gefehlt, und die Türkei wäre heute fraglos ein Teil von Europa - oder umgekehrt: Europa ein Teil der Türkei.
Caravaggio to Canaletto - The Glory of Italian Baroque and Rococo Painting. Szépmüvészeti Múzeum (Museum der schönen Künste), Budapest. Bis 16. Februar 2014. Hervorragender Katalog.
Francesco Guardi, Rio dei mendicanti
Nota.
Das hätte mich aber doch noch interessiert: wie aus dem prallen, oft gezierte Barock das zierliche und, entgegen dem ersten Anschein, oft ungezwungene Rokkoko wurde. Wenigstens erwähnen hätte er den Unterschied doch können. Immerhin bemerkt er ja, dass das Barock, bei Guido Reni wie bei Caravaggio, zunächt als eine neue Einfachheit gegenüber dem entfesselten Manierismus der Spätenaissance auftrat. Das könnte man über das Verhältnis des Rokkoko zum Barock auch sagen. War das jeweils ein rein ästhetisches Bedürfnis - und wenn ja: wie rein?
JE
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