Der gelenkte Blick
«Cats and Girls. Paintings and Provocations» - Balthus im New Yorker Metropolitan Museum
Balthus' Bilder, in denen träumende kleine Mädchen auf der Schwelle zur Pubertät in anzüglichen erotischen Posen dar-, oder besser: ausgestellt werden, machen uns zu Komplizen des voyeuristischen Blicks.
«Cats and Girls. Paintings and Provocations» - Balthus im New Yorker Metropolitan Museum
Balthus' Bilder, in denen träumende kleine Mädchen auf der Schwelle zur Pubertät in anzüglichen erotischen Posen dar-, oder besser: ausgestellt werden, machen uns zu Komplizen des voyeuristischen Blicks.
von Andrea Köhler
Der charmanteste Teil der mit dem
kitschverdächtigen Titel «Cats and Girls» versehenen Balthus-Ausstellung
im New Yorker Metropolitan Museum stammt von dem elfjährigen Balthasar,
der den Verlust seiner Katze in einer hinreissenden Bildergeschichte
verarbeitet hat: In vierzig schwarz-weissen Tuschzeichnungen erzählt er
von der vergeblichen Suche nach der geliebten «Mitsou». In ihrer freien
rhythmischen Komposition und expressiven Lebendigkeit zeugen diese -
hier erstmals gezeigten - Zeichnungen von dem enormen Talent des Knaben,
einem Talent, das Rainer Maria Rilke, der eine Zeitlang der Geliebte
von Balthus' Mutter war, zu seinem Mentor und Förderer werden liess.
Rilke schrieb zu der 1921 als Buch erschienenen Bilderserie ein Vorwort.
In Zeiten, in denen Katzenvideos der Hit des Internets sind, fragt man
sich, warum bisher noch niemand auf die Idee kam, diesen bezaubernden
Vorläufer wieder aufzulegen.
Gitarrenstunde
Gitarrenstunde
Als Balthasar Klossowski, der
damals auf Anraten Rilkes den Namen «Baltusz» auf den Buchumschlag
schreiben liess, den Verlust seiner ersten Liebe in Bilder umsetzte, war
er in dem Alter der jungen Mädchen, die später sein Hauptsujet werden
sollten. «Cats and Girls» waren die Obsession des 2001 verstorbenen
Malers, der sich in einem Selbstporträt als «Roi des chats» bezeichnete;
das Bild, auf dem sich ein mächtiger Kater an die Hosenbeine eines
melancholisch blickenden Dandys mit Löwenbändiger-Peitsche schmiegt,
stammt aus dem Jahr 1935. Es hängt am Beginn der chronologisch gehängten
Schau, die Bilder aus den ersten Jahrzehnten von Balthus' Karriere
zeigt.
Selbstporträt 1935
Selbstporträt 1935
Aus der Zeit gefallen
Balthus wurde 1909 in Paris in
einen deutsch-polnischen Künstlerhaushalt geboren und hat sich - nebst
vielen anderen Manierismen - eine adlige Herkunft ersonnen, die er
zuletzt in seinem Grand Chalet in Rossinière ziemlich exzentrisch
ausagierte. «Le Comte de Rola», wie er sich nannte, war ein Autodidakt,
der seine frappante Kunstfertigkeit beim Kopieren alter Meister gelernt
hatte - allem voran der Fresken Piero de la Francescas. Gustave Courbet
war der andere grosse Maler, an dem Balthus seinen «zeitlosen Realismus»
schulte - eine Formulierung, mit der der dezidierte Antimodernist, den
mit herausragenden Vertretern der Moderne wie Picasso oder Matisse eine
enge Freundschaft verband, seinen aus der Zeit gefallenen,
altmeisterlichen Stil zu bezeichnen liebte.
Balthus malte Bühnenbilder für Albert Camus, exquisite Porträts, Landschaften und Illustrationen, doch das Hauptsujet seiner Gemälde war die erotische Anziehungskraft der frühen Adoleszenz.
Balthus malte Bühnenbilder für Albert Camus, exquisite Porträts, Landschaften und Illustrationen, doch das Hauptsujet seiner Gemälde war die erotische Anziehungskraft der frühen Adoleszenz.
«Paintings and Provocations» - der
nachgeschobene Zusatz im Titel soll wohl als Warnung gelten; eine
Vorsichtsmassnahme, die, wie die Balthus-Spezialistin und Kuratorin der
Ausstellung Sabine Rewald in einem begleitenden Vortrag anmerkte, von
der besorgten Museumsleitung erzwungen wurde; man hatte Angst, der
niedliche Titel allein könnte Grosseltern mit ihren Enkeln anlocken.
Mitsou, 1919
Der Wandtext bereitet uns darauf vor, dass «einige Bilder auf manche Betrachter erotisch suggestiv wirken mögen». Das ist, mit Verlaub, stark untertrieben. Und es ist bezeichnend für den Eiertanz, der diese Retrospektive in Zeiten von Missbrauchsskandalen begleitet. Balthus' Mädchenbilder sind keineswegs so subtil, wie diese Beschreibung behauptet - und schon gar nicht so «rein», wie der Maler, die vermeintlich schmutzige Phantasie der Betrachter anklagend, gerne behauptete. Um es klar zu sagen: Diese Gemälde von sich räkelnden Nymphen, die sich im intimen Setting eines Wohn- oder Schlafzimmers scheinbar unbeobachtet wähnen, lenken den Blick direkt zwischen deren Beine.
Man hat die träumerische Versunkenheit der jungen Modelle auf diesen Bildern gerne als deren Unantastbarkeit interpretiert. Weil sie sich um den Betrachter - und das Betrachtetwerden - nicht im Geringsten zu kümmern scheinen, geht ihnen alles Gefällige, Unterwürfige ab. Sie wirken abwesend, gelangweilt oder auch trotzig, sie lächeln nicht und sind sich doch ihrer Wirkung bewusst. Diese zwischen Langeweile, Unglück und Rebellion schwankende Disposition auf der Schwelle zur Pubertät wird besonders sichtbar in den berühmten Porträts von Thérèse Blanchard, dem ersten Kinder-Modell, das Balthus in seiner Pariser Zeit zu malen begann. Die zwischen 1936 und 1939 entstandenen, psychologisch komplexen Studien, die die eigenwillige Thérèse im Alter von 11 bis 14 Jahren darstellen, sind die stärksten Bilder in dieser Schau; die grundstürzende, schmerzhafte Ambivalenz des Erwachsenwerdens ist in ihnen präsent. Und doch, allen träumerischen Distanzen und somnambulen Arrangements zum Trotz, lauert in Balthus' hermetischen Kammerspielen eine potenzielle Gewalt.
Mitsou, 1919
Der Wandtext bereitet uns darauf vor, dass «einige Bilder auf manche Betrachter erotisch suggestiv wirken mögen». Das ist, mit Verlaub, stark untertrieben. Und es ist bezeichnend für den Eiertanz, der diese Retrospektive in Zeiten von Missbrauchsskandalen begleitet. Balthus' Mädchenbilder sind keineswegs so subtil, wie diese Beschreibung behauptet - und schon gar nicht so «rein», wie der Maler, die vermeintlich schmutzige Phantasie der Betrachter anklagend, gerne behauptete. Um es klar zu sagen: Diese Gemälde von sich räkelnden Nymphen, die sich im intimen Setting eines Wohn- oder Schlafzimmers scheinbar unbeobachtet wähnen, lenken den Blick direkt zwischen deren Beine.
Man hat die träumerische Versunkenheit der jungen Modelle auf diesen Bildern gerne als deren Unantastbarkeit interpretiert. Weil sie sich um den Betrachter - und das Betrachtetwerden - nicht im Geringsten zu kümmern scheinen, geht ihnen alles Gefällige, Unterwürfige ab. Sie wirken abwesend, gelangweilt oder auch trotzig, sie lächeln nicht und sind sich doch ihrer Wirkung bewusst. Diese zwischen Langeweile, Unglück und Rebellion schwankende Disposition auf der Schwelle zur Pubertät wird besonders sichtbar in den berühmten Porträts von Thérèse Blanchard, dem ersten Kinder-Modell, das Balthus in seiner Pariser Zeit zu malen begann. Die zwischen 1936 und 1939 entstandenen, psychologisch komplexen Studien, die die eigenwillige Thérèse im Alter von 11 bis 14 Jahren darstellen, sind die stärksten Bilder in dieser Schau; die grundstürzende, schmerzhafte Ambivalenz des Erwachsenwerdens ist in ihnen präsent. Und doch, allen träumerischen Distanzen und somnambulen Arrangements zum Trotz, lauert in Balthus' hermetischen Kammerspielen eine potenzielle Gewalt.
In dem - für ein Fischrestaurant
entstandenen - Gemälde «The Cat of La Méditerranée» hat Balthus sich
selbst als einen gefrässigen, teuflisch grinsenden Kater gemalt, dem die
Fische wie gebratene Tauben ins Maul fliegen; ein barbrüstiges Mädchen
schaukelt verloren in einem Boot auf stürmischer See. Es ist ein
scheussliches Bild und ein deutlicher Kommentar zu dem erotischen
Paarlauf von Katze und Kind. In einigen Bildern von Mädchen und Katzen
hat Balthus die Katze später entfernt. Man denkt unwillkürlich an
Vermeers im Bildersaal nebenan hängende «Maid Asleep», deren liebliche
Rötung der Wangen das erotische Gastspiel erahnen lässt, das Vermeer,
wie die Bildlegende erklärt, später übermalte. Wie Vermeer die Intimität
durch die Entfernung des Mannes erhöhte, so hat auch Balthus die
sexuelle Wirkung der Mädchenporträts durch die Eliminierung der Katze
deutlich verschärft. Allein, Vermeers Blick auf die schlummernde junge
Frau ist von grosser Zärtlichkeit, der von Balthus inspizierend und
ambivalent.
Thérèse auf der Sitzbank, 1939.
Thérèse auf der Sitzbank, 1939.
Es ist interessant, wie die
Verteidiger der «Unschuld» von Balthus' Mädchenporträts - darin dem
Maler selbst folgend - um die explizite Erotik dieser Bilder herumreden.
Unter anderem ist gerne von der «blütenweissen Wäsche» der Mädchen die
Rede, als sei diese eine Garantie moralischer Sauberkeit. Man muss ja
nur genau hinschauen: In dem Bild «Thérèse rêvant» [s. Kopfbild] hat Balthus auf dem
weissen Höschen zwischen den Beinen des Mädchens einen rosa Akzent
gesetzt, als hätte er die sich unter dem Stoff abzeichnenden Schamlippen
betont (oder die Kleine gerade ihre erste Periode bekommen). Es sind
solche Details, die Balthus' Bilder faszinierend und anstössig machen.
So oder so aber fällt der voyeuristische Blick auf uns selbst zurück:
Balthus macht uns zu Komplizen der Indiskretion.
Thérèse, 1938
Thérèse, 1938
Girls and Polaroids
Die heikle Natur dieser Porträts
und ihrer Entstehung kann man übrigens in der Gagosian Gallery an der
Madison Avenue in Augenschein nehmen, wo derzeit an die hundert
Polaroids ausgestellt sind, die Balthus in den neunziger Jahren von der
Tochter seines Arztes, Anna Wahli, gemacht hat. Anna kam erstmals mit
acht Jahren in die Gemächer des Grand Chalet und liess sich dort acht
Jahre lang jeden Mittwoch zeichnen und fotografieren; die Polaroids, die
hier erstmals zu sehen sind, sollten als Studien für Balthus' Gemälde
dienen. An der Wand hängt ein Bericht des Modells, in dem es erzählt,
wie der Greis, auf seinen Stock gestützt, immer wieder aufstand, um die
lasziven Posen des teilweise nahezu nackten Mädchens selber zu
arrangieren - die ständige Wiederholung dieser Aktionen damit
rechtfertigend, dass er mit der Technik des Apparats nicht zurechtkam.
Polaroid von Balthus
Polaroid von Balthus
Die Bilder, von denen einige auf
die Website des «New Yorker» gestellt wurden, haben, wie man hört, in
der Redaktion einen Proteststurm entfacht und wurden schnellstens wieder
entfernt. Allein, mit Empörung kommt man Balthus' Gemälden zumindest
nicht bei. Der Grund dafür mag in der ambivalenten Rolle des Malers zu
suchen sein, in seiner doppelten Identifikation mit dem Gegenstand
seiner Betrachtung und dem kompositorisch perfekt inszenierten Blick.
Balthus malt keine Opfer, er taxiert die Beute. Wie kurz der Schritt vom
einen zum andern sein kann, zeigt das Bild «La Victime», auf dem der
makellose Körper eines jungen Mädchens nackt auf einem Leintuch
ausgestreckt liegt, dem Blick des Betrachters wehrlos ausgesetzt; nur
der bläuliche Schatten der Haut und der Titel des Bildes weisen auf ein
Vergehen hin. Wenn es denn stimmt, dass der König der Katzen sich an
seiner Beute niemals vergriffen hat, so hat er zumindest genüsslich mit
ihr gespielt.
Bis 12. Januar 2014. Der Katalog kostet 45 Dollar.
Nota.
Natürlich sind die aufreizenden jungen Mädchen das Auffälligste an Balthus' Malerei, wer wollte das bestreiten. Aber eigentlich ähneln sie sich alle ein bisschen. Und jedenfalls ist der Maler selber am Sujet mehr interessiert als am Ästhetischen. Aber man muss ihm nicht den Gefallen tun und sich von seiner Vorliebe vereinnahmen lassen. Er hat auch anderes gemalt, das thematisch weniger ins Auge springt, aber künstlerisch vielleicht mehr:
JE
Wunderschöner Artikel über Balthus. (Und ich kann das beurteilen, ich hab ungefähr alles gelesen, was sich über diesen Künstler finden lässt)
AntwortenLöschenJetzt muss ich mich leider durch alle Ihre Blogs und Posts wurschteln und mir die Nacht um die Ohren hauen, weil wirklich interessante Ansichten und Blickwinkel.
Auch wenn ich definitiv nicht immer zustimmen können werde, das seh ich jetzt schon (:
das sind die Werke eines Pädophilen
AntwortenLöschenWerke eines Pädophilen - ja, wahrscheinlich. Aber sind es darum pädophile Werke? Und wenn sie es wären, wären sie deshalb schlecht? In welcher Hinsicht? Ästhetisch? Oder sonst irgendwie künstlerisch? Moralisch anstößig - so, dass man sie öffentlich nicht zeigen sollte - wären sie, wenn sie pornographisch wären. Das sind sie denn aber doch nicht.
AntwortenLöschenDass man sie trotzdem nicht ansehen mag, ist verständlich; hat aber keine objektive Bedeutung.
El mágico misterio femenino del paso de la niñez a la adolescencia
AntwortenLöschen..las antiguas culturas en todo el mundo, como hoy los japoneses, lo asumen y admiran, pero para los occidentales de hoy con su cultura judeo cristiana solo hay pornografía y pecado en las obras de Balthus