Mittwoch, 27. November 2013

Rafael Moneo in A Coruña.

aus NZZ, 27. 11. 2013                                                                                                                    "Kursaal" in San Sebastián

Nur keine Fremdkörper produzieren
Die nordwestspanische Stadt A Coruña widmet dem Architekten Rafael Moneo eine grosse Werkschau 

von Brigitte Kramer · Vergilbtes Pauspapier, dicke Bleistiftlinien, Beschriftungen mit schablonierten Buchstaben, immer wieder dieselbe handschriftliche Signatur, Licht- und Schattenspiele, Fotos aus der Vogelperspektive, städtische Landschaften mit Menschen in altmodischer Kleidung, Blicke in Gänge und Höfe - die Exponate der grossen, dem 1937 in Tudela geborenen Architekten Rafael Moneo gewidmeten Ausstellung in den Räumen der Fundación Barrié im nordwestspanischen A Coruña betören. Insgesamt 46 Bauten und Projekte aus 52 Jahren werden mit 98 Skizzen, 18 Modellen und 142 Fotos dokumentiert. Das Material stammt aus dem Studio in Madrid, wo seit 1973 Hunderte von Architekten gearbeitet haben. Viele davon sind heute herausragende Vertreter ihrer Zunft. Der Kurator Francisco González de Canales und die Ausstellungsmacherin María Fraile - beide Architekten und Schüler von Moneo - haben mit ihrer «Rafael Moneo - una reflexión teórica desde la profesión» betitelten Schau dem grossen spanischen Architekten ein Denkmal gesetzt.


 gottlob nicht realisiert: Entwurf 1962

Streben nach Harmonie

Der Ausstellungsrundgang vermittelt Eindrücke einer Laufbahn, die 1961 mit dem Studienabschluss in Madrid begann und bis heute währt. Diese Schau und der Katalog würden ihm helfen, wenn er sich wieder einmal frage, wer er eigentlich sei, sagte Moneo bei der Eröffnung. Dabei hat er sich bis anhin schwergetan mit der Präsentation seines Schaffens. Die letzte Ausstellung fand im Frühjahr 2002 in der Fundació Miró und dem Col.legi d'Arquitectes in Palma de Mallorca statt und beleuchtete sein Schaffen der 1990er Jahre. Jene Dekade steht für Spaniens wirtschaftlichen Boom und gilt auch als eine der wichtigsten in Moneos Werk. Damals entstand der neue Atocha-Bahnhof in Madrid. Das Museum der Miró-Stiftung in Palma de Mallorca und der Flughafen von Sevilla wurden 1992 eröffnet. 1999 kam der Kursaal von San Sebastián dazu. Gleichzeitig begann Moneo mit der langwierigen, erst 2007 vollendeten Erweiterung des Prados in Madrid, stellte ein Museum in Houston und das neue Moderna Museet in Stockholm fertig und errichtete eine Kathedrale in Los Angeles, um nur einige herausragende Werke zu nennen. Im Jahr 1996 erhielt er zudem den Pritzkerpreis.


 Museum der Miró-Stiftung in Palma de Mallorca

Der Architekt hat während Spaniens Boomjahren sehr viel gebaut. Dennoch hat er nirgendwo «einen Moneo» hinterlassen. «Mich interessiert es nicht, dass meine Bauwerke meine Handschrift tragen», sagt er, «mich reizt es, Antworten auf die Vielfalt der Städte zu geben, ihre Heterogenität begeistert mich immer wieder.» Moneo benutzt häufig die Verben einpassen, ausgleichen, zusammenfinden, ergänzen. Gleichwohl fügen sich seine Gebäude nicht immer ins Umfeld ein, wie etwa das Madrider Krankenhaus (2003) oder die Universitätsbibliothek von Bilbao (2009) beweisen.


Biblithek der Universität Deusto/Bilbao

Schon am Anfang seiner Karriere strebte Moneo nach Harmonie. Einen Leitgedanken seiner Arbeit formuliert er beim Rundgang durch die Ausstellung mehrmals: «Hier stellte ich mir wieder die Frage: Wenn ich da etwas Zeitgenössisches hineinsetze, wird man das in fünfzig Jahren für einen Fremdkörper halten?» Eines seiner ersten wichtigen Gebäude war das kleine «Bankinter»-Scheibenhochhaus von 1976 an Madrids Paseo de la Castellana. Die Strasse wandelte sich in den 1970er Jahren von einer Adresse alteingesessener Familien zur Finanz- und Verwaltungsmeile. Schon damals, in einer Zeit, die nicht viel für Altbauten übrig hatte, beschloss Moneo, ein verspieltes Palais auf dem Eckgrundstück nicht abzureissen, sondern seinen Neubau dahinterzusetzen. Den Eingang zur Bank verlegte er kurzerhand in die Seitenstrasse. Das Hochhaus hat, wie das Haus aus dem 19. Jahrhundert vor ihm, eine rote Ziegelfassade und wirkt damit wie dessen entfernter Verwandter.


 «Bankinter»-Scheibenhochhaus von 1976

Das wohl schönste Beispiel für Moneos Bedürfnis nach gedanklicher Einheit und baulicher Verschmelzung mit dem Kontext ist das Museo de Arte Romano im südwestspanischen Mérida (1980 bis 86). Die Skizzen zeigen, wie tief sich der Architekt in die Lage und das Umfeld des Gebäudes hineingedacht hat. Neben den Plänen hängt eine Zeichnung, bei der Moneo im Stil von M. C. Escher Bogengänge, Etagen und Gänge offen legt. Das Ergebnis ist ein Haus, das der Architekt als «beinahe geologischen Zeugen der Stadt» empfindet. Die gesamte Geometrie des Gebäudes ist an der Lage der Ruinen und dem Verlauf der Römerstrasse orientiert. «Die archäologischen Reste sind hier keine Museumsstücke, sondern Teile eines Gebäudes, das als Ganzes auf das lange vergessene Erbe der Stadt verweist», sagt er. Das Museum erregte nach seiner Eröffnung weltweites Aufsehen. Es hat Moneo und die Architekten Spaniens international bekannt gemacht und vielen zu prestigeträchtigen Aufträgen verholfen. 


 Römisches Museum, Mérida

Gelungene Ausstellung

Auch in Sevilla, wo der unvollendete Hochhausturm des Argentiniers César Pelli seit ein paar Jahren für Diskussion sorgt, hat Moneo gezeigt, wie eng zeitgenössische Architektur und Baudenkmäler zusammenleben können. Zwischen den Giralda-Turm und die Torre del Oro, beides Sinnbilder der maurischen Vergangenheit Sevillas, hat er in den 1980er Jahren das Verwaltungsgebäude einer Versicherung errichtet. Anstatt in Konkurrenz mit der Stadt zu treten, suchte Moneo mit einem extrem flach gehaltenen Gebäude den Ausgleich mit der Umgebung. Der horizontale Bau mit tiefem Schieferdach und durchbrochener Ziegelfassade erinnert an ein andalusisches Landgut. Eine glücklichere Lösung lässt sich kaum denken.
 
Sevilla, Versicherungsgebäude

Viele bauliche und gedankliche Verflechtungen gibt es in Moneos Zeichnungen zu entschlüsseln. Seine Skizzen sind wahre Meisterwerke. Sie belegen, wie wichtig die langsame Annäherung an ein Projekt ist. Und sie vermitteln Studioatmosphäre, fast riecht man Bleistift und Papier. In Zeiten der Arbeit am Bildschirm wirken die Zeichnungen fast schon wie Antiquitäten. Moneo hält abschliessend fest, Gebäude könne man nicht ausstellen, wohl aber Gedanken und Eindrücke. Man kann ihm angesichts der gelungenen Schau nur beipflichten.

Bis 30. März 2014. Katalog: Rafael Moneo. Una reflexión teórica desde la profesión. Materiales de archivo (1961-2013). Fundación Barrié, A Coruña 2013. 249 S., € 25.- (www.fundacionbarrie.org/).


Nota.

Mir hat es besonders der Kursaal (ein deutsches Fremdwort im Spanischen - das gibt's) in San Sebastián angetan, den Sie schon im Kopfbild gesehen haben. Nicht, dass ich ihn an sich schön fände. Aber dort, wo er steht, passt er so vollkommen hin wie die Faust aufs Auge. (Das gilt übrigens auch für die Bibliothek in Bilbao; und aus denselben Gründen, weshalb es dort für das Gehry-Museum gilt.) Und so klotzig und plump, wie er, für sich genommen, wirken müsste, so abwechslungsreich erscheint er in seiner Umgebung.


Unter diesem Gesichtspunkt könnte sich noch der schrillste skulpturale Solitär rechtfertigen - wenn er nur an der richtigen Stelle steht. (Das ist aber in den meisten über Jahrhunderte gewachsenen Städten selten der Fall; doch dort können eben Ausnahmen die Regel bestätigen.)
JE 

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