So fern, so nah
«Bilder auf Leben und Tod» - Théodore Géricault in der Frankfurter Kunsthalle Schirn
Die Frankfurter Schirn zeigt Géricaults Schaffen mit Fokus auf Leid und Pein des Menschen und situiert das Thema vor dem Hintergrund der übergreifenden wissenschaftlichen und gesellschaftspolitischen Umbruchsituation des späten achtzehnten und frühen neunzehnten Jahrhunderts diesseits und jenseits des Rheins.
von Andrea Gnam
«Wir sind wohl etwas, aber wir
sehen wunderlicherweise nicht wie etwas aus, wir sind blosses
Übergangsgeschiebe», lässt Gottfried Keller im «Grünen Heinrich» eine
seiner Figuren, einen talentierten Maler, der im München der dreissiger
Jahre des 19. Jahrhunderts in eine Schaffenskrise gekommen ist, das
politische, aber auch ästhetische Dilemma seiner Zeit beklagen. Die alte
Staats- und religiöse Geschichte achte man nicht mehr, und man habe
«auch noch keine neue» hinter sich gebracht, «die zu malen wäre, das
Gesicht Napoleons etwa ausgenommen». Sein Protagonist Heinrich indes
sucht sein Heil in den Hörsälen, aber auch in handgreiflichen
Auseinandersetzungen, um dem Geheimnis des Lebens auf die Spur zu
kommen, das er nach dem Vorbild des Borghesischen Fechters auf die
zeitgenössische Situation beziehen möchte.
Borghesischer Fechter, Schloss Charlottenburg
Borghesischer Fechter, Schloss Charlottenburg
«In Liebe, Théodore»
Diese Zerrissenheit ist auch
jenseits des Rheins, in Théodore Géricaults Werk (1791-1824) ein
tragendes Moment: «Bilder auf Leben und Tod», unter diesem waghalsig
daherkommenden Motto wirbt die von Gregor Wedekind kuratierte
Ausstellung in der Schirn. Fast möchte man das Räubermotto um ein «in
Liebe, Théodore» ergänzen, denn was man zu sehen bekommt, zeigt trotz
dem Fokus auf Schmerz, Leiden und physische wie psychische Deformation
einen Maler, der seinem Gegenstand mit Empathie und Wissen begegnet.
Selbstporträt
Théodore Géricault war tatsächlich in Deutschland bisher noch keine Einzelausstellung gewidmet, nicht zuletzt weil eine nicht einfache Verleih- und Zuschreibungssituation bewältigt werden musste. Die Schau in der Schirn nähert sich dem in Frankreich verehrten, in Deutschland in der Rezeption eher vernachlässigten Maler auf mehreren Ebenen.
Selbstporträt
Théodore Géricault war tatsächlich in Deutschland bisher noch keine Einzelausstellung gewidmet, nicht zuletzt weil eine nicht einfache Verleih- und Zuschreibungssituation bewältigt werden musste. Die Schau in der Schirn nähert sich dem in Frankreich verehrten, in Deutschland in der Rezeption eher vernachlässigten Maler auf mehreren Ebenen.
Nur eine dünne Membran
Ästhetisch zeigt sie auch einen
thematischen Dialog mit Zeitgenossen auf, etwa, wenn es um anatomische
Grundlagen geht oder das Interesse für die Beschaffenheit des toten
Körpers oder für das Pferd, das als Arbeits-, Fortbewegungs- oder
Kavalleriepferd im Alltag allgegenwärtig ist. Eine Gegenüberstellung mit
einigen wohlgewählten Zeichnungen des viel späteren Adolph Menzel
unterstreicht die Eigenart Géricaults: Was bei Géricault an Totem zu
sehen ist, scheint auf eine andere Weise tot zu sein, noch nicht
mausetot wie bei Menzel, sondern eben noch atmend, nur durch eine dünne
Membran vom Leben getrennt. Ebenso verhält es sich beim Anblick eines
Pferdekopfs aus der Hand Menzels: Hier ist das Tier ganz Kreatur,
während bei Géricault durchaus auch Projektionen zu menschlichen
Eigenschaften möglich sind.
Verwundet, 1814
Der erste Saal rechter Hand (der Hinweis, mit ihm zu beginnen, ist dem richtigen Lesen der Placierung von zwei liegenden Statuen im Eingangsbereich vorbehalten) setzt ein mit einem Ölgemälde eines Offiziers, der geschlagen vom Feld zieht, in jeder Hinsicht ein Bild des «Übergangsgeschiebes»: Wir schreiben das Jahr 1814, Napoleons Tage sind vorüber, dennoch ist eine Niederlage alles andere als ein patriotisches Thema, Géricault reicht das Gemälde im Pariser Salon ein. Der geschlagene Kämpfer sieht zwar noch recht proper aus und schaut zurück gen Himmel, als suchte er da um Rückhalt und Vergebung, während sein Pferd ihn vorwärtstreibt. Über die formale Darstellung, die mehr auf Wucht und fallende Linien als auf perspektivische Darstellungskonventionen achtet, wurde dann seinerzeit auch heftig diskutiert. Gesten, die noch vorhanden, aber vergeblich geworden sind, zeigen dann auch andere, eindeutigere Darstellungen von Krieg und Unglück: die Heimkehrer aus den Russlandfeldzügen, die Schiffbrüchigen (zwei Vorstudien aus dem Umkreis des «Flosses der Medusa» sind vorhanden sowie eindrucksvolle Ölporträts, welche die gegerbten Gesichter der Schiffbrüchigen ins Bild setzen). Hier sind auch drei Gemälde zu finden, die sorgsam arrangierte abgeschnittene Gliedmassen zeigen: zwei davon so, dass sie wie in
inniger Umarmung erscheinen und der Eindruck des Menschlichen erhalten bleibt, eines, das im besitzenden Museum als Werk eines anderen Malers ausgewiesen wird. Hier ist das Arrangement in der Tat auffallend kühler, die abgetrennten Körperteile wirken wie hingeworfen. Nur wenig ist aus dem in Italien verbrachten Jahr zu sehen, zwei wunderbare kleine Ölbilder in warmen Farbtönen (eine Familienszene, deren Figuren an Michelangelo denken lassen), eine Vor- oder Nachbereitung eines Pferderennens, die den Betrachter in einen Bewegungsstrudel hineinzuziehen weiss.
Pferderennen
Der erste Saal rechter Hand (der Hinweis, mit ihm zu beginnen, ist dem richtigen Lesen der Placierung von zwei liegenden Statuen im Eingangsbereich vorbehalten) setzt ein mit einem Ölgemälde eines Offiziers, der geschlagen vom Feld zieht, in jeder Hinsicht ein Bild des «Übergangsgeschiebes»: Wir schreiben das Jahr 1814, Napoleons Tage sind vorüber, dennoch ist eine Niederlage alles andere als ein patriotisches Thema, Géricault reicht das Gemälde im Pariser Salon ein. Der geschlagene Kämpfer sieht zwar noch recht proper aus und schaut zurück gen Himmel, als suchte er da um Rückhalt und Vergebung, während sein Pferd ihn vorwärtstreibt. Über die formale Darstellung, die mehr auf Wucht und fallende Linien als auf perspektivische Darstellungskonventionen achtet, wurde dann seinerzeit auch heftig diskutiert. Gesten, die noch vorhanden, aber vergeblich geworden sind, zeigen dann auch andere, eindeutigere Darstellungen von Krieg und Unglück: die Heimkehrer aus den Russlandfeldzügen, die Schiffbrüchigen (zwei Vorstudien aus dem Umkreis des «Flosses der Medusa» sind vorhanden sowie eindrucksvolle Ölporträts, welche die gegerbten Gesichter der Schiffbrüchigen ins Bild setzen). Hier sind auch drei Gemälde zu finden, die sorgsam arrangierte abgeschnittene Gliedmassen zeigen: zwei davon so, dass sie wie in
inniger Umarmung erscheinen und der Eindruck des Menschlichen erhalten bleibt, eines, das im besitzenden Museum als Werk eines anderen Malers ausgewiesen wird. Hier ist das Arrangement in der Tat auffallend kühler, die abgetrennten Körperteile wirken wie hingeworfen. Nur wenig ist aus dem in Italien verbrachten Jahr zu sehen, zwei wunderbare kleine Ölbilder in warmen Farbtönen (eine Familienszene, deren Figuren an Michelangelo denken lassen), eine Vor- oder Nachbereitung eines Pferderennens, die den Betrachter in einen Bewegungsstrudel hineinzuziehen weiss.
Pferderennen
Memento der Nöte
In der Saalfolge linker Hand
führen Porträts, aber auch Ausstellungsstücke, die das anatomische und
physiognomische Wissen der Zeit zeigen, fort, was rechter Hand bereits
angerissen wurde: Géricault ist mit seinen Interessen nicht alleine und
auch hier Zeuge einer historischen Umbruchsituation, dieses Mal, was den
Umgang mit den Grenzen von Vernunft, Verstand und Sichtbarkeit
betrifft, den veränderten Umgang mit Delinquenz, abweichendem Verhalten
und psychischen Störungen. Nicht mehr Teufel und Dämonen oder moralische
Schuld werden als verantwortlich für psychotische Ausbrüche oder
depressive Zustände angesehen, sondern man beobachtet und klassifiziert,
lässt in den meisten Fällen die Ketten weg.
Le monomane du vol, um 1819-1820
Ein bemerkenswerter Werkzyklus, der erst postum aufgefunden wurde, beschliesst die Ausstellung, die sogenannten «Monomanen». Vier von fünf erhaltenen Bildern haben den Weg nach Frankfurt gefunden, an der Stelle des fünften, das wie immer in Winterthur bleiben musste, ist eine Neuinterpretation von Marlene Dumas zu sehen. Alleine diese nun nebeneinander gezeigten Ölgemälde lohnen die Reise nach Frankfurt. Sie bilden zwar nicht, wie bei Gottfried Kellers unentschlossenem Maler, der schliesslich eine «Bank der Spötter» malt, ein Memento der Verweigerung und puren Negativität. Aber doch, obwohl sie den Blick am Betrachter vorbeirichten, ein Memento der Bandbreite menschlicher Nöte und Sorgen: ältere Menschen, die in einer geschlossenen Welt leben, weit weg von der unseren und doch greifbar nahe, durch ein Band verbunden, ähnlich, wie es einem bereits beim Betrachten der toten Gliedmaßen erschienen ist.
La Monomane de l’envie, auch genannt La Hyène de la Salpêtrière, 1819-1820
Dieses Band mag mit den Einzelheiten zu tun haben, die genau gesehen werden, den herunterhängenden Bändeln einer Haube, den zwingenden Augen, die zwar am Betrachter vorbeisehen, den Dialog nicht suchen, aber dennoch unwillkürlich die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Thematisch konfrontiert werden die Bildnisse - sie wurden ermöglicht durch die Freundschaft Géricaults mit dem Leiter der Salpêtrière, dem Psychiater Etienne Georget - mit Illustrationen aus dem französischen Psychiatriediskurs und frühen Fotografien, die noch eine ganz andere, eher ins Theatralische reichende Sprache sprechen als Géricaults ausdrucksvolle und einfühlsame Gemälde. Rein formal gedacht, oder sagen wir, inhaltlich kühn auf Leben und Tod, hätte man sich auch ein in einem anderen Raum gezeigtes Bildnis, dessen Zuschreibung zu einem Maler offenbleibt, hier vorstellen können: die ungeschönte Ansicht einer verhärmten Gemüsehändlerin in den späten mittleren Jahren, die skeptisch in die Welt blickt.
Ein bemerkenswerter Werkzyklus, der erst postum aufgefunden wurde, beschliesst die Ausstellung, die sogenannten «Monomanen». Vier von fünf erhaltenen Bildern haben den Weg nach Frankfurt gefunden, an der Stelle des fünften, das wie immer in Winterthur bleiben musste, ist eine Neuinterpretation von Marlene Dumas zu sehen. Alleine diese nun nebeneinander gezeigten Ölgemälde lohnen die Reise nach Frankfurt. Sie bilden zwar nicht, wie bei Gottfried Kellers unentschlossenem Maler, der schliesslich eine «Bank der Spötter» malt, ein Memento der Verweigerung und puren Negativität. Aber doch, obwohl sie den Blick am Betrachter vorbeirichten, ein Memento der Bandbreite menschlicher Nöte und Sorgen: ältere Menschen, die in einer geschlossenen Welt leben, weit weg von der unseren und doch greifbar nahe, durch ein Band verbunden, ähnlich, wie es einem bereits beim Betrachten der toten Gliedmaßen erschienen ist.
La Monomane de l’envie, auch genannt La Hyène de la Salpêtrière, 1819-1820
Dieses Band mag mit den Einzelheiten zu tun haben, die genau gesehen werden, den herunterhängenden Bändeln einer Haube, den zwingenden Augen, die zwar am Betrachter vorbeisehen, den Dialog nicht suchen, aber dennoch unwillkürlich die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Thematisch konfrontiert werden die Bildnisse - sie wurden ermöglicht durch die Freundschaft Géricaults mit dem Leiter der Salpêtrière, dem Psychiater Etienne Georget - mit Illustrationen aus dem französischen Psychiatriediskurs und frühen Fotografien, die noch eine ganz andere, eher ins Theatralische reichende Sprache sprechen als Géricaults ausdrucksvolle und einfühlsame Gemälde. Rein formal gedacht, oder sagen wir, inhaltlich kühn auf Leben und Tod, hätte man sich auch ein in einem anderen Raum gezeigtes Bildnis, dessen Zuschreibung zu einem Maler offenbleibt, hier vorstellen können: die ungeschönte Ansicht einer verhärmten Gemüsehändlerin in den späten mittleren Jahren, die skeptisch in die Welt blickt.
Géricault - Bilder auf Leben und Tod. Frankfurt, Kunsthalle Schirn. Bis 26. Januar 2014. Katalog € 39.90.
Artilleriezug durchquert eine Schlucht, 1818
Nota.
Die Franzosen haben es leichter, ihre Romantik in der Bildenden Kunst auf einen Begriff zu bringen: Delacroix, Géricault, Victor Hugo als Zeichner: das ist Schauerromantik, ganz einfach. Formal bahnbrechend war sie wohl in Frankreich, aber mehr muss man nicht darüber wissen...
Ehrlich gesagt, konnte ich mich von Géricault auch nur an das Floß der Medusa erinnern, das mir heroisch-klassizistisch-pompös vorkam, und an den Löwen, der ein Pferd angreift - den ich auch nicht mochte, weil er mir so expressionistisch nach Delacroix aussah:
Wenn ich jetzt hinsehe, erinnert er mich mehr an Heinrich Füssli, aber jetzt habe ich mich mit den Bildern dieser Austellung ja auch schon befasst. Schauerromantisch kommt mir Das Floß, seit ich die Vorstudien gesehen habe, immer noch vor, aber heroisch pompös nun gar nicht mehr, und darum habe ich mich für das Sujet interessiert: Es ist gar keine mythische Symbolik, sondern der Bericht von dem wirklichen Untergang des Kriegsschiffs Méduse im Atlantik, bei dem sich einige Dutzend auf ein Floß retten konnten, aber wochenlang auf dem Meer trieben. Es kam zu Kannibalismus und schließlich überlebte nur eine Handvoll. Keine mythische Szene also, sondern eine realistische - sogar politisch, weil das Versagen des Kapitäns der Méduse als beispielhaft für den Schlendrian der bourbonische Restauration angesehen wurde.
Schiffbruch, 1821-24
Ach, es ist ja wahr, das rein-Ästhetische gibt es gar nicht. Die zeitgeschichtlichen und gar biographischen Umstände, aus denen Kunst entsteht, sind vielleicht nicht so erheblich für deren ästhetische Beurteilung, wie mancher Kunsthistoriker meint. Aber ganz gleichgültig sind sie auch nicht. Wie kam es nämlich zu Géricaults Freundschaft mit dem Irrenarzt Georget? Na, er war sein Patient. Géricault war keine dreißig, als er an schwerer Melancholie erkrankte und in der Salpêtrière Hilfe suchte. Die Empathie, die seine Monomanen-Porträts so auszeichnet, ist sicher seinem künstlerischen Genie geschuldet - aber eben nicht nur.
Erschreckend ist geradezu, welche Ähnlichkeit viele der Totenporträts, die er in seiner letzten Zeit anfertigte, mit seiner eignen Totenmaske haben.
Géricault stürzte vom Pferd, wurde gelähmt und starb kurz darauf.
JE
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