Jan van Kessel, Bleichwiesen bei Haarlem aus Landschaft, oder Die Entbindung des Ästhetischen.
Holland und Italien
Zu einer besonderen Gattung, einem Genre, hat sich die Landschaftsmalerei in zwei Gegenden Europas ausgebildet, in Holland und in Italien. Das einemal als Merkmal eines nationalen Erwachens, das andermal als ein Zeichen des Niedergangs.
Beides hat seine (selbe) Ursache im sechzehnten Jahrhundert: nämlich die Verschiebung des Welthandels aus dem Mittelmeer auf den Antlantik. Hier die mittlerweile erdrückende Seeherrschaft des osmanischen Reiches, der Venedig kaum noch standhält, dort die Entdeckung Amerikas und die Umrundung Afrikas. Italien verbauert, Holland blüht auf.
Italien kann kulturell noch lange an seinem gewaltigen Erbe zehren. Aber mit dem politischen und kommerziellen Niedergang hängt es gewisssermaßen in der Luft und irrt ziellos durch die Gegend. Irgendwie wird – der Manierismus öffnet die Tore – künstlerisch “alles möglich”. Warum nicht auch hier und da mal eine Landschaft;
doch ob sie von Tizian oder von Giorgione stammt, ist bei dem berühmte Ländlichen Konzert (ca. 1511) nicht einmal mehr sicher. Auffällig ist an dem Stück, dass die Umrisslinien, die doch die Körperlichkeit der abgebildeten Gegenstände verbürgen, wie in deinem Dunst verschwimmen – was erstens eine Spezialität Giorgiones war, und sich zweitens als ein vorteilhaftes Mittel der Landschaftsdarstellung bewähren sollte…
In Holland blühte wohlbemerkt unter dem doppelten Anreiz der wirtschaftlichen Explosion und der nationalen Erhebung nicht nur die Landschaftsmalerei, sondern alle Kultur auf. Stilleben, Stadtveduten, Genreszenen, Interieurs und Seestücke waren nicht mindert gefragt als die Landschaftsbilder.
Das einzige, was fehlte, war die prächtige Repräsentationsmalerei, wie sie in den südlichen Niederlanden Peter Paul Rubens vertrat. Denn dafür fehlten die Kunden: die katholische Kirche und die Adelshöfe; der holländische Adel bestand allenfalls aus Landjunkern, die weder politischen Einfluss noch kulturelles Gewicht hatten. Das erklärt den insgesamt (mit Ausnahme einiger Stilleben) so schlichten Charakter dieser Kunst, die man nur ungern barock nennen mag, bloß weil sie im 17. Jahrhundert entstand.
Das Besondere an der Landschaftsmalerei ist, dass sie ein neues Genre war, das… na, ich will nicht sagen: nur, aber doch am ehesten unter diesen Bedingungen entstehen konnte; und dass es dort bald wieder verflachte – aber eine Grundlage geschaffen hatte, auf der die bedeutsamste Entwicklung der gesamten Kunstgeschichte aufbauen konnte.
Holländer.
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Das 17. Jahrhundert war – trotz oder wegen des endlosen Unabhängigkeitskrieges gegen Spanien – wirtschaftlich und kulturell das Goldene Zeitalter der Niederlande. Eine breite Schicht wohlhabender Bürger und Kleinbürger entwickelte wachsende kulturelle Ansprüche. Ein weiter Markt für Gemälde entstand – in bescheidenem Format, zu bezahlbaren Preisen, mit beschaulichen und schlichten Motiven. Entsprechend der Nachfrage vervielfältigte sich die Zahl der Maler, die sich ihrerseits aus Bürger- und Kleinbürgertum rekrutierten. Ein neuer Typus von unmittelbar am Markt orientierten Berufskünstlern wuchs heran – ohne konventionelle Schulbindung und ohne tradierten ästhetischen Kanon. Eine zuvor in der Malerei nicht bekannte Freiheit des Blicks wurde möglich. So konnte sich in Holland die Landschaftsmalerei-Malerei erstmals als ein selbständiges Genre etablieren.
Jacob Isaaczoon van Ruisdael (ca. 1628-1682) war ein Schüler seines Onkels Salomon van Ruysdael und gilt heute als der bedeutendste Vertreter der holländischen Landschaftsmalerei.
Die holländische Landschaft hat nicht viel Gegenständliches zu bieten – nicht viel, das eine lebenspraktische “Bedeutung” von Hause aus mitbrächte. Eine Windmühle ‘bedeutet’ Müller, Korn und Brot; ein Kirchturm ‘bedeutet’ Bürgersinn und Gotteslob; ein Segelschiff ‘bedeutet’ Handel und Verkehr. Topographisch passiert dort nicht viel. Ein Wasserlauf bedeutet Boote, ein Wald würde Wildnis und Gefahr bedeuten – aber es gibt höchstens Wäldchen. Ansonsten ist alles flach, die höchsten Erhebungen sind die Stranddünen. Das Augenfälligste an dieser Landschaft sind immer noch: ihre phantastischen Himmel und alle Augenblicke wechselnde Beleuchtungen. Nichts wirklich ‘Gegenständliches’ und nichts wirklich ‘Bedeutsames’!
Jacob van Ruisdael hat denselben Blick – selber Standpunkt, selber Ausschnitt – auf seine Heimatstadt Haarlem immer wieder gemalt. Dennoch ist es jedesmal ein ganz anderes Bild: wegen des Himmels und der Hell-Dunkel-Verhältnisse. Oben zwei Beispiele
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Jacob van Ruisdael liebte es dramatisch und auch ein bißchen düster, so wie hier. Mehr als seinen Kollegen, kam es ihm auf den malerischen Gesamteindruck an, weniger auf das Motiv. So zögerte er nicht, seinen holländischen Landschaften gelegentlich Berge, Felsen und Wildbäche einzufügen, die es dort in der Wirklichkeit nicht gab.
Hier fügt er nicht ein, sondern läßt weg: nämlich die Körperlichkeit der Gegenstände. Das abgebildete Dorf wird weitgehend auf farbige Flächen reduziert, und die Palette beschränkt sich auf Tönungen derselben Farben. Eine räumliche Perspektive wird sich der Betrachter schon hinzudenken… Ein Wort noch zum Goldenen Zeitalter: Als erfolgreicher Maler hatte Jacob van Ruisdael die Bürgerrechte der Stadt Amsterdam erworben. Als er alt und verarmt war, schickten ihn seine Amsterdamer Mitbürger in seine Heimatstadt Haarlem zurück, wo er in einem Armenhaus starb.
Salomon van Ruysdael. Egmond-an-Zee
Die deutschen Niederlande haben sich überhaupt erst durch den Kampf gegen die Spanier zu einer ‘Nation’ zusammengefunden. Die Malerei hat ihren Teil beigetragen zur Ausbildung eines Bewußtseins von der kulturellen Eigenart. Prächtig und repräsentativ war die höfische Kunst der Spanier (auch die Gemälde von Rubens im südlichen, spanischen Teil der Niederlande). Die ‘holländische’ Kunst war dagegen still und unspektatulär, wie die holländische Landschaft.
Zunächst war daher die dortige Malerei sanft und idyllisch, bürgerlicher Alltag in einem befriedeten Milieu. Ihren deutlichsten Ausdruck fand dies bei Salomon van Ruysdael (1600-1670).
Ausgesprochen typisch für Salomon: vorn ein Flußlauf mit Booten, im Hintergrund eine scheamtisch angedeutete Siedlung – unter einem einem sanften, fast liebliche Himmel.
(Vergleiche damit Jacobs Himmel: fast immer dunkler, mit starken, beunruhigenden Kontrasten. Da “passiert” immer etwas!)
Der eigentlich bedeutende ästhetische Schritt ist freilich bei Salomon schon getan: Plastische Bildmodule werden zu farbigen Flächen und Tupfern aufgelöst; Linien verblassen zu tonigen Streifen und Bändern. Mit andern Worten, die ‘Linearperspektive’ (=Krümmung und Verkürzung der Linien) wird zugunsten der ‘Luftperspektive’ (=je weiter, desto verschwommener) verflüchtigt.
Hier ist der Abendhimmel nicht bloß lieblich: Er ist auch das einzig Farbige auf diesem Bild! Für das ‘eigentliche Motiv’ reichen ihm einige Brauntöne.
Vor rund zweihundert Jahren
war wohl von allen holländischen Landschaftern Jan van Goyen
(1596-1656) in Deutschland mit den meisten Bildern vertreten. Er galt
daher bei unseren Romantikern, die die Landschaftsmalerei als ein
bevorzugtes Feld ihrer Kunsttheorien erkannten, als ihr wichtigster
Vertreter.
Und tatsächlich hat er viel mehr Gemälde hinterlassen als seine Kollegen. Er hatte sich bei finanziellen Spekulationen übernommen und mußte viel verkaufen, da konnte er sich für das einzelne Stück nicht so viel Zeit lassen: Flotte Pinselführung und der Mut zum Weglassen, die bis heute seine Wertschätzung begründen, sind diesem Umstand ebenso geschuldet wie seiner malerischen Kühnheit.
Ebenfalls diesem Umstand geschuldet ist aber auch ein wachsender Wiederholungszwang: Die Bilder ähneln einander immer öfter und werden immer gefälliger. (Woran im übrigen nach nur einem Jahrhundert das ganze Genre wieder zugrunde gegangen ist…)
Es fällt auf, daß sich bestimmte stilistische ‘Richtungen’ bei den Holländern des Goldenen Zeitalters nicht ausmachen lassen. Dazu kam die Blüte zu rasant und waren zu viele Künstler daran beteiligt- bei einem unerschöpflichen Markt. Jeder behielt die Freiheit, den eigenen Vorlieben zu folgen.
Aber ein paar durchgängige Eigenarten kann man bemerken. So wie auch hier: die schemenhafte Behandlung der Stadtsilhouetten in demütigem Braun und die liebevolle Ausgestaltung des Himmels – dem eigentlich Charakteristischen der holländischen Landschaft.
Ein so geringfügiges Motiv wie eine Düne zum Bildgegenstand zu wählen, dazu brauchte es im 17. Jahrhundert Mut. Aber in einem Land, in dem es kaum andere Anhöhen gibt, nicht so viel wie anderswo. So etwas in ein Ölgemälde zu fassen, war hier geradezu ein trotziger Akt niederländischer Selbstbehauptung gegen die iberische Besatzungsmacht.
Ein typischer, wenn auch nicht herausragender Vertreter der niederländischen Landschaftsmalerei ist Adriaen van de Velde (1636-72).
Seine Vorliebe sind das die weichen Linien und das milde Licht. Auf unserm Bild verschwindet die Stadt ganz hinter den Dünen, und die Menschen dienen eigentlich auch nur zur Belebung der Szenerie, die ansonsten etwas öd wäre. Hauptperson ist wieder einmal der Himmel, und zwar ein freundlich sanfter.
Seine Vorliebe sind das die weichen Linien und das milde Licht. Auf unserm Bild verschwindet die Stadt ganz hinter den Dünen, und die Menschen dienen eigentlich auch nur zur Belebung der Szenerie, die ansonsten etwas öd wäre. Hauptperson ist wieder einmal der Himmel, und zwar ein freundlich sanfter.
Diese nicht näher lokalisierte “weite Landschaft” von Philips Koninck (1619-88) markiert den Abschluß einer Entwicklung. Ein besonderer, identifizierbarer Gegenstand wird dem Bild nicht einmal mehr pro forma zugewiesen. Das sandige Gelände sieht aus wie eine bloße Graphik, der Himmel ist der einzige Ort, der eine ‘Gestalt’ aufweist – aber eine ätherische, unbeständige, in Sekunden flüchtige…
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