Sonntag, 17. November 2013

Dürer im Städel.

aus Badische Zeitung, 24. 10. 2013

Wissen, was schön ist 
"Dürer. Kunst – Künstler – Kontext": Der deutsche Meister in einer großen Ausstellung im Städel-Museum in Frankfurt. 

von Volker Bauermeister

In der Werkstatt des Vaters sehen wir ihn. Doch dann aus dem Goldschmied den Maler werden. 1486, mit 15, ist Albrecht Dürer Lehrling bei Michael Wolgemut. Darauf verlässt er Nürnberg, geht auf Wanderschaft. Beweglich ist er, wissbegierig und ehrgeizig. Die Kunst- und Bildungslandschaft am Oberrhein zieht ihn an. In Colmar findet er Martin Schongauer zu seinem Bedauern nicht mehr am Leben, er geht nach Basel und Straßburg.


Barbara Dürer, geborene Holper, 1490.

Noch vorm Aufbruch hat er das Bildnis der "Barbara Dürerin" – der Mutter gemalt. Als frühes Beispiel seiner Porträtkunst ist es jetzt auch in der Ausstellung im Frankfurter Städel. Dürer zeigt die und noch manches Erhellende um ihn herum; Kurator Jochen Sander spricht von "Kontextualisierung". Wer Dürer sehen will, dem sei das Städel empfohlen. Doch vieles, das man kennt, fand andererseits von München, Berlin oder Wien den Weg auch nicht nach Frankfurt. Man weiß ja, Restauratoren hemmen den Reiseverkehr der großen Museumskunst.


Ehrenpforte für Kaiser Maximilian I.


Der Gelehrte und der Unternehmer

Wir folgen der dennoch ausgreifenden Frankfurter Erzählung. Wie es den jungen Maler, 1494, kaum ist er vom Rhein zurück, nach Italien treibt, wo Sagenhaftes passiert. Wo man die Antike wiederbelebt. Er kennt die Stiche Andrea Mantegnas. Den Venezianer Giovanni Bellini wird er schätzen lernen in Venedig. Den Weg dahin hält er in Aquarellen fest. Er spricht von "Landschaft". 


 Brennerstraße im Eisacktal

Im Zentrum des Interesses freilich steht etwas anderes: der menschliche Körper. Den sieht er "fleißig" an. Da sucht sein Sehen ein System. Jacopo de Barbari, auch ein Venezianer, lässt ihn die Bedeutung von Proportionsstudien erkennen. Der "Adam und Eva"-Stich ist dann ein Markstein auf der Suche nach dem Schönen: Apoll und Venus stehn Modell. Dürer plant ein Lehrbuch zur Malerei. Drei Jahre vorm Tod erscheint "Die Unterweisung der Messung", postum, 1528, die "Proportionslehre". Ein in Dresden bewahrtes Skizzenbuch, die 140 Blatt starke Reinschrift des ersten Bandes, entwickelt die Gestalt des männlichen und weiblichen Körpers akribisch bis ins Kleinste.


Dresdner Skizzenbuch

Dürer begründet die Malerei als Zeichenkunst – das Zeichnen als Wissenschaft. Er will wissen, was schön ist. Das ist das eine. Das andere: Er arbeitet am wirtschaftlichen Erfolg. Unternehmer ist er. In Nürnberg gründet er eine Werkstatt, in der er sich die Hilfe so fähiger Mitarbeiter wie Hans Baldung sichert. Und früh schon entdeckt er die Druckgrafik als lukrativen Geschäftszweig. Mit der Illustration der "Apokalypse" gelingt ihm 1498 ein Werk, das ihn europaweit bekannt macht.



Als Zeichner für den Holzschnitt lässt Dürer die Figuren lebendig und plastisch werden. Und plastisch wird die Angst der Epoche vorm Weltende. Er entwickelt die "Apokalypse" des Evangelisten Johannes als Drama zwischen Himmel und Erde, zeigt einen strafenden Gott, den Kampf der Engel gegen das Böse und – nach vielen Wendungen – dessen endliche Niederlage. Man fühlt sich von Ferne an die Dramaturgie eines Horrorfilms erinnert.



Ein Hauptstück der Schau – eins mit lokalgeschichtlicher Farbe – ist der hier wiedervereinigte Heller-Altar der Frankfurter Dominikanerkirche, für den Matthias Grünewald die Grisaillen der Standflügel lieferte. Die Grünewald’schen Heiligen, von Licht erfüllte Scheinplastik, kommen aus der Karlsruher Kunsthalle und dem Städel selbst. Die beweglichen Flügel und das Hauptbild, die "Marienkrönung", aus dem Historischen Museum in Frankfurt. Doch sind diese Flügel auch Dürer’sche Werkstattarbeit. Die "Krönung" ist von Jobst Harrich: eine Kopie.


Heller-Altar

Das Original gab die Anteilnahme des Bildschöpfers eindrucksvoll wieder, im Spiegel der Heiligen, im Angesicht der Himmelserscheinung. Doch lässt der Altar auch das ökonomische Denken des Autors Dürer verstehn. Der zeigt, was er kann, an dem auch für ihn so wichtigen Handelsplatz Frankfurt. Mit einem Meisterwerk will er sich sehen lassen. Aber führt dann mit dem Auftraggeber Jakob Heller einen Kampf um die Bezahlung. Das Honorar will er der Mühe anmessen.


Füße eines knienden Apostels, 1508 

Die Suite der Studienblätter belegt, wie ernst er die Aufgabe nimmt. Die berühmten "Betenden Hände" gehören dazu; sie sind nicht da. Doch unter etlichen Figurenstudien die zu den Füßen eines knienden Heiligen. Der Kunsthistoriograph Carel van Mander berichtet, dass die "beim Volke große Bewunderung erregen". Man sage: "Es sei für das Herausschneiden . . . aus dem Bilde schon viel Geld geboten worden." Das naturalistische Verblüffungsstück blieb dem Bild erhalten, doch wurde dies im Ganzen aus dem Sakralraum entfernt. Es teilte das Schicksal anderer Dürer-Altäre: Aus dem Andachtsbild wurde ein Galeriebild. Der bayrische Herzog Maximilian I. holte es zu sich und ließ für Frankfurt, 1614, die Kopie malen. Das Original kam in München in einem Feuer um.


auch eine Studie für den Heller-Altar

Die Geschichte des Altars illustriert (im Streit zwischen Dürer und Heller) den Konnex von Kunst und Ware. Und den historischen Widerstreit zwischen sakraler Kunst und autonomem Kunstwert auch. Dürer betonte beide Seiten: die Malerei als Kunst und ihren dem Gotteslob dienenden Zweck. Was später passierte, lässt sich im Kontext dessen sehen, was man die Dürer-Renaissance nennt. Etwa zur selben Zeit, zu der Maximilian sich die Marienkrönung sicherte, ließ Kaiser Rudolph II. Dürers "Rosenkranzfest" aus San Bartolomeo in Venedig nach Prag in seine Sammlung holen. Dürer wollten die Liebhaber der Kunst ganz für sich, nicht bloß in der Kirche haben.


nicht im Städel: Rosenkranzfest

Die Ausstellung zeigt, wie wichtig Dürer selbst der Ruhm war. Und sie geht auf seine legendäre letzte Reise ein. Für Kaiser Maximilian hatte er an dem großen druckgrafischen Propagandaprojekt, dem "Triumphzug", gearbeitet. Die Rente, die ihm dafür versprochen war, sollte ihm nun, nach Maximilians Tod, Karl V. bestätigen. Dem diente die Reise, die Dürer nach Antwerpen, Brüssel und Brügge führte. Sie wurde zu einem Triumphzug des Vielgerühmten. Und der wäre nicht Dürer gewesen, wenn er die Zeit nicht zur Arbeit genutzt hätte. So entstand noch ein Hieronymus. Ein Heiligenbildnis, das von Vergänglichkeit spricht: ein Memento mori. Aber auch ein Bild, das dem Grundsatz folgt, die "allerkleinsten Runzeln" des Lebens noch als wichtig zu sehen. "Sieh fleißig an", mahnt Dürer.


Hl. Hieronymus


Hieronymus und das Rhinozeros

Und allein schon aus der gesammelten Seherfahrung gelingt ihm glaubhafte Gestaltung. Zum Beispiel beim "Rhinozeros": Das Flugblatt ließ noch Generationen dies exotische Tier so wie er sehen, der nie eins gesehen hatte – aber imaginieren konnte, aufgrund von Information und Vorstellungskraft. Und was dann wieder den Hieronymus angeht, den Büßer und frommen Büchermenschen: Dürers wahrhaft eindringlichem Gemälde von 1521 hängt in den Niederlanden gleich ein Kometenschweif von Kopien und Paraphrasen von fremden Händen an. Auch davon gibt die Ausstellung etwas wieder.

 
 Joos van Cleve, Hl.Hieronymus

Vom Hieronymus, Dürers häufigstem Heiligen, ist in Frankfurt zudem eine frühe Fassung, um 1497, und natürlich der "Meisterstich", mit der humanistischen Idealgestalt in der Studierstube [s. Kopfbild]. Die drei "Meisterstiche": Neben "Ritter, Tod und Teufel" gehört die "Melencolia I" dazu, die tief sinnende allegorische Figur, um die herum sich eine Menge von Attributen gruppiert. Geometrische Körper, auch Werkzeug der Weltvermessung. Den Kupferstich der Melancholie erklärte der Kunstgelehrte Erwin Panofsky als "ein geistiges Selbstbildnis von Albrecht Dürer". Sinnbild eines neuen nachdenklichen Künstlertums, der Wissenschaft und ihrer Grenzen, scheint er. Rätseldichtes Denkbild ist er. [Ui! Des hab'ns scheen g'sagt.]
 Melencolia 1514

Städel-Museum, Frankfurt. Bis 2. Februar, Di bis So 10–19, Do, Fr 10–21 Uhr. 

Nota. 

Ich weiß gar nicht, ob man das bei so einer Gelegenheit sagen darf - und weiß nichtmal, ob es überhaupt schonmal gesagt wurde: Es gibt kaum ein Stück von Dürer - die Naturskizzen und Porträts mal ausgenommen -, auf denen man nicht einen perspektivischen oder anatomischen Fehler erkennt. Sehen Sie oben des Hieronymus verrenkte und verschwollene Hand, den Kopf der Melancholie, der nicht richtig auf den Schultern sitzt, den verkrampften linken Fuß des Engelchens daneben, oder die genickbrüchige Kopfhaltung der Knieenden auf dem Mittelstück des Heller-Altars. Er war gar nicht in Italien, weiter als bis Verona soll ers nicht geschafft haben. Es sieht aus, als sei die Renaissance als Versatzstück auf einen gotischen Corpus gesetzt, und vielleicht ist es wirklich so. Vielleicht hat er ein Ensemble nur als Zusammensetzung aus Einzelteilen sehen können. Natürlich verschlägt einem vieles die Sprache. Aber wenn es nicht Skizzen oder Porträtköpfe sind, dann sind es Teile. Ein rundum gelungenes Ganzes kommt selten vor. Sehen Sie bloß mal diese Stillende Maria von 1503:



Die Manieristen haben später die Menschen und die Dinge absichtlich verdreht, aber das ist ja nicht Dürers Fall. Und dass er nicht malen könnte, ist ja nun auch nicht der Fall. Im Sehen muss eine Schwäche gelegen haben.
JE

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